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Die Deutschen kopieren sich gerne selbst

VDMA-Studie zur Produktpiraterie 2014
Die Deutschen kopieren sich gerne selbst

Ideenklau scheint laut der aktuellen VDMA-Studie zum Thema Produkt- und Markenpiraterie beinahe schon gängige Geschäftspraxis. Im Jahr 2014 waren 71 % der befragten Mitgliedsunternehmen betroffen. Der geschätzte Schaden beläuft sich für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau auf rund 7,9 Mrd. Euro. Erstaunlich ist dabei, dass die deutschen Unternehmen im großen Stil selbst zu den Plagiatoren gehören und das in einer Häufigkeit direkt hinter dem Spitzenreiter China. Von deutschen Plagiaten sind insbesondere Hersteller von verfahrenstechnischen Maschinen und Anlagen betroffen. cav sprach mit Steffen Zimmermann vom VDMA über die Ergebnisse der Studie.

Autorin Daniela Held Redakteurin, cav chemie anlagen verfahren

cav: Herr Zimmermann, welche Unternehmen aus dem Bereich des Maschinen- und Anlagenbaus für Chemie- Pharma- und Nahrungsmittelanlagen sind laut der aktuellen VDMA- Studie von Plagiaten betroffen?
Zimmermann: An der aktuellen Umfrage zur Produktpiraterie haben viele Zulieferer für Chemie- Pharma- und Lebensmittelanlagenbauer teilgenommen. Alleine aus dem VDMA-Fachverband Nahrungsmittelmaschinen und Verpackungsmaschinen (NuV) haben sich 52 Unternehmen beteiligt. Insgesamt wird der Anteil der Maschinen- und Anlagenbauer, die in die genannten Branchen liefern, vermutlich um die 20 bis 25 % der 337 Teilnehmer ausmachen. Von Produktpiraterie besonders betroffen sind Hersteller von Pumpen sowie Nahrungsmittel- und Verpackungsmaschinen. Hier sagen acht von zehn Unternehmen, dass Plagiate ihrer Produkte gefunden worden sind.
cav: Gibt es einen Zusammenhang mit der Größe des Unternehmens?
Zimmermann: Je größer ein Unternehmen ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, Ziel von Fälschern zu werden. Dies liegt aber nicht nur an der Unternehmensgröße, sondern korreliert natürlich mit weiteren Faktoren, z. B. Markenbekanntheit, internationale Ausrichtung, Innovationsgrad etc. Je erfolgreicher man am Markt ist, desto sichtbarer wird man automatisch für die Plagiateure.
cav: Vor welchen Ländern sollte man sich bezüglich Ideenklau am meisten in acht nehmen?
Zimmermann: Die Volksrepublik China ist weiterhin auf Platz eins der Herkunftsländer bei Produkt- und Markenpiraterie. Besonders gestiegen sind Plagiate aus der Türkei, die damit erstmals den dritten Platz in der Statistik einnimmt. Direkt dahinter kommt Indien, das ebenfalls deutlich zugelegt hat. Deutschland als Herkunftsland ist aber immer noch auf dem zweiten Platz. Seit vielen Jahren zeigte die Kurve der deutschen Plagiate konstant nach oben. Der Anteil stieg bis auf 26 % in 2012. Seit Beginn der VDMA-Umfrage unter den Mitgliedern ist der Anteil der Plagiate aus Deutschland 2014 erstmals rückläufig.
cav: Welche Produkte werden insbesondere von deutschen Plagiateuren gerne nachgebaut?
