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Abwassermanagement nutzt digitale Konzepte

Industrie 4.0 erobert den Chemiepark Bitterfeld-Wolfen
Abwassermanagement nutzt digitale Konzepte

Die Digitalisierung in der Wasserwirtschaft ist ein derzeit heiß diskutiertes Thema, das viele Fragen aufwirft. Wie lassen sich Konzepte und Strategien des Themenfeldes Industrie 4.0 für die Wasserwirtschaft nutzbar machen? Und welche Vorteile ergeben sich daraus? Der vorliegende Beitrag greift diese Fragestellungen am Beispiel des Abwassermanagements des Chemieparks Bitterfeld-Wolfen auf und zeigt, wie Wasserwirtschaft 4.0 aussehen kann.

Der Chemiepark Bitterfeld-Wolfen ist mit einer Gesamtfläche von ca. 1200 ha und etwa 11 000 Beschäftigten einer der größten Chemiestandorte in Deutschland. Von den insgesamt ca. 360 ansässigen Unternehmen sind etwa 50 Unternehmen Chemiebetriebe des produzierenden Gewerbes. Die Chemiepark Bitterfeld-Wolfen GmbH bietet als Standortgesellschaft den Unternehmen alle für den Betrieb erforderlichen Infrastrukturdienstleistungen an. Entsorgungsseitig wird sie von zwei Beteiligungsgesellschaften, dem Gemeinschaftsklärwerk und der Thermischen Restabfallbehandlungsanlage, unterstützt. Der Dienstleistungsbereich „Netze“ versorgt die ansässigen Unternehmen mit Trink- und Brauchwasser, entsorgt das anfallende Rein- und Schmutzabwasser entsprechend den geltenden Auflagen und verantwortet die Instandhaltung der Leitungen.

Grundsätzliche Anforderungen

Je nach Herkunftsbereich können sich die zu entsorgenden Abwässer hinsichtlich der Inhaltsstoffe, der jeweiligen Konzentrationen und des Abwasseranfalls stark unterscheiden. Umso wichtiger ist es, die Abwassergebühren betriebs- und produktionsspezifisch und damit verursachergerecht zu erheben. Die Chemiepark Bitterfeld-Wolfen GmbH ermittelt die Abwasserentgelte der einleitenden Betriebe. Hierfür ist ein Abwassermanagement aufgebaut, das die Überwachung und Bewertung der relevanten Abwasserströme an repräsentativen Messpunkten des Abwassernetzes, die Erfassung, Auswertung und Dokumentation der erforderlichen Daten vornimmt. Das Abwasserentsorgungsnetz ist flächendeckend mit derzeit 98 vollautomatischen Probenehmern ausgestattet, die je nach Messort mit zusätzlicher Messtechnik ausgerüstet sind. Typische Messparameter sind der pH-Wert, die Leitfähigkeit, die Temperatur, der Sauerstoffgehalt und der Durchfluss. In der Praxis überwachen die Probenehmer Qualität und Durchfluss der Abwasserströme kontinuierlich und füllen ereignisorientiert sowie mengenproportional Rückstellproben ab. Der Grad der Verschmutzung wird im Labor analysiert und als Basiswert für die Berechnung der Abwasserentgelte herangezogen.

Betriebliche Anforderungen

Zur verursachergerechten Weiterverrechnung von Wasserbezug und Entsorgung müssen die Daten der Analyse- und Probenahmestationen gewonnen, abgerufen bzw. übertragen, ausgewertet und dokumentiert werden. Darüber hinaus dienen die Daten der Überwachung der Messgeräte und Probenehmer, damit ein möglichst störungsfreier Betrieb sichergestellt ist und im Bedarfsfall Maßnahmen zur Störungsbehebung eingeleitet werden können.

