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Hoffnungsträger grüner Wasserstoff

Multitalent bei der Umsetzung der Energiewende
Hoffnungsträger grüner Wasserstoff

Grüner Wasserstoff ist der große Hoffnungsträger der Energiewende. Vor diesem Hintergrund sprach cav mit Dr. Andreas Förster, Geschäftsführer Dechema e. V., über Kopernikus, Power to X und H2Giga. Und es ging auch um die Frage, ob es ethisch vertretbar ist, Wasser, diesen knappen Rohstoff allen Lebens, in Wasserstoff zu zerlegen, um daraus Kraftstoff für Autos herzustellen.

2016 rief das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Kopernikus-Projekte ins Leben. Diese wohl größte deutsche Forschungsinitiative beschäftigt sich mit den technologischen und politischen Herausforderungen der Energiewende. Sie umfasst vier Projekte. Eines davon ist Power to X. Herr Dr. Förster, womit beschäftigt sich dieses Forschungsprojekt?

Dr. Andreas Förster: Ziel von Kopernikus Power to X ist die Sektorkopplung. Das heißt, wir nutzen die Dekarbonisierung des Energiesektors, um die Defossilisierung anderer Bereiche voranzutreiben. Dabei verfolgen wir zwei Technologiepfade: den Wasserstoff- und den Synthesegas-Pfad.

Was steckt hinter dem Wasserstoff-Pfad?

Dr. Förster: Hier geht es um die elektrolytische Herstellung von Wasserstoff, der beispielsweise in der Prozessindustrie zum Heizen oder im Bereich der Mobilität zum Betrieb von Brennstoffzellen genutzt wird. Im zweiten Technologiepfad dreht sich alles um die Erzeugung von Synthesegas für die biotechnologische Herstellung von Alkoholen, Polymeren und anderen chemischen Produkten.

Wie unterstützt die Dechema das Power-to-X-Projekt?

Dr. Förster: Zum einen personell: Unser Geschäftsführer Prof. Kurt Wagemann ist als Koordinator für das Kopernikus-Projekt und damit auch für Power to X tätig. Zum anderen leisten wir organisatorische und koordinative Unterstützung. Power to X ist ein großes Forschungsvorhaben. Es hat eine Laufzeit von zehn Jahren. In der jetzigen Förderungsphase steht ein Fördervolumen von 42 bis 43 Mio. Euro zur Verfügung. Um diese Mittel zu verwalten, das gesamte Projekt am Laufen zu halten und die verschiedenen Projektpartner zu koordinieren, benötigen Sie eine leistungsfähige Geschäftsstelle. Diese wird von der Dechema geleitet. Weitere Aufgaben von uns sind das Roadmapping und die Öffentlichkeitsarbeit.

Ist die Dechema mit eigenen Forschungsaktivitäten an Power to X beteiligt?

Dr. Förster: Nein. Der Dechema e. V. forscht nicht selber. Das Dechema-Forschungsinstitut hingegen ist mit eigenen Forschungsarbeiten, beispielsweise auf dem Gebiet der PEM-Elektrolyseure, am Power-to-X-Projekt beteiligt.

Eine zentrale Rolle im Power-to-X-Projekt spielt Wasserstoff, genauer gesagt ökologisch erzeugter, grüner Wasserstoff. Welche verschiedenen Funktionen kann er übernehmen?

Dr. Förster: Er ist Energieträger, Speicher- und Transportmedium für Energie und Grundstoff für die Synthese von chemischen Produkten.

Man braucht also riesige Mengen Wasserstoff, die in erster Linie durch die elektrolytische Zerlegung von Wasser bereitgestellt werden sollen. Auf welche bewährten Technologien kann man hier zurückgreifen?

