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Aufbruch in eine neue Welt

Die Energie- und Ressourcenbasis von morgen
Aufbruch in eine neue Welt

Derzeit konzentriert sich die Aufmerksamkeit von Unternehmern, Investoren und Öffentlichkeit auf die Finanzmarktkrise und deren Folgen. Dabei ist ein Thema vorübergehend in den Hintergrund geraten, das bis vor Kurzem auf der Tagesordnung ganz oben stand und eigentlich an Dringlichkeit nichts verloren hat: Wie wird die Wirtschaft, und hier besonders die energieintensive und rohstoffverarbeitende chemische Industrie, den notwendigen Rohstoffwandel bewältigen? Diese Frage greift die Achema-Sonderschau auf und zeigt innovative Konzepte für den Umgang mit energetischen und natürlichen Ressourcen.

Dr. Kathrin Rübberdt

Auch wenn der Ölpreis Ende 2008 wieder Tiefststände erreicht hat, die wenige Wochen vorher niemand für möglich gehalten hätte – an der grundlegenden Tatsache hat sich nichts geändert, dass die fossilen Rohstoffe allmählich zur Neige gehen. Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre steigt an, und der Klimawandel ist nicht mehr aufzuhalten. Stattdessen geht es heute darum, ihn auf ein vertretbares Maß von + 2 Grad zu beschränken. Es besteht also nach wie vor dringender Handlungsbedarf.
Dabei haben sich die Voraussetzungen der Debatte in den letzten Monaten gewandelt – in der Öffentlichkeit vielleicht am besten wahrnehmbar anhand der Ernüchterung über Biokraftstoffe. Nachdem in den letzten Jahren in schneller Folge nacheinander verschiedene erneuerbare Ressourcen als ultimative zukünftige Rohstoffbasis gehandelt wurden, ist die Euphorie inzwischen der sachlichen Analyse gewichen.
Konsens ist heute, dass bei der Bewertung von alternativen Ressourcen eine ganzheitliche Bilanz notwendig ist: Wie viel Energie wird zur Produktion einer Solarzelle eingesetzt, und wie viel Strom erzeugt sie im Vergleich dazu über ihre Lebensdauer? Wie sieht die Kraftstoffbilanz aus, wenn man berücksichtigt, dass der Raps im Regelfall erst zur Anlage gefahren werden muss? Und wie viele Treibhausgase werden bei Herstellung und Einsatz von Dünger für die Biorohstoffe freigesetzt? Dass viele alternative Ressourcen von lokalen Gegebenheiten abhängig sind, macht die Sache nicht einfacher: Im sonnigen Breisgau liefert eine Solarzelle über ihre Lebensdauer sehr viel mehr Strom als im wolkigen Ruhrgebiet und erzielt damit eine erheblich bessere Energiebilanz.
Regenerative Energiequellen nutzen
Erneuerbare Energien deckten in Deutschland 2007 etwa 14 % des Stromverbrauchs, wobei die Fotovoltaik das stärkste relative Wachstum verzeichnete. Diese Entwicklung wurde durch die massiven Anreize im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) befördert, die den Bauherren einer Fotovoltaik-Anlage für zehn Jahre attraktive Einspeisevergütungen garantiert. Gleichzeitig wurden der Aufbau von Unternehmen und die Forschung im Fotovoltaik-Bereich durch Fördergelder unmittelbar unterstützt. Deutschland gilt damit heute als Hochburg in Forschung, Entwicklung und Produktion von Fotovoltaik-Technologie. Die Siliziumknappheit des vergangenen Jahres tat ein Übriges dazu, die Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen zu verstärken. Neben den Dünnschichtzellen auf Basis von Metallen und Halbmetallen wie Gallium, Indium, Kupfer, Tellur, Arsen und anderen, die selbst wiederum der Rohstoffproblematik unterliegen, widmen sich die Entwickler derzeit vor allem den organischen Solarzellen. Organische Materialien sind generell besser verfügbar als die genannten herkömmlichen Rohstoffe. Mittelfristig besteht deshalb dort mehr Hoffnung auf deutliche Preisrückgänge. Außerdem bieten die organischen Materialien eine ganze Reihe weiterer Vorteile: Sie lassen sich nicht nur gezielt optimieren (durch „designte“ Polymere und Beschichtungen, die das Spektrum genutzten Sonnenlichts erheblich ausweiten), sondern bieten völlig neue Möglichkeiten der Nutzung am Bau und weit darüber hinaus: Flexibilität und geringes Gewicht sind nur zwei Stichworte, die die Fantasie der Entwickler anregen. Während jedoch eine marktübliche Siliziumzelle derzeit rund 14 % Wirkungsgrad erreicht und mit multikristallinem Silizium im Labor bereits die 20 % überschritten wurden, bewegen sich organische Zellen momentan unter Laborbedingungen bei 4 bis 5 %. Betrachtet man allerdings die Entwicklung bei den organischen LEDs, sollten organische Zellen im Hinblick auf Kosten je Watt installierter Leistung in einigen Jahren wettbewerbsfähig sein.
