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Erdgasinfrastruktur weist Leistungslücke von 25 % in Europa und 30 % in Deutschland aus

Erdgasinfrastruktur weist Leistungslücke aus
Erdgasnetz nicht fit für Versorgung ohne russisches Gas

Erdgasnetz nicht fit für Versorgung ohne russisches Gas
Wenn über die östlichen Pipelines kein russisches Erdgas mehr geliefert wird, weist die heutige Erdgasinfrastruktur eine Leistungslücke von etwa 25 % in Europa und etwa 30 % in Deutschland aus.
Bild: Victoria/stock.adobe.com
Entfallen die russischen Erdgasimporte in den nächsten Monaten, könnte das Gasnetz im kommenden Winter in Europa nur 75 % des Bedarfes decken, der im letzten Winter geherrscht hat . Das Defizit ist infrastrukturell bedingt: Selbst bei ausreichender Verfügbarkeit von Erdgas fehlen LNG-Terminals und Pipelines, um das Gas in Europa anzulanden und zu verteilen.

Dies ist das Ergebnis eines Gutachtens von Fraunhofer IEG, Fraunhofer Scai und TU Berlin im Auftrag des Projekts „Energiesysteme der Zukunft“ (Esys) von Acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften.

„Die infrastrukturell bedingte Versorgungslücke kann bis 2025 geschlossen werden, wenn der Erdgasverbrauch europaweit um 20 % sinkt und gleichzeitig die Infrastruktur ausgebaut wird“, blickt Mario Ragwitz, Leiter des Fraunhofer IEG, in die Zukunft. „Doch kurzfristig sind massive Anstrengungen zur Senkung des Erdgasbedarfs notwendig.“

Das Gutachten „Europäische Gasversorgungssicherheit aus technischer und wirtschaftlicher Perspektive vor dem Hintergrund unterbrochener Versorgung aus Russland“ von Fraunhofer IEG, Fraunhofer Scai und TU Berlin analysiert mit strömungsmechanischen Modellrechnungen, inwieweit der Erdgasbedarf in Europa mit den vorhandenen Infrastrukturen gedeckt werden kann und wie sich Infrastrukturmaßnahmen auf die Versorgungssicherheit auswirken können.

Für Zeiträume mit Hochlast – also etwa dem durchschnittlichen Verbrauch während einer typischen zweiwöchigen Kälteperiode – weist die heutige Erdgasinfrastruktur eine Leistungslücke von etwa 25 % in Europa und etwa 30 % in Deutschland aus (bezogen auf den Verbrauch im Jahr 2021), wenn über die östlichen Pipelines kein russisches Erdgas mehr geliefert wird.

Europa im Winter 2025: Das vereinfachte Topologiemodell stellt die Erdgasflüsse zwischen Regionen dar
Europa im Winter 2025: Das vereinfachte Topologiemodell stellt die Erdgasflüsse zwischen Regionen dar. Im Bild sind die Umbaumaßnahmen der Netzinfrastruktur und Einsparungen bereits berücksichtigt. Die strömungsmechanische Modellierung der Gasflüsse erfolgte mit der Scai-Software Mynts.
Bild: Fraunhofer Scai

Die Leistungslücke besteht selbst bei einer vollständigen Befüllung der Erdgasspeicher und ist durch die Infrastruktur des Netzes bedingt. Über die vorhandenen Terminals und Leitungen lässt sich nicht genügend Gas verteilen, selbst wenn ausreichende Mengen an Erdgas aus anderen Quellen für den europäischen Markt zur Verfügung stünden.

Es fehlen mittelfristig leistungsfähige Pipelines für den Import und LNG-Terminals, um größere Erdgasmengen aufnehmen zu können. Die infrastrukturell bedingte Versorgungslücke bezogen auf die Jahresmenge von Erdgas wird etwas kleiner sein, aber in einer ähnlichen Größenordnung liegen. Dies bedeutet, dass auch über das Jahr gerechnet nicht genügend Erdgas in Europa angelandet und verteilt werden kann, wenn der Verbrauch nicht reduziert wird.

Das Netz fit machen

Der Bau von LNG-Terminals kann wesentlich dazu beitragen, die Versorgungssicherheit in Deutschland und Europa zu gewährleisten. LNG-Terminals an der Nordsee konkurrieren jedoch mit dem norwegischen Pipeline-Gas um Netzkapazitäten und tragen zu einer hohen Netzauslastung bei.

