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Latte liegt ab Oktober höher

Befreiung von der EEG-Umlage in Gefahr
Latte liegt ab Oktober höher

Chemieunternehmen werden es künftig schwerer haben, die Zertifizierung ihrer Energiemanagementsysteme (EnMS) nach ISO 50001 zu erhalten. War bisher, überspitzt gesagt, das reine Vorhandensein eines EnMS ausreichend, hat sich der Normgeber entschieden, ab Oktober 2017 die Latte deutlich höher zu legen.

Von den rund 1000 Unternehmen der chemischen Industrie ist derzeit ein knappes Fünftel als energieintensiv eingestuft und deshalb von der EEG-Umlage auf Strom befreit. Die Zahl der Berechtigten in der Chemiebranche dürfte in absehbarer Zeit sogar noch weiter wachsen: Einerseits sinkt ab 2017 für Unternehmen der sogenannten Liste 1 die Antragsgrenze von 17 auf 14 % Energiekostenanteil an der Bruttowertschöpfung. Andererseits kann ebenfalls ab 2017 erstmals eigenerzeugter und -verbrauchter Strom in der Berechnung der Energieintensität berücksichtigt werden. Insgesamt könnte deshalb die Zahl der als energieintensiv eingestuften Unternehmen der Chemiebranche auf rund 300 wachsen.

