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Werkstoff als Wertstoff

Weg vom Öl, hin zu Pflanzen, Abfall und CO2
Werkstoff als Wertstoff

Kunststoffe sind universelle Werkstoffe und aus dem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken. Sie sind aber auch ein wertvoller Rohstoff, der viel zu schade zum Wegschmeißen ist. Auf der K 2019 stand daher auch nicht die eigentliche Werkstoffentwicklung im Vordergrund, sondern vielmehr die Erzeugung von Materiallösungen aus nachhaltigen Rohstoffen wie Abfall, Pflanzen und CO2. Nichtfossile Ressourcen sollen helfen, den Kohlenstoffkreislauf zu schließen.

Kennen Sie Metallplastik? Nein? Dann sind Sie kein Perry-Rhodan-Leser! Metallplastik ist eine hyperphysikalisch behandelte, mehrfach in submolekularen Vorgängen gehärtete Verbundlegierung aus einem Metall (Eisen oder Chrom) und einem Kunststoff. Der Gehalt an Kohlenwasserstoffen beträgt rund 85 %. Werkteile aus Metallplastik sind gegen mechanische Beanspruchung und Hitze von bis zu 18 000 Kelvin geschützt. Die Materialien sind in der Regel durchsichtig und werden in der Raumfahrt eingesetzt.

Solche Hochleistungs-Kunststoffe, wie sie in den Science-Fiction-Romanen von den Autoren beschrieben werden, sind uns bis heute fremd. Allerdings haben die Forscher und Entwickler bis zur Serienreife von Metallplastik auch noch ein paar tausend Jahre Zeit.

Auf der K 2019 dagegen lieferten zahlreiche Unternehmen mit wegweisenden Materiallösungen einmal mehr Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit. Doch der eigentliche Werkstoff stand auf der Messe nicht wirklich im Blickpunkt. Vielmehr ging es angesichts der öffentlichen Diskussion um Klimaschutz und Bildern von Kunststoffteppichen auf den Weltmeeren darum, Kunststoffe rohstofflich zu recyceln. „Megatrends wie Klimaschutz und Bevölkerungswachstum erfordern ein grundsätzliches Umdenken im Lebensstil und Konsumverhalten, aber auch in der weltweiten Produktion“, sagte der Covestro-Vorstandsvorsitzende Dr. Markus Steilemann auf der Messe vor Journalisten. „Wir brauchen eine komplette Umstellung von der Wegwerf- zur Kreislaufwirtschaft, um verantwortungsvoller mit begrenzten Ressourcen umzugehen und das Klima zu schützen.“

Covestro engagiere sich beim Aufbau neuer Stoffkreisläufe über die gesamte Prozesskette, um einen spürbaren Beitrag zum Erreichen dieses großen Ziels zu leisten. „Wir haben ein umfassendes und langfristiges Programm aufgelegt, das auch neue Möglichkeiten für Wertschöpfung erschließen soll“, erläuterte Steilemann. „Hochwertige Kunststoffe sind und bleiben Treiber für Nachhaltigkeit und zur Bewältigung globaler Herausforderungen. Entscheidend ist aber, dass damit erreichte wirtschaftliche Wachstum vom Verbrauch fossiler Ressourcen wie dem Erdöl zu entkoppeln.“

Abkehr vom Erdöl

Ein Kernelement beim Aufbau der Kreislaufwirtschaft in der Kunststoff- und Chemieindustrie ist die Schließung des Kohlenstoffkreislaufs durch die Wiederverwertung von Rohstoffen. „Wir wollen langfristig so weit wie eben möglich auf fossile Ressourcen verzichten und stattdessen alternative Quellen wie Abfall, Pflanzen und CO2 nutzen“, sagte Steilemann. „Insbesondere gebrauchte Kunststoffe sind eine wertvolle Ressource. Deshalb wollen wir gemeinsam mit Partnern verstärkt innovative Recyclingmethoden entwickeln“, so der Covestro-Vorstandschef. Auf keinen Fall dürfe Kunststoffabfall länger unkontrolliert in die Umwelt gelangen. Die Branche setze sich weltweit intensiv für ein besseres Abfallmanagement ein – etwa in der Alliance to End Plastic Waste, der auch Covestro angehört.

