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Die Treibstoffe der Bioökonomie

Bioethanol und Biodiesel
Die Treibstoffe der Bioökonomie

Die Treibstoffe der Bioökonomie
Bioraffinerien erzeugen weltweit etwa 100 000 Mrd. Liter Ethanol pro Jahr Bild: Fraunhofer Umsicht
Nachhaltigkeit ist einer der globalen Megatrends und eine treibende Kraft der biobasierten Wirtschaft. Dahinter steckt die Idee, eine neue Art des Wirtschaftens zu etablieren auf Basis dessen, was auf Feldern und in Wäldern wächst, anstatt auf die endlichen Ölquellen zu setzen – und das Ganze natürlich so schnell wie möglich. Das Ziel ist hoch gesteckt; immerhin brauchte die erdölbasierte Wirtschaft 150 Jahre, um dahin zu gelangen, wo sie heute steht.

In Sachen Nachhaltigkeit ist die biobasierte Wirtschaft unschlagbar. Solange jedoch der niedrige Preis einer Ware weiter oben auf der Prioriätenliste steht als die Frage, wie viele Treibhausgase ihre Produktion mit sich bringt, bleibt der Wettbewerb hart. Weitere wichtige Faktoren bei der Frage, wie Industrie und Menschen künftig mit Energie und Chemierohstoffen versorgt werden können, sind Kohle aus China und Schiefergas aus den USA.

Der weltweite Bioethanol-Boom
Angelehnt an das Bild der Erdölindustrie werden Produktionsstätten für biobasierte Chemikalien oft „Bioraffinerien“ genannt. In einer Erdölraffinerie wird aus den Bestandteilen des Rohöls eine Vielzahl unterschiedlicher Produkte hergestellt, während die heutige „Bioraffinerie“ oft nur ein Produkt kennt: Alkohol. Ethanol ist derzeit der wichtigste biobasierte Stoff und macht 90 % aller Produkte aus, die durch Fermentation erzeugt werden. Etwa 100 000 Mrd. Liter Ethanol wurden 2013 destilliert, wobei die USA mit 50 000 und Brasilien mit 25 000 Mrd. Litern führend sind. Europa spielt im Ethanolmarkt mit 5000 Mrd. Litern eine untergeordnete Rolle; Deutschland trägt dazu 852 Millionen Liter bei.
Die ersten Bioethanol-Anlagen gerieten in die öffentliche Diskussion, weil sie Mais als Rohstoff einsetzten – Mais, aus dem auch Tortillas hätten produziert werden können. Das warf die Frage auf, ob es ethisch vertretbar sei, das Getreide in den Treibstofftank von Autos zu füllen, anstatt es auf dem Teller zu servieren. Diese Frage lässt sich schnell beantworten, wenn man betrachtet, welche Flächen für die Produktion von Biotreibstoffen eingesetzt werden: Ausgehend von 1500 Mio. Hektar urbaren Landes wird die Ernte von 1,7 % dieser Fläche für die Herstellung von Alkoholen verwendet. Selbst wenn die Alkohol-Industrie die prognostizierte Wachstumsrate von 4,4% bis 2020 einhält, haben steigende Lebensmittelpreise ihre Ursache anderswo. Die Teller-oder-Tank-Diskussion war jedoch ein Anstoß dazu, Bioraffinerien der zweiten Generation zu entwickeln.
Bioraffinerien der zweiten Generation
In diesem Fall wird als Substrat das eingesetzt, was als Reststoff bleibt, wenn der wertvolle Teil der Ernte schon anderweitig genutzt wurde. Forstabfälle wie Äste und Zweige zum Beispiel, die übrig bleiben, wenn der Baumstamm auf dem Weg ins Sägewerk ist, oder Stroh nach der Weizen- und Gerstenernte.