Dr. Förster: Das sind im Wesentlichen drei Technologien, die dafür infrage kommen: die alkalische Elektrolyse, die PEM-Elektrolyse sowie die SOEC-Elektrolyse. Die alkalische Elektrolyse ist seit Jahrzehnten in der Chemie im Einsatz. Sie ist robust, zuverlässig und kostengünstig. Die PEM-Elektrolyse – das Kürzel PEM steht für Polymer Elektrolyt Membran – funktioniert im sauren Medium. Letzteres bedingt, dass die Elektrolyseure Bauteile aus Edelmetallen beinhalten. Das ist ein gewisser Nachteil dieses vergleichsweise jungen Elektrolyseverfahrens, an dessen Beseitigung wir im Rahmen von Power to X arbeiten. Das Solid-Oxide-Electrolyzer-Cell-Verfahren, auch SOEC-Elektrolyse genannt, läuft bei höheren Temperaturen ab, was Vorteile hinsichtlich des Stromverbrauchs mit sich bringt.

Und welche Elektrolysetechnologie wird sich Ihrer Meinung nach am Ende durchsetzen?

Dr. Förster: Die PEM-Elektrolyse, weil man mit ihr sehr schnell auf ein volatiles Energieangebot – schließlich sprechen wir hier von grünem Strom, der aus Sonne, Wind und Wasser erzeugt wird – reagieren kann.

Eignen sich die genannten Elektrolysetechnologien auch für die sogenannte Ko-Elektrolyse, mit deren Hilfe aus Kohlendioxid, Wasser und Ökostrom Synthesegas gewonnen wird?

Dr. Förster: Die alkalische Elektrolyse nicht. Die PEM- und SOEC-Elektrolyse hingegen können für die Synthesegaserzeugung eingesetzt werden. Das ist auch Gegenstand der Forschungsarbeiten im Power-to-X-Projekt.

Unter dem Dach von Power to X gibt es verschiedene Wasserstoff-Leitprojekte. Eines davon ist H2Giga. Welche Ziele verfolgt dieses Leitprojekt konkret?

Dr. Förster: H2Giga hat zwei Ziele: Zum einen geht es darum, die genannten Elektrolysetechnologien in den Gigawatt-Maßstab zu überführen. Zum anderen ist die industrielle Fertigung dieser Hochleistungselektolyseure so zu optimieren, dass sie zu einem marktfähigen Preis hergestellt werden können.

Über die anlagenseitigen Herausforderungen sprachen wir gerade. Welche anderen Hürden müssen Wissenschaft und Industrie auf dem Weg zur grünen Wasserstoffwirtschaft noch nehmen?

Dr. Förster: Das sind im Wesentlichen drei: Erstens sind immense Investitionskosten zu schultern, um die notwendige Infrastruktur wie Stromversorgung, Wasserstoffleitungen etc. zu schaffen. Zweitens stehen die benötigten Mengen an erneuerbarer Energie in diesem Maßstab noch nicht zur Verfügung. Um welche Größenordnungen es hier geht, veranschaulicht folgende Zahl: Um allein die chemische Industrie auf erneuerbare Energien umzustellen, müssen wir deren Erzeugung – Stand heute – vervierfachen. Und drittens werden chemische Produkte auf Basis von Power-to-X-Verfahren teurer sein als ihre fossilen Pendants.

Wie lange wird es dauern, diese Herausforderungen zu meistern?

Dr. Förster: Eigentlich müssen wir das bis spätestens 2040 geschafft haben. Denn Europa soll bis 2050 klimaneutral sein. Und Power-to-X-Verfahren und -Produkte spielen dabei eine große Rolle.

Dürren in Afrika. Wassermangel und Versteppung in Teilen Deutschlands. Niedrigwasser im Rhein, das 2018 dazu führte, dass die Schifffahrt und auch einige Chemiebetriebe ihren Betrieb einstellen mussten. Herr Dr. Förster, ist es vor diesem Hintergrund ethisch vertretbar, Wasser – diesen knappen Grundstoff allen Lebens – in Wasserstoff zu zerlegen, um dann daraus beispielsweise Kraftstoff für Autos zu produzieren?

