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Trends im deutschen Großanlagenbau

Vom Turnkey- bis zum Projektgeschäft: Gefragt sind Flexibilität und IT-Kompetenz
Trends im deutschen Großanlagenbau

Die 58 000 Beschäftigten im deutschen Anlagenbau schlagen sich wacker: Wie die Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau des VDMA meldet, konnten die Mitgliedsunternehmen in 2001 ihr Auftragsvolumen um 4% auf 16,8 Milliarden Euro steigern. Dabei profitierte der Anlagenbau vor allem von der starken Auslandsnachfrage. Auf der Achema 2003 werden die deutschen Anlagenbauer ihre Präsenz im globalen Markt einmal mehr herausstellen und vor allem auch ihre neuesten IT-Entwicklungen präsentieren.

Zwei aktuelle Beispiele unterstreichen, dass der internationale Erfolg durchaus Bestand hat: Lurgi hat von der Turkish Petroleum Corporation (Türkiye Petrolleria A. O., TPAO), Ankara, einen Auftrag für den Bau der anlagentechnischen Einrichtungen eines unterirdischen Gasspeichers in der Türkei erhalten. Lurgi übernimmt das komplette Detail Engineering für die Gesamtanlage, die im August 2004 in Betrieb gehen soll, sowie die Lieferung der Turbinen und Kompressoren. Linde hat kürzlich einen 380-Millionen-Euro-Auftrag aus Norwegen erhalten – ein wichtiger Erfolg im Zukunftsmarkt für Erdgasverflüssigungsanlagen. Für die internationale Snøhvit-Gruppe (Statoil ASA, Norsk Hydro, TotalFinaElf S.A.) wird der Anlagenbauer Europas größte Erdgasverflüssigungsanlage auf der norwegischen Insel Melkøya bei Hammerfest, nördlich des Polarkreises, errichten.

Auch wenn diese beiden Aufträge diesseits des Atlantiks abgewickelt werden: Die Vereinigten Staaten sind das wichtigste Kundenland des deutschen Anlagenbaus. Im Asiengeschäft dominieren China und Südkorea. Zuwächse konnten jedoch auch im Geschäft mit Ländern aus dem Nahen und Mittleren Osten erzielt werden.
Branche im Wandel
Um sich im internationalen Markt zu behaupten, reicht Technologieführerschaft allein heute nicht mehr aus. Viele Auftraggeber nutzen die Präqualifizierungsphase verstärkt zur Angleichung der technischen Angebote und lassen letztlich den Preis entscheiden. Zudem verstärkt sich auch der Konditionendruck. Die Branche beobachtet, dass die Anlagenkunden unter Ausnutzung der internationalen Wettbewerbslage sowohl Einstandspflichten als auch Ansprüche an Verfügbarkeiten kontinuierlich ausdehnen. Weiterhin machen Kunden zunehmend auch lokale Abnahmeverpflichtungen zur Vergabebedingung.
Andererseits ist im internationalen Wettbewerb immer weniger Platz für die traditionelle Neigung deutscher Ingenieure, technische Perfektion um ihrer selbst willen zu erreichen. Zunehmend steht der praktische Wert der Konstruktions- und Fertigungsleistung, das so genannte Value Engineering, im Vordergrund. Bei den deutschen Anbietern trägt das in den vorangegangenen Jahren verfolgte Bemühen um eine Verkürzung der Projektlaufzeiten Früchte. Dadurch sinken zum einen die Kosten, zum anderen steigen die Chancen, bei der Vergabe berücksichtigt zu werden. Es zahlt sich mittlerweile aus, dass Unternehmen des deutschen Großanlagenbaus Vorreiter im Einsatz elektronischer Geschäftsprozesse waren.
