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Atex-konforme Getriebe

Eine Herausforderung für die Antriebshersteller
Atex-konforme Getriebe

Zum 1. Juli 2003 treten die EG-Richtlinien 94/9/EG und 99/92/EG in Kraft: So sind die Gerätehersteller gem. 94/9/EG verpflichtet, den Anlagenbetreibern Atex-konforme Geräte bereitzustellen, da diese wiederum durch die 99/92/EG gezwungen werden, nur noch solche Geräte einzusetzen. Ein Novum des Explosionsschutzes bei Geräten ist die Einbeziehung von so genannten nichtelektrischen Geräten. In hohem Maße sind davon Hersteller industrieller Antriebstechnik betroffen.

Roland Denefleh

Für elektrische Geräte (z. B. Elektromotoren) existieren ausreichend technische Vorschriften (Normen) und Regularien der Zertifizierung, für nichtelektrische Geräte wurde dies durch die 94/9/EG-Richtlinie ausgelöst. Aus diesem Grunde befassen sich auf nationaler und internationaler Ebene seit einigen Jahren diverse Normungsgremien mit der Erstellung von technischen Normen für nichtelektrische Geräte. Zur Zeit entsteht daher eine neuen Normenreihe (DIN EN 13463 Teil 1 bis Teil 8), die den Geräteherstellern eine ausreichende Hilfestellung für die Kennzeichnung ihrer Geräte geben soll. Dies gestaltet sich jedoch als schwierig, da zukünftig auch Bauteile einer Risikobetrachtung unterzogen werden müssen, die bei den elektrischen Geräten unbeachtet blieben, wie z. B. Lager und Dichtungen.
Des Weiteren ist die uneingeschränkte Übertragung der Zündschutzarten von den elektrischen auf die nichtelektrischen Geräte nicht möglich. Aus diesem Grunde ist die fristgerechte Bereitstellung der dringend benötigten Normen nicht möglich. Trotz dieser Problematik sind zum 1. Juli 2003 beide EG-Richtlinien bindend und ohne die Erfüllung dieser Richtlinien ist ein Betrieb solcher Anlagen nicht mehr gestattet.
Da Industriegetriebe in einer Vielzahl von Anwendungen in verfahrenstechnischen Anlagen benötigt werden, beschäftigt sich SEW-Eurodrive seit längerem mit dieser Thematik und stellte sich dieser Herausforderung durch aktive Mitgestaltung der neuen Normenreihe und ausführliche und detaillierte Risikoanalysen ihrer Produkte. Im Rahmen dieser Aktivitäten war erkennbar, dass sich Produktmerkmale ändern müssen, damit die Getriebe einsetzbar sind.
Realistische Risikoanalyse
Die größten Herausforderungen bei der Risikoanalyse sind die so genannten Analogiebetrachtungen. Unabdingbare Voraussetzung für die weltweite wirtschaftliche Bereitstellung von Industriegetrieben ist ein modulares Baukastensystem von Einzelteilen und Komponenten (Abb. 1). Aufgrund dieser Vielfalt ist es jedoch aufwändig, den Worst Case zu finden und durch vertiefende Analysen (Versuche) die korrekten maximalen Oberflächentemperaturen zu ermitteln und auszuweisen. Bei explosiven Gemischen im Gasbereich ist eine ausschließlich äußere Betrachtung, wie dies zum Beispiel eine Thermografieanalyse ermöglichen würde (Abb. 2), alleine nicht genug. Bei Verwendung solcher Getriebe im Gasbereich muss ebenfalls eine detaillierte Betrachtung des Getriebeinneren durchgeführt werden. Nur ausgezeichnete Produktkenntnisse ermöglichen eine realistische Risikoanalyse. Dies ist unter anderem auch die Begründung für das gegenüber elektrischen Geräten abgewandelte Zertifizierungsverfahren für nichtelektrische Geräte. Im Gegensatz zum Elektromotoren-Hersteller muss der Getriebehersteller daher eigenverantwortlich in Form einer Konformitätserklärung und der versiegelten Hinterlegung von vorgeschriebenen Unterlagen für die Kategorie 2 die Verantwortung übernehmen. Eine EG-Baumusterprüfbescheinigung für diese Kategorie ist unzulässig.
Einflussfaktoren auf Zündmechanismen
Eine weitere Herausforderung bei der Ermittlung der maximalen Oberflächentemperaturen findet sich in den Einsatzbedingungen von Getrieben. Während in früheren Jahren der sogenannte drehzahlfeste Einsatz, d. h. der Getriebemotor wird am Netz betrieben, vorherrschte, ist der Vormarsch des gesteuerten Betriebes in verfahrenstechnischen Anlagen beim Getriebemotor unaufhaltsam. Mit dem gesteuerten Betrieb ist die Drehzahlvarianz verbunden, die einen erheblichen Einfluss auf das thermische Gleichgewicht eines Getriebes besitzt. Die Getriebetemperatur, die sehr eng mit der Öltemperatur verknüpft ist, wird von sehr vielfältigen Faktoren beeinflusst. Neben Drehzahleinfluss müssen Faktoren wie Bauform (Raumlage des Getriebes), Übersetzung, Getriebegröße und -ausführung, Stufenzahl, Auslastung, Aufstellbedingungen, Umgebungsbedingungen, usw. berücksichtigt werden.
