An den Themen Effizienzsteigerung und Lean Production kommt heute kein Unternehmen mehr vorbei. Doch während die Automobilindustrie als Vorreiter den größten Teil ihrer Hausaufgaben bereits erledigt hat und auch die chemische Industrie in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte erzielen konnte, liegen die Potenziale in der Pharmaindustrie vielfach noch brach. Zu diesem Ergebnis kommt die internationale Benchmark-Studie „Operative Exzellenz in der pharmazeutischen Industrie“, die gemeinsam von der APV Arbeitsgemeinschaft für Pharmazeutische Verfahrenstechnik e.V., der Universität St. Gallen und der IFAP AG vorgestellt wurde.
Dass die Pharmaindustrie in Sachen Lean Production der Automobilindustrie um rund 15 Jahre hinterherhinkt, wundert Dr. Frank Stieneker, Geschäftsführer der APV Arbeitsgemeinschaft für Pharmazeutische Verfahrenstechnik e.V., kaum. „Die pharmazeutische Industrie ist extrem reglementiert, jeder Schrift ist dokumentationspflichtig, und die kleinste Abweichung von einer vorgegebenen Spezifikation gefährdet die Freigabe eines Präparats“, bringt er das Problem auf den Punkt. Änderungen eines Produktionsprozesses können zur Wiederholung von Teilen der klinischen Prüfung oder zum Widerruf der Zulassung des Arzneimittels führen. Themen wie „Effizienzsteigerung bei den operativen Prozessen“, angefangen von der Beschaffung über die Produktion bis hin zum Vertrieb, standen bei der durch hohe Margen verwöhnten Branche bisher außen vor. Mittlerweile ist der Wind aber deutlich rauer geworden: Steigende Forschungsausgaben, wachsende Risiken durch preiswerte Generika und sich ändernde Vorlieben der Kunden drücken inzwischen immer stärker auf die Margen.
Als Ausweg bietet sich eine Senkung der Produktionskosten an, die sich der Benchmark-Studie zufolge bei einem forschenden Arzneimittelhersteller auf 31 Prozent und bei einem Lohnhersteller sogar auf 63 Prozent der Gesamtkosten belaufen. Stieneker: „Der gesamte Produktionsprozess bietet eine Reihe von Optimierungspotenzialen, ohne beim Qualitätsanspruch Abschläge machen zu müssen.“ Um dieses Ziel zu erreichen, sollten die Produktionsprozesse laut Stieneker unter anderem künftig so gesteuert und so stabil angelegt sein, dass zwangsläufig Qualität produziert werde und der Prüfaufwand am Ende reduziert werden könne. Hierzu sei es erforderlich, ein intelligentes Produktionssystem zur Erhöhung der Effizienz zu etablieren. „Die Produktivitätsverbesserung in der Pharmaindustrie birgt ein Milliardenpotenzial“, ist sich Stieneker ganz sicher.
Auch die für die Branche typischen Lagerbestände zehren an den Margen: Um Liefersicherheit bieten zu können, produzieren die Pharmahersteller bisher auf Vorrat. Lagerbestände von über 100 Tagen – oftmals sogar bis zu einem Jahresbedarf – sind die Folge. Die dadurch gebundenen Kapitalsummen seien ebenfalls gewaltig, kalkuliert Stieneker. Die Zeit, so Stieneker weiter, sei reif für einen zweifachen Paradigmenwechsel. Zum einen müsse sich die Branche von der Prüfkultur weg zu einer Produktionskultur bewegen. Zum anderen sei es erforderlich, die klassische „schiebende Produktion“, bei der auf Vorrat produziert werde, durch eine auftragsbezogene „ziehende Produktion“ zu ersetzen.
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