Aus der Shell-Raffinerie bei Köln decken industrielle Großabnehmer an den Standorten Höchst, Köln-Knapsack und Wesseling ihren Bedarf an Ethylen. Dieser wichtige Grundstoff der Petrochemie dient dort als Einsatzstoff zur Herstellung zahlreicher organischer Zwischenprodukte. Um die Anlage an die heutigen Ansprüche anzupassen, wurde eine Komplettsanierung der Ethylenverdichterstation am Raffineriestandort Wesseling durchgeführt.
Dipl.-Ing. Gerd Trommer
Bei Shell in Wesseling fördert eine Verdichterstation Ethylen durch ein Pipelinenetz zu den Chemiestandorten im Frankfurter Industriepark Hoechst, zum Chemiepark Köln-Knapsack und zu Basell nach Wesseling nahe Köln. Weil die 1968 in Betrieb genommene Technik den heutigen Ansprüchen nicht mehr genügt, stand eine Komplettsanierung an. Allerdings war das Zeitfenster für den Stillstand zum Umbau der fünf Kolbenverdichter sowie zur Erneuerung der Prozessleittechnik zur Fernbedienung und -überwachung äußerst eng bemessen. Es musste sich exakt in die übrigen Aktivitäten der Raffinerie während des Stillstands und die Anlagenstillstände der Ethylenkunden im Industriepark Höchst einfügen. Engpässe in der Materiallieferung sowie die Koordination diverser Schnittstellen zwischen Auftraggeber, Betreiber und verschiedenen Partnern stellten eine weitere Herausforderung dar.
Rahmenbedingungen
Eine Störung der Ethylenverteilung hat doppelte Wirkung. Die Abnehmer könnten nach kurzer Zeit nicht mehr produzieren und die Raffinerie müsste die Produktion herunterfahren, da eine Zwischenspeicherung solcher großen Ethylenmengen nicht vorgesehen ist. Infraserv Höchst ist Haupteigentümer der Ethylen-Verdichterstation auf dem Areal der Shell Rheinlandraffinerie. Betreiber ist die Shell Deutschland Oil. Die Elektro-, Mess-, Steuer- und Regeltechnik (EMR) sowie die Verfahrenstechnik der Verdichterstation waren veraltet. Sie sollten gemäß dem aktuellen technischen Stand und speziell entsprechend den Möglichkeiten der fortgeschrittenen Prozessleittechnik modernisiert werden. Die Station besteht aus einem Kopfbau mit Maschinenhalle. Der Kopfbau enthält die elektrischen Verteilungen, den EMR-Schaltraum sowie den Analysenraum. In der Maschinenhalle befinden sich die fünf parallel betriebenen zweistufigen Kolbenkompressoren. Sie verdichten das Ethylen auf ca. 42 bar und fördern insgesamt mehr als 80 t/h. Die Grobregelung des zu fördernden Ethylens erfolgt per Zu- und Abschalten der Kompressoren. Die Feinregelung führt ein Ventil aus. Es regelt über eine Bypassleitung zwischen der Druckseite und der Saugseite den Druck. Weiterhin beherbergt die Maschinenhalle alle Saug- und Druckverteiler sowie den örtlichen Leitstand. Der Kopfbau und die Maschinenhalle sollten gemäß den Vorgaben weiter genutzt und keine zusätzlichen Bauten errichtet werden. Lediglich die zur Modernisierung erforderlichen Durchführungen für Kabel- und Rohrleitungen waren auszuführen.
