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Im Zeichen der Drachen und Tiger

Chemiehandel mit Asien
Im Zeichen der Drachen und Tiger

Gemessen an der Zahl der Einwohner ist Asien der größte Kontinent der Erde: Die Weltbevölkerung lag im Jahr 1996 bei etwa 5,8 Milliarden Menschen. Davon lebten mit 3,5 Milliarden fast 61 Prozent in Asien. Dies läßt erahnen, welch riesige Nachfrage bei zunehmender ökonomischer Entwicklung in Asien zu erwarten ist.

Dr. Martina Ludwig

Nach Schätzungen der Vereinten Nationen wird die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2010 auf 7 Milliarden Menschen ansteigen. 50 Prozent dieses Wachstums werden in Süd- und Südostasien, überwiegend in China und Indien, anfallen.
In Asien entsteht ein riesiger Markt – auch für chemische Erzeugnisse. Hierzu gehören in erster Linie petrochemische Erzeugnisse, die für eine Vielzahl von Ge- und Verbrauchsgütern aus der Chemie und aus anderen Branchen benötigt werden. Der Agrochemie kommt wegen der Bedeutung einer produktiven asiatischen Landwirtschaft eine besondere Rolle zu. Darüber hinaus ist in den letzten Jahren in den Ballungszentren auch der ärmeren asiatischen Staaten eine kaufkräftige Mittelschicht entstanden, die zunehmend langlebige Konsumgüter wie Möbel, Fernsehgeräte oder Kraftfahrzeuge und Bauleistungen sowie höherwertige Güter des täglichen Bedarfs wie Kosmetika, Markenbekleidung und Pharmazeutika nachfragt. Die Chemie kann also nicht nur mit einer steigenden Nachfrage der endverbrauchernahen Produktgruppen, sondern auch mit einem großen Bedarf an Massenkunststoffen wie Polyethylen oder PVC sowie deren Vorprodukte rechnen. Dies macht Asien für die deutsche chemische Industrie zu einem attraktiven Produktionsstandort.
Absatzmärkte sichern
Neben dem hohen Wachstum Asiens spielt bei den Investitionsentscheidungen der deutschen chemischen Industrie ein weiteres Motiv eine Rolle: die Sicherung der Absatzmärkte. Der Verbrauch an Chemieerzeugnissen ist in den letzten Jahren in Asien schneller gewachsen, als dort entsprechende Produktionskapazitäten geschaffen werden konnten. Dies gab den traditionellen Chemieproduzenten die Möglichkeit, ihre Produkte in steigendem Umfang nach Asien zu exportieren.
Die deutschen Chemieunternehmen spielen im Chemiehandel mit Asien (ohne Japan) eine wichtige Rolle: Sie steuern rund 28 Prozent zu den Chemieexporten der EU nach Asien bei und nehmen knapp 33 Prozent der EU-Chemieimporte in Anspruch. Knapp 10 Prozent der gesamten deutschen Chemieexporte gehen nach Asien (ohne Japan). Die vier Tigerstaaten sind in der Summe mittlerweile für Deutschland als Abnehmer genauso wichtig wie beispielsweise Spanien, Österreich oder Japan.
Der deutsch-asiatische Chemiehandel weist für die gesamte Region einen deutlichen Exportüberschuß auf. Dies gilt jedoch nicht für den Handel mit China: Während die Einfuhren aus China innerhalb von 10 Jahren (1986-1996) um 172 Prozent gestiegen sind, sind die Ausfuhren im selben Zeitraum nur um 34 Prozent gestiegen. Schon seit 1989 ist die Chemie-Handelsbilanz mit China deshalb defizitär.
Aus Asien kommen keineswegs nur Massenprodukte und Standardchemikalien, wie häufig unterstellt wird. Einen wesentlichen Anteil der Chemieexporte Asiens machen
• organische Zwischenprodukte,
• Pharmachemikalien,
• Farbstoffe,
• Vitamine und
• industrielle Öle aus.
Die wichtigsten asiatischen Lieferanten von Chemieerzeugnissen nach Deutschland waren nach Japan China, Indien und Südkorea. Imposant sind nicht nur Volumen und Struktur des gegenwärtigen Chemiehandels mit Asien, sondern vor allem die Dynamik, mit der sich der Warentransfer in der Vergangenheit entwickelt hat: Von 1986 bis 1996 nahmen die Importe aus Asien um fast 129 Prozent zu, die Ausfuhren in diese Region um knapp 78 Prozent.
Asiaten erobern Marktanteile
Die Experten gehen davon aus, daß der Marktanteil asiatischer Anbieter auf dem westeuropäischen Chemiemarkt von heute 3 auf etwa 6 Prozent im Jahr 2000 ansteigen wird. Der Anteil Süd-, Ost- und Südostasiens am Welt-Fasermarkt soll bis zum Jahr 2010 etwa 56 Prozent betragen. Die Kunststoffproduktion in Asien soll voraussichtlich um rund 8 Prozent pro Jahr wachsen.
Der neue Fünfjahresplan Chinas sieht einen Ausbau der Ethylenkapazitäten um drei Cracker vor. Die Kapazität wird dann von derzeit 2,4 Millionen Tonnen auf 4 bis 5 Millionen Tonnen steigen. Abhängig davon soll sich die Kunststoffproduktion von 4,5 Millionen Tonnen auf 7 Millionen Tonnen erhöhen. China könnte damit eine ähnliche Strategie wie Taiwan oder Korea verfolgen, wo in kürzester Zeit Kapazitäten errichtet worden sind, die deutlich über den eigenen Bedarf hinausreichen.
