cav: Inwieweit werden modulare Klein- anlagen bereits von Evonik genutzt?
Grütering: Modulare Kompaktanlagen, in denen Forschung und Entwicklung betrieben wird oder im kleinen Rahmen produziert werden kann, sind bereits im Konzern erprobt und in Verwendung. Am Standort Marl wurden zum Beispiel schon diverse Pilotanlagen modular gebaut und betrieben. Auf Basis der so gewonnenen Erfahrungen bauen wir dort zurzeit ein bestehendes Technikum für die Nutzung von modularen Anlagen um, gleiches soll demnächst am Standort Hanau geplant werden.
cav: Was sind die größten Herausforderungen auf dem Weg zur modularen Bauweise?
Stenger: In der chemischen Industrie ist ganz klar ein Umdenken erforderlich. Die Grundlagen für die Prozessgestaltung werden in der Regel bereits im Labor auf der Basis von Batch-Versuchen festgelegt, die den meisten Kollegen aus der Forschung und Entwicklung vertraut sind. Der modulare Ansatz mit kontinuierlicher Produktionsweise ist noch zu wenig im Bewusstsein verankert – wir konkurrieren damit quasi gegen einhundert Jahre Chemie. Dennoch denke ich, dass wir den Schalter umlegen werden und in zehn oder zwanzig Jahren neue Produkte vielfach in modular aufgebauten, kontinuierlich betriebenen Anlagen herstellen werden. Denn die Vorteile der Modularisierung werden perspektivisch überzeugen.
cav: In welche Richtung werden sich modulare Lösungen Ihrer Meinung nach entwickeln?
Grütering: Der Modularisierung gehört die Zukunft. Sie können einen Vergleich mit der Entwicklung bei der Computertechnik anstellen. Auch wir in der chemischen Industrie gehen von fest verbauten Bestandteilen hin zu einer komfortableren Plug&Play-Lösung. Vernetzung wird dabei immer wichtiger, und das auf verschiedenen Ebenen: Zum einen müssen mehr Fachbereiche Hand in Hand und zum Teil parallel arbeiten. Wir sprechen von „vernetzter Funktionalität“. Unser Ziel ist die Einrichtung eines Kompetenzcenters, in dem Experten der Verfahrenstechnik, der Elektro-, Mess- und Regeltechnik, der Werkstofftechnik und anderer Bereiche auch örtlich zusammenarbeiten, um die Module zu planen und zu montieren bzw. zu demontieren.
Stenger: Darüber hinaus müssen sich auch die hinter den Anlagen liegenden Systeme weiter vernetzen. Ich denke dabei beispielsweise an Leitsysteme, die die angedockten Module und ihren Aufbau eigenständig erkennen und sich auf dieser Basis selbst konfigurieren – das soll unser Beitrag zu Industrie 4.0 sein. Auch die vor- und nachgelagerten Logistikprozesse zum Einspeisen und Entnehmen von Stoffen werden zukünftig auf modularen Prozessen basieren.
Grütering: Insgesamt sollten wir konsequent weitermachen und über die nächst höhere Ebene der Modularisierung nachdenken. Das wäre eine passende Gebäudestruktur, die bereits darauf ausgerichtet ist, modulare Kleinanlagen flexibel aufzunehmen und nur noch die zwingend nötige Infrastruktur bereitstellt. Sie sehen, wir haben zwar wichtige Schritte auf dem Weg zur Modularisierung erreicht, aber wir sind noch lange nicht am Ende der Reise angekommen.
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