Umbau in zwei Wochen
Im Vordergrund standen für Infraserv die Verfügbarkeit und die Versorgungssicherheit des wichtigen Produktionsrohstoffes Ethylen. Zusätzlich sollte die neue Instrumentierung eine höhere Messgenauigkeit erzielen. Exakter erfasste Betriebsdaten bilden die Basis für künftige Verfahrens- und Energieoptimierungen. Hinzu kam die digitale Fernübertragung und die zeitnahe Verfügbarkeit umfassender Betriebsdaten. Infraserv beauftragte Voith Industrial Services Engineering als Generalunternehmer mit dem gesamten Projekt. Solche Projekte im einstelligen Millionen-Euro-Bereich haben ihre eigenen Rahmenbedingungen. Detaillierte Vor-Ort-Kenntnisse sowie eine lokale Präsenz in der Nähe des Projektstandortes sind gerade bei kleineren und mittleren Projekten von entscheidendem Vorteil. Beides kann Voith flexibel und kundennah aus einer Hand bieten. In Wesseling standen dem Serviceunternehmen zum Umbau in der heißen Phase gerade einmal zwei Wochen Zeit zur Verfügung. Alle notwendigen Vorarbeiten waren während des laufenden Betriebes auszuführen. Neben dem Projektmanagement und der Detailplanung der Verfahrenstechnik sowie der EMR-Technik inklusive Softwareerstellung und Schulung umfasste der Auftrag Teile der Beschaffung, Demontage, Montage und Inbetriebnahme. Als ein Engpass erwiesen sich Komponenten wie Ventile, Durchflussmesser, Antriebe und Armaturen. Trotz Zusage lieferten die Partner zum Teil mit projektgefährdender Verspätung. Die Mitarbeiter der Unternehmen Voith, Lang und Peitler als Partner für die Automation sowie Ifürel für die EMR-Montage hielten dennoch den knappen Umbauzeitraum exakt ein. Innerhalb der mehr als 3000 Mannstunden Vorarbeit und der über 6000 Stunden vor Ort koordinierten die Verantwortlichen auch das Zusammenwirken mit denen Aktivitäten von Shell, E.on Ruhrgas und Hörbiger. Während der Demontage und Montage stellte Voith die Brand- und Sicherungsposten sowie den Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator. Die Umbauarbeiten umfassten bis auf die Kolbenverdichter alle Nebenaggregate, Ventile, Armaturen, Messgeräte, Steuerungen, Schaltschränke, Verkabelungen und Rohrleitungen. In einer ersten Umbauphase wurden die Verdichter einzeln außer Betrieb genommen und soweit wie möglich umgebaut, ohne dass die gesamte Verdichterstation außer Betrieb genommen werden musste. In einer zweiten Umbauphase, die in Verbindung mit den Stillstandarbeiten in der Olefinanlage der Raffinerie und den Anlagenstillständen im Industriepark Höchst durchgeführt werden musste, erfolgten die restlichen Umbauarbeiten. Aufgrund des engen Zeitfensters von zwei Wochen, waren gute Vorarbeiten sowie eine weitestgehende Vorfertigung der Rohrleitungssysteme besonders wichtig. Prüfungen der Verfahrenstechnik sowie der EMR- und der Prozessleittechnik schlossen sich jeweils an.
Vorgaben erfüllt
Die Verdichter wurden mit je einer Bypassregelung und einem Verdichter mit einer Hydrocom-Steuerung ausgerüstet, um schnell und flexibel auf schwankende Lastfälle reagieren zu können. Zu den wichtigen Verbesserungen zählt auch das Reduzieren des Kontroll- und Bedienungsaufwandes. Statt vor Ort, überwacht und bedient der Betreiber Shell die Verdichterstation nun von einer vorhandenen zentralen Leitwarte aus, der örtliche Leitstand wurde demontiert. Dies reduziert die Betriebskosten. Neue Ventile und Armaturen erfüllen die aktuellen Bedingungen der TA Luft. Selbstverständlich gehörten die Schulung der Bediener und Instandhalter ebenso zum Auftrag wie das Erstellen des Bedienerhandbuches. Die technischen Daten der Verdichterstation nach dem Umbau sind:
- 5 zweistufige Kolbenverdichter
- Fördermenge : 2 x 10 t/h, 3 x 20 t/h
- Ansaugdruck: 16 bar
- Austrittsdruck: ca. 45 bar
- Antriebsleistung: 2 x 450 kW, 3 x 900 kW
- Neue Armaturen und Ventile: 69
- Messstellen: 330
„Wir sind mit dem Ablauf und dem Ergebnis zufrieden. Unter dem Strich hat Voith Industrial Services das geplante Stillstandsfenster eingehalten obwohl durch externe Einflüsse wie unzuverlässige Komponentenlieferanten Engpässe entstanden waren“, bestätigt Projektleiter Gerald Manzke vom Auftraggeber Infraserv. Nach der Sanierungsmaßnahme erfüllt die modernisierte Verdichterstation die Vorgaben der Höchster Auftraggeber.
cav 446
Serviceunternehmen
Infraserv Höchst
Standort Wesseling
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