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Antwort auf das Nach-Erdöl-Zeitalter

Braunkohle als Rohstoff für die Industrie
Antwort auf das Nach-Erdöl-Zeitalter

Die Perspektiven der Braunkohle als Energieträger mögen umstritten sein – eine große Zukunft als Rohstoff für die Industrie hat das fossile Sedimentgestein allemal. Weil im mitteldeutschen Chemiedreieck dafür noch Vorräte für rund 300 Jahre lagern, greift die Idee eines Braunkohlenchemieparks weiter um sich. Einer der Motoren ist der vom BMBF geförderte regionale Wachstumskern „Innovative Braunkohlen Integration in Mitteldeutschland“.

Autor Hans-Werner Oertel Wirtschaftsjournalist

Noch immer wird in Deutschland – hier lagern gut 14 % der Weltvorräte – weitaus mehr Braunkohle verfeuert (rund 160 Mio. t/a) als stofflich zu Montanwachs, Olefinen, Synthesegas oder Kohlenstoffkonzentraten veredelt (15 Mio. t/a). Auf diese Weise wird das „schwarze Gold“ nicht optimal verwertet, kritisierten Initiatoren aus Industrie und Forschung der „Innovative Braunkohlen Integration in Mitteldeutschland“ – kurz IBI. Sie setzten dieser Entwicklung im Jahr 2008 ein eigenes Zukunftskonzept dagegen. Hauptziel war es, die zu damaligen Weltmarktpreisen noch wesentlich effektivere braunkohlebasierte Gewinnung von Wasserstoff in direkter Konkurrenz zur H2-Erzeugung auf Erdgasbasis zu forcieren.
Mit dem Vorschlag, die Themen Braunkohlenchemie und Ressourceneffizienz in eine starke und tragfähige regionale Technologie- und Wirtschaftsplattform umzusetzen, fand der Wachstumskern auch bei der Politik Gehör. Das Bundesforschungsministerium gab mit rund 11 Mio. Euro eine Anschubfinanzierung. Im Wachstumskern IBI wurden mit Blick auf die notwendige Allianz aus Braunkohleförderung, Chemieindustrie und Anlagenbau Ideen aus Wissenschaft und Praxis gebündelt. Die Initiative startete in Kooperation mit der TU Bergakademie Freiberg und der Fachhochschule Merseburg mehrere Verbundprojekte, die von der Erkundung und dem Management von Lagerstätten bis zu Extraktions- und Vergasungsverfahren reichten. Seither wurden für alle Wertschöpfungsketten die dafür notwendigen Technologien erarbeitet.
Mehr als hundertjährige Tradition
Die Braunkohlennutzung hat im Chemiedreieck zwischen Halle/Leipzig, Bitterfeld und Merseburg eine starke industrielle Basis und eine mehr als hundertjährige Tradition. Allein in Sachsen-Anhalt lagern noch 4 Mrd. t Kohle. Romonta aus Amsdorf bei Halle/Saale ist der weltgrößte Hersteller von Rohmontanwachs. Die daraus hergestellten Erzeugnisse verleihen Schuhcremes, Polituren oder Schmierstof- fen die entsprechenden Eigenschaften. Von Romonta kommen ferner Emulsionen zur Baustoffhydrophobierung,. Feingusswachse, Farbträger für Kohlepapiere oder Wachsadditive für die Asphalt- bzw. Bitumenherstellung.
Nach fünf Jahren Teamwork ist das Konsortium vom Ziel, eine komplette Wertschöpfung in einem Braunkohlechemiepark zu bündeln, allerdings noch um einiges entfernt. Der Vorstand der Initiative, Andreas Hiltermann, machte auf einem Symposium in Halle die seit Projektstart veränderten globalen Rahmenbedingungen dafür verantwortlich. Sei man beim Thema Synthesegasgewinnung aus Braunkohle vom parallelen Fortbestand etwa gleicher Weltmarktpreise für Erdöl und Erdgas ausgegangen, so habe das vor allem in den USA angewandte Fracking zur Erdgasgewinnung aus Schieferschichten weltweit zu einem Preisverfall bei diesem Rohstoff beigetragen. Laut Hiltermann fehle derzeit vor allem noch ein Investor für den Schluss der Kette: eine Vergasungsanlage, die Synthesegas für die Chemieindustrie kostengünstig zur Verfügung stellt.