Erfolge mit CO2

Es gilt also neue Quellen für das Element Kohlenstoff zu erschließen. Bislang kommen Pflanzen infrage, aber auch Hausmüll oder gebrauchte Kunststoffe. Zusätzlich hat nun ein weiterer Rohstoff die Bühne betreten: Kohlendioxid. Mithilfe des CAT Catalytic Centers, einer von Covestro und der RWTH Aachen betriebenen Forschungseinrichtung, ist es gelungen, dem reaktionsträgen CO2 mit einem Katalysator Beine zu machen. „Wir haben in akribischer Suche den einen passenden Katalysator entdeckt, der die gewünschte Reaktion mit CO2 so steuert, dass das optimale Produkt dabei herauskommt“, berichtet Dr. Christoph Gürtler, der die Katalyseforschung von Covestro leitet. Parallel wurde von den Rheinländern eine vollkommen neue Plattformtechnologie entwickelt. Seit 2016 wird in Dormagen ein wichtiges chemisches Vorprodukt auf CO2-Basis hergestellt, sogenanntes Polyol. Das wiederum wird zur Fertigung von Polyurethanen benötigt, einer vielseitigen und weit verbreiteten Kunststoffklasse.

Auf der Möbelmesse imm cologne 2020 zeigte die Schlaraffia/Recticel Schlafkomfort GmbH nicht nur Polyurethan-Matratzen auf CO2-Basis, das Unternehmen will auch einen kompletten Produktlebenszyklus für Matratzen entwickeln und Polyurethanschaum zu einem wirklich nachhaltigen Werkstoff machen, indem gebrauchte Produkte wiedergewonnen und in Komponenten für bestehende oder neue Produkte verwandelt werden. Das Unternehmen ist Teil des europaweiten Forschungsprojekts „PUReSmart“, das neun Unternehmen und akademische Einrichtungen aus sechs Ländern umfasst und von Recticel koordiniert wird. Covestro trägt durch die Entwicklung chemischer Recyclingtechnologien dazu bei.

Wiederverwertung von Kunststoffen

Auch die BASF arbeitet daran, die Wiederverwertbarkeit von Kunststoffen zu verbessern. Im Projekt Chemcycling setzte das Unternehmen Ende 2018 erstmals Pilotmengen eines aus Kunststoff gewonnenen Pyrolyseöls als Rohstoff in der Produktion ein (siehe cav8/19). Zur K 2019 präsentierten mehrere Partner die ersten Prototypen, die im Rahmen dieses Projektes entstanden sind. So entwickelte Jaguar Land Rover (JRL) einen Kunststoff-Montageträger-Prototypen für sein erstes elektrisches SUV „I-Pace“ aus Ultramid B3WG6 Ccycled Black 00564. „Im Rahmen unseres Engagements, in unserer gesamten Produktion geschlossene Kreisläufe zu beschleunigen, suchen wir immer nach technologischen Neuerungen, die uns helfen, Abfall zu reduzieren“, sagte Craig Woodburn, Global Environmental Compliance Manager bei JLR. „Die Fähigkeit, durch den Chemcycling-Prozess aus Verbraucherabfällen sichere Qualitätsteile herzustellen, ist ein wichtiger Schritt hin zu unserem Ziel einer abfallfreien Zukunft.“

Storopack, ein global tätiges Unternehmen für Schutzverpackungen und technische Formteile, produzierte aus Styropor P Ccycled Isolierverpackungen für temperaturempfindliche, pharmazeutische Produkte, Boxen zum Transport von Frischfisch sowie Schutzverpackungen für Elektrogeräte. „Besonders überzeugt hat uns, dass Styropor P Ccycled in Lebensmittelverpackungen eingesetzt werden kann. Für Styropor gibt es bereits verschiedene Recyclingmöglichkeiten und durch Chemcycling kann der Recyclinganteil weiter erhöht werden“, sagte Storopack-Geschäftsführer Hermann Reichenecker.