Ende 2007 waren in Deutschland 3800 MWp Fotovoltaik-Leistung installiert, weltweit waren es etwa 9200 MWp. Die Prognosen für 2010 reichen von 13 000 bis 23 000 MWp – wohlgemerkt an Neuinstallationen. Welche Zahl schließlich näher an der Realität sein wird, hängt erheblich von der Entwicklung der Technologie und den Herstellkosten ab. Das betrifft alle Verfahrensschritte, von der Erzeugung hochreinen Siliziums über die Verkapselungstechnik bis hin zu den Kosten für Montage, Nachführtechnologie und die Regelungstechnik, die für eine reibungslose Einspeisung ins Netz sorgt.
Mit 65 % der gesamten installierten Leistung ist Windenergie derzeit die wichtigste regenerative Energiequelle. 2007 wurden in Deutschland ca. 35 000 GWh Strom durch Windenergie erzeugt. Die Ausbaupotenziale der Windenergie sind jedoch nicht mehr sehr groß. Der eine Grund dafür ist die weithin mangelnde Akzeptanz für die vermeintliche „Landschaftsverschandelung“ durch die „Spargel“, der andere ist noch schlichter: In vielen Gegenden Deutschlands weht einfach nicht genug Wind, um weitere Windräder wirtschaftlich betreiben zu können. Man konzentriert sich deshalb mittlerweile fast ausschließlich auf große Offshore-Anlagen, wobei Schweden, Großbritannien und die Niederlande derzeit am aktivsten sind. Dazu kommt, dass Wind noch mehr als Solarenergie unstetig und nur begrenzt vorhersagbar auftritt, was zu hohen Anforderungen an die Netze und die Steuerung führt. Für eine Grundlastversorgung sind andere Alternativen zwingend notwendig.
Energetische und stoffliche Ressourcen
Eine bisweilen diffuse Trennlinie verläuft in der Diskussion um erneuerbare Rohstoffe zwischen energetischen und stofflichen Ressourcen – diffus deshalb, weil pflanzliche Rohstoffe beiden Seiten zugeordnet werden können. Dabei stehen sie auf der energetischen Seite in Konkurrenz zu Solarenergie, Windenergie und anderen, während sie bei der stofflichen Nutzung die einzige Alternative zu fossilen Rohstoffen bilden.
Nach Angaben der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe wurden 2007 auf etwa 1,75 Mio Hektar landwirtschaftlicher Fläche in Deutschland Energiepflanzen angebaut; das entspricht etwa 14 % der bundesdeutschen Anbaufläche. Lediglich etwas mehr als 0,25 Mio. Hektar wurden für nachwachsende Rohstoffe für die stoffliche Nutzung eingesetzt.
Pflanzliche Rohstoffe können auf verschiedenen Wegen energetisch genutzt werden: Direkt durch Verbrennung, nach Umwandlung in Flüssigkraftstoffe oder als Biogas, das verstromt werden kann. Nach einem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen (WBGU) des Bundesministeriums für Umwelt vom Dezember 2008 kann Biomasse mittelfristig 10 % des Weltenergiebedarfs decken. Den größten Beitrag zum Umweltschutz leiste dabei der Einsatz von Bioenergie bei der Stromproduktion, vor allem bei der Nutzung in Kraft-Wärme-Kopplung. Die Wissenschaftler weisen gleichzeitig darauf hin, dass die Energieerzeugung nicht auf Kosten der Nahrungsmittelproduktion sowie des Natur- und Klimaschutzes gehen darf.
Diesem Vorwurf sehen sich vor allem Biokraftstoffe der ersten Generation ausgesetzt. Sie beschränken sich zumindest im europäischen Raum weitgehend auf Biodiesel und Bioethanol aus eigens dafür angebauten Pflanzen und Saaten. Bei beiden Kraftstoffen fallen jedoch in erheblichem Umfang Nebenprodukte an, deren wirtschaftliche Verwertung gesichert werden muss.
Herstellung von Biokraftstoffen oder Biogas
