Steigende Rohstoffpreise und ein weltweit wachsendes ökologisches Bewusstsein erfordern einen schonenden Umgang mit natürlichen Ressourcen. Aspekte, die auf der halbtägigen Eröffnungskonferenz der Anuga Foodtec im Vordergrund standen. Zu Beginn forderte Prof. Dr. Michael Braungart mehr Intelligenz beim Öko-Design von Lebensmitteln und Verpackungen. Nur Energie sparen und die Produktionsprozesse effizienter und weniger schädlich gestalten, sind für ihn nicht zielführend. Im Interview mit dei erklärt der Cradle-to-Cradle-Verfechter, warum er den Effizienzgedanken für falsch hält und der Öko-Effektivität den Vorzug gibt.
Herr Braungart, Ressourceneffizienz ist das Top-Thema der diesjährigen Anuga Foodtec. Es geht darum, Produktionsprozesse zu optimieren, den Energie- und Wasserverbrauch zu reduzieren und den Verlust von Lebensmitteln so gering wie möglich zu halten…
Braungart: Den Verlust von Lebensmitteln gering zu halten, ist ja durchaus wünschenswert. Doch zuerst einmal gilt es zu fragen, wie sich die bald zehn Milliarden Menschen mit Lebensmittel versorgen lassen. Und wie sich Lebensmittel erzeugen lassen, die gesund und bezahlbar sind – z.B. mit Algen, Pilzen und Bakterien.
Die Lebensmittelindustrie unternimmt große Anstrengungen, ihre Prozesse und Anlagen weiter zu optimieren. Sie gelten als Kritiker dieser Strategie. Was ist am Effizienzgedanken so falsch?
Braungart: Effizienz bedeutet, die Dinge richtig zu machen. Der Ansatz bringt uns bei der Lebensmittelerzeugung aber nicht weiter, denn er führt dazu, dass wir die falschen Dinge optimieren. Statt der Effizienz muss die Effektivität in den Vordergrund rücken. Das heißt, sich zunächst einmal zu fragen: Was ist das Richtige? Dafür ist unbedingt notwendig, die Dinge noch einmal ganz neu zu durchdenken. Schauen Sie sich einen Kirschbaum im Frühling an. Kein Sparen an den Blüten, kein Vermeiden oder Minimieren. Der Baum ist hocheffektiv und steht damit sinnbildlich für Cradle to Cradle.
Die Kreisläufe in der Natur sind Ihr Vorbild. Verbrauchsgüter, die verschleißen müssen so sein, dass sie biologisch nützlich und nicht schädlich für die Umwelt sind. Wie lässt sich dieses Prinzip bei der Produktion von Lebensmitteln umsetzen?
Braungart: Es gibt tatsächlich vieles zu tun. Die aus meiner Sicht größte Baustelle in der Lebensmittelindustrie ist die Verpackung. Noch nie wurden so viele Verpackungen verwendet wie heute. Inhaltsstoffe und Design sind nicht für echte Stoffkreisläufe optimiert. Wir müssen dahin kommen, dass sich alle Bestandteile eines Produkts endlos wiederverwerten lassen – und zwar ohne jegliche Qualitätseinbuße, getreu dem Prinzip: Von der Wiege bis zur Wiege. Oder auf Englisch: Cradle to Cradle.
Ist das Recyclingkonzept, wie es der Grüne Punkt propagiert, also gescheitert?
Braungart: Der Grüne Punkt hat uns gar nichts gebracht. PVC und die ganzen giftigen Pigmente sind nach wie vor im Einsatz. Und wie reagieren die Verpackungshersteller? Mit hochoptimierten Barrieren, die verhindern sollen, dass gesundheitsschädliche Substanzen in Lebensmittel migrieren. Dies zeigt: Es werden die falschen Dinge perfekt gemacht – und damit perfekt falsch!
Nichtverpacken ist keine Alternative. Für Lebensmittel sind Verpackungen, die Haltbarkeit und Schutz gewährleisten unabdingbar…
Braungart: Richtig! Und genau deshalb müssen wir ganz vorne ansetzen, indem wir die Intelligenz an den Anfang der Entwicklung stellen – also beim Produktdesign und nicht ans Ende, bei der Verwertung. Das Ziel müssen Verpackungen sein, die gänzlich ungefährlich für Mensch und Natur sind. Das setzt voraus, dass man sich Strategien überlegt, wie Verpackungsmaterialien im Kreislauf geführt werden können.
