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Die digitale Chemieanlage – Vision und Realität

Auf der Processnet-Jahrestagung diskutiert
Die digitale Chemieanlage – Vision und Realität

Industrie 4.0 ist keine Domäne der Fertigungsindustrie. Auch in der chemischen Industrie werden die Vorteile einer Digitalisierung der Anlagen und Prozesse zunehmend erkannt. Wie und wann die Vision einer digitalen Chemieanlage erfolgreich in die Praxis umgesetzt werden kann und welche Voraussetzungen hierfür geschaffen werden müssen, birgt eine Menge Diskussionspotenzial. Das zeigte sich auch auf der Pressekonferenz am Rande der Processnet-Jahrestagung in Aachen.

Die Digitalisierung wird in der chemischen Indutrie weiter voranschreiten, darüber waren sich alle Referenten des im Rahmen der Processnet-Jahrestagung in Aachen veranstalten Pressegesprächs einig. Industrie 4.0 umfasst im weitesten Sinn die digitale Transformation von Arbeitsprozessen. Folge ist eine zunehmende Digitalisierung und Vernetzung der Wertschöpfungsketten und ihrer Teilnehmer, wodurch sich für die Unternehmen attraktive Wachstumspotenziale bieten. Offen ist jedoch, in welchem Tempo dieser Transformationsprozess in der Chemie- und Pharmaindustrie umgesetzt werden kann.