Projektmanagement wird zum Dreh- und Angelpunkt
Gerade vor dem Hintergrund der Internationalisierung kommt der Kommunikation und hier vor allem auch dem Datenaustausch besondere Bedeutung zu. Ein Stichwort in diesem Zusammenhang ist Concurrent Engineering. Im globalen Umfeld und wegen der häufiger gesuchten Allianzen und Kooperationen müssen Prozesse und Anlagen zunehmend simultan entwickelt werden: Da wird das Basic Engineering in Deutschland erstellt, das Detail Engineering liefert kostengünstig eine Tochtergesellschaft aus Ost-Europa. Weil die Anlage in China errichtet wird, stellt ein lokales Büro den Stahlbau zusammen –‚die Welt wird zum großen Netzwerk‘, wie ein Insider anschaulich formuliert.
Für ein Großprojekt wie die Pharmawirkstoffanlage bei Boehringer Ingelheim, das ca. 900 Ausrüstungspositionen und 4 500 Rohrleitungen aufweist, ist der Einsatz komplexer und intelligenter Software absolut erforderlich. Daher hat Lurgi Life Science als General Contractor mit entsprechend professionellen CAD-Planungstools gearbeitet, beginnend im 2D-Planungsbereich für die insgesamt ca. 300 PID bis hin zu Equipment-Modellierung, Piping, Frame Work and Electrical Raceway. Für die Darstellung des umfangreichen Architekturteils wurde die Software zum Teil neu angepasst, für die 3D-Anlagenplanung auch neue Tools, wie z. B. neue Makros für die Generierung von Ausrüstungen oder neue Features für die EMR-Planung erarbeitet.
Bei solchen Projekten gewinnt das Projektmanagement erheblich an Bedeutung. Denn wer auf ein verteiltes Engineering setzt, muss insbesondere die Schnittstellen der Arbeitspakete sauber festlegen – dafür ist ein gut funktionierendes Projektmanagement unabdingbar. Eine leistungsfähige Software für die Projektsteuerung hilft dabei. Praktiker empfehlen dafür EDM-Systeme mit integriertem Engineering-Workflow und 3D-CAD-Software mit moderner Datenbankarchitektur.
Auf der Achema 2003 werden solche Lösungen präsentiert – und der Besucher kann vor Ort überprüfen, ob das Konzept für seine Aufgabenstellungen passt.
Effizienzverbesserung in der Verwaltung
Ein wichtiger Ansatzpunkt für Verbesserungen und Kosteneinsparungen im Anlagenbau ist die Effizienz und Produktivität im indirekten Bereich – vor allem in der Verwaltung. Denn gerade in den traditionellen Firmen des Großanlagenbaus ist nach wie vor ein hoher Prozentsatz der Mitarbeiter nicht direkt an der Wertschöpfung beteiligt. Nicht allein das: Untersuchungen zeigen, dass etwa 70% aller Qualitätsprobleme in der Verwaltung verursacht werden. Praktiker gehen davon aus, dass von der Zeit, die zwischen Auftragseingang und Auslieferung liegt, die Produktion in der Regel nur 15% benötigt und den Rest die Verwaltung beansprucht. Hinzu kommt, dass der Anteil nicht-schöpferischer Arbeit bei den Ingenieuren bei 20% liegt. Hauptsächlich geht diese Zeit für die händische Verwaltung von Dokumenten verloren. Die Zielstellung lautet demnach: Wer die Effizienz der Verwaltung erhöht, spart Kosten, steigert die Qualität und verringert die Durchlaufzeiten.
Ein Beispiel ist die Dokumenten-Verwaltung. Automatisierte Dokumenten-Management-Systeme erweisen sich in allen Stufen der Anlagenplanung als wertvolle Unterstützung: Die Produktivität der Ingenieure verbessert sich ebenso klar wie die Qualität der Anlagenplanung. Anwender sprechen davon, bis zur Hälfte der bisherigen Dokumenten-Verwaltungskosten einsparen zu können. Hintergrund ist, dass die Veränderungen der Rahmenbedingungen (nationale und internationale Gesetze, Validierungsvorgaben der FDA etc.) in hohem Maße die Geschäftsprozesse in der Chemie und vor allem in der Pharma-Industrie beeinflussen. Das hat unter anderem Bedeutung für die Qualität der Projekt-Dokumentation – und insbesondere für den Workflow dieser Dokumente: Dokumente müssen schnell, zeitlich und lokal flexibel bereitgestellt werden. Dabei geht es mit Blick auf die GMP- oder FDA-Anforderungen in der Chemie und Pharmazie keineswegs nur um die formale Ablage von Dokumenten, sondern vor allem um das kontrollierte Herausgeben und das kontrollierte Hereinnehmen von nachweispflichtigen Dokumenten.