Um die Konkurrenz mit dem Nahrungsmittelanbau zu umgehen, setzen inzwischen viele Projekte auf Reststoffe – also z. B. Stroh, Holzabfälle, aber auch Klärschlamm und Hausmüll. Die Verarbeitung kann mehrere Wege gehen: „Biomass-to-liquid“-Verfahren führen zu synthetischen Kraftstoffen, die gegenüber konventionellem Kraftstoff in ihrer Zusammensetzung besser zu kontrollieren sind und keine unerwünschten Bestandteile wie Aromaten oder Schwefelverbindungen enthalten. Die erste Anlage im industriellen Maßstab weltweit entsteht derzeit in Freiberg in Sachsen; Betreiber ist die Choren Industries GmbH. Da im Gegensatz zu den Nutzpflanzen der ersten Biokraftstoffgeneration nicht nur Saaten verarbeitet werden, sondern auch die Reststoffe bzw. die gesamte Pflanze, erreichen diese Kraftstoffe erheblich höhere Flächeneffizienzen: Die FNR gibt an, dass je Hektar 4000 l BtL-Kraftstoff produziert werden können gegenüber 1550 l herkömmlichem Biodiesel.
Problematisch erscheint für die Planungen von Anlagen zur Kraftstoffherstellung die unklare gesetzliche Situation. Die Steuerbegünstigung für Biokraftstoffe ist teilweise schon aufgehoben und wird regelmäßig neu diskutiert. Das macht es schwer, notwendige Investitionen in Anlagen zu planen und zu finanzieren.
Überwiegend rentabel war dagegen bis vor Kurzem die Erzeugung von Biogas aus Gülle, Klärschlamm oder Silage durch Fermentation. Bakterien wandeln dabei Zucker, Stärke, Amino- und Fettsäuren in mehreren Schritten zu Methan und CO2 um. Das Methan wird entweder verstromt oder kann – allerdings nach aufwändigen Reinigungsschritten – ins bestehende Erdgasnetz eingespeist werden.
Eine Alternative, die zur Verwertung eines noch breiteren Spektrums von Stoffen geeignet ist, ist die Vergasung von Brennstoffen auf chemischem Wege. Dafür laufen inzwischen einige Projekte auf Grundlage verschiedener Vergasungstechnologien. British Gas und Lurgi haben einen Festbett-Vergaser entwickelt, der am Standort Schwarze Pumpe betrieben wird und lediglich 20 % Braunkohle als Grundlage für die Vergasung benötigt; die übrigen 80 % organisches Rohmaterial können aus Abfällen, geschreddertem Kunststoff, Teeren, Schlacken und Ähnlichem stammen. Das entstehende Syngas setzt sich aus 22 % Methan, 14 % Wasserstoff und 32 % CO neben diversen anderen Komponenten zusammen. Allerdings muss für den Prozess reiner Sauerstoff zugeführt werden.
Im Gegensatz zu diesem Reaktor können Wirbelschichtanlagen wie das Biomassekraftwerk in Güssing, Österreich, mit Luft betrieben werden. Der Wasserstoffgehalt des Gases aus dieser Anlage, die hauptsächlich mit Holzspänen und Beimischungen von Stroh und anderen pflanzlichen Reststoffen betrieben wird, liegt bei 35 bis 45 %, der Methangehalt um 10 %. Das gebildete Synthesegas wird direkt zur Stromerzeugung in einer KWK-Anlage genutzt. Alternativ kann es auch über das Fischer-Tropsch-Verfahren für die Gewinnung von flüssigen Kraftstoffen umgesetzt werden; dieser Prozess läuft derzeit aber nur im Kleinversuch. Das Konzept solcher Anlagen, die mit landwirtschaftlichen Reststoffen betrieben werden, ist dezentral, um größere Transportwege zu vermeiden.
Der kurze Überblick über die erneuerbaren Ressourcen zeigt bereits, wie viele neue Technologien derzeit parallel vorangetrieben werden – und vermutlich werden die meisten von ihnen auf lange Sicht gebraucht, um einen vernünftigen Mix der Energieträger zu gewährleisten. Für die Entwickler, Verfahrensingenieure und Anlagenbauer gibt es also viel zu tun: Armaturen, Pumpen und andere Anlagenteile müssen sich den neuen Rohstoffen anpassen, ganze Verfahren und Raffinierungswege gilt es zu überprüfen und gegebenenfalls neu zu konzipieren. Der Aufbruch in die neue Ressourcenwelt hat begonnen – Verfahrenstechnik und Anlagenbau werden auch diesen Weg ebnen.
cav 427

Achema 2009
Dechema e.V.

Achema-Sonderschau
Zukunftsorientierte Teilgebiete aus dem Umfeld der Prozessindustrie sind seit jeher Gegenstand der Achema-Sonderschau. Mit dem Thema „Chemie und Biotechnologie regenerativer Rohstoffe und Energieträger“ greift die Achema 2009 die weithin steigende Bedeutung der stofflichen und energetischen Nutzung nicht-fossiler Ressourcen auf. Neben der gesamten industriellen („weißen“) Biotechnologie wird die Sonderschau auch Bioraffinerien und Anlagen zur Herstellung von Biokraftstoffen oder Biogas umfassen sowie Biokunststoffe und -komposite. Die Fotovoltaik, solarchemische Prozesse und nicht zuletzt thermische und chemische Verfahren werden im Themenspektrum der Sonderschau ebenfalls vertreten sein.
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