Diese holzigen Reststoffe bergen eine technologische Herausforderung. Im Gegensatz zu Mais oder Weizen, die hauptsächlich aus Stärke bestehen, enthält Stroh sehr viel Zellulose. Für die Hefen, die den Ausgangsstoff zu Alkohol vergären, ist Zellulose sehr viel schwieriger zu verarbeiten als Stärke. Ein zusätzlicher Schritt ist nötig, um die Zellulose mithilfe von Enzymen in ihre Zuckerbausteine zu zerlegen. Diese Verzuckerung im industriellen Maßstab darzustellen, war ein technologischer Durchbruch und geht nun in die großtechnische Anwendung.
In Deutschland steckt die Herstellung von Zellulose-Ethanol noch in den Kinderschuhen. Clariant betreibt in Straubing eine Demonstrationsanlage mit einer Jahreskapazität von 1,2 Mio. Litern. Seit 2013 wurden weltweit mehrere Großanlagen in Betrieb genommen.
Man sollte nicht vergessen, dass man mit Ethanol noch mehr machen kann als es im Fahrzeugmotor zu verbrennen. Auch, wenn es nicht auf der Liste der 12 Plattformchemikalien steht, die 2004 zu „Topmolekülen“ nominiert wurden, ist Ethanol ein wichtiges Basismolekül für viele biobasierte Wertschöpfungsketten. Ethylacetat und Ethylacrylat sind daraus ebenso zugänglich wie Butanol, Isobuten und Butadien. Zwar sind momentan eine Reihe von Großprojekten zur Herstellung von biobasiertem Polyethylen oder Ethylenglykol aus Bioethanol gestoppt, weil derzeit billiges Schiefergas-Ethan preislich nicht zu schlagen ist, doch generell gilt: Am Ethanol als Zwischenprodukt führt in einer biobasierten Wirtschaft kaum ein Weg vorbei.
Biodiesel: von Null auf Hundert und zurück in 30 Jahren
Es fällt auf, dass die großen Investitionen für Zellulose-Ethanol in den USA und Brasilien gemacht werden; oder anders betrachtet: die großen Investitionen werden NICHT in Europa gemacht. Die Akteure der Bioökonomie, egal ob Unternehmer, Finanzierungsexperten oder Förderinstitutionen, sind sich einig: Um im Wettbewerb bestehen zu können, muss in Europa ein Umdenken in der Politik stattfinden. Investoren suchen Planungssicherheit auf lange Sicht und genau das fehlt ihnen in Europa. Am Beispiel Biodiesel lässt sich nachvollziehen, wie abrupte Strategiewechsel eine florierende Industrie gefährden können.
Bioethanol dominiert den Biotreibstoffmarkt eindeutig, aber auch die Rolle des Biodiesels ist nicht zu unterschätzen. Die Weltjahresproduktion belief sich 2010 auf 17,6 Mrd. Liter, zu denen die EU mit 9,1 Mrd. Liter mehr als die Hälfte beisteuerte. Deutschlands Anteil an der europäischen Produktion lag bei 26 %. Die großtechnische Produktion von Biodiesel begann in Europa in den 1990ern und ist eine der großen Erfolgsgeschichten der Bioökonomie. Eine Steuerbefreiung für biobasierte Treibstoffe führte zu einem regelrechten Biodiesel-Boom. Doch als die Steuervorteile 2008 zurückgenommen wurden, schrumpfte der Marktanteil von B100 (reinem Biodiesel) auf nahezu Null. Das Produktionsvolumen ist in den letzten Jahren nur deshalb konstant, weil Biodiesel zunehmend dem fossilen Diesel beigemischt wird.
