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Mit dem Ohr am Rohr

Massedurchfluss- und Konzentrationsmessung an einer Abfüllanlage für Salpetersäure
Mit dem Ohr am Rohr

Bis zu 4000 Tonnen Salpetersäure erzeugt Europas größte Produktionsstätte für Ammoniak und Stickstoffdünger im niederländischen Sluiskil täglich. An den Abfüllstationen überwachen und regeln Ultraschallmesssysteme die Konzentration der Salpetersäure und den Massedurchfluss.

Jörg Sacher

Sluiskil in der südwestniederländischen Provinz Zeeland ist ein traditionsreicher Standort der Stickstoff verarbeitenden chemischen Großindustrie. Verkehrsgünstig am Gent-Terneuzen-Kanal gelegen, entstand hier 1929, mitten in der Weltwirtschaftskrise, auf einem Gelände von 80 ha das Werk der eigens zu diesem Zweck gegründeten Compagnie Néerlandaise de l’Azote, der niederländischen Stickstoffgesellschaft. Im Krieg weitgehend zerstört und anschließend demontiert, wurden die Produktionsanlagen nach 1950 wiedererrichtet. 1979 erwarb die norwegische Norsk-Hydro-Gruppe den Betrieb. Seit dem Börsengang der Norsk-Hydro-Tochter Hydro Agri im Jahr 2004, zu dem der Düngemittelbereich unter dem Namen Yara ausgegliedert wurde, wehen über der Stickstofffabrik in Sluiskil die blauen Yara-Fahnen. Heute betreibt Yara am Standort Sluiskil drei Ammoniak- und zwei Salpetersäureanlagen sowie je zwei für die Harnstoff- und Nitratgranulierung und verfügt damit über die größten Produktionskapazitäten für Ammoniak und Stickstoffdünger in Europa.
Automatische Abfüllanlage für Salpetersäure
Neben Ammoniak ist Salpetersäure die zweite wichtige stickstoffhaltige Grundchemikalie. Die beiden Salpetersäureanlagen in Sluiskil haben eine Gesamtjahreskapazität von 1,4 Mio. Tonnen. Der weitaus überwiegende Teil der Salpetersäureproduktion wird innerhalb des Betriebes zu Stickstoffdüngemitteln weiterverarbeitet. Etwa 5 bis 10 % werden jedoch nach außen verhandelt. Die Abfüllung der Salpetersäure auf Lkw geschieht in einer automatischen Selbsttankstation. Mit einer Chip-Karte, auf der Konzentration und Menge der abzufüllenden Salpetersäure gespeichert sind, übergibt der Lkw-Fahrer die Betriebsparameter an die Anlagensteuerung. Für die automatisierte Befüllung der Tankwagen ist sowohl eine Konzentrations- als auch eine Massedurchflussmessung erforderlich.
Üblicherweise werden zu diesem Zweck Massedurchflussmesser verwendet, die nach dem Coriolis-Prinzip arbeiten. Über die Phasenverschiebung der Schwingungen des Messrohrs und die Änderung der Resonanzfrequenz messen diese direkt den Massedurchfluss und die der Konzentration proportionale Dichte. Auch die Lkw-Abfüllstation für Salpetersäure bei Yara in Sluiskil ist mit einer solchen Coriolis-Messeinrichtung ausgerüstet. Allerdings ist Salpetersäure auch für robuste Messverfahren und -instrumente ein schwieriges Medium, erst recht unter den Bedingungen diskontinuierlicher Abfüllvorgänge. So kam es in Sluiskil immer wieder zu Störungen und Ausfällen der Messung, die den Betriebsablauf in der Anlage beeinträchtigten. Die Betriebsingenieure von Yara suchten daher nach Alternativen, um die dauerhafte Verfügbarkeit der Abfüllanlage gewährleisten zu können. Fündig wurden sie dabei abseits des Gewöhnlichen, nämlich bei der Ultraschalltechnik.
Akustische Prozessanalytik
Zur Bestimmung von Durchflüssen ist die Messung mit außen auf dem Rohr aufgespannten Ultraschallsensoren längst ein etabliertes Verfahren. Gerade in der chemischen Industrie mit ihren häufig aggressiven und toxischen Medien greift man gerne auf die eingriffsfreie Ultraschall-Clamp-on-Technik zurück. Weit weniger gebräuchlich ist ihr Einsatz zu Zwecken der Prozessanalytik, beispielsweise zur Konzentrationsmessung. Wie bei der Durchflussmessung funktioniert auch die Konzentrationsmessung mit Ultraschall durch eine Laufzeitbestimmung. Wird bei der Durchflussmessung die Laufzeit des Schallsignals in der Strömungsrichtung und ihr entgegen gemessen und aus der Laufzeitdifferenz die Strömungsgeschwindigkeit errechnet, so wird bei der Konzentrationsmessung aus der Signallaufzeit die Schallgeschwindigkeit des Mediums bestimmt. Diese hängt von der adiabatischen Kompressibilität und der Dichte – und damit