Hinzu kommen wachsende Anforderungen durch die Globalisierung. Bei der zunehmenden Zahl internationaler Großprojekte wird der reibungslose Informationsfluss und die gesicherte Verteilung aller notwendigen Dokumente zwischen den Projektbeteiligten im und außerhalb des Unternehmens zu einem entscheidenden Faktor dafür, wie profitabel ein Projekt unter dem Strich wird. Nicht zu vergessen: Alle Dokumente müssen revisionssicher archivierbar und für eine Wiederverwendung zugänglich sein. Auf der Achema 2003 werden die Spezialanbieter solcher Dokumenten-Management-Systeme mit aktuellen Lösungen präsent sein.
Vom Turnkey- zum Projektgeschäft
Welchen Stellenwert hat im internationalen Großanlagenbau das Turnkey-Geschäft? Wächst der Bedarf an World-scale-Anlagen – oder bieten nicht ganz im Gegenteil kleine, lokale Produktionsanlagen mehr Vorteile? Rezepte im Sinne von ‚man nehme‘ gibt es natürlich nicht als Antwort auf diese Fragen. Dennoch sind interessante Branchen-Entwicklungen zu beobachten.
In der europäischen Feinchemie will der Kunde offenbar von Turnkey-Geschäften nur wenig wissen. Der Anwender möchte sein Know-how noch selbst einbringen und auch behalten. Im internationalen Petrochemie-Geschäft, in der Kraftwerkstechnik und auch im Kunststoffgeschäft scheint hingegen der Wunsch nach schlüsselfertigen Anlagen ungebrochen.
Verallgemeinern kann man diese Einzelbeobachtungen so: Geht es um Anlagen für hochwertige, innovative Vor- und Zwischenprodukte der Feinchemie bzw. um Wirkstoffe der Pharmazie, legt der Anwender Wert darauf, eigenes Verfahrens- und Produktions-Know-how im Unternehmen zu halten. Hier entwirft der Anlagenplaner/Anlagenbauer nach Vorgabe des Kunden. Beispielsweise hat Siemens Axiva für Aventis Pharma Deutschland eine Produktionsanlage zur Herstellung eines Wirkstoffes gegen Bluthochdruck gebaut. Die Anlage wurde in nur 12 Monaten in einen bestehenden Produktionsbetrieb im Industriepark Höchst integriert (Inbetriebnahme im August 2002). Die Business Unit Pharma der Siemens Axiva hat das Konzept für die Anlage in enger Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber entwickelt und sorgte für den erfolgreichen Projektablauf bis hin zur mechanischen Fertigstellung und Inbetriebnahme. Der Einbau in eine bereits bestehende Produktionsanlage und die Nutzung vorhandener Apparate, EMR-Technik, Infrastruktur und Rohrleitungen war eine technologische Herausforderung.
Im Massengeschäft jedoch, wo die Margen nur über die Kostendegression hereingeholt werden, geht der Trend weiterhin klar in Richtung immer größerer Werke, die zum Festpreis errichtet werden. Hier kauft der Kunde auch gern die Verfahrenstechnologie mit ein und setzt darauf, dass der verfahrensgebende Großanlagenbauer die Technik kontinuierlich optimiert und immer wieder das letzte Quäntchen an Energie- und/oder Materialkosteneinsparung realisiert. Dazu nutzen einige Anbieter auch Kooperationen, um den gestiegenen Anforderungen hinsichtlich Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz gerecht zu werden. Die Tendenz, solche Anlagen näher an die entsprechenden Rohstoffquellen zu bauen, sowie die seit Jahren erkennbare Sättigung einiger nationaler Abnehmerbranchen sprechen langfristig für eine eher verhaltene Entwicklung für Großanlagen in Deutschland.