Trotz dieser vielfältigen Aufgaben besteht kein Zweifel daran, dass die Geschäftsabläufe des Abwassermanagements auch ohne moderne digitale Infrastrukturen beherrschbar sind. Die Praxis der Vergangenheit hat dies jahrelang gezeigt. Allerdings lassen sich neben den eigentlichen Zielsetzungen, also Qualitätsüberwachung, Verursacherermittlung und Entgeltermittlung, weitergehende Ziele, wie Zeitersparnis, Einsparung von Betriebsmitteln und auch die Steigerung der Arbeitsplatzattraktivität, nur sehr schwer umsetzen. Hinzu kommt der mitunter hohe Aufwand für Außeneinsätze zum Zweck der visuellen Inspektion der Feldgeräte, händische Probenahme oder Wartung. Manuelle Dokumentation und die damit verbundene, unvermeidbare Fehleranfälligkeit limitierten die Möglichkeiten, das Abwassermanagement hinsichtlich Effizienz und Effektivität zu verbessern.

Die langjährigen Betriebserfahrungen, synergetisch verknüpft mit den Fortschritten der Digitalisierung, Informations- und Kommunikationstechnologie, zeigen die Möglichkeiten auf, wie die Leitgedanken von Wasserwirtschaft 4.0 den Betrieb optimieren können. Einige der Optimierungspotenziale und Merkmale von Wasserwirtschaft 4.0 sind unter anderem ein digitalisiertes und einfach erweiterbares Datenmanagementsystem, eine Vereinheitlichung
der Datenstruktur und die Visualisierung von Messwerten, Kennzahlen, Statusmeldungen.

Im Zuge von Modernisierungsmaßnahmen wurde schließlich ein digitalisiertes wasserwirtschaftliches Informationssystem aufgebaut, das diese Anforderungen in die Praxis umsetzt. Der Lösungsansatz bestand in der digitalen Verknüpfung der Probenahme- und Analysestationen und Entwicklung einer Softwarelösung zur nachgeschalteten Datenhaltung, Datenanalyse und Visualisierung von Prozessinformationen und Betriebskennzahlen. Dabei wurden grundlegende Hinweise zur Visualisierung und Auswertung von Prozessinformationen auf Abwasseranlagen sowie Aspekte der Betriebsanalytik mit Prozessmesstechnik und automatischen Probenehmern berücksichtigt.

Digitalisiertes Informationssystems

Die Systemarchitektur der im Chemiepark Bitterfeld-Wolfen implementierten Lösung ist recht einfach. Auf der Feldebene befinden sich die Probenahme- bzw. Messstationen, die über das Areal des Chemieparks verteilt sind. Sie sind über WLAN mit einem Industrie-PC des Chemieparks verbunden. Auf dem PC ist eine Private Cloud installiert, die über das Feldbusprotokoll Modbus/TCP alle Daten aus der Feldebene aufnimmt.

Bei der Private Cloud handelt es sich um eine umfangreiche Webanwendung, die aus modularen Softwarekomponenten besteht. Mithilfe dieser Komponenten findet in der Cloud die Speicherung und Auswertung der Daten, die Koordination des Datenflusses sowie die Darstellung aufbereiteter Messdaten und Betriebsinformationen statt. Der Anwender greift über einen Webbrowser von seinem Arbeitsplatz auf diese Webanwendung zu.

Innerhalb der Cloud sind im Wesentlichen drei Funktionsblöcke realisiert. Zunächst werden die Modbusdaten der Feldgeräte durch einen OPC-UA-Server in ein OPC-UA-Informationsmodell übersetzt und für die weitere Verarbeitung zur Verfügung gestellt.