Hierbei den Worst Case zu bestimmen, ist nur im Zusammenhang mit entsprechenden umfassenden Kenntnissen möglich. Neben der Ermittlung maximaler Zündtemperaturen ist zusätzlich der Aspekt der Betriebssicherheit zu beachten. Findet die maximale Öltemperatur keine Berücksichtigung, werden oftmals ungeeignete Schmier- und Dichtungswerkstoffe eingesetzt, die ein frühzeitiges Versagen der Getriebefunktion verursachen. Dies ist in der Regel mit sehr hohen und unbeherrschbaren Temperaturen verbunden.
Änderungen in der Getriebeausführung
Die neuen Normen für nichtelektrische Geräte, die eine sehr hohe Anlehnung an die elektrischen Normen besitzen, beinhalten viele Details, die nach einer Veränderung von Getriebemerkmalen verlangen.
Eine häufig eingesetzte Getriebeausführung sind die sogenannten Aufsteckgetriebe mit Schrumpfscheibe. Hierbei wird das Drehmoment kraftschlüssig von der Getriebehohlwelle auf die Kundenwelle mittels einer Schrumpfscheibe übertragen. Die Schrumpfscheibe ist ein drehendes Teil und um Verletzungen zu vermeiden, werden im Standardeinsatz Abdeckhauben (feststehend oder mitdrehend) eingesetzt. Aus wirtschaftlichen Gründen bietet sich hier die Verwendung von Kunststoffhauben an. Dies ist jedoch beim Betrieb von verfahrenstechnischen Anlagen in explosionsgefährdeter Umgebung grundsätzlich nicht möglich. Neben der Gefahr der Zündung aufgrund elektrostatischer Entladung kann dieser Werkstoff auch der vorgeschriebenen Wärme-, Kälte- und Stoßbeständigkeit nicht standhalten.
Die Umstellung des Werkstoffs allein ist jedoch nicht ausreichend. Ein weiterer Gesichtpunkt muss im Staubbereich beachtet werden. Erfüllt die Abdeckung nicht einen ausreichenden Staubdichtigkeitsgrad, ist mit Staubablagerung innerhalb der Abdeckhaube zu rechnen. In diesem Fall wäre die Zündung einer Explosion infolge Reibung (Abdeckhaube steht, Schrumpfscheibe dreht) wahrscheinlich. Aus diesem Grunde darf für den Staubbereich ausschließlich eine abgedichtete Abdeckhaube zum Einsatz kommen (Abb. 3).
Die gezeigten Ausführungen können nur einen Anhaltswert der Komplexität und des verbundenen Aufwandes geben, die von einem Hersteller industrieller Antriebstechnik zu bewältigen sind, um so genannte Atex-konforme Getriebe für die betroffenen verfahrenstechnischen Anlagen bereitstellen zu können. Basierend auf vielen Analysen und Untersuchungen zeigen die Getriebe bezogen auf die Standardausführungen abweichende Merkmale, die zwingend notwendig sind, um die geforderten Eigenschaften nachweisen zu können.
Antriebshersteller sind in der Verantwortung
Ein letzter Aspekt ist die Verantwortungsübernahme durch die Konformitätserklärung. Die durchgeführten Risikoanalysen beinhalten auch die Berücksichtigung des vorhersehbaren Missbrauchs. Hiermit kann jedoch nicht die Fahrlässigkeit ausgeschlossen werden. Die bestimmungsgemäße Verwendung, Einsatz und Bedienung muss vorausgesetzt werden. Aus diesem Grunde wurden für diese Getriebe eigenständige Betriebsanleitungen und Typenschilder entwickelt, die zu beachten sind. Bei Missachtung erlischt die Konformitätserklärung mit sofortiger Wirkung. Hierbei ist ebenfalls zu beachten, dass das Getriebe Bestandteil einer verfahrenstechnischen Baugruppe ist (z. B. Getriebemotor zum Betrieb einer Zellenradschleuse in Abbildung 4). Es muss ebenfalls gewährleistet sein, dass durch die Integration des Getriebes in eine Baugruppe die Eigenschaften des Getriebes nicht verändert werden, damit die Konformitätserklärung ihre Gültigkeit behält.
Dies ist in der Regel den Anlagenherstellern nicht bekannt bzw. bewusst. Aus diesem Grunde muss auch ein nicht unerhebliches Maß der Unterstützung erfolgen. Dies erfolgt jedoch in der Regel nicht von Konstruktion zu Konstruktion. Der Vertrieb, als Schnittstelle zwischen Anlagenbauer und Getriebekonstruktion, sollte daher mit intensiven Schulungen auf seine neuen Beratungstätigkeiten umfassend vorbereitet werden.
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