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Flut in Schranken weisen

Statistische Auswertung dient als Basis für ein systematisches Alarmmanagement
Flut in Schranken weisen

Automatisierte Anlagen erzeugen eine Flut von Alarmmeldungen. Eigentlich sollen sie die Anlagenfahrer bei ihrer Arbeit unterstützen, die Praxis zeigt jedoch, dass häufig zu viele Meldungen eingehen und angezeigt werden. Die Gefahr, dass wichtige Alarme übersehen werden, steigt dadurch. Das von ABB entwickelte Alarmmanagementmodul erlaubt die statistische Auswertung von Alarmen und hilft dabei, Schwachstellen im Alarmsystem und in der Anlage zu identifizieren.

Dr. Martin Hollender, Dr. Carsten Beuthel

Die Anlagenfahrer werden in den kommenden Jahren eine Schlüsselrolle spielen, um Unternehmensziele bezüglich Sicherheit, Umweltschutz, Qualität und Investitionssicherheit zu erreichen. Ein wichtiges Hilfsmittel bei ihrer Arbeit ist das Alarmsystem einer Anlage, das sich anbahnende Probleme möglichst frühzeitig melden soll. Leider ist es traurige Realität in vielen heutigen Anlagen, dass sowohl im Normalbetrieb als auch bei Betriebsstörungen eine Vielzahl unwichtiger Alarme gemeldet werden. Nicht selten müssen Anlagenfahrer Tag für Tag über 2000 Alarme registrieren und bewerten. Unter solchen Bedingungen steigt die Gefahr, dass ein Anlagenfahrer früher oder später wichtige Alarme übersieht, was dann zu Produktionsausfällen, Störungen, Anlagenschäden oder im schlimmsten Fall sogar zu Unfällen führen kann.
Ein häufig zitiertes Beispiel für schlechtes Alarmmanagement ist die Explosion in der Raffinerie von Milford Haven im Jahr 1994. Bei diesem Unglück wurden 26 Personen zum Teil schwer verletzt und es entstand ein Schaden von etwa 70 Millionen Euro. Der Bericht der Untersuchungskommission nennt Mängel im Alarmsystem als wesentliche Faktoren, die zu dem Unglück beigetragen haben. So mussten die Anlagenfahrer in den letzten elf Minuten vor der Explosion auf 275 verschiedene Alarme reagieren. Bei dem hohen Stress, unter dem die Anlagenfahrer in einer solchen Situation typischerweise stehen, ist es fast unmöglich, aus der Vielzahl der gemeldeten Alarme die wirklich relevanten heraus zu finden.
Ein Alarm in 10 Minuten zumutbar
Bei älteren Leitsystemen ohne Computerunterstützung war die Konfiguration jedes einzelnen Alarms sehr aufwendig, denn er benötigte eigene Hardware und Verkabelung. Deshalb wurde in der Regel genau überlegt, welche Ereignisse mit Alarmen versehen werden und welche nicht. Die daraus resultierenden Alarmsysteme waren häufig eine wertvolle Unterstützung für die Anlagenfahrer. Bei aktuellen Leitsystemen ist die Konfigurierung eines Alarms sehr einfach und schnell möglich. In vielen Projekten bleibt für eine ausgeklügelte Auslegung der Alarme nur wenig oder keine Zeit. Bei Unsicherheit, ob ein Alarm wichtig ist oder nicht, besteht die Tendenz, lieber einen Alarm zu viel als einen zu wenig zu konfigurieren. Während des Betriebs dieser Anlagen bekommen die Anlagenfahrer – selbst im Normalbetrieb – daher häufig viel zu viele Alarme präsentiert. Die Forderung nach einer aufmerksamen Beachtung jedes einzelnen Alarms wird bei hohen Alarmraten unmenschlich (EEMUA – Engineering Equipment & Materials Users‘ Association – nennt beispielsweise einen Alarm in zehn Minuten als noch akzeptablen Richtwert) und ist auf Dauer nicht erfüllbar. Das kann dazu führen, dass in Anlagen mit hohen Alarmraten das Alarmsystem nur wenig verwendet oder sogar komplett ignoriert wird. Typische Symptome für ein schlechtes Alarmmanagement sind:
  • Alarmlisten, die ständig mit Alarmen gefüllt sind und in denen ständig neue Alarme über den Bildschirm huschen (im ungestörten und mehr noch im gestörten Betrieb).
  • Viele Alarme, die über längere Zeiträume (Tage oder sogar Wochen) anstehen. Eigentlich sollte die Ursache für einen Alarm zeitnah ausgeräumt werden.
  • Alarme, die ohne weiteres Nachdenken von den Anlagenfahrern blind quittiert werden.
  • Anlagenfahrer, die sich durch das Alarmsystem nicht oder nur wenig unterstützt fühlen.
  • Akustische Alarme, die – manchmal durch drastische Maßnahmen – außer Kraft gesetzt werden, da es sonst zu einer unerträglichen dauerhaften Lärmbelästigung käme.