Mit einer für den Kunden entwickelten Integrationskomponente erfolgt die Ablage der Zustands- und Messdaten in eine sogenannte MongoDB (abgeleitet vom engl. humongous, „gigantisch“). Dabei handelt es sich um ein dokumentenorientiertes Datenbanksystem, das sich besonders für die Speicherung großer Datenmengen eignet. Neben den Messwerten der verschiedenen Sonden wie Temperatur, pH-Wert, Leitfähigkeit und Durchfluss werden auch Informationen über den Zustand der Feldgeräte gespeichert. Auf diese Weise kann zentral für jede Station geprüft werden, ob z. B. Betriebsfehler vorliegen oder während des Normalbetriebs Probenbehälter gewechselt werden müssen.

Die Interaktion mit dem Anwender findet über die Benutzeroberfläche des Systems statt, die als Webanwendung mit einer eigenen Benutzer- und Berechtigungsverwaltung realisiert ist. Diese Aufgaben sind
in der Benutzerschnittstelle umgesetzt.
Sie verfügt über zwei große Funktionsblöcke:

  • Das OPC-UA-Gerätemanagement gestattet die Einbindung neuer Feldgeräte und verwaltet den Feldgerätepool. Jedes Feldgerät wird über seine IP-Nummer vom System eindeutig identifiziert. Bei der Neuanlage einer Probenehmer- bzw. Messstation werden für jeden Sensor die gültigen Betriebsbereiche hinterlegt, sodass bei Bereichsüberschreitungen Alarme generiert werden können.
  • Das Dashboard-Managementsystem stellt die Visualisierungsumgebung für den Anwender zur Verfügung. Daten und Informationen werden zusammengefasst und als Dashboard anzeigt.

Durchgängigkeit und Visualisierung

Eine der Herausforderungen Informationssysteme für die Wasserwirtschaft 4.0 zu entwickeln, besteht in der Aufbereitung und Verdichtung großer Datenmengen sowie Darstellung ausgewählter und aggregierter Informationen. Neben der Visualisierung von Feldinformationen auf der Betriebsleitebene soll der Datenzugriff in umgekehrter Richtung möglich sein, um im Bedarfsfall von der Managementebene Detailinformationen aus untergeordneten Darstellungsebenen abrufen zu können. Für diesen Zweck wurden konfigurierbare Dashboards entwickelt, die Feldgerätedaten, Prozess- und Standortinformationen sowie daraus abgeleitete Betriebskennzahlen mit unterschiedlichen Detailierungsgraden in Übersichtsdarstellungen zusammenfassen.

So zeigt das Übersichtsdashboard auf einer Landkarte des Chemieparks den Messort der Feldgeräte, den Gerätestatus in Ampelfarben sowie vom Nutzer wählbare Feldgeräteinformationen (Identifikationsangaben, Zeitstempel, etc.) in Tabellenform an.

Bei Bedarf kann durch Klicken auf das Gerätesymbol in der Karte in eine Detailansicht verzweigt werden, und man erhält weitere Informationen, die für die Messstelle bzw. für das dort installierte Feldgerät spezifisch sind. Dies sind z. B. Detailangaben über den Gerätestatus, wie eine Fehlerbeschreibung, Handlungsempfehlungen entsprechend NE107 (Diagnosefunktion, Störungsklassifikation) oder historische Daten.

Neben Übersichts- und Detailansichten können auch individuelle oder aufgabenspezifische Dashboards für unterschiedliche Benutzergruppen erstellt und zugeordnet werden. Hierfür stellt die Software Reportkacheln zur Verfügung, die als modulare Ansichtselemente einzelne Informationen darstellen und per Drag & Drop zu einem Dashboard kombiniert werden können. So lässt sich z. B. ein Dashboard definieren, das für eine Probenahme- bzw. Messstation die verschiedenen Messwerte zusammenfasst oder von verschiedenen Messorten ein und denselben Parameter vergleichend anzeigt.

