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Feintuning an Dichtungen

Perfektes Design mithilfe von Nanofüllstoffen
Feintuning an Dichtungen

Ein großer Teil der chemischen und pharmazeutischen Fertigung läuft heute in prozessspezifischen Sonderanlagen ab. Für den Umgang mit immer aggressiveren Substanzen haben Chemiker und Anlagenbauer jetzt weiteres Rüstzeug hinzubekommen: Mithilfe der Nanotechnologie lassen sich individuelle Dichtungswerkstoffe herstellen, wobei die physikalischen Eigenschaften und die chemische Beständigkeit nach Bedarf eingestellt werden können.

David Holt

Die Wahl einer Dichtung beginnt mit der Erfüllung der Anforderungen an die Chemikalienbeständigkeit und die Betriebstemperatur des Prozesses. Dabei muss man sich vor Augen halten, dass Synthesekautschuke im Allgemeinen aus einem organischen Polymer und anorganischen, verstärkenden Füllstoffsystemen bestehen. Auch bei ähnlicher Polymerkette, die viele der physikalischen Eigenschaften bestimmt (Bild 1), können erhebliche Unterschiede in der Vernetzung und den Füllstoffsystemen vorhanden sein, wodurch sich viele Unterschiede in den Eigenschaften und damit der Dichtwirkung erzielen lassen.
Durch Änderungen am Füllstoffsystem können die physikalischen Charakteristika eines bestimmten Kautschuktyps im Vergleich zu anderen Vertretern desselben Typs optimiert werden. Der Verstärkungseffekt eines Füllstoffs ist komplex und hängt von seiner Struktur, Partikelgröße und der chemischen Zusammensetzung der Partikel ab. Ruß beispielsweise hat eine sehr unregelmäßige Oberfläche, wodurch die Verstärkung ganz besonders effektiv wirkt. Einige synthetische Kieselsäuren dagegen sind perfekt kugelförmig, was nur einen sehr geringen Verstärkungseffekt hat. Um dem Werkstoff bestimmte physikalische Eigenschaften zu verleihen, muss die korrekte Kombination aus verstärkenden und nicht verstärkenden Füllstoffen gewählt werden.
Füllstoffe wirken nur dann verstärkend, wenn sie die Rissausbreitung in größerem Ausmaß verhindern als sie selbst Spannungen erzeugen. Innerhalb eines Polymers kann ein Füllstoff zwei Wirkungen haben: Entweder er wirkt als Spannungsverstärker und senkt die Bruchenergie oder er verhindert die Rissausbreitung und erhöht so die für einen Bruch benötigte Energie. Einen groben Überblick über die physikalischen Eigenschaften, die durch die Verwendung von Füllstoffen optimiert werden können, gibt Bild 2.
Füllstoff steuert Eigenschaften
Über den Füllstoff kann der Konstrukteur denjenigen Quadranten dieser Matrix ansteuern, die am besten zur geplanten Prozessanlage passt. Der Modul eines Werkstoffs hängt mit seiner Härte zusammen. Mit steigendem Modul nimmt auch die Härte zu. O-Ringe mit großer Härte sind verdrängungsbeständig gegen höhere Drücke. Zugfestigkeit, Bruchdehnung und Hystereseverlust sind nützliche Indikatoren für die Elastizität eines Elastomers. Obwohl Dichtungen typischerweise auf Druck belastet werden, können ihre elastischen Eigenschaften zur Entwicklung von Zugspannungen im Dichtungskörper führen, wenn sie mit Druck- oder Scherspannungen beaufschlagt werden.
Richtige Auswahl entscheidend
Zu den typischen dynamischen Anwendungen gehören die Abdichtung gegen eine Pendel- oder Drehbewegung an Welle oder Bohrung. Die Kompression des Werkstoffs in Kombination mit Schub-Reibungskräften kann zu Zugbelastungen führen, die die maximale Zugfestigkeit des Werkstoffs übersteigen: Das Teil versagt. In diesem Fall ist die Wahl eines Füllstoffs, dessen Füllstoffpartikel klein aber von großer Oberfläche sind, eine bessere Wahl als der Standard-Verstärkungsfüllstoff. Darunter kann jedoch die Bearbeitbarkeit leiden, und Vulkanisationsfehler können auftreten. Oftmals muss ein Kompromiss zwischen der Verbesserung von Eigenschaften und der Bearbeitbarkeit gefunden werden. Auf jeden Fall muss ein Füllstoffsystem so gewählt werden, dass die gewünschte Verbesserung der Eigenschaften erzielt wird, ohne die Chemie der Polymervernetzung oder die Chemikalienbeständigkeit des fertigen Elastomers zu beeinträchtigen. Man darf dabei nicht vergessen, dass Füllstoffe chemische Veränderungen verursachen. Obwohl es sich um einen Feststoff handelt, bringt der Füllstoff einen sauren oder alkalischen pH-Wert mit. Dieser ist in der Kautschukchemie von großer Bedeutung, denn auch kleine Veränderungen im pH können den Vernetzungsprozess entscheidend beeinflussen. Rußpartikel können leicht sauer sein, wodurch sich die Vernetzung etwas verlangsamen kann. Manche Kieselsäuren dagegen erreichen einen pH von bis zu 4,0. Wenn solche Compounds nicht sorgfältig vorbereitet werden, kann die Vernetzung vollständig unterbleiben.
