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Anlagenplanung unter der Lupe

Moderne Software- und IT-Lösungen sparen bereits in der Planungsphase
Anlagenplanung unter der Lupe

Der Anlagenbau durchlebt zur Jahrtausendwende große Veränderungen. Moderne Software zur Anlagenplanung und Anlagensimulation, aber auch neue Kommunikationstechnologien wie das Internet beeinflussen die Planungs-abläufe und das Umfeld der Anlagenplanung. Prof. Dr. Michael Bruns, Leiter der Entwicklung bei der Axiva und Mitglied des Interkama-Vorstandes, stellte sich zu diesem Thema den Fragen der cav-Redaktion.

Die Prozesstechnik gehört zwar zu den ausgereiftesten Technologien der heutigen Industrielandschaft, doch man ist noch lange nicht am Ende. So erwarten Fachleute deutliche Weiterentwicklungen dort, wo für bestehende Prozesse Reaktion und Trennung mit dem Ziel der Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, z. B. durch Verringerung von Investitionskosten oder durch Erhöhung von Ausbeuten, gekoppelt werden. Beispielhaft sind hier Forschungsvorhaben wie BMBF- und EU-Projekte zur Reaktivdestillation zu nennen.

Fortschritte werden zukünftig auch in der Prozessführung erzielt, z. B. durch Miniaturisierung der Arbeitsvolumina in der Mikroreaktionstechnik oder durch bessere Modellkenntnisse zur Reaktionsaufklärung, die durch gekoppelte Betrachtung von Misch- und Reaktionsvorgängen in der CFD-Technik entstehen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Integration des Know-hows über den Lebenslauf eines Produktionsprozesses. Dieser beginnt lange vor dem Basic Engineering und endet mit der Ausmusterung der Anlagen. In den frühen Phasen des Lebenslaufes werden heute zwangsläufig immer noch heterogene Tools eingesetzt, die nicht einmal vorwärts koppelbar sind. Zur Integration über die Disziplinen in den frühen Phasen der Prozessentwicklung gibt es derzeit Anstrengungen an den Hochschulen (z. B. SFB 476 Improve der RWTH Aachen, ProSyn der Uni Dortmund …). Den größten Einfluß auf die Prozesstechnik haben zukünftig allerdings neue Informationstechnologien, die bereits in der Anlagenplanung greifen.
cav Die Verfahrens- und Prozesstechnik unterliegt derzeit einem umfassenden Wandel. Neue Computer- und Informationstechnologien sind hierfür in erster Linie verantwortlich. Wo sehen Sie die gravierendsten Unterschiede in der Anlagenplanung heute und vor zehn Jahren?
Prof. Bruns Die wesentlichen Änderungen sehe ich zum einen in den Planungstools und den Planungsabläufen selbst und zum anderen im Umfeld der Planung. Der Druck auf die Entwicklungszeiten erzwingt eine Parallelisierung der Planungsabläufe. Auch neue technische Entwicklungen wie Feldbus-Systeme legen nahe, die Grenzen zwischen maschinenbaulicher Planung und leittechnischer Planung aufzuheben. Die Planungstools sind inzwischen durchgängig, d. h. über alle Gewerke einerseits und alle Phasen von Basic Engineering bis zur Inbetriebsetzung andererseits einsetzbar.
cav Es wird sich also das sogenannte „Simultane Engineering“ durchsetzen.
Prof. Bruns Ja. Ziel des „Simultanen Engineering“ ist es, Kosten und Entwicklungszeiten zu reduzieren und gleichzeitig die Anlagenqualität zu erhöhen. Unabhängig von diesen Zielen führt allerdings der Trend zur Beschränkung auf die Kernkompetenzen dazu, dass frühere Inhouse-Engineering-Funktionen außerhalb der produzierenden Unternehmen wahrgenommen werden. Die neuen Strukturen zeigen ein Netz einzelner ingenieurtechnischer Unternehmen mit individuellen Zielsetzungen, die sich dann auch noch einem Entwicklungsziel unterwerfen müssen. Damit mutiert das simultane Engineering zum „Externen Simultanen Engineering“ mit allen inhaltlichen und rechtlichen Implikationen. Die Methoden dazu sind in der fertigenden Industrie bereits recht weit entwickelt. Es gilt, sie auf die Belange der produzierenden Industrie anzupassen.
cav Derzeit in aller Munde ist auch ein anderes Schlagwort, die vertikale Integration. Auf diesem Gebiet ist in den letzten Jahren einiges bewegt worden.
