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Chemikalien leasen entlastet Umwelt

Hersteller stellen ihre Produkte nicht mehr mengen- orientiert, sondern als Dienstleistung zur Verfügung
Chemikalien leasen entlastet Umwelt

Chemikalien leasen entlastet Umwelt
Dr. Klaus Günter Steinhäuser ist Leiter des Fachbereichs Chemikaliensicherheit beim Umweltbundesamt und zuständig für das Thema Chemikalienleasing
Unternehmen sollten künftig nicht mehr nur Autos und Computer leasen, sondern auch Chemikalien. Das schlägt das Umweltbundesamt (UBA) im Papier „Nachhaltige Chemie“ vor. Die Idee ist einfach: Hersteller oder Importeure verkaufen nicht die Chemikalie, sondern bieten dem Käufer die Funktion oder Dienstleistung der Chemikalie an. cav-Redakteur Dr. Bernd Rademacher sprach mit Dr. Klaus Günter Steinhäuser, Leiter des Fachbereichs Chemikaliensicherheit im Umweltbundesamt, über das Chemikalienleasing, die Vorteile und welche Probleme es dabei gibt.

cav: Herr Dr. Steinhäuser, Leasinggeschäfte kennt jeder von uns, privat wie geschäftlich. Dabei handelt es sich in der Regel um Finanzierungsmodelle. Beim Chemikalienleasing ist das etwas anders. Erklären Sie doch bitte den Unterschied.

Steinhäuser: Chemikalienleasing ist ein Beispiel für ein dienstleistungsorien- tiertes Geschäftsmodell, bei dem Hersteller und Importeure Chemikalien nicht mehr mengenorientiert, sondern für eine Dienstleistung zur Verfügung zu stellen. Der Hersteller oder Importeur tritt mit seinen Kunden in Kontakt und macht das Know-how zur Anwendung der Chemikalie zu seinem eigenen Geschäft. Hersteller oder Importeure bieten somit nicht mehr nur die Chemikalie an – etwa ein Lösemittel bei der Platinenherstellung –, sondern garantieren dem Käufer, dass das Lösemittel fachgerecht genutzt und auch sparsam dosiert wird. Am Ende nimmt der Anbieter die Chemikalienreste zurück, bereitet sie auf oder entsorgt sie umweltgerecht.
cav: Und wie erfolgt die Abrechnung zwischen den Geschäftspartnern?
Steinhäuser: Der Preis für die Dienstleistung einer Lösemittelentfettung zum Beispiel orientiert sich an der Fläche der gereinigten Oberfläche oder der Zahl gereinigter Teile und nicht mehr an der Menge des verkauften Lösemittels. Daher ist auch das Know-how eines Anbieters für eine spezielle Dienstleistung so wichtig – denn dieses wird ihm letztlich honoriert. Das finanzielle Eigeninteresse des Dienstleisters im Chemikalienleasing ist der Gewinn, der mit der sparsamen Verwendung pro Dienstleistungseinheit und nicht mehr mit der Menge an verkaufter Chemikalie steigt.
cav: Welchen Nutzen haben die Unternehmen vom Chemikalienleasing?
Steinhäuser: Es handelt sich um eine richtige Win-win-Situation. Zunächst einmal hat der Anbieter Vorteile. Er muss im Vorfeld der eigentlichen Dienstleistung weniger Rohmaterialien oder chemische Produkte erwerben, spart damit also Ressourcen und Energie. Insgesamt kann er seinen Kunden ein Dienstleistungspaket anbieten, das ihn gegenüber Wettbewerbern konkurrenzfähiger macht. Ein Vorteil ist auch die langfristige Kundenbindung, die er damit erzielt. Und der Kunde, der vorher nur die Chemikalie gekauft hat? Er spart ebenfalls Energie- und Entsorgungskosten und kann vermutlich seine Produkte insgesamt kostengünstiger herstellen als zuvor – ganz abgesehen davon, dass er die Chemikalienrisiken am Arbeitsplatz und für die Umwelt nun nicht mehr alleine trägt.
cav: Ein wichtiger Punkt ist beim Chemikalienleasing das Thema Nachhaltigkeit. Inwieweit lassen sich durch Chemikalienleasing Ressourcen schonen? Welche Auswirkungen zeigt hier das Chemikalienleasing? Kann man die Ersparnisse in Zahlen fassen?