Vorteile durch Wasserwirtschaft 4.0

Das implementierte wasserwirtschaftliche Informationssystem bietet für das Abwassermanagement eine Reihe von Vorteilen. Sie bedeuten vor allem für das Datenmanagement, die Entnahme von Rückstellproben, das Dokumentations-, Berichts- und Meldewesen, die Instandhaltung und die Gebührenermittlung eine Effizienz- und Qualitätssteigerung. Das Datenmanagement umfasst die Erfassung, Klassifizierung, Archivierung und Identifikation von Kunden-, Abwasser- und Gerätedaten. Durch die Vernetzung der Feldgeräte mit dem zentralen Archivsystem und automatisierten Abläufen ist die Zuordenbarkeit, Rückverfolgbarkeit und Abrufbarkeit der Daten gegeben. Dies führt zu einer wesentlichen Verringerung des zeitlichen und personellen Aufwandes für das Datenmanagement bei gleichzeitiger Erhöhung der Datenqualität. Im Ereignisfall, zum Beispiel bei unerwartet starken Schwankungen von Überwachungsparametern oder bei besonders hohem Abwasseranfall, werden von dem Probenehmer automatisch Rückstellproben für die weitergehende Analyse im Labor entnommen. Somit entfällt eine manuelle Probenahme vor Ort. Außerdem wird dadurch sichergestellt, dass die Probenahme zeitnah erfolgt, d. h. für das Ereignis repräsentativ ist.

Auch beim Dokumentations-, Berichts- und Meldewesen ergibt sich eine deutliche Verringerung des Zeitaufwandes und eine geringere Fehlerhäufigkeit.

Die kontinuierliche Überwachung und Bewertung des Feldgerätestatus’ ermöglicht die Optimierung der Instandhaltungsstrategie. Dabei wird zwischen Warnmeldungen (z. B. „Flasche voll“, „Schlauch wechseln“, „Wartung fällig“) und Störmeldungen („Ausfall der Messungen“, „Allgemeine Störung“) unterschieden. Durch Übermittlung dieser Zustandsinformation an die Zentrale lässt sich die Instandhaltung vorausschauend planen und bedarfsgerecht ausführen. Dadurch werden reaktive Einsätze minimiert.

Auf Basis des Berichtswesens werden die kundenspezifischen Abwasserabgaben automatisch ermittelt und entsprechende Berichte erstellt. Fallen aufgrund eines betrieblichen Ereignisses erhöhte Abwassergebühren an, können diese unmittelbar erhoben und in Rechnung gestellt werden.

Fazit und Ausblick

Mit der Digitalisierung der Infrastruktur des Abwassermanagements wurde ein hoher Automatisierungsgrad der Geschäftsprozesse erreicht. Dadurch konnten zahlreiche Betriebsabläufe hinsichtlich Materialeinsatz und Zeitaufwand vereinfacht und effizienter gestaltet werden. Verwaltungsprozesse wurden wesentlich verschlankt. Die Rückverfolgbarkeit der erfassten Daten und die hohe Prozesstransparenz bedeuten ferner eine erhebliche Optimierung des betrieblichen Qualitätsmanagements und führen zu einer Steigerung der Ergebnisqualität.

Weitere Möglichkeiten der Prozessverbesserung bestehen in der Vernetzung mit Drittsystemen wie ERP-Systeme zur Controlling- und Unternehmenssteuerung. Mit direktem ERP-Zugriff wäre es möglich, Rechnungen an die einleitenden ansässigen Firmen automatisiert zu verschicken. Zudem ist es denkbar, dass zukünftig Bestellungen von Verschleiß- und Ersatzteilen als Service für die Einleiter automatisch via ERP generiert werden. Dies würde die Lagerhaltung verringern und sicherstellen, dass alle erforderlichen Ersatzteile ständig verfügbar sind.

www.prozesstechnik-online.de

Suchwort: cav0518endress

Halle C1, Stand 451


Autoren: Dr. Achim Gahr Nils Andreas Peter Wazinski

Business Development Manager Environment,

Endress+Hauser Conducta

Plant Manager,

Endress+Hauser Conducta

Senior Software Architect,

Endress+Hauser Process Solutions

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