Prof. Bruns Vor 10 Jahren gab es eine strikte Trennung der technischen und kaufmännischen Datenverarbeitung in der Produktion. Heute ist es üblich, integrierende Business-Software einzusetzen, die nicht nur kaufmännische Einzelaspekte abdecken, sondern alle für die Geschäftsprozesse relevanten Informationen integrieren. SAP spielt hier wohl die wichtigste Rolle. Als Folge müssen nun die Dienstleister, die Planungsleistungen ausführen, ihre Planungsergebnisse kundenspezifisch so gestalten, dass sie in die Business Software integriert werden können. So ist der Weg frei, in der Produktion wertschöpfungssteigernde Funktionen wie z. B. Asset Management zu nutzen.
cav Moderne Software hat aber nicht nur hier einiges geleistet. Auch in der Anlagenplanung selbst hat neue Software erheblich zur Vereinfachung beigetragen. So gibt es inzwischen kaum noch maßstäbliche Anlagenmodelle aus dem Modellbau. Diese sind fast vollständig durch 3D-Visualisierungen abgelöst.
Prof. Bruns Ja, da haben Sie recht. 3D-CAD-Modelle können das Plastikmodell heute vollständig ersetzen. Es dokumentiert dem Kunden und dem Planungsteam immer aktuell den Planungsstand. Das 3D-Modell ist zu einem Planungs-, Prüf- und Kontrollmittel gereift. Es dient der Optimierung der Aufstellungsplanung, Simulation der Ein- und Ausbauvorgänge und der Einweisung von Montagefirmen und des Betriebspersonals.
cav Gibt es demnächst die virtuelle Anlage?
Prof. Bruns Bisher sind mir echte virtuelle Anlagen noch nicht bekannt. Was es gibt, sind die o.g. 3D-Repräsentationen von Planungsdaten wie z. B. durch das Intergraph-System PDS. Ferner gibt es als virtuelle Schaustücke einige wenige Exponate auf Messen. Der wesentliche Nutzen der virtuellen Welten, z.B. die funktionale Realitätstreue, ist bisher in der Praxis nicht abgreifbar. Ein Grund dafür ist, dass es bislang keine Standard-Betriebssysteme zur Gestaltung virtueller Produktionssysteme gibt. In der fertigenden Industrie ist die Entwicklung weiter gediehen. Dort gibt es beispielsweise die von den Fraunhofer-Instituten, IGD und IAO entwickelten „Virtuellen Kernel“, die derzeit in der Automobilindustrie erstmals eingesetzt werden.
cav Wo liegen denn die Möglichkeiten dieser Technik?
Prof. Bruns Virtuelle Produktionssysteme eröffnen überall da Möglichkeiten, wo Menschen in Kommunikation mit den Prozessen treten. Im Vordergrund steht somit das Training und das Handling von Ausnahmesituationen und Remote Operation.
cav Das Internet hält mehr und mehr Einzug in den privaten und geschäftlichen Bereich. Gibt es auch bei der Anlagenplanung schon entsprechende Ansätze?
Prof. Bruns Ja, Internet-Technologien werden bereits bei der Anlagenplanung und Dokumentation genutzt. Der Vorteil der einfachen und intuitiven Bedienbarkeit gestattet dem Planer und dem Betreiber, auf die Anlagendokumentation über eine grafische Darstellung zuzugreifen. Das R&I-Fließbild und das 3D-Anlagenmodell können durch Links quasi als Inhaltsverzeichnis in die Anlagendokumentation genutzt werden.
cav Und wie geht es weiter?
Prof. Bruns Um die Datenmengen beherrschbar zu machen, ist der nächste logische Schritt der Einsatz von verteilten Datenbanken. Diese Technik ist bisher nicht alltägliche Praxis. Verbesserungswürdig ist auch die Sicherung der Pläne gegen unbefugtes Nutzen. Elektronische Wasserzeichen helfen da nicht weiter; vielmehr müssen Verschlüsselungs- und Entschlüsselungstechniken genutzt werden. Hier stehen die Techniken bereits zur Verfügung, ihre Nutzung muss aber derzeit noch mit spürbaren Kosten und Handlingaufwand erkauft werden.
cav Können denn im Gegenzug an anderer Stelle Kosten eingespart werden?