Dennoch wird aus der ursprünglichen Vision – der Entwicklung von Dienstleistungen, Verfahren und Anlagentechnik, um die Technologie- und Marktführerschaft bei der Herstellung hochwertiger chemischer Grundstoffe und Basisprodukte aus Braunkohle zu erlangen – schrittweise wirtschaftliche Realität. Einzelne Module eines zukünftigen „Braunkohlenchemieparks Mitteldeutschland“ werden bereits vermarktet.
Nach dem Baukastenprinzip
Praxis des Konsortiums ist es, nach dem Baukastenprinzip Bedarfslücken zu schließen bzw. bestehende Anlagen aufzurüsten. Für ein wirtschaftliches Verfahren ist es von Bedeutung, die einzelnen Prozessschritte von der Gewinnung der Kohle über die Aufbereitung bis zur stofflichen Nutzung miteinander zu vernetzen, um so eine in sich geschlossene, effiziente Prozesskette zu schaffen. In einer solchen Wertschöpfungskette könnten aus selektiv gewonnenen und aufbereiteten Braunkohlen z. B. zunächst Wachse extrahiert, der Extraktionsrückstand daraufhin katalytisch zu verschiedenen aliphatischen und aromatischen Basischemikalien umgesetzt und der verbleibende Koks anschließend einer Vergasungsstufe zugeführt oder alternativ energetisch genutzt werden. Ein hoher Einbindungsgrad des Kohlenstoffs der Kohle in chemische Zielprodukte führt gleichzeitig zu einer Minimierung der spezifischen CO2-Emissionen.
Durch Integration des Prozesses in bereits bestehende Anlagen lassen sich verschiedene Synergieeffekte nutzen und somit Energieverluste sowie Investitionskosten minimieren. So bietet die Eingliederung in einen bereits vorhandenen Chemiestandort oder ein Kraftwerk die Möglichkeit, die generierten Produkte direkt vor Ort weiter aufzubereiten (z. B. Raffinerie, Steamcracker, Entschwefelung), potenziellen Abnehmern zuzuführen und Restenergien zu nutzen.
Innovatives Verfahren
Das Verbundprojekt Niedertemperaturkonversion wird innerhalb des Netzwerks von Prof. Dr. Mathias Seitz mit seinen Mitarbeitern an der Hochschule Merseburg bearbeitet. Ihr neues Verfahren zur Gewinnung von Kohlenwasserstoffen aus Braunkohle ist gegenüber einer entsprechenden erdölbasierten Technologie um den Faktor acht effektiver. Es basiert auf dem Gedanken einer Spaltung von Braunkohle zu Basischemikalien wie Olefinen, Naphta und BTX-Aromaten mittels sauer Katalysatoren bei Temperaturen von etwa 300 bis 500 °C. In entsprechenden Versuchen wurde gezeigt, dass die Ausbeute an niedermolekularen Spaltprodukten gegenüber dem rein thermischen Cracken (Pyrolyse) erhöht wird und parallel dazu eine Einengung des Produktspektrums erfolgt, sodass der nachfolgende Aufbereitungsaufwand minimiert wird.
Bezogen auf die besonders gefragten C3- und C4-Olefine sowie auf BTX-Aromate, bewirkte der Einsatz eines passenden Katalysators eine Verzehnfachung der entsprechenden Ausbeuten. So lässt sich je nach eingesetzter Kohle, Katalysator und Prozessrealisierung eine bis zu achtfache Wertsteigerung aus der Kohle generieren. Der eigens entwickelte Katalysator wurde mithilfe der Aufkristallisation von Zeolithen auf Trägermaterialien im Technikumsmaßstab bereits erfolgreich synthetisiert. Eine irreversible Desaktivierung der Katalysatoren konnte bisher kaum gemessen werden. Erste Versuche in einer kontinuierlichen Anlage im Containermaßstab verliefen erfolgsversprechend, sodass eine Entwicklung des Verfahrens hin zu einer industriellen Anwendung realisierbar ist. Erfahrungen aus analogen Prozessen lassen sich dabei integrieren. Zur Errichtung einer entsprechenden Pilot- bzw. Großanlage werden nun Investoren gesucht.
prozesstechnik-online.de/cav0114413
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