Biodiesel wird meist aus Pflanzenöl hergestellt, auch wenn tierische Fette ebenfalls eingesetzt werden können. In Deutschland wird der meiste Biodiesel aus Raps produziert, der auf etwa einer Million Hektar Ackerfläche angebaut wird; Sojabohnen, Palmkerne und Kokosnüsse spielen eine untergeordnete Rolle im Rohstoff-Mix. Die Bedenken wachsen, dass der zunehmende Einsatz nachwachsender Rohstoffe in Europa zu Änderungen in der Landnutzung weltweit führen könnte. Solche Änderungen können direkt sein (dLUC, directlandusechange), wenn etwa Regenwald abgeholzt wird, um neue Plantagen für die Palmölgewinnung anzupflanzen. Indirekte Landnutzungsänderung (iLUC) hat eine längere und komplexere Kette von Ursache und Wirkung. Die Europäische Kommission hat versucht, iLUC-Faktoren in ihren Empfehlungen zur Änderung der Erneuerbare Energien-Richtlinie zu berücksichtigen. Die deutsche und europäische Biotreibstoffindustrie hat die Empfehlungen scharf kritisiert. Wenn diese Vorschläge in die Tat umgesetzt würden, würde Biodiesel bei der Berechnung der Treibhausgas-Emissionen schlechter gestellt als fossiler Diesel. „Die Einführung von iLUC-Faktoren bedeutet praktisch das „Aus“ für pflanzenbasierte Biokraftstoffe” stellt die Deutsche Union zur Förderung von Öl- und Proteinpflanzen (UFOP) in ihrem Jahresbericht 2012/13 fest. Dies wäre aus einer Vielzahl von Gründen problematisch; einer davon ist Raps-Presskuchen. Dieser Rückstand der Rapsölproduktion ist eiweißreich und wird als Tierfutter genutzt. Fehlt der regional produzierte Presskuchen, so entsteht eine Eiweißlücke. Diese muss geschlossen werden, im schlimmsten Fall mit importiertem Sojamehl.
Abheben mit Algen
Die nächste Generation der Biotreibstoffe steht schon in den Startlöchern: Biofuels aus Mikroalgen. Zwar sind sich Experten weitgehend einig, dass die ausschließlich energetische Nutzung von Algen unwirtschaftlich ist; Algenkraftstoff für die Familienkutsche gilt daher als unwahrscheinliches Szenario. Aber für Luftfahrt und Schwerlastverkehr, für die die Elektromobilität keine Alternative darstellt, gelten Mikroalgen als Hoffnungsträger: Ihr Flächenverbrauch ist gering, die Landnutzungs-Problematik entfällt; sie brauchen zum Wachsen im Wesentlichen Luft und Licht, prinzipiell sind geschlossene Systeme realisierbar, in denen die Nährstoffverluste gering bleiben, die Verarbeitung ist einfacher als bei Landpflanzen mit Blättern und Stängeln, und sie lassen sich als Produktionsorganismen für bestimmte Öle optimieren. Erste Flüge mit Kerosin aus Algen, die Luftfahrtgesellschaften wie KLM, Lufthansa oder Air China in den letzten Jahren durchgeführt haben, sind denn auch mehr als Marketinggags. Sie belegen die Machbarkeit des Fliegens in der „Nach-Kerosin-Ära“.
Fazit
Kraftstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen waren die Vorreiter der Bioökonomie; sie haben gezeigt, was möglich ist, aber auch, welche Tücken im Detail liegen. Dank der „Tank-Teller“-Diskussion wird heute auch bei biobasierten Produkten viel stärker auf Nachhaltigkeit und Nutzungskonkurrenzen geachtet. Selbst wenn Biofuels als Treibstoffe in einem kommenden Zeitalter der Elektromobilität nur Nischen besetzen sollten, sind sie für bestimmte Anwendungen fast unverzichtbar.
BiobasedWorld ist das Fokusthema der Achema 2015 zur wachsenden Bioökonomie. Exponate dazu sind in allen Ausstellungsgruppen zu sehen, die ausstellenden Firmen werden in einer Sonderpublikation zusammengefasst. Am Mittwoch, den 17. Juni 2015 ist im Kongressprogramm ein Vortragsstrang den Lignocellulose-Bioraffinerien gewidmet.
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