Weitere Komplikationen bei der Wahl des Füllstoffes ergeben sich durch Beeinflussung der Chemikalienbeständigkeit. Die den Füllstoffen inhärenten pH-Werte sind im Prinzip abhängig von den Molekulargruppen an der Oberfläche der Partikel und dem sie umgebenden Medium. Kieselsäure mit ihrem relativ sauren pH reagiert mit einem alkalischen Basismedium derart, dass sie zur Erreichung eines neutralen pHs das alkalische Medium zu absorbieren strebt, was zu erheblicher Quellung der Dichtung führt.
Großes Verhältnis zwischen Oberfläche und Volumen
Eine Weiterentwicklung in der Dichtungstechnik sind Nanofüllstoffe. Füllstoffsysteme mit Partikeln im Nanobereich haben ein erheblich größeres Oberfläche-Volumen-Verhältnis und bieten somit wesentlich größere Beeinflussungsmöglichkeiten einzelner physikalischer Eigenschaften oder Eigenschaftengruppen. Wie auch bei herkömmlichen Füllstoffen werden verschiedene Nanofüllstoffe zur Erzielung verschiedener physikalischer Eigenschaften eingesetzt und müssen ebenso sorgfältig gewählt werden.
Chemisch aggressive Prozesse mit niedrigen Drücken erfordern ganz andere physikalische Eigenschaften, als man auf den ersten Blick vermuten möchte. Bei Vakuumanwendungen beispielsweise kommt es auf die anfängliche Komprimierung der Dichtung an und nicht auf den Differenzialdruck, der im Normalfall die Dichtkraft erzeugt. Diese Normalkräfte sind viel geringer als diejenigen in Hochdruckanwendungen, so dass harte Werkstoffe mit hohem Modul sich den Kontaktoberflächen während des Dichtvorgangs nicht anpassen können. Daher werden für Anwendungen mit geringen Kontaktkräften Werkstoffe mit einem niedrigen Modul verwendet.
Ein niedrigerer Modul bedeutet im Werkstoff bei gegebener Belastung eine geringere Spannung. Bei geringeren Spannungen wiederum ist ein Elastomerwerkstoff nicht so anfällig gegen chemische Angriffe. Spannungsinduzierte chemische Anfälligkeit führt zu chemischer Zersetzung des Werkstoffs und folglich zu makroskopischem Werkstoffversagen aufgrund mechanischer Rissausbreitung.
Um das Phänomen der spannungsinduzierten Anfälligkeit zu verstehen, muss man den Werkstoffaufbau ganz genau kennen. Ein Elastomer besteht aus langen Molekülketten, an die weitere Atome oder Atomgruppen gebunden sind. Bestimmte Stellen in den Vernetzungsmolekülen oder Entsättigungen in der Polymerkette bilden typischerweise die größten Schwachpunkte. Diese Stellen sind die ersten, die chemisch angegriffen werden. Durch Beaufschlagung eines Elastomers mit einer Spannung werden die Molekularketten deformiert, wodurch für das Aufbrechen der Elektronenpaarbindungen eine geringere Energie ausreicht. Hinzu kommt eine sterische Verdrehung, durch die schwächere Bindungen exponiert werden. Dies ist der Mechanismus der „spannungsinduzierten chemischen Anfälligkeit“. Die chemische Zersetzung verursacht die Bildung mikros-kopischer Risse. Die Risse breiten sich weiter aus und werden dabei größer. Bei Erreichen einer kritischen Länge führt die Bruchenergie zu einer schnellen Rissausbreitung über den gesamten Dichtungsquerschnitt, was zu einem sprödbruchartigen Versagen führt.
Für den Betrieb in einer chemisch aggressiven Umgebung mit niedrigem Druck muss also ein Füllstoffsystem gewählt werden, das die Zugfestigkeit und die Bruchdehnung verbessert, aber für einen so niedrigen Modul sorgt, dass der Werkstoff hochflexibel und eine erhöhte chemische Anfälligkeit nicht gegeben ist.
Mit der Nanofüllstofftechnologie wurden die Eigenschaften von Perfluorelastomeren für die Anwendung in chemisch aggressiven Umgebungen mit niederen Drücken, beispielsweise in der Bioanalyse, optimiert. Hierbei kommt ein sphärischer Perfluorpolymerfüllstoff mit Partikeldurchmessern von 30 bis 35 nm zum Einsatz, der sowohl die Zugfestigkeit und die Bruchdehnung verbessert als auch für einen niedrigen Modul sorgt. Die Perfluorpolymerfüllstoffe sind extrem inert, wodurch sie chemisch nicht angreifbar sind. Mit seinem niedrigen Modul von 3,5 MPa verfügt das Perfluorelastomer über eine hohe Dichtwirkung bei niedrigen Drücken und weniger Spannungen im Werkstoffgefüge. Letzteres verleiht ihm eine geringere spannungsinduzierte chemische Anfälligkeit im Vergleich zu konventionellen Perfluorelastomeren.
cav 427

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