Steinhäuser: Unternehmen, die Chemikalienleasing praktizieren, reduzieren durch einen sparsamen Verbrauch von Rohstoffen, Chemikalien und Energie nicht nur ihre Kosten, sondern leisten auch einen Beitrag zum verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen. Indem Sie die Belastungen für die Umwelt reduzieren, agieren sie im Sinne der Nachhaltigkeit. Wir haben ja in den vergangenen Jahrzehnten deutliche Fortschritte gemacht, was die Beherrschung spezifischer Chemikalienrisiken betrifft, und viele besonders gefährliche Chemikalien sind heute nicht mehr in Gebrauch. Ein wachsendes Problem sind aber die steigenden Mengen produzierter und verbrauchter Chemikalien. Das hat sich in den vergangenen 20 Jahren vervielfacht und führt zu einer Belastung von Umwelt und menschlicher Gesundheit, ganz abgesehen von einer künftigen Verknappung einiger Rohstoffe.
Für Deutschland gibt es leider keine aktuellen Zahlen für das Einsparpotenzial durch Chemikalienleasing. Eine Untersuchung des österreichischen Lebensministeriums aus dem Jahre 2002 kam jedoch zu dem Ergebnis, dass für Österreich bei vollständiger Umsetzung des Modells in allen geeigneten Bereichen 53 000 t Chemikalien jährlich eingespart werden können, samt der mit ihnen verbundenen Emissionen und Abfälle. Dies entspricht einem Drittel der Gesamtmenge eingesetzter Chemikalien in Österreich.
cav: Wie sieht es mit dem Thema Sicherheit aus? Viele Chemikalien sind nicht gerade ungefährlich. Was passiert, wenn etwas schiefgeht? Wer haftet?
Steinhäuser: Primär ist der Anbieter der Dienstleistung, also derjenige, der mit den Chemikalien hantiert, in der Verantwortung für den sicheren Umgang und den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt. Die Frage der Haftung ist aber in der Tat kompliziert und zählt zu den Hemmnissen für eine weite Verbreitung des Chemikalienleasings. Schließlich hat der Anbieter nicht alle Prozesse im Betrieb des Kunden unter Kontrolle und will auch nicht für jede Fehlleistung dort haften. Es gibt aber gute Beispiele, wo in Verträgen eine faire Verantwortungsteilung gelungen ist.
Der Sicherheitsaspekt ist jedoch noch vielschichtiger. Eine Kritik am Chemikalienleasing lautet, dass auch unerwünschte Chemikalien, die besonders gesundheits- und umweltschädlich sind, zum Einsatz kommen könnten. Damit wäre der ökologische und gesundheitliche Nutzen des Geschäftsmodells zumindest eingeschränkt, wenn nicht sogar auf den Kopf gestellt. Um Effekten in dieser Richtung entgegenzuwirken, erarbeitet das Umweltbundesamt derzeit zusammen mit Experten aus Wissenschaft und Unternehmen Qualitätskriterien für nachhaltiges Chemikalienleasing. Das Ziel muss sein, das Modell so fortzuentwickeln, dass es nicht nur zu einer quantitativen Reduktion der Chemikalienrisiken führt, sondern auch Anreize zur Substitution besonders gefährlicher Stoffe gegeben werden.
cav: Die Beziehung der Geschäftspartner ist also nicht unproblematisch. Worauf kommt es an, damit Chemikalienleasing Erfolg hat?
Steinhäuser: Grundlage ist sicherlich ein gut ausgearbeitetes Vertragswerk in Bezug auf Haftung, Überschreiten von Mengenkorridoren und Zuordnung von Verantwortung. Aus Sicht der Nachhaltigkeit ist es wichtig, eine Verständigung auf gemeinsame, anspruchsvolle Qualitätskriterien für Umweltschutz und menschliche Gesundheit sowie zu deutlichen Einsparpotenzialen zu erzielen. Die Partner sollten die Verbesserungen, die sie anstreben, auch anhand von Indikatoren messen und dokumentieren. Darauf aufbauend sollten die Partner kontinuierlich an der Verbesserung der Anwendung arbeiten. Werden diese Punkte beachtet, wird Chemikalienleasing zu einem Erfolg für die Unternehmen und die Umwelt.
