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Schüttguthandling im geschlossenen System

Automatisierte Herstellung von Infusionslösungen
Schüttguthandling im geschlossenen System

Als führender Hersteller von Infusionslösungen hatte sich die Fresenius Kabi GmbH in Friedberg zum Ziel gesetzt, wesentliche Bereiche ihrer Produktion zu automatisieren. In diesem Zusammenhang wurde Gericke damit beauftragt, eine Anlage für die Lagerung, Dosierung und Zuführung der Feststoffe in die Ansatzbehälter zur Herstellung der Lösungen zu liefern. Die Großkomponenten aus den Silos sowie Mittel- und Kleinkomponenten aus Big Bags bzw. Kleingebinden werden chargenweise rezeptgenau verwogen und in die Lösebehälter gefördert. Im Auftragsumfang ist eine Anlagensteuerung mit umfangreichen Möglichkeiten der Rezepturverwaltung, Benutzerführung und Qualitätskontrolle enthalten. Die Anlage entspricht den hohen Qualifizierungs- und Validierungsanforderungen der Pharmaindustrie.

Dr.-Ing. Matthias Kruse, Dipl.-Ing. Thomas Koch

Im Werk Friedberg der Fresenius Kabi Deutschland GmbH werden u. a. Standard-Infusionslösungen für LVP (Large Volume Parenterals) hergestellt. Die Hauptrohstoffe, deren Bedarf bei mehreren Tonnen/Tag liegt, wurden bisher als Schüttgüter überwiegend in Standardgebinden (Säcke, Trommeln oder Kartons) mit einem Maximalgewicht von 50 kg angeliefert und verarbeitet. Jedes dieser Rohstoffgebinde wurde mit einer internen Chargennummer gekennzeichnet, eingelagert, geprüft, ausgelagert, in einen Reinraum eingeschleust, gewogen und dann verarbeitet. Diese Schritte erfolgten in der Regel teilautomatisiert.
Neben diesen Kostenaspekten sind besondere Hygienemaßnahmen (u. a. Entfernen der Transportverpackung und Bereitstellung von Reinräumen) erforderlich, um den hohen Qualitätsanforderungen gerecht zu werden. Nicht zuletzt ist es durch ein entsprechendes Abfallhandling erforderlich, die Trennung des Verpackungsmaterials sicherzustellen. Diese Anforderungen lassen sich bei großen Rohstoffmengen nicht optimal und nur mit erheblichem Kostenaufwand erfüllen. Trotz aller Sorgfalt bleiben systembedingte Risiken wie Transportschäden und Kontamination der Rohstoffe sowie Fehler durch manuelles Handling bestehen.
Aufgabenstellung und Zielsetzungen
Im Zuge einer Kapazitätserweiterung der Lösungsherstellung wurde der Materialfluss der Hauptrohstoffe mit dem Ziel der Qualitätsverbesserung und Kostenreduzierung untersucht. Die Umsetzung eines klar strukturierten und wirtschaftlichen Materialflusses und eine möglichst vollständige Automatisierung – von der Rohstoffanlieferung bis zur Einbringung der gewogenen Rohstoffe in den Lösebehälter – sowie die nahezu unbegrenzte Erweiterbarkeit der Anlage waren die Grundvoraussetzungen für die Genehmigung der Investition. Das gesamte Rohstoffhandling sollte in einem geschlossenen System stattfinden, damit auf die Bereitstellung teurer Reinraumflächen verzichtet werden kann. Die lückenlose Dokumentation, von der Anlieferung bis zur Verarbeitung der Rohstoffe, war unverzichtbarer Teil des Anforderungskataloges. Auch die Möglichkeit des Technologietransfers in andere Produktionswerke der Fresenius Kabi AG war ein wichtiger Aspekt.
Verschiedene Konzepte, wie die Lagerung der Rohstoffe in Außen- oder Innensilos, Saug- oder Druckförderung der Komponenten sowie die Frage der Einbringung der Rohstoffe in den Lösebehälter wurden untersucht. Die Notwendigkeit nach einer guten Reinigung der Anlage erforderte ein besonderes Oberflächenfinish der einzelnen Komponenten und den weitestgehenden Verzicht auf schwer zu reinigende Anlagenteile wie Filter oder sonstige Abscheidevorrichtungen. Die Verwendung von Aluminium als Werkstoff schied ebenso wie Normalstahl aus Qualitätsgründen aus.
Um die Integration der Rohstoffanlage in die bereits automatisierten Tank- und Abfüllanlagen zu ermöglichen und den Werksstandard nicht zu verlassen, entschied man sich für Siemens-S7-Komponenten. Die Visualisierung und Bedienstruktur der Rohstoffanlage sollte den vorhandenen Anlagen entsprechen. Die Dokumentation der Prozessschritte, von der Einlagerung und Freigabe der Rohstoffe über das Wiegen und Dosieren bis zur Einbringung in die Lösetanks, musste den GMP-Anforderungen genügen und sich in die bereits vorhandene Dokumentation integrieren. Da es sich um eine Pharmaanlage handelt, war es erforderlich, ein Validierungs- und Qualifizierungskonzept bei der Planung zu erstellen.