Es gibt natürlich auch Verfechter, die in Richtung ‚small is beautiful‘ denken. Der Reiz kleiner lokaler Produktionsanlagen liege in deren Flexibilität, des geringeren Störfall- und Umwelt-Risikos und natürlich sind die Transportkosten geringer. Vielleicht setzt sich diese Philosophie demnächst verstärkt durch – helfen wird dabei der Ansatz der Process Intensification: Durch mehrfache Nutzung bestehender Einrichtungen und Einsatz besonders effizienter Technologien wird die Anlagengröße deutlich verkleinert.
Wissensmanagement im Großanlagenbau
Wissenstransfer und Knowledge-Management werden zum entscheidenden Erfolgsfaktor im Anlagenbau. Groupware-Anwendungen, das Dokumenten-Management und die Nutzung von Workflow-Systemen seien aufgrund des international üblichen Pooling of skills, der Zusammenarbeit mit Kundenteams und vor allem auch wegen des Nachweises eines Qualitätsmanagements und der Projektdokumentation ein absolutes ‚Muss‘, so ein internationales Beratungsunternehmen.
Im Großanlagenbau muss Wissen nicht nur in beträchtlichem Maße aufgebaut, sondern auch für die Mitarbeiter erkenn- und nutzbar gemacht werden. Die Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau im VDMA (AGAB) hat dieses Thema erstmals im Jahr 1999 aufgegriffen und in ihrem Arbeitskreis Projektmanagement vertieft. Ein wichtiges Ergebnis: Um mit Wissensmanagement fühlbare Produktivitätsfortschritte zu erzeugen, ist eine leistungsfähige IT-Infrastruktur, die verbindliche Nutzung und Pflege des Systems durch die Mitarbeiter und die Installation von Anreizen zur Wissensteilung nötig. Zum Erfolg führt aber erst die Schaffung und das Vorleben einer Wissenskultur durch das Management.
Eine wichtige Rolle kommt elektronischen Wissensdatenbanken zu. Interessant ist hier beispielsweise das System der sogenannten Wissens-Tankstellen bei einem Großanlagenbauer, das etwa 10 bis 12 Wissensschwerpunkte elektronisch abbildet. Für jeden Wissensschwerpunkt trägt ein Mitarbeiter die Verantwortung. Eine Unternehmensberatung empfiehlt die Einrichtung eines virtuellen Team-Raums. Das ist eine unternehmensweit einheitliche IT-Plattform, die alle intern und extern an einem Projekt beteiligten Personen einbindet und für eine zeitgerechte Weitergabe aller relevanten Informationen innerhalb und zwischen den Projektphasen sorgt. Der virtuelle Teamraum vernetzt alle Projektmitarbeiter unabhängig von ihrem Standort. Voraussetzung für eine derart leistungsfähige Informations- und Kommunikationsplattform ist der internetbasierte Zugriff auf alle projektrelevanten Informationen (wie Spezifikationen, Zeichnungen, Kundendaten, Zeitpläne, Protokolle und Stücklisten). Eine konkrete Umsetzung dieses virtuellen Team-Raums ist beispielsweise mit bereits kommerziell angebotenen Engineering- und Lifecycle-Data-Management-Systemen möglich, wie sie auf der Achema vorgestellt werden.
Trends im internationalen Anlagenbau
• Im Auftragsmanagement setzt sich der Prozessgedanke durch
• In der Auftragsformulierung geht die Tendenz einerseits zu schlüsselfertigen Anlagen in der Hand eines Generalunternehmers (Grundstoffindustrie), andererseits nimmt das Projektgeschäft (Pharmazie, Feinchemie) zu
• Kunden verlangen vermehrt Betreiberkonzepte und die Übernahme von Beratung in anderen Bereichen (Daten-, Kommunikations- und Anlagenmanagement, Anlagencontrolling).
• Wissenstransfer und Knowledge-Management werden zum entscheidenden Erfolgsfaktor
• Die Spezialisierung schreitet voran, Competence Center nach Themengebieten werden aufgebaut
• Die Komplexität der Produktion soll reduziert werden
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