Zimmermann: Betroffen von deutschen Plagiaten sind mit 45 % vor allem die Hersteller von verfahrenstechnischen Maschinen und Anlagen, gefolgt von den Holzverarbeitungsmaschinen mit 42 % sowie Robotik und Automation (29 %). Besonders im Fokus stehen dabei ganze Maschinen mit 63 %, dicht gefolgt von Komponenten mit 59 %. Nicht so oft werden hingegen Verpackungen (nur 7 %) und das äußere Design (38 %) gefälscht. Das zeigt, dass von deutschen Plagiateuren vor allem Hightech-Plagiate kommen. In den letzten Jahren gingen wir noch davon aus, dass es sich bei Plagiaten aus Deutschland grundsätzlich um weiche Plagiate handeln muss. Darunter verstehen wir vor allem Plagiate um das Produkt herum, also Bedienungsanleitungen, Produktfotos, Kataloge etc. Diese Aussage müssen wir nach Auswertung der vorliegenden Daten komplett revidieren.
cav: Wer steckt in Deutschland hinter den Plagiaten?
Zimmermann: Hinter den Plagiaten steckt zu knapp 90 % vor allem der Wettbewerb. Mit großem Abstand auf den folgenden Plätzen liegen Kunden und Zulieferer. In vielen Fällen gelten sie zudem als Auftraggeber, die die schmutzige Arbeit von Dritten erledigen lassen. Sogenannte Undergroud Factories, Hinterhofwerkstätten mit widrigsten Arbeitsbedingungen, lassen sich hierzulande nur selten finden.
cav: Woher haben die Plagiateure das notwendige Wissen für einen Nachbau?
Zimmermann: Das Wissen stammt in erster Linie aus dem Auseinandernehmen und Analysieren der Originale. Teilweise werden im Auftrag der Konkurrenz ganze Maschinen und Anlagen seziert und fein säuberlich digital in CAD-Daten gepackt. Mehr als 70 % der betroffenen Unternehmen sehen solch ein Reverse Engineering von originalen Maschinen und Anlagen als Wissensursprung an. Reverse Engineering an sich ist nichts Neues, das wird seit vielen Jahrhunderten gemacht. Schwierig wird es erst, wenn Patente verletzt oder Schutzmaßnahmen umgangen werden.
cav: Wie lassen sich Plagiate entdecken?
Zimmermann: Knapp vier von fünf Unternehmen werden durch eigene Marktkenntnisse auf die Plagiate aufmerksam. Zudem erfahren zwei Drittel der Unternehmen durch ihre Kunden von Plagiaten im Markt. Messen und Internet folgen auf den weiteren Plätzen. Bedenklich ist, dass der Anteil der Unternehmen, die nach Reklamationen oder Informationen über Sicherheitsmängel auf Plagiate gestoßen sind, in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Mehr als 25 % aller Unternehmen musste bereits ungerechtfertigte Ansprüche (z. B. Produkthaftung, Garantie) abwehren. Ermittlungsbehörden spielen aktuell noch keine große Rolle, deren Kenntnisteilung ist mit gerade einmal 4 % deutlich steigerungsfähig.
cav: Wie können sich die Unternehmen schützen?
Zimmermann: Ein Schutz sollte in der Praxis immer einen Mehrwert bieten, nicht nur etwas verhindern. Schutzmaßnahmen sollten sich an vorab definierten Schutzzielen orientieren. Wenn der Schutz des Kunden vor Plagiaten im Fokus steht, so müssen organisatorische und technische Maßnahmen so gestaltet werden, dass auch der Kunde mit einbezogen wird. Das kann zum Beispiel eine Internetseite sein, auf der Plagiate gemeldet werden können. Zudem sollten Kunden in die Lage versetzt werden, Originale leichter zu verifizieren. Dabei helfen Track & Trace-Systeme oder optische Echtheitskennzeichnungen. Steht jedoch die Abwehr von ungerechtfertigten Produkthaftungsansprüchen im Fokus, so sollten gerichtsfeste verborgene Markierungen ein- oder aufgebracht werden. Technische Produktschutzmaßnahmen lassen sich in der Prozessautomation sogar für die automatisierte Prüfung der Originalität nutzen, direkt beim Einbau von Ersatzteilen oder Komponenten.
cav: Wie häufig werden bestehende Schutzrechte verletzt?
