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Renaissance der Bastarde

Pflanzenzucht
Renaissance der Bastarde

Renaissance der Bastarde
Um besonders starke und ertragreiche Pflanzen zu generieren, kreuzen Wissenschaftler durch Inzucht degenerierte Pflanzen. Bild: Universität Hohenheim
Riesige Maiskolben reifen auf dem Versuchsfeld der Universität Hohenheim. Albrecht Melchinger, Professor für angewandte Genetik und Pflanzenzüchtung an der Universität Hohenheim, geht durch die Reihen und überprüft seine basketballkorbhoch emporstrebenden Maisstauden. „Woran wir hier arbeiten, könnte in naher Zukunft helfen, den Welthunger zu lindern“, begeistert sich der Wissenschaftler. Ertragssteigerungen um 30 bis 70 Prozent, und das ohne Gentechnik, hält Melchinger bei vielen Kulturpflanzen für möglich. Das Zauberwort heißt Heterosis: Es ist ein natürlicher Effekt, der Hybridpflanzen größer und widerstandsfähiger werden lässt.

Wie funktioniert das? Die Hybridzüchter verwenden Zuchtsorten („Linien“), die sie über Generationen hinweg nur mit sich selbst bestäuben. Aus mindestens zwei Ausgangspopulationen, die auch als „Genpools“ bezeichnet werden, entwickeln die Züchter homozygote Inzuchtlinien. Normalerweise besitzt ein diploider Organismus von jedem Gen, das eine bestimmte Eigenschaft kodiert – etwa Hautfarbe oder Blutgruppe –, zwei Kopien. Beschreiben beide Exemplare eines Gens dieselbe Eigenschaft, spricht man von Reinerbigkeit oder eben Homozygotie. Das Ergebnis sind Pflanzen, die durch Inzucht degeneriert sind. Sie sind schwachwüchsig und die Erträge sind schlecht. Kreuzt man jedoch zwei solcher Inzucht-Linien, geschieht etwas Erstaunliches: Es entsteht ein Hybrid, dessen Saatgut mindestens 25 Prozent mehr Ertrag liefert. Dieser Effekt beruht auf der „Heterosis“. So bezeichnet man das Phänomen, wenn zwei degenerierte Eltern in Mischehe besonders kräftige Nachkommen (Bastarde) hervorbringen. Wie das möglich ist, können die Wissenschaftler noch nicht genau erklären. Was Züchter jedoch nicht daran hindert, das Phänomen zu nutzen. Wissenschaftler vom Cold Spring Harbor Laboratory im Staat New York und von der Hebrew University in Jerusalem züchteten leistungsfähige Tomatenstöcke, indem sie den Heterosis-Effekt nutzten: Sie kreuzten Mutanten mit Wachstumsstörungen (die Züchter normalerweise auf den Müll werfen) gezielt mit normalen Tomaten und sortierten unter den Mischlingen die kräftigsten aus. Die neuen Turbo-Tomaten bilden mehr Blüten und Früchte – und sie gedeihen im heiß-kalten New York genauso prächtig wie im klimatisch milden Israel.
„Eine Zeitlang gab es die Theorie, dass einzelne Heterosis-Gene existieren“, sagt Melchinger. Dieser Ansatz habe sich jedoch als Sackgasse herausgestellt. „Heute wissen wir, dass eine Vielzahl von Genen beteiligt ist.“ Das Ganze beruhe auf dem Zusammenspiel komplexer Gen-Netzwerke, über die man bisher nur sehr wenig weiß. Der Genetiker vergleicht das Zusammenspiel der Gene mit einem Konzert: „Angenommen, Sie haben ein Orchester mit 100 Musikern. Was Sie als Orchester wahrnehmen, ist etwas anderes als das, was Sie vom einzelnen Musiker hören.“ Das Wissen um die Heterosis ist keineswegs neu: Die ersten Mais-Hybriden kamen bereits 1928 in den USA auf den Markt. Einige Jahre darauf folgte eine Dürreperiode, in der die Hybriden erstmals bewiesen, dass sie gewöhnlichem Saatgut überlegen sind.
Weshalb feiert die Hybridzucht dann knapp 90 Jahre später ihr großes Revival? „Der Fortschritt in der Genomforschung hat es möglich gemacht“, ist Melchinger überzeugt. Zwar gehe der Löwenanteil der Gelder in die Erforschung der DNA des Menschen, aber dessen Erbgut unterscheide sich nicht grundsätzlich von dem der Pflanzen. So geben neue Marker, Gen-Chips und Computermodelle den Pflanzenzüchtern heute hilfreiche Werkzeuge an die Hand. Denn ein positiver Heterosis-Effekt stellt sich nicht automatisch ein. „Zur Entwicklung neuer Hybriden schaffen Saatzuchtfirmen für jede Elternseite jeweils 10 000 Inzucht-Linien“, sagt Melchinger. Rechnerisch wären 100 Millionen unterschiedliche Hybriden vorstellbar. Doch von denen kann natürlich nur ein Bruchteil angebaut und getestet werden. „Aufgrund von Genom-Analysen können wir schon anhand des Erbguts der Elternlinien die Hybriden mit den besten Eigenschaften aussortieren und gezielt vermehren“, berichtet der Forscher. Für die Zukunft ist er überaus optimistisch: „Finanziell sind wir bald in der Lage, das Erbgut der Inzucht-Linien zu entschlüsseln und alle 100 Millionen Hybriden vorherzusagen.“ Dominik Rösch und Judith Rauch
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