In extremen Fällen ist das Alarmsystem völlig nutzlos und die Anlage könnte möglicherweise sogar besser gefahren werden, wenn kein einziger Alarm konfiguriert worden wäre.
Systematische Erfassung
Inzwischen hat sich der Stand der Technik beim Alarmmanagement weiterentwickelt, so dass kosteneffektive und systematische Vorgehensmodelle zur Verfügung stehen, mit denen Alarmsysteme wieder zu einer wertvollen Unterstützung für Anlagenfahrer gemacht werden können. Vorreiter sind große, sicherheitskritische Anlagen wie Raffinerien und Ölplattformen, bei denen Alarmmanagement häufig auch bereits gesetzlich vorgeschrieben wird. Aber auch andere Industriebereiche wie Chemie, Papier und Kraftwerke beginnen, sich für systematisches Management von Alarmen zu interessieren. Wichtige internationale Richtlinien für Alarmmanagement sind dabei EEMUA 191 sowie Namur NA102 und ISA 18.2.
Ein erster wichtiger Schritt ist dabei die systematische Erfassung aller Alarme in einer Datenbank. ABB bietet hierzu den Power Generation Information Manager (PGIM) Eventmanagement an. PGIM kann mithilfe sogenannter Eventscanner an ganz unterschiedliche Leitsysteme angekoppelt werden. Alarme aus unterschiedlichen Quellen können so in einer einheitlichen Alarmliste dargestellt werden. Das von ABB entwickelte Normalisierungsmodul ermöglicht es, unterschiedlich aufgebaute Alarmmeldungen in ein einheitliches Format zu bringen und so zu klassifizieren, dass eine nachfolgende Auswertung möglichst einfach wird. Projektspezifische Besonderheiten können dabei leicht angepasst werden.
Im Falle von Störungen hilft PGIM die Ursache komfortabel zu analysieren. So zeigt beispielsweise die PGIM-Hitliste, welcher Alarm wie häufig in einem bestimmten Zeitraum aufgetreten ist. Sie ist neben vielen weiteren Werkzeugen ein einfaches und effektives Hilfsmittel um ständig wiederkehrende Alarme zu identifizieren. Standardisierte Alarmberichte, wie sie in EEMUA 191 vorgeschlagen werden, unterstützen die kontinuierliche Verbesserung des Alarmsystems.
Schwachstellen finden
Am ABB-Forschungszentrum werden derzeit weitere Algorithmen zur Analyse von Alarmen entwickelt. Die berechneten Kennwerte können mit Referenzwerten aus Standards wie EEMUA 191 oder aus ähnlichen Anlagen verglichen werden. Die statistische Analyse der protokollierten Alarme hilft, Schwachstellen im Alarmsystem und in der Anlage zu identifizieren. Häufig stellt sich heraus, dass einige wenige unwichtige Alarmkonfigurationen für einen Großteil der gemeldeten Alarme verantwortlich sind. Hier kann mit wenig Aufwand die Alarmrate spürbar gesenkt werden.
Eine weitere häufig auftretende Ursache für hohe Alarmraten sind schwingende Regelkreise, bei denen ein Alarm kontinuierlich aktiviert und deaktiviert wird. Mithilfe des Alarmmanagementmoduls können solche Regelkreise schnell identifiziert werden. Anschließend kann der Loop Performance Manager für eine detaillierte Analyse und ein Tuning der betroffenen Regelkreise eingesetzt werden.
System 800xA bietet zahlreiche Funktionen für das Management von Alarmen an. Beliebige OPC-Alarmquellen können in das System eingebunden und in einer konsolidierenden Gesamtsicht dargestellt werden. Die 800xA-Alarmlisten bieten eine Vielzahl von Filtermöglichkeiten. So ist es beispielsweise möglich, in einer Alarmliste nur solche Alarme anzuzeigen, die von Objekten aus einem bestimmten Teilbereich der Anlagenhierarchie stammen. Somit lassen sich leicht für spezielle Aufgaben maßgeschneiderte Alarmlisten konfigurieren. Mithilfe sogenannter Alarm-Hiding-Rules können Alarme in Abhängigkeit vom aktuellen Anlagenzustand oder von anderen bereits aktivierten Alarmen unterdrückt werden. Durch ein besseres Management von Alarmen können die Anwender folgende Vorteile erreichen:
  • weniger ungeplante Produktionsunterbrechungen
  • dokumentiertes und proaktives Handeln bezüglich Umweltschutz und Sicherheit
  • Identifikation von Schwachstellen in der Anlage
  • Fokussierung der Aufmerksamkeit der Anlagenfahrer auf wesentliche Aufgaben
  • Benchmarking sowohl der Alarmkonfiguration als auch der Fahrweise
cav 427

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