Prof. Bruns Einen Beitrag könnte beispielsweise eCommerce zur elektronischen Beschaffung von Materialien leisten. Bevor dieser Weg aber beschritten werden kann, sind noch einige Definitionsarbeiten zu leisten.
cav Bei der Anlagenüberwachung ist man da schon etwas weiter.
Prof. Bruns Ja. Hier werden Intranet-Lösungen in Zukunft beherrschend sein. Dies wird durch die Vernetzung der Anlagen mit Feldbus- und Ethernet-Systemen innerhalb eines Standorts zwangsläufig passieren. Auch werden bereits Verknüpfungen zwischen Produktionsanlage und Entwicklungsstandorten per Internet realisiert. Der Weg bis zur weltweiten Internet-basierten Remote Operation mehrerer Produktionsstandorte unter Nutzung des 24-Stunden-Arbeitstages ist aber noch weit.
cav Moderne Software wird ja nicht nur zur Planung von Anlagen eingesetzt, sondern auch zur Simulation. Mit Hilfe neuer Berechnungsmethoden lassen sich bestehende Anlagen verbessern und Neuanlagen im Voraus auf ihre Produktivität prüfen. Welche Einsparpotentiale lassen sich denn erzielen?
Prof. Bruns Das größte Nutzenpotential, aber auch das größte Risiko, verbirgt sich hinter einer Änderung des Reaktionsweges. Hierdurch lassen sich die Herstellkosten beinahe halbieren, vorausgesetzt es gibt keine prohibitierenden Randbedingungen. Einsparpotentiale bis zu 30% sind realistisch, sofern man die Chance hat, auf der grünen Wiese eine neue Anlage zu bauen und den Mut besitzt, dies auch nach einem neuen Konzept zu tun. Bei bestehenden Anlagekonzepten sind immerhin noch 5% realistisch und im Betrieb 2 bis 4% durch reine IT-Lösungen in der Produktion abgreifbar.
cav Die Axiva baut derzeit im Auftrag der Ticona eine Topas-Anlage, in der demnächst hochmoderne Kunststoffe produziert werden. Durch den Einsatz moderner 3D-Methoden bei der Anlagenplanung wird sich die Bauzeit erheblich verkürzen. Können Sie anhand dieses Beispiels die Abläufe bei der Planung etwas näher erläutern?
Prof. Bruns Der Clou beim Engineering-Projekt Topas liegt in dem Zusammenspiel aus neuem Tool und der Entwicklung einer wirklichen Erstanlage. Hier ist es immer schwierig, klare Festlegungen zu erarbeiten, da keine große Produktionsanlage besteht, die als Beispiel herangezogen werden kann. Darum war es sehr zeitsparend, ein 3D-Tool bereits in der Konzepterstellung zu verwenden. Im Projekt wurde Plant Builder Auto Router von Design Power eingesetzt. Damit war in der Vorplanung eine sehr schnelle Visualisierung der unterschiedlichen Konzepte möglich.
Auch die üblichen Änderungen des Konzeptes, die bei Erstanlagen immer wieder auftreten, ließen sich mit dem Tool sehr schnell darstellen und dem Kunden präsentieren.
cav Vielen Dank für ihre Ausführungen.
E cav 244
Unternehmensdaten Jung und doch mit Tradition
Seit Oktober 1999 firmieren die Einheiten Production Technologies und Pilot Plants der Aventis Research & Technologies unter dem Namen Axiva GmbH. Beide Einheiten waren zuvor Engineering- Abteilungen und Teile der Zentralforschung des Hoechst Konzerns. Axiva ist ein Unternehmen, das Technologieentwicklung und -beratung, technologisches Know-how und modernste Anlagentechnik für die Prozessindustrie anbietet. Dieses Angebot wird ergänzt durch die Herstellung von Erst- und Mustermengen chemischer Spezialitäten.
In der Vergangenheit haben die rund 620 Mitarbeiter der Axiva überwiegend für den Unternehmensverbund der Hoechst AG gearbeitet. Von dieser langjährigen Erfahrung mit der Vielfalt der Technologien eines chemischen Großunternehmens will das junge Unternehmen auch in Zukunft profitieren.
Der Sitz des Unternehmens ist Frankfurt am Main. Daneben betreibt die Gesellschaft ein Büro in Shanghai (China). Der Jahresumsatz der Axiva beträgt (1999) rund 150 Mio. DM.
Intranet-Lösungen werden in Zukunft bei der Anlagenüberwachung vorherrschen.
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