Ein erhebliches Problem ist aber in der Tat die Frage, wer hier welches Know-how preisgibt. Sowohl der Anbieter als auch der Chemikalienanwender müssen hier zur Überzeugung kommen, dass eine Blockadehaltung nicht weiterhilft, sondern den Abschluss fairer Vereinbarungen verhindert. Dies gelingt aber nur, wenn die Partner auch bereit sind, eine längerfristige Bindung miteinander einzugehen. Langfristige Bindungen an Kunden oder Lieferanten haben ihre Vorteile, schaffen aber auch Abhängigkeiten und bergen damit Risiken, die insbesondere manche Anwender nicht eingehen wollen.
cav: Für welche Branchen eignet sich Chemikalienleasing überhaupt?
Steinhäuser: Chemikalienleasing ist nicht an bestimmte Branchen gebunden, die Chemikalien verwenden. Grundsätzlich ist es immer dann möglich, dieses Geschäftsmodell zu etablieren, wenn Prozesse optimiert werden sollen, bei denen die Chemikalien nicht reaktiv verbraucht, sondern prinzipiell zurückgewonnen werden können. Bei einer Synthese oder bei der Herstellung einer Zubereitung nach vorgegebenen Rezepturen bietet Chemikalienleasing seltener Vorteile. Es ist immer dann besonders vorteilhaft, wenn Anwendungen von Chemikalien bei nicht optimierten Prozessen erfolgen und die Hersteller über anwendungsbedingtes Know-how verfügen. Chemikalienleasing muss aber nicht ein bilaterales Geschäft sein. Es kann Vorteile bieten, einen Apparatehersteller oder einen Entsorger mit ins Boot zu holen.
cav: Gibt es konkrete Beispiele, wo das Chemikalienleasing bereits funktioniert?
Steinhäuser: Ja, etliche. Bisher kennen wir vor allem Pilotprojekte in Österreich und einige auch in Deutschland. Die UNIDO initiierte zudem in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Lebensministerium in Mexiko, Ägypten und Russland weitere Projekte, um Chemikalienleasing in Schwellenländern zu erproben und zu fördern, was auch gelang.
Erfolgreiche Beispiele kennen wir aus der Metallbearbeitung beim Reinigen, Entfetten und Beizen von Oberflächen oder auch Kühlen und Schmieren. Andere Applikationen existieren in der Katalyse bei chemischen Synthesen sowie bei der Wasseraufbereitung.
cav: Die Idee des Chemikalienleasings weicht doch sehr stark von den heutigen Vertriebsstrukturen ab. Hat Chemikalienleasing überhaupt eine Chance, ein weit verbreitetes Geschäftsmodell zu werden? Oder wird es bei Einzelfällen bleiben?
Steinhäuser: Tatsächlich wissen wir, dass Chemikalienleasing und vergleichbare Geschäftsmodelle wie Chemical Management Services, Pay-on-Production oder das Cost-per-Unit-Business-Modell von vielen Unternehmen bereits angewandt werden, ohne dies öffentlich zu machen, da man den Wissensvorsprung, den man sich erarbeitet hat, nicht so einfach preisgeben will. Es ist deshalb zu bezweifeln, ob es sich wirklich nur um exotische Einzelfälle handelt. Zweifellos gibt es aber nicht nur in den Entwicklungs- und Schwellenländern große Potenziale und auch ein merkliches Interesse an Pilotprojekten, sondern auch bei uns in den Industrieländern.
Die Durchführung und Verbreitung ist nicht nur von den technischen Möglichkeiten abhängig. Wie bei allen innovativen Ideen ist auch hier der Mut der Unternehmen gefragt, dieses neue Konzept mit Leben zu füllen. Der Staat kann hier nichts vorschreiben, allenfalls Rahmenbedingungen schaffen. Hierzu zählt auch das neue europäische Chemikalienmanagement REACH, das einen gesteigerten Informationsfluss in der Wertschöpfungskette zur Folge haben wird. Dies wird auch das Interesse am Chemikalienleasing erhöhen.
cav: Vielen Dank für das Gespräch.
Online-Info www.cav.de/1009411
„Wie bei allen innovativen Ideen ist auch beim Chemikalienleasing der Mut der Unternehmen gefragt, dieses neue Konzept mit Leben zu füllen.“
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