Rohstoffannahme aus Silofahrzeugen und Big Bags
Die Vermeidung von Temperaturschwankungen und die bessere Umgebung für Wartungs- und Reparaturarbeiten waren ausschlaggebend für die Installation der Silos im Gebäude. Die Forderung nach eindeutiger Chargentrennung gemäß den besonderen Regeln für die Herstellung von pharmazeutischen Produkten führten dazu, dass zwei Silos pro Rohstoff zum Einsatz kommen. Die Silos werden entweder direkt vom Silofahrzeug, das nur für den Transport des jeweiligen Rohstoffs zugelassen ist oder via Big Bag-Entleerstationen befüllt, falls ein Lieferant den Rohstoff im Silofahrzeug nicht liefern kann. Während des pneumatischen Fördervorgangs wird aus der Füllleitung eine Probe entnommen. Nach der positiven Beprobung im Labor erfolgt die Freigabe des jeweiligen Silos für den Herstellprozess. Aus dem neu befüllten Silo wird erst dann entnommen, wenn das andere entleert ist. Die Umstellung von Sackware auf Big Bag-Ware bzw. von Big Bag-Ware auf Siloware bringt mehrere Vorteile:
  • Reduzierung des Verpackungsmülls
  • Saubere Produktion
  • Reduzierung der Probenanzahl
  • Einsparung von Lagerfläche
  • Reduzierung der Gefahr des Eintrags von Fremdkörpern in den Prozess
Schüttgutzuführung in die Lösetanks
Die Zuführung der Schüttgutchargen in die Ansatzbehälter wurde einer intensiven Betrachtung unterzogen. Dabei wurden die Vor- und Nachteile der möglichen Verfahren verglichen und bewertet. Im Vordergrund stand die Erreichung folgender Ziele:
  • Reduzierung des apparativen Aufwands für das Schüttguthandling
  • Hohe Genauigkeit der Feststoffdosierung
  • Wegfall von Schüttgutfiltersystemen im Bereich der Lösetanks
  • Getrennte Leitungen für jeden Rohstoff
  • Spülung evtl. gemeinsamer Leitungen nach jeder Charge
Die Analyse führte zu dem Verfahren der Dosierung und Verwiegung der Chargen mit einem Dosiergerät in den Drucksender und direkten Eintrag mittels Druckförderung in die Ansatztanks. Diese Vorgehensweise hat folgende Vorteile:
  • Förderung über lange Entfernungen möglich
  • außer Ventiltechnik keine Maschinen bzw. Antriebe im Bereich der Lösetanks
  • gleichmäßiger und schneller Eintrag der Feststoffe unterhalb der Flüssigkeitsoberfläche, dabei Überwindung der hydrostatischen Druckdifferenz
  • Reduzierung der Lösezeit
  • modulare und kostengünstige Erweiterungsmöglichkeit der Förderung in weitere Lösetanks
Der verwogene Fördersender erfüllt gleichzeitig die Funktion als Wiegebehälter und als Fördergefäß. Durch diese Kombination lässt sich auch eine Restlosentleerung erreichen.
Zuführkonzept für Kleinkomponenten
Für die Kleinkomponenten, bei denen eine Lagerung in Silos nicht wirtschaftlich ist, wurde eine Einschüttstation in einem Reinraum installiert. Die Rohstoffe werden in den Reinraum eingeschleust. Die Chargen werden vorverwogen in die Einschüttstation gegeben und über den Nibbler NBS, der eventuelle Verklumpungen im Schüttgut auflöst, dem Fördersender zugeführt. Die Bediener werden dabei genau von einem lokalen Operatorpanel geführt. Der Fördersender startet nach der Anforderung durch die Leitwarte den Fördervorgang in den Lösetank.
Mit dem beschriebenen Zuführkonzept für die Feststoffe entfällt jegliche manuelle Tätigkeit im Bereich der Lösetanks. Die Abstimmung verschiedener Messsysteme mit den jeweiligen Dosiersystemen für die Komponenten stellt die exakte Konzentration im Lösetank sicher. Diese Parameter stellen die Grundlage für die Inprozesskontrolle dar.
Steuerungstechnik als Teil der Qualitätssicherung
Besonderes Augenmerk beim gesamten Projekt gilt der Steuerungstechnik mit der Rezepturverwaltung und der Visualisierungssoftware. Der Beitrag von E.P. Elektro Projekt als langjähriger Partner von Gericke, deckt den kompletten Bereich der Automatisierung ab. Er umfasst die Planung, Fertigung und Inbetriebnahme der SPS-Steuerung sowie die gesamte übergeordnete Leittechnik.