Da das Gasnetz in Nordostdeutschland wesentlich weniger ausgelastet ist und hier bei Lieferstopp kein russisches Gas mehr eingespeist würde, empfehlen sich aus infrastruktureller Sicht Standorte an der Ostsee für den Aufbau von LNG-Terminals.

Eine weitere Herausforderung ist, dass das Pipelinenetz nicht linear bzw. symmetrisch in Ost-West-Richtung verläuft. Röhren mit großem Durchmesser liegen im Osten und nach Westen verzweigt das Netz sich wie ein Adersystem. In einem solchen Netz ist Flussumkehr nicht so leicht möglich, denn es gibt nur eine begrenzte Zahl von Einspeisepunkten mit technisch limitierter Kapazität. Die Modelle zeigen, wo bei Flussumkehr regional hohe Netzbelastung auftritt, etwa zwischen Italien und Österreich oder Deutschland und den Niederlanden.

Hier würde der Ausbau der Infrastruktur am meisten helfen, die Versorgungssicherheit zu erhöhen. Mit hoher Priorität sollte zudem der Umbau von Verdichterstationen entlang der Pipelines erfolgen, um den Gasfluss in die umgekehrte Richtung, also von Ost nach West, flächendeckend zu ermöglichen (Reverse Flow). Selbst wenn diese Maßnahmen umgesetzt werden, sind erhebliche Einsparungen unumgänglich, um alle europäischen Länder zu versorgen.

Langfristig bis 2025 sind zwei Effekte zu erwarten, die die Leistungslücke schließen können: Zum einen lässt sich durch einen Ausbau der Erdgasinfrastruktur mehr Erdgas transportieren. Zum anderen ist aufgrund der Transformation des Energiesystems ein klimaschutzbedingter Rückgang des Erdgasbedarfs zu erwarten. Der bereits geplante Ausbau der Infrastrukturen bis zum Jahr 2025 könnte die Leistungslücke in Hochlastzeiträumen in Europa auf 20 % reduzieren.

Parallel erwarten die europäischen Übertragungsnetzbetreiber, dass der Erdgasverbrauch in Europa bis 2025 um 20 % sinkt, wenn die ambitionierten Klimaschutzmaßnahmen wie ein starker Ausbau der Erneuerbaren, ein breiter Einsatz elektrifizierter und effizienter Anwendungstechnologien sowie ein starker Ausbau der Stromnetze wie geplant umgesetzt werden.

Methodik

Das Gutachten hat die Auswirkungen eines kompletten Stopps der Erdgaslieferungen aus Russland für Deutschland und Europa simuliert. Ausgangspunkt der Analyse ist ein Transportmodell zur Leistungsbilanzierung der Flüsse zwischen den einzelnen Ländern. Die maximalen Kapazitäten an der Schnittstelle werden dabei als Nebenbedingungen vorgegeben, ebenso wie die Obergrenzen für die Erdgasförderung sowie die LNG- und Pipeline-Importe der einzelnen Länder einschließlich der erwarteten Produktionsmengen.

Zur Berechnung der Gasströme im darauf aufbauenden Flussmodell kam die bei Fraunhofer Scai entwickelte Simulationssoftware Mynts (Multiphysical Network Simulator) zum Einsatz. Mit dem von zahlreichen Netzbetreibern eingesetzten Programm lassen sich Betrieb und Planung komplexer Netze für Gas, Strom und Wasser analysieren und optimieren.

Akademienprojekt Esys

Parallel zum Gutachten von Fraunhofer IEG, Fraunhofer Scai und TU Berlin wurde auch das Gutachten „Szenarien für die Entwicklungen von Commodity-Preisen“ durch das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln (EWI) durchgeführt. Es untersucht u. a. mithilfe globaler Gas- und europäischer Strommarktmodelle mehrere Szenarien für die möglichen Preisentwicklungen von Kohle, Erdöl, Erdgas und Strom für die Jahre 2026 und 2030.

Beide Gutachten wurde im Auftrag des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“ (Esys) angefertigt und dienen als Basis für einen Esys-Impuls, der die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf die Energiepreise und die Versorgungssicherheit diskutiert. Der Impuls ist hier abrufbar. (bec)

Download Gutachten „Europäische Gasversorgungssicherheit aus technischer und wirtschaftlicher Perspektive vor dem Hintergrund unterbrochener Versorgung aus Russland“

Fraunhofer-Gesellschaft
Achema 2022: Halle 6.0, Stand A52

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