Schneider Electric fertigte einen Schutzschalter aus chemisch recyceltem Ultramid. „Auch beim Einsatz von Sekundärrohstoffen wie recycelten Kunststoffen müssen unsere anspruchsvollen Qualitätsstandards sowie die strengen Normen und Richtlinien der Industrie erfüllt werden“, sagt Xavier Houot, Senior Vice President Group Environment, Safety, Real Estate, bei Schneider Electric. „Wir hoffen, dass dieser Test mit BASF uns neue Möglichkeiten für Innovationen der Kreislaufwirtschaft in Energiemanagement und -verteilung eröffnet.“

„Die Pilotprojekte mit Kunden aus verschiedenen Industrien zeigen, dass Produkte auf Basis von chemisch recycelten Rohstoffen über die gleiche hohe Qualität und Leistungsfähigkeit verfügen wie Produkte aus Neuware. Chemcycling, bei dem der Anteil des recycelten Materials über den Massenbilanzansatz dem Endprodukt rechnerisch zugewiesen wird, kann unseren Kunden helfen, ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen“, sagt Jürgen Becky, Senior Vice President Performance Materials. Die zertifizierten Produkte sind durch den Zusatz „Ccycled“ gekennzeichnet. Die nun präsentierten Prototypen sind Teil der laufenden Pilotphase des Chemcycling-Projekts.

Biobasierte Kunststoffe

Ein anderer Weg, weg vom Erdöl, sind biobasierte Kunststoffe. Der neue Markt- und Trendbericht „Bio-based Building Blocks and Polymers – Global Capacities, Production and Trends 2019-2024“ des deutschen Nova-Instituts zeigt Kapazitäten und Produktionsdaten für alle biobasierten Polymere im Jahr 2019 und gibt eine Prognose für 2024. So betrug im Jahr 2019 die gesamte Produktionsmenge der biobasierten Polymere 3,8 Mio. t, was etwa 1 % der Produktionsmenge der fossilbasierten Polymere entspricht. Dies ist etwa 3 % mehr als noch im Jahr 2018 – dieses jährliche Wachstum wird sich voraussichtlich bis 2024 fortsetzen. Die wichtigsten biogenen Rohstoffe, die für die Produktion von biobasierten Polymeren genutzt werden, sind Nebenprodukte (46 %). Dabei wird vor allem Glycerin genutzt, ein Nebenprodukt der Biodieselproduktion, das für die Herstellung von Epoxidharzen verwendet wird. Der Vorteil von Nebenprodukten anderer Prozesse: Es werden keine landwirtschaftlichen Flächen benötigt.

Ein gelungenes Beispiel für nachhaltigere Wirtschaftsweise mit biobasierten Materialien ist eine neue Polyamid-Familie, die ein Forschungsteam der Fraunhofer-Gesellschaft und der Technischen Universität München (TUM) unter Leitung des Chemikers Volker Sieber entwickelt hat. Der neue Kunststoff lässt sich aus (+)-3-Caren, einem Nebenprodukt der Zelluloseproduktion, herstellen.

Die BASF präsentierte auf der K 2019 mit Ultramid Flex F38 ein biobasiertes Co-Polyamid. Etwa ein Drittel der Rohstoffe für das Monomer stammen aus lokal angebautem Rapsöl. Herstellern von Schrumpffolien und Vakuumverpackungen für Lebensmittelanwendungen ermöglicht Ultramid Flex F38 hervorragende mechanische Eigenschaften über ein breites Temperaturspektrum. Außerdem verspricht Ultramid Flex F38 hohe Dehn- und Reißfestigkeiten – auch bei niedrigen Temperaturen. Aus Ultramid Flex F38 hergestellte Folien sind unmittelbar nach der Verarbeitung, bereits ohne vorhergehende Konditionierung, weich, was einen großen Vorteil für die anschließende Weiterverarbeitung der Folienrolle bietet.

Fazit

Die K 2019 zeigte einmal mehr, dass Kunststoff nicht nur ein universeller Werkstoff ist, sondern auch ein Wertstoff, den es im Sinne des Klimaschutzes unbedingt zu recyceln gilt. Auch wenn wir von den universellen Kunststoffen des Perry-Rhodan-Universums noch weit entfernt sind, gibt es doch einige vielversprechende Ansätze, den Kohlenstoffkreislauf zu schließen.

www.prozesstechnik-online.de

Suchwort: Metallplastik


Dr. Bernd Rademacher

Redakteur

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