In Singapur, Malaysia, Indonesien und Thailand gehen in den nächsten vier Jahren insgesamt 12 Cracker in Betrieb. Hierdurch steigt die Ethylenkapazität dieser vier Länder auf insgesamt 8 Millionen Tonnen pro Jahr.
Die neue Herausforderung
Diese Entwicklung stellt eine neue Herausforderung für die westlichen Chemiekonzerne dar. Sie bedeutet nicht nur zähes Ringen um Anteile auf dem expandierenden asiatischen Markt, sondern auch neue Konkurrenz für das angestammte Geschäft in Westeuropa und Nordamerika.
In Insider-Kreisen geht man davon aus, daß sich spätestens bis zum Ende des kommenden Jahrzehnts die weltweiten Crackerkapazitäten jeweils zur Hälfte auf die westliche und auf die östliche Hemisphäre verteilen. Aufgrund ihrer modernen Ausstattung, der zum Teil günstigeren Rohstoffversorgung und niedrigerer Betriebskosten sind dann die asiatischen Anlagen voraussichtlich deutlich kostengünstiger und damit konkurrenzfähiger als die relativ alten Cracker in den westlichen Industriestaaten. Solange der asiatische Markt expandiert, werden diese lokalen Kapazitäten weitgehend von Asien absorbiert.
Verringerung der Risiken im Handel
Deshalb hat sich die deutsche Chemie in den letzten Jahren strategisch neu orientiert: Die Marschroute lautet, die asiatische Konkurrenz vor Ort herauszufordern und ihre Marktmacht hierdurch in Schach zu halten. Da der Kapazitätsausbau in Asien unvermeidlich ist, beteiligt sie sich daran.
Mit Produktionsstätten vor Ort kann ein weiteres Problem gelöst werden, das mit der starken Marktstellung Chinas zusammenhängt. China ist einer der wichtigsten Verarbeiter von Kunststoffen. Durch seinen enormen Petrochemiebedarf, den China zu 40 Prozent mit Einfuhren aus der Region und der Triade deckt, besitzt China erheblichen Einfluß auf die Petrochemiemärkte.
Eigene Produktionsstätten in Asien haben auch noch einen weiteren wichtigen Effekt: Sie dienen als Katalysatoren für den Export. Schätzungen haben ergeben, daß über zwei Drittel der US-Chemieexporte an ausländische Töchter von US-Firmen gehen. Ohne Produktionsstätten vor Ort wären deshalb wahrscheinlich auch die deutschen Chemieexporte nach Asien wesentlich niedriger.
Attraktiv für ausländisches Kapital
Eine Befragung der in Asien tätigen deutschen Unternehmen durch den DIHT hat ergeben, daß die Gesamtkosten am asiatischen Standort bei etwa 70 Prozent der deutschen Kosten liegen.
Nach einer Schätzung der UN flossen 1994 mit 59,1 Milliarden Mark gut ein Viertel der weltweit getätigten ausländischen Direktinvestitionen (ADI) in die süd-, ost- und südostasiatischen Länder. Unter den Entwicklungs- und Schwellenländern ist die asiatische Region damit eindeutig am attraktivsten. Im weltweiten Vergleich nahm China den zweiten Platz in der Hitliste der attraktivsten Standorte für zufließendes Auslandskapital ein, mehr wurde 1994 nur in den USA investiert.
Die Region Asien konnte in den letzten Jahren auch bei den Beständen an ADI überdurchschnittlich zulegen. Der Anteil Asiens (ohne Japan) stieg von 10,2 Prozent in 1990 auf 14,7 Prozent in 1994.
Für die chemische Industrie ist die Globalisierung ihrer Aktivitäten keineswegs neu. Sie war schon immer stärker als andere Branchen der Industrie durch ausländische Produktionsstätten vor Ort vertreten. 1995 lag das Verhältnis von Umsatz aus ausländischer zu Umsatz aus inländischer Produktion in der deutschen Chemie bei 1:2. Mit einem Bestand an ausländischen Direktinvestitionen von 57 Milliarden Mark stammte 1995 rund ein Drittel aller ADI der deutschen Industrie (ohne Dienstleistungen) aus der Chemie. In Asien inklusive China hielt die chemische Industrie Produktionsanlagen im Wert von rund 2,2 Milliarden Mark. Darin sind noch nicht die Direktinvestitionen in Japan enthalten.
Resümee
Die Frage, wie sich der Chemiehandel mit Asien in Zukunft gestalten wird, ist schwer zu beantworten. Ungeachtet der kurzfristigen Unsicherheit werden die langfristigen Aussichten für das Wachstum in Asien von den deutschen Chemieunternehmen nach wie vor positiv eingeschätzt. Die Unternehmen rechnen mit einem gedämpften Wachstum, aber nicht mit einer Abkehr von einem marktwirtschaftlich geprägten Entwicklungspfad in den Krisenländern. Die deutsche Chemie wird ihre Investitionsvorhaben aufgrund der langfristigen Wachstumsaussichten in Asien vorerst nicht revidieren. Insgesamt dürfte die Bedeutung von Investitionen im südostasiatischen Raum im Standortportfolio der großen Chemieunternehmen in den kommenden Jahren sogar merklich zunehmen.
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