Vor diesem Hintergrund hat sich die VDI-Gesellschaft Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen (VDI-GVC) zunächst die Frage gestellt „Wo stehen wir aktuell in der Verfahrenstechnik in Bezug auf Digitalisierung?“ und eine Mitgliederumfrage gestartet. 550 GVC-Mitglieder mit einer durchschnittlichen Berufserfahrung von 19 Jahren wurden hierzu befragt. Die Ergebnisse der Befragung stellte Dr. Claas-Jürgen Klasen, Evonik Industries AG, Shanghai, und Vorsitzender der VDI-GVC, in Aachen vor. Demnach haben bereits drei Viertel der befragten GVC-Mitglieder einen Bezug zu Industrie 4.0, entweder als aktiver oder zukünftiger Mitgestalter oder im Unternehmen allgemein. „Die erfreuliche Nachricht dabei ist, dass die Mehrheit der befragten die Digitalisierung als Chance für ihr Unternehmen sehen“, erklärte Dr. Klasen. „Am meisten wird aus ihrer Sicht der Geschäftserfolg durch eine Erhöhung der Anlagenverfügbarkeit und eine Flexibilisierung der Produktion verbessert. Der geringste Einfluss von Industrie 4.0 wurde bei der Verkürzung der Entwicklungszeiten gesehen.“
Bei der Umsetzung der Digitalisierung ist Deutschland bislang jedoch nur Mittelmaß. „Für eine erfolgreiche Umsetzung von Industrie 4.0 fehlt es in Deutschland an geeigneten Managementstrukturen, angepassten Geschäftsprozessen sowie Fachkompetenzen in den Betrieben. Da eine Anpassung der Ausbildungsberufe bzw. der Hochschulangebote zu lange dauert, um schnell aufzuholen, müssen wir kurzfristig zusätzliche Aus- und Weiterbildungsangebote zur Verfügung stellen“, erklärte Dr. Klasen weiter und brachte an dieser Stelle das Schlagwort „lebenslanges Lernen“ ins Spiel. Die Bereitscheft zu Fort- und Weiterbildung sei in der chemischen Industrie und Prozessindustrie seit jeher stark ausgeprägt. 70 % der Befragten wünsche sich, dass an dieser Stelle mehr Angebote zur Verfügung stehen. Die Daten der Mitgliederumfrage können unter www.vdi.de eingesehen werden.
Ein Anfang ist gemacht
Auch Prof. Dr. Kurt Wagemann, Geschäftsführer der Dechema e.V., sieht die Vorteile der Digitalisierung in der chemischen Industrie. Einer der größten Vorteile ist für ihn die Interaktion mit dem Kunden. Beispielsweise lassen sich die Produkte in kleinen Stückzahlen kundenspezifisch herstellen oder direkt on-site beim Kunden produzieren. Darüber hinaus werden neben den Entwicklungsmöglichkeiten auf Prozess- und Produktionsebene auch neue Geschäftsmodelle möglich. „Viele Unternehmen der Prozessindustrie sehen sich bereits gut aufgestellt, zumindest was die Mess-, Regel- und Automatisierungsebene angeht“, erklärt Dr. Wagemann. Dem pflichtete auch Dr. Wilhem Otten, Leiter des Geschäftsgebiets Verfahrenstechnik & Engineering bei Evonik und Vorsitender der Namur, bei: „Durch die Kommunkation sollen die Kernprozesse stärker vernetzt werden, von der Feldebene bis zum ERP-System und in die Cloud. In der chemischen Industrie sind wir mit der vertikalen Integration sehr weit. Auch die Supply-Chain innerhalb der Produktion ist gut aufgestellt. Wo wir noch Schwächen haben, ist die gesamte Supply Chain, also die Kommunikation mit externen Anlagen, Standorten oder Firmen.“
Für Dr. Wagemenn bleiben zudem die Fragen zu klären, wie beispielsweise bei der digitalisierten, modellgestützen Prozessteuerung stets die Akualität der Modelle sichergestellt werden kann, wie man bei der Einbindung von Altanlagen vorgehen soll und wie eine Digitalisierung und Maintenance über die Einzelanlage hinaus erfolgen kann. „Da in Verbindung mit der chemischen Industrie immer häufiger von Digitalisierung oder „Chemie 4.0“ die Rede ist, haben wir um den Jahreswechsel 2015/16 eine Befragung in den rund 120 Dechema- und Processnet-Gremien durchgeführt und mit deren Vertretern einen Thementag Digitalisierung organisiert, erklärte Wagemann. „Die Befunde waren teils überraschend: Zwar spielt Digitalisierung in fast allen Unternehmen und Organisationen eine Rolle, wurde aber bis dahin kaum in den Gremien diskutiert. Auch das Verständnis, was Digitalisierung bedeutet, ging sehr weit auseinander. Mess- und Regeltechnik, flexible Produktion, E-Learning waren nur einige Schlagworte, die genannt wurden. Aus den Ergebnissen ist ein Whitepaper Digitalisierung entstanden, das wir in unserem Dechema-Blog vorstellen. Anliegen dieses Papiers ist es, die verschiedenen Themenbereiche der Digitalisierung und ihre Auswirkungen in Bezug zur chemischen Industrie zu setzen.“
Das Fazit lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Auf den ersten Blick ist die chemische Industrie heute bereits in vielen Bereichen stark digitalisiert. Die wirklichen Veränderungen, die durch große Datenmengen, hohe Rechnerkapazitäten und neue Algorithmen möglich werden, stehen aber noch bevor: Vermehrte Integration von Standorten und standortübergreifenden Systemen. Bislang gibt es Widerstände mit Blick auf Datensicherheit und kritisches Wissen, die diese Zusammenarbeit behindern.
Von der digitalen Transformation wird auch die modulare Produktion profitieren. Modulare Produktionsanlagen können vor allem dort ihre Stärken ausspielen, wo viele unterschiedliche Reaktionsschritte nötig sind und nur geringe Mengen eines hochwertigen Produktes hergestellt werden, also insbesondere in der Fein- und Spezialchemie. Um eine ökonomisch sinnvolle Produktion sicherzustellen, sind noch viele Entwicklungsschritte notwendig. Insbesondere standardisierte Module und Datenschnittstellen werden benötigt, um beispielsweise ein einfaches Plug-and-play und die digitale Kommunikation der modularen Anlagen untereinander zu ermöglichen. Und nicht zu vergessen: Die Mitarbeiter sind durch eine vernünftige Aus- und Weiterbildung in die Prozesse mit einzubinden.
Das digitale Labor
Nach Aussage von Prof. Dr. Thomas Scheper der Leibniz Universität Hannover ist die digitalisierung im Labor schon sehr weit fortgeschritten. Intelligente Labormöbel und 3-D-Drucker vereinfachen das Arbeiten. Mit 3-D-Druckern, die in vielen Laboren bereits im Einsatz sind, lassen sich beispielweise individuelle Stopfen, Wellplatten oder Rührer nach vorgegebenen Gemoetrien ausgedrucken. Der nächste Schritt könnten für ihn „Wearables„ wie „Smart Lab Glasses„ darstellen, über die der Mitarbeiter mit den Laborgeräten in seiner Umgebung und mit anderen Forschern über das Internet interaktiv verbunden ist. „Im Labor müssen Schutzbrillen getragen werden. Warum sollten diese nicht mit Kameras, Minibildschirmen und Mikrofonen ausgerüstet sein? So kann man nicht nur mit den Geräten der Umgebung, z.B. Waagen oder Mikroskopen, kommunizieren, sondern auch Informationen über einen Sprachbefehl oder eine Gestensteuerung abrufen, in die Brille einzublenden, um dann diese Rezepte abzuarbeiten. Das Abarbeiten dieser Vorschriften wird dokumentiert, sodass Schreibarbeiten entfallen,“ erklärte Dr. Schepper in Achen und führte auch gleich einen Protoyp der intelligenten Laborbrille vor. Für ihn haben eineutig die IT-Mitarbeiter die wichtigste Rolle bei der Digitalisierung, da sie sichere und zuverlässige Kommunikationslösungen sowie robuste und genormte Schnittstellen bereitstellen müssen.

Daniela Held
Redakteurin, cav chemie anlagen verfahren
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