Das klingt einleuchtend. Woran hapert es bei der Umsetzung?
Braungart: Die Branche muss sich darüber bewusst werden, dass Verpackungen nicht nur eine Schutzfunktion für die Lebensmittel haben, sondern selbst wertvolle Rohstoffe sind. Dann können die Hersteller mit Cradle-to-Cradle-Konzepten auf Dauer ihre Existenz sicherstellen. Anstatt also weiterhin besser darin zu werden, das Falsche zu optimieren, sollten sie Materialien verwenden, die sich nach der Nutzung in einer Verpackung komplett für andere Produkte verwerten lassen.
Da stellt sich zwangsläufig die Frage nach alternativen Materialien, die dies gewährleisten…
Braungart: Lebensmittel lassen sich beispielsweise wunderbar in Nylon (Polyamid 6) verpacken. Das Material ist zwar teurer als andere Kunststoffe, weist aber keinen Memory-Effekt auf und kann für andere Produkte wiederverwendet werden. Das können Bauteile für Autos, Büromöbel oder Fernseher sein. Das heißt, es findet ein echtes Upcycling statt. Nylon könnte der(!) Kunststoff der Zukunft sein.
Gibt es in der Lebensmittelbranche Beispiele für erfolgreiche Cradle-to-Cradle-Konzepte?
Braungart: Es gibt bereits Unternehmen, die mit uns kooperieren. Gemeinsam mit Unilever haben wir eine Eiscremeverpackung entworfen, die komplett dem Cradle-to-Cradle-Prinzip folgt. Dabei handelt es sich um eine Folie, die nur im gefrorenen Zustand fest ist. Bei Raumtemperatur schmilzt sie. Wirft man sie weg, ist sie in rund zwei Stunden biologisch abgebaut und sie enthält, zur Erhöhung der Artenvielfalt, noch Samen von seltenen Pflanzen. Die Eiscremeverpackung ist ein Paradebeispiel dafür, wie Cradle to Cradle dabei hilft, Entsorgungskosten einzusparen.
Welche Erwartungen haben Sie an die Aussteller auf der Anuga Foodtec?
Braungart: Die Branche muss handeln! Die nächste Generation von Verpackungen, die dem Cradle-to-Cradle-Gedanken entsprechen, ist unerlässlich. Damit künftig nicht mehr nur der billigste Kunststoff für Verpackungen zum Einsatz kommt, sondern der Beste – der Beste, was die Barrierefunktion, den Schutz der Lebensmittel und auch das Aussehen angeht und der Beste, was die Umweltverwertbarkeit angeht.
Das Interview führte für Sie: Mareike Bähnisch
Freie Journalistin
Das Cradle-to-Cradle-Prinzip
Cradle to Cradle ist ein Designkonzept, das in den 1990er Jahren von Prof. Dr. Michael Braungart gemeinsam mit William McDonough und EPEA Internationale entwickelt wurde. Übersetzt heißt es „Von der Wiege zur Wiege“ und beschreibt die Zirkulation von Materialien und Nährstoffen in Kreisläufen. Das Ziel besteht darin, Materialien immer wieder neu zu nutzen. Im biologischen Kreislauf zirkulieren Verbrauchsgüter, die nach ihrem Gebrauch in diesen zurückgeführt werden können. Sie werden zu Kompost oder anderen Nährstoffen, aus denen neue Produkte entstehen. Der Abfall eines alten Produktes wird so zur Nahrung für ein neues Produkt. Im technischen Kreislauf zirkulieren Gebrauchsgüter. Produkte werden bereits im Design- und im Herstellungsprozess als Ressourcen für die nächste Nutzungsphase optimiert. Materialien, Rohstoffe und Wertstoffe gehen nicht verloren, können nach ihrem Gebrauch verlustfrei zurückgewonnen und im Idealfall unendlich oft wiederverwertet werden. Mehr Informationen unter www.epea.com.