In einer Industrie, in der rund 15 % der Kosten auf Energie entfallen und diese damit etwa doppelt so hoch liegen wie im Durchschnitt aller Branchen, ist die Befreiung deshalb ein zentraler Wettbewerbsfaktor. Zwar stellen in der Chemie Wärme und Dampf die wichtigsten Energieträger dar. Da diese aber häufig zusammen mit Strom erzeugt werden, verändert die Befreiung von der EEG-Umlage die Energiekostenbelastung insgesamt.
Verbesserung nachweisen
Um diese Befreiung zu erlangen, müssen Unternehmen unter anderem nachweisen, dass sie über ein Energiemanagementsystem (EnMS) nach ISO 50001 verfügen. Hier stehen jetzt Änderungen an: Ab Oktober 2017 müssen Unternehmer erstmals eine messbare, kontinuierliche Verbesserung der energetischen Leistung nachweisen. So will es die neue Norm ISO 50003, die die Anforderungen an den Prüfer bei der Auditierung und Zertifizierung von Energiemanagementsystemen definiert (Bild 1). Das jeweilige Unternehmen muss in Zukunft sicherstellen, dass der Auditor bei seiner Prüfung tatsächlich eine Verbesserung feststellen kann. Je nach Gültigkeit des derzeit aktuellen Zertifikats eines Unternehmens besteht eine Übergangsfrist bis spätestens Oktober 2020. Neue EnMS müssen die Vorgaben schon ab Oktober 2017 erfüllen, sodass jetzt Handlungsbedarf besteht.
Um die geforderte Verbesserung der energetischen Leistung in Zukunft sicherzustellen, müssen Unternehmen unbedingt einen konsistenten Energieplanungsprozess und ein valides Kennzahlensystem aufsetzen. Insbesondere die Anforderungen an das Kennzahlensystem steigen deutlich. Oftmals haben Unternehmen in den ersten Jahren ihres ISO-50001-Systems Kennzahlen sehr pragmatisch in einem Top-Down-Ansatz definiert, also anhand von verfügbaren historischen Daten (Bild 2). Nachteil hier: Die Einflussparameter auf die einzelnen Kennzahlen sind nicht ausreichend messbar oder im Extremfall unbekannt. Wenn man aber das Gewicht der einzelnen Einflussvariablen nicht kennt, wie kann man dann sicher sein, dass die Kennzahl auch zukünftig eine verbesserte energiebezogene Leistung abbilden wird?
Ein Beispiel zeigt die Brisanz
Ein Chemiebetrieb verfügt über Produktions- und Lagerräume von insgesamt rund 28 000 m3 Volumen. Der Stromverbrauch lag bisher bei rund 1,2 Mio. kWh pro Jahr. Als signifikante Energieleistungskennzahl (EnPI) wurde der Stromverbrauch pro Kubikmeter Raum verwendet, in diesem Fall 42,86 kWh/m3. Im Rahmen einer Modernisierung wurde mit erheblichem Aufwand eine Raumlufttechnische Anlage (RLT) installiert. Entsprechend hoch waren die Erwartungen: Konkret ging man von 35,71 kWh/m3 im Folgejahr aus, also einer Energieeinsparung von mehr als 15 %. Die Realität sah dann aber deutlich anders aus, denn stattdessen musste man eine Zunahme um fast 10 % auf 46,43 kWh/m3 erklären.
Schnell zeigte sich, dass die neue Anlage durchaus hielt, was man sich von ihr versprochen hatte. Nicht berücksichtigt hatte man hingegen bei der Prognose, dass im Rahmen von Produktionsinnovationen zeitgleich zur Errichtung der RLT-Anlage auch die Fertigung umgestellt wurde. Die dafür nötigen niedrigeren Temperaturen und die geringere Luftfeuchte erforderten deutlich mehr Kühlleistung. Hinzu kam, dass das konkrete Jahr überdurchschnittlich warm war, der Kühlungsbedarf also zusätzlich anstieg. Die gewählte Kennzahl „Stromverbrauch pro Kubikmeter Raum“ war also nicht falsch, aber unzureichend, weil sie sowohl interne Veränderungen wie neue Produktionsprozesse oder ein höheres Auftragsvolumen als auch externe Einflussfaktoren nicht berücksichtigte.
Künftig sollte ein Unternehmen EnPIs verwenden, die sich über deren Einflussparameter und gegebenenfalls bereinigt um Sondereffekte erklären lassen, beispielsweise über eine Formel mit Konstanten und Variablen. Hierfür bietet sich ein Bottom-Up-Vorgehen an (Bild 2). Die Entwicklung eines solchen Systems ist nicht trivial, weil bereits rechtzeitig vor einem Zertifizierungsaudit Aufzeichnungen der Kennzahlen vorliegen müssen. Hinzu kommt, dass auch die Dokumentationspflichten für das Unternehmen steigen. Insgesamt dürfte die neue Norm deshalb zu signifikantem Mehraufwand führen.
Leitfaden gibt Hilfestellung
Um es den Unternehmen in der Praxis leichter zu machen, sinnvolle Kennzahlen zu identifizieren, hat der Normgeber mit der ISO 50006 einen „Leitfaden für Anwender mit methodischen Ansätzen und Praxisbeispielen zu Energiekennzahlen“ vorgelegt. Diese Norm stellt eine Hilfe zur Identifizierung von Einflussgrößen und Erstellung von Energieleistungskennzahlen (EnPI) dar (Bild 3). So werden unter anderem Verfahren beschrieben, mit welchen die Einflussparameter auf Kennzahlen mathematisch erfasst und dargestellt werden können. In der chemischen Industrie dürften von besonderer Bedeutung
  • die Temperaturbereinigung (Klimatisierung, Kälteerzeugung, Prozesswärme)
  • verändertes Produktvolumen/Chargen (Gewichtung)
  • veränderte Prozessbedingungen (Temperatur, Luftfeuchte, Druck)
sein. In der Praxis hat es sich darüber hinaus bewährt, auf der Basis von Modellrechnungen die Zuverlässigkeit des gewählten Kennzahlensystems zu überprüfen.
Fazit
Insgesamt stellt die verschärfte ISO 50001 eine echte Herausforderung für Unternehmen mit einem EnMS dar. Was in der Vergangenheit eher pragmatisch aufgebaut worden war, muss nun auf seine Systematik und Qualität überprüft und bei Bedarf neu strukturiert werden. Mancher wird deshalb vor dem Aufwand zurückschrecken. Mit Blick auf das Risiko, die Befreiung von der EEG-Umlage zu verlieren, gibt es aber keine Alternative dazu, das Thema anzugehen.

Jörg Scheyhing
Geschäftsführer,
ECG Energie Consulting

Clemens Bruder
Energieberater,
ECG Energie Consulting
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