Dr. Förster: Das ist eine berechtigte Frage. Klar ist, dass die grüne Wasserstoffwirtschaft und die damit zusammenhängenden Technologien nicht zulasten der Versorgung der Bevölkerung und der Landwirtschaft mit Süßwasser gehen dürfen. Das heißt, es geht um die verstärkte Nutzung von Salzwasser. Hierfür gibt es bereits technische Lösungen wie die Wasserentsalzung, die leider sehr teuer ist, aber auch im großen Maßstab sehr gut funktioniert. Oder die direkte Salzwasserelektrolyse. Letztere funktioniert bisher nur im Labormaßstab und muss weiter erforscht werden.

Kann Wasser eigentlich auch zur Neige gehen?

Dr. Förster: Natürlich kann Wasser zur Neige gehen. Um dem vorzubeugen beschäftigt sich die Dechema beispielsweise mit dem industriellen Wassermanagement und arbeitet an neuen Verfahren zur Wiederaufbereitung von industriellen Abwässern.

Die Dechema hat gute Kontakte in die chemische Industrie, die ja besonders stark von Energiewende betroffen sein wird. Wie reagiert die Branche auf die tiefgreifenden Veränderungen, die sie in Zukunft bewältigen muss – ablehnend, abwartend oder optimistisch?

Dr. Förster: Optimistisch ist nicht das richtige Wort. Die chemische Industrie steht den Herausforderungen der Zukunft positiv gegenüber. Die Branche weiß, dass sie eine wichtige Rolle bei der Energiewende spielt und kann den Beitrag, den sie dazu leisten muss, sehr gut einschätzen. Deshalb entwickelt sie neue Ideen und engagiert sich in den Kopernikus- und Power-to-X-Projekten. Neben den oben erwähnten Hürden, die auf dem Weg zur grünen Wasserstoffwirtschaft zu meistern sind, steht die chemische und pharmazeutische Industrie vor einer zusätzlichen Herausforderung: Sie muss nicht nur ihre Prozesse auf erneuerbare Energien umstellen, sondern auch ihre Produkte von einer fossilen Basis auf nachwachsende Rohstoffe transformieren.

Werden sich die Themen Dekarbonisierung der chemischen Industrie und grüne Wasserstoffwirtschaft auf der Achema widerspiegeln?

Dr. Förster: Definitiv. Im Rahmen des Kongressprogramms planen wir eine Highlight-Session zum Thema Power-to-X-Prozesse. In der Green Innovation Zone, einem Sonderbereich der Achema über nachhaltige Produktion und Kreislaufwirtschaft, stehen grüne Innovationen und die Herausforderungen der Prozessindustrie auf dem Weg zur klimaneutralen Produktion im Mittelpunkt. Es wird eigene Ausstellungsflächen für das Power-to-X-Forschungsprojekt und das H2Giga-Wasserstoff-Leitprojekt geben. Und natürlich erwarten wir auf Ausstellerseite viele Neuerungen zum Thema grüner Wasserstoff und Realisierung von Power-to-X-Prozessen.

www.prozesstechnik-online.de

Suchwort: Dechema


Das Interview führte für Sie: Lukas Lehmann

Redakteur V.i.S.d.P.


prozesstechnik.tv:   Interview als Video

Im Oktober 2021 hat die Redaktion cav/prozesstechnik.tv die Dechema in Frankfurt/M. besucht. Bei dieser Gelegenheit haben wir das Interview mit Dr. Andreas Förster aufgezeichnet. Sie finden es auf prozesstechnik.tv.


Beim Videodreh im Labor: Dr. Andreas Förster (re.) und Lukas Lehmann
Bild: Daniela Held – cav

prozesstechnik.tv:   Interview als Video

Im Oktober 2021 hat die Redaktion von cav/prozesstechnik.tv die Dechema in Frankfurt/M. besucht. Bei dieser Gelegenheit haben wir das Interview mit Dr. Andreas Förster aufgezeichnet. Sie finden es auf prozesstechnik.tv.


„Die chemische Industrie steht den Herausforderungen der Zukunft positiv gegenüber. Die Branche weiß, dass sie eine wichtige Rolle bei der Energiewende spielt.“

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