auch von der Temperatur – des Mediums ab und ist eine stoffspezifische Größe. Der Massedurchfluss ergibt sich aus dem Volumendurchfluss und der Dichte. Zu seiner Bestimmung müssen also lediglich die beiden Messfunktionen der Ultraschallmessung kombiniert werden. Da die Clamp-on-Sensoren mit dem Medium nicht in Kontakt geraten, ist die Ultraschalltechnik geradezu prädestiniert zur Messung an schwierigen Stoffen. Eigentlich ein einfaches, elegantes Verfahren, dachten sich auch die Betriebsingenieure von Yara. Weil man gute Erfahrungen mit den Ultraschalldurchflussmessern Fluxus von Flexim gemacht hatte, wandten sie sich mit ihrer Idee an Joost van Parreeren, den Direktor der Benelux-Niederlassung von Flexim in Berkel en Rodenrijs.
Anders als eine Ultraschallmesseinrichtung zur Messung des Volumenflusses, die in weniger als einer halben Stunde eingerichtet und in Betrieb genommen ist, benötigt die Konzentrations- und Massedurchflussmessung einige Vorbereitung. Bislang ist die Schallgeschwindigkeit als charakteristische Eigenschaft eines Stoffs wenig dokumentiert. Zunächst muss ein Kennliniensatz erstellt werden, der die Beziehung von Schallgeschwindigkeit und Konzentration bei verschiedenen Temperaturen wiedergibt. Zeigt sich im betrachteten Konzentrationsbereich ein guter Messeffekt, ist das Verfahren geeignet für den Einsatz im Prozess. Laborversuche ergaben, dass die Konzentrationsbestimmung im betrachteten Messbereich durch eine Schallgeschwindigkeitsmessung möglich ist. Die Konzentrationskennlinien der Salpetersäure wurden im Berliner Labor von Flexim aufgenommen und die entsprechenden Koeffizienten in den Messumformer Piox S übertragen. Zudem wurde für die bestmögliche Abbildung der Salpetersäurekonzentrationskurven zusätzlich zum Standardfirmwareumfang eigens ein spezieller Revers-Algorithmus implementiert. Doch die Installation der Ultraschallmesstechnik im Prozess bereitete allen am Projekt Beteiligten eine herbe Enttäuschung. Fast schien es, als sei alle Mühe vergebens gewesen.
Erfolg durch schnelle Temperaturmessung
„Die ersten Messergebnisse waren eine schlimme Überraschung“, erinnert sich Joost van Parreeren. Natürlich war der erste Reflex, an der Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Ultraschalltechnik zu zweifeln. Doch Joost van Parreeren insistiert: „Ultraschallmessung ist nicht ungenau“. Tatsächlich zeigte die sorgfältige Untersuchung der Messreihen, dass die Schwierigkeiten nicht aus der Schallgeschwindigkeitsmessung resultierten. Von der Tankanlage kann Salpetersäure in verschiedenen Konzentrationen bezogen werden. Gebräuchlich sind vor allem 68%-ige und 60%-ige Salpetersäure. Die niedrigere Konzentration wird einfach durch Verdünnung mit Wasser erreicht. Der Verdünnungsvorgang verläuft exotherm, führt also zu einer Erwärmung der Flüssigkeit. Schwachpunkt der Messeinrichtung war die Temperaturmessung. Die zunächst verwendeten Pt 100-Aufklemmfühler messen die Temperatur auf der Rohraußenwand und reagieren daher viel zu träge auf die schnellen Temperaturänderungen der Flüssigkeit. Was aber nutzt die exakteste Schallgeschwindigkeitsmessung, wenn eine zu langsame Temperaturmessung falsche Werte liefert? Der Messgerätehersteller empfahl daher dem Kunden in Sluiskil, die Messstelle mit einem Einbauthermoelement nachzurüsten.
Die Installation eines speziellen Präzisionsthermoelements vom Typ T brachte den Erfolg. Mit den richtigen Temperaturwerten liefert der Messumformer Piox S korrekte Ergebnisse. Joost van Parreeren hält es gerne mit Shakespeare: „All’s well what ends well“. In Sluiskil freut man sich über eine hervorragend adaptierte Messeinrichtung und die erfolgreiche Realisation einer echten Multiparametermessung: Piox S misst simultan Konzentration, Volumen- und Massedurchfluss, ohne Verschleiß durch das aggressive Medium und zu vergleichsweise geringen Kosten. Inzwischen hat Yara weitere Messstellen mit Piox S zur Konzentrations- bzw. Massedurchflussmessung ausgerüstet, darunter die Tankanlage zur Abfüllung von Salpetersäure auf Eisenbahn-Kesselwagen, und plant den Einsatz der Ultraschalltechnik in weiteren Betrieben des Konzerns.
cav 402

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