Zum Einsatz kommen im Wesentlichen Automatisierungskomponenten von Siemens: Die zentrale SPS S7 315-2 DP kommuniziert per Profibus mit der dezentralen E/A-Ebene (Siemens ET 200 S) und drei Wiegeverstärkern. Es werden WDS30 von E.P. Elektro Projekt eingesetzt, die sich direkt via Profibus einbinden lassen. Zu nachfolgenden Steuerungen erfolgt der Datenaustausch per DP/DP-Koppler. SPS und Leittechnik stehen über MPI miteinander in Verbindung.
Die PC-basierte Leittechnik besteht aus einer Visualisierungsapplikation auf Basis Siemens WinCC V6.0 SP1 sowie der Softwareplattform TwinCon. TwinCon hat die Aufgabe, sämtliche produktionsrelevanten Daten zu erfassen und zur Auswertung zur Verfügung zu stellen und bindet hierfür den SQL-Server von Microsoft ein. Die Kombination von Siemens WinCC und TwinCon bietet den Anlagenbedienern den vollständigen Überblick über den aktuellen Anlagenzustand, über sämtliche Materialbestände, Aufträge und Verbräuche. TwinCon sorgt dafür, dass jeder Auftrag und jede Charge zurückverfolgt und flexibel ausgewertet werden kann und damit sämtliche Anforderungen nach lückenloser Prozessdokumentierung erfüllt werden. Lückenlos erfasst werden automatische Dosierprozesse ebenso wie Handzugaben und manuelle Eingriffe über WinCC. Zu jedem Auftrag entsteht ein detaillierter Bericht über alle Verwiegungen, der automatisch ausgedruckt und zusätzlich als pdf-File archiviert wird. Berichte zu Materialbeständen etc. ergänzen die Informationswünsche der Anlagenbetreiber.
Weitere TwinCon-Features stellen sicher, dass nur berechtigte Personen Eingriffe in die Anlage vornehmen können. Sämtliche Bedienereingaben in TwinCon werden auf ihre Plausibilität überprüft und die Kontext sensitive Benutzeroberfläche macht die Bedienungen trotz der Funktionsvielfalt einfach. Ein automatischer Backup der Datenbank komplettiert den Leistungsumfang.
Die modulare Struktur von TwinCon und des gesamten Anlagenlayouts ermöglichen es Fresenius Kabi, die Anlage künftig schnell und mit geringem Aufwand zu erweitern. Die Erweiterbarkeit wird in entscheidendem Umfang durch die modulare Struktur der Software getragen, die in allen Elementen der Steuerung ein zentrales Konstruktionsprinzip ist. Die Funktionalität der Anlagensteuerung wurde vor Inbetriebnahme in einem FAT (factory acceptance test) im Simulationsmodus erfolgreich nachgewiesen.
Qualifizierung und Validierung
Die Validierung der Anlage, also die Beweisführung, dass Verfahren, Prozesse, Ausrüstungsgegenstände und Materialien in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der guten Herstellungspraxis (GMP) zu den erwarteten Ergebnissen führen, ist Voraussetzung für die Nutzung in der pharmazeutischen Fertigung. In der Qualifizierung wird der Nachweis erbracht, dass die Ausrüstungsgegenstände einwandfrei arbeiten und tatsächlich zu den zu erwartenden Ergebnissen bei der Produktqualität führen. Dieser wichtige Teil des Projektes begann in der Planungsphase mit der Erstellung eines schriftlichen Validierungsplanes, mit der Erstellung von Spezifikationen und mit der Ausarbeitung von Dokumenten für die IQ, OQ und PQ sowie RV.
In der Realisierungsphase bilden diese Dokumente die Grundlage für die Durchführung der Tests und die entsprechende Dokumentation. Während der Nutzung der Anlage schließen sich Anlagen-Reviews an, die den Nachweis erbringen, dass das System nach wie vor wie spezifiziert arbeitet. Der Kreis der Validierungsaktivitäten schließt sich erst mit der Stilllegung der Anlage. Eine Kostenreduzierung bei der Validierung/Qualifizierung lässt sich ohne Einschränkung der Qualität vor allem dann erreichen, wenn Prüfungen und Tests nicht doppelt durchgeführt werden. Daher wurden die Prüfungen bei der Montage mit den Anforderungen des Kunden abgeglichen und konnten ohne Modifikation für die Qualifizierung verwendet werden. Während der Installation der Anlage arbeiteten die Projektingenieure und Monteure und die Betreiber eng zusammen, so dass schon in dieser Phase eine Einarbeitung der späteren Bediener stattfinden konnte.
Halle 10, Stand 304
cav 425
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