Zimmermann: Wie häufig Schutzrechte verletzt werden, hängt von mehreren Faktoren ab. Je nach Vertriebsland und betroffenen Schutzrechten ergibt sich ein vielschichtiges Bild. Betrachtet man die verletzten gewerblichen Schutzrechte, geben die Unternehmen des VDMA an erster Stelle mit 46 % Patentverletzungen an. Die Verletzung von Markenrechten folgt in einigem Abstand mit 31 %. An dritter Stelle stehen Designverletzungen mit 22 %.
cav: Wissen Sie wie hoch die Erfolgsquote bei der Verfolgung der Schutzrechtsverletzungen ist?
Zimmermann: Zu einer Erfolgsquote kann ich keine gesicherten Aussagen treffen, auch hier hängt es zum einen von der Klarheit der Verletzung, aber auch vom Rechtssystem sowie am Ende dem Richter ab, wie erfolgreich eine Rechtsverfolgung ist. Besonders in Entwicklungsländern wie China sehen wir jedoch eine sich stark verbessernde Erfolgsquote durch die Fortschritte im Rechtssystem und im Know-how der Richter.
cav: Was unternimmt der VDMA, um seine Mitglieder zu schützen bzw. im Plagiatfall zu unterstützen?
Zimmermann: Der VDMA reagiert seit Längerem mit einer breit angelegten Strategie und unterschiedlichen Maßnahmen auf Produkt- und Markenpiraterie. 2007 wurde die Gemeinschaftsinitiative „Choose the Original – Choose Success“ gestartet. Unterstützt von zahlreichen europäischen Verbänden lag das Ziel der Initiative auf der Sensibilisierung von Kunden, sich für Originalprodukte zu entscheiden. Mit positiven Aussagen für das Original konnten Mitgliedsfirmen für Ihre Produkte werben. Auf Initiative des VDMA wurden zu technischen Maßnahmen zwischen 2008 und 2011 zehn vom BMBF geförderte Forschungsprojekte mit einem Forschungsvolumen von knapp 30 Mio. Euro durchgeführt. Die Ergebnisse stehen weiterhin frei zur Verfügung und können unter www.conimit.de eingesehen werden. Damit die innovativen Technologien und Lösungen im Kampf gegen Plagiate weiterentwickelt werden, hat der VDMA die Arbeitsgemeinschaft Produkt- und Know-how-Schutz (AG Protect-ing) gegründet. Die VDMA-Arbeitsgemeinschaft Produkt- und Know-how-Schutz ist erster Ansprechpartner für betroffene Unternehmen und bündelt branchenunabhängig die Interessen der Anbieter von Technologien und Dienstleistungen zu Produktpiraterie und Know-how-Schutz.
cav: Was müsste Ihrer Ansicht nach seitens der Politik geschehen, um die Produktpiraterie einzudämmen und Unternehmen im Kampf gegen Plagiate zu unterstützen?
Zimmermann: Viele betroffene Unternehmen sind unzufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung, knapp zwei Drittel der Unternehmen reichen die derzeitigen Anstrengungen der deutschen Regierung nicht aus. Es wird vor allem gefordert, schärfere Sanktionen und bilaterale Abkommen zur Anerkennung von bestehenden Schutzrechten anzustoßen. Zudem sollte das Phänomen der deutschen Plagiate untersucht werden. Den betroffenen Unternehmen würde eine weltweite Harmonisierung der Patentregelungen helfen, verbunden mit einem grundsätzlichen Verbot des sklavischen Nachbaus. Staatliche Behörden wie der Zoll sollten nicht zuletzt mit schärferen Mitteln gegen Plagiate reagieren können, z. B. Einfuhrstopp für gesamte Unternehmungen verhängen.
cav: Herr Zimmermann, wir danken für das Gespräch.
prozesstechnik-online.de/cav0415461
„Der VDMA reagiert seit Längerem mit einer breit angelegten Strategie und unterschiedlichen Maßnahmen auf Produkt- und Markenpiraterie.“
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