Die Inflation im Westen ist spürbar zurück. „Die Unternehmen haben die Gehälter nominal nicht weniger stark angehoben als in den Vorjahren. Die Geldentwertung hat schon 2017 und wird auch 2018 einen Großteil dieser Zugewinne auffressen“, erklärt Thomas Gruhle, Vergütungsexperte des Beratungsunternehmens Korn Ferry Hay Group. Und so liegen die nominalen Gehaltserhöhung in Westeuropa bei 2,3 %, in Australien bei 2,5 % und in Nordamerika sogar bei 2,8 %. Im Nahen Osten wird eine Inflation von durchschnittlich 2,9 % erwartet. Von der nominalen Erhöhung der Löhne um 3,8 % bleiben darum nur 0,9 % übrig.
„Die exorbitanten Preissteigerungen bei Immobilien, Aktien und Rohstoffen sind in der Errechnung der Inflation nur marginal berücksichtigt. Für junge Menschen im Westen wird es mit diesen Steigerungsraten darum immer schwerer, langfristig Vermögen zu bilden“, so Gruhle weiter.
Arbeitskräftemangel hemmt Wachstum
„Während sich viele Menschen aufgrund der Digitalisierung Sorgen machen, ob sie künftig noch gebraucht werden, sieht die reale Situation am Arbeitsmarkt anders aus“, sagt Dr. Thomas Haussmann, Senior Client Partner von Korn Ferry. „Die Weltwirtschaft wächst und wächst immer weiter – das schwerwiegendste Hemmnis sind fehlende Fach- und Arbeitskräfte“, ergänzt er.
Der größte Einnahmenausfall in Deutschland ist für die Finanz- und Dienstleistungsbranche mit 136,9 Mrd. US-Dollar zu erwarten (fehlende Arbeitskräfte: 1,2 Mio.), gefolgt von der deutschen Schlüsseldisziplin Industrie und Maschinenbau. Dort werden rund 80 Mrd. US-Dollar aufgrund von 628 000 fehlenden Arbeitnehmern bis 2030 nicht realisiert werden können. Dem Technologiesektor fehlen bis 2030 196 000 Menschen, die für einen Einnahmeausfall von 31 Mrd. US-Dollar sorgen werden.
Hochqualifizierte Arbeitnehmer sind gefragt
„Ein Mangel in Deutschland existiert allerdings nur für Arbeitnehmer mit höherer Bildungsqualifikation. Wer kein Abitur oder mindestens einen qualifizierten Berufsabschluss hat, hat bereits heute am Arbeitsmarkt schlechtere Chancen. Und das wird sich auch in den nächsten zwölf Jahren nicht ändern“, sagt Haussmann. So fehlen der deutschen Wirtschaft bis 2030 2,5 Mio. Arbeitskräfte mit höherem Bildungsabschluss wie einem Universitäts- oder Fachhochschulstudium und 2,4 Mio. Arbeitskräfte mit einem höheren Schulabschluss wie Abitur oder Fachabitur. Dagegen steht ein Überschuss von Arbeitskräften mit niedrigerem Bildungsabschluss von 1,5 Mio. Menschen im Jahr 2020 und 1,1 Mio. Menschen im Jahr 2030.
„Das Thema Bildung bekommt angesichts dieser Zahlen erneut große Brisanz. Deutschland muss schleunigst die Voraussetzungen schaffen, noch mehr Menschen zu höherer Bildung zu verhelfen. Doch selbst wenn das geschieht: An einer geordneten Einwanderung von Fach- und Führungskräften wird kein Weg vorbei führen, wenn man diese Zahlen betrachtet“, sagt Haussmann.
Diese Märkte sind betroffen
Deutschland ist nicht das einzige Land, in dem besonders viele Arbeitskräfte fehlen. Vor allem die entwickelten Märkte werden in den nächsten zwölf Jahren immer größere Arbeitskraftdefizite zu spüren bekommen. In Europa folgen auf Deutschland die Volkswirtschaften des Vereinigten Königreichs (3 Mio. Arbeitskräfte zu wenig), Frankreich (1,5 Mio.) und die Niederlande (550 000).
Weltweit gehören zu den Volkswirtschaften mit den höchsten erwartbaren Verlusten zudem Australien, Japan und die Vereinigten Staaten. In der Finanz- und Dienstleistungsbranche werden global bis 2030 10,7 Mio. mehr Menschen benötigt. Dies führt zu einem Einnahmenausfall von 1,131 Bio. US-Dollar. In der Industrie fehlen im gleichen Zeitraum global 7,9 Mio. Menschen, in der Technologiebranche 4,3 Mio..
Unternehmen können nicht warten
„Wer diese Zahlen liest, dem wird klar: Unternehmen können und sollten nicht auf die Politik warten“, sagt Haussmann. „Der ‚War of Talents‘ ist keine Medienfiktion. Die Weltwirtschaftskrise hatte zunächst der Nachfrage nach Arbeitskräften einen Dämpfer erteilt, die starke Konjunktur der vergangenen Jahre hat diese Nachfrageschwäche jedoch deutlich schneller als damals erwartet korrigiert.
Wir empfehlen Unternehmen, noch stärker in die Eigenqualifikation ihrer bereits vorhandenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu investieren sowie Einsteigern rasche Fortbildungsangebote zu machen, wenn diese die notwendigen Qualifikationen bisher nicht erwerben konnten. Es wird künftig stärker auf Potenzial und weniger auf schon vorhandene Kompetenzen ankommen. Gleichzeitig sollten Unternehmen prüfen, in welchem Maße Fachkräfte aus dem Ausland angeworben und gebunden werden können. Und das nicht nur, um den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften zu decken, sondern auch, um Diversität zu fördern und die Anschlussfähigkeit an die globalisierte Wirtschaft zu sichern.“