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Ausdauertest mit NIRS

Wirkstofffreisetzung von Retardtabletten vorhersagen
Ausdauertest mit NIRS

Retardformulierungen für anhaltende Wirkstofffreisetzung haben zahl-reiche therapeutische Vorteile, doch ihre Qualitätskontrolle ist aufwendig. Die Nahinfrarotspektroskopie (NIRS) bietet eine schnelle und einfache Alternative zu langwierigen Dissolutionstests. Mit NIRS und geeigneten PLS-Kalibriermodellen kann das Dissolutionsverhalten von Retard- tabletten binnen weniger Minuten akkurat vorhergesagt werden.

Autorin Stephanie Kappes Wissenschaftlich-technische Redakteurin, Metrohm

Nach der Einnahme einer Tablette kommt es in der Regel zu einer sogenannten Plasmaspitze. Diese kurzfristig hohe Wirkstoffkonzentration im Blutplasma des Patienten entsteht durch die schnelle, vollständige Freisetzung des Arzneimittels aus der Tablette. Je nach Arzneimittel kann die hohe Konzentration starke Nebenwirkungen hervorrufen. Für eine andauernde Wirkung müssen Patienten diese Medikamente zudem mit hoher Frequenz einnehmen, denn der anfänglich hohe Plasmaspiegel des Wirkstoffs fällt schnell wieder ab. Diese Probleme lassen sich mit Retardformulierungen mit anhaltender Wirkstofffreisetzung (sustained release) umgehen (Bild 3). Die Plasmaspitze wird vermieden und längerfristig ein sinnvoller Plasmaspiegel aufrechterhalten. Hormonpräparate, blutdruckregulierende Medikamente, Schmerzmittel und Antidepressiva werden daher oft in Form von Retardtabletten verabreicht.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Retardtabletten zu realisieren. So kann ein Überzug die Tabletten vor der schnellen Zersetzung durch Magensaft schützen. Oft enthalten die Tabletten auch spezielle Polymere. Diese bedingen eine Matrixstruktur, die den Wirkstoff verlangsamt freigibt. Die Freisetzungsdauer für den gesamten enthaltenen Wirkstoff lässt sich dann durch die Polymerkonzentration in der Tablette beeinflussen, falls vorhanden auch durch die Weichmacherkonzentration. Gängige Polymere für Retardformulierungen sind etwa Ethylcellulose (in Kombination mit dem Weichmacher Acetyltributylcitrat, kurz ATBC) und Eudragit NE 30D.
Ein Nachteil von Retardtabletten ist ihre aufwendige Qualitätskontrolle. Üblicherweise wird die Freisetzung in einem Dissolutionstest gemessen. Dafür wird die Tablette in ein Lösemittel gelegt, das sich ähnlich dem Magensaft verhält. Dann wird über den gesamten vorgesehenen Zeitraum – oft sind das 24 Stunden – in regelmäßigen Intervallen der freie Wirkstoff bestimmt.
NIRS für schnelle Qualitätskontrolle
Eine Alternative zum Dissolutionstest stellt die Nahinfrarotspektroskopie (Bild 1 und 2) dar. Mit NIRS und einem geeigneten Modell kann das Auflösungsverhalten der Tabletten akkurat vorhergesagt werden, und das innerhalb weniger Minuten. Da die Analyse im Gegensatz zu Dissolutionstests nicht destruktiv ist, können zudem größere Probenmengen analysiert werden.
Tabasi et al. beschreiben in einer Publikation von 2009 (Int. J. Pharm. 382, 1–6) die Vorhersage des Auflösungsverhaltens von Theophyllintabletten mittels NIRS. In Form von Retardtabletten kommt Theophyllin in der Asthmatherapie zum Einsatz. Die von Tabasi und Kollegen untersuchten Tabletten enthalten unterschiedliche Konzentrationen des Polymers Eudragit NE 30D, das die Freisetzung des Wirkstoffs verlangsamt.
Nach Aufnahme der NIR-Spektren einiger Tabletten mit unterschiedlichen Polymergehalten (0, 5, 10, 15 und 20 % Eudragit NE 30D) bestimmen die Forscher die Wirkstofffreisetzung mittels eines Dissolutionstests (Bild 4). Die erhaltenen Daten nutzen sie, um für vier Messzeitpunkte (1, 2, 3 und 4 Stunden) je ein Kalibriermodell zur erstellen. Die Modelle korrelieren vom Polymergehalt abhängige Veränderungen im NIR-Spektrum mit den Messwerten aus den Dissolutionstests.
Mit multivariater Analyse zum Modell
Bei der Aufnahme eines NIR-Spektrums mit einem herkömmlichen Spektrometer wird die Probe der Reihe nach mit Licht verschiedener Wellenlängen bestrahlt. Dabei wird ein definierter Wellenlängenbereich im nahen Infrarot abgerastert. Abhängig von der Probenbeschaffenheit misst man den Reflexions- oder Transmissionsgrad. Das Spektrum erhält man durch Auftragen dieses Werts gegen die Wellenlänge.
Die Darstellung einer Serie von Spektren als Matrix ermöglicht die multivariate Analyse. Für n Spektren unterschiedlicher Proben, die aus jeweils p Messwerten (bei p verschiedenen Wellenlängen) bestehen, erhält die Matrix die Form:
Im Falle der Theophyllintabletten steht jede Zeile für eine bestimmte Polymerkonzentration und enthält die über mehrere Proben und Messungen gemittelten Reflexionswerte. Für die Erstellung eines Kalibriermodells mittels der gängigen PLS-Regression (partial least squares) werden die Komponenten der Datenmatrix auf ein neues, orthogonales Koordinatensystem projiziert, um sie darin anhand möglichst weniger Komponenten möglichst genau wiederzugeben. Das Prinzip ähnelt dem der Hauptkomponentenanalyse (principal component analysis, kurz PCA).
Im Unterschied zur PCA werden bei der Wahl des neuen Koordinatensystems aber nicht nur die in der Matrix enthaltenen NIRS-Daten berücksichtigt. Auch die Werte aus dem Dissolutionstest werden miteinbezogen, um die Kovarianz und somit die Korrelation der NIRS-Daten mit den Messwerten aus dem Dissolutionstest zu maximieren. Dadurch erhält man ein Modell, das imstande ist, aus einem NIR-Spektrum Vorhersagen über das Dissolutionsverhalten zu treffen.
Nach der Validierung können die Modelle verwendet werden, um das Dissolutionsverhalten gleichartiger Proben vorherzusagen. Bild 5 zeigt im Vergleich die Vorhersagen und Messungen einiger ausgewählter Proben aus dem Validierungsset von Tabasi et al.
Zeit und Arbeit gespart
Die Nahinfrarotspektroskopie bietet eine schnelle und einfache Möglichkeit, das Dissolutionsverhalten von Tabletten vorherzusagen. Ist ein geeignetes Kalibriermodell für den betreffenden Tablettentyp vorhanden, so liefert die Methode innerhalb weniger Minuten eine Vorhersage. Die Vorhersage ist natürlich nur so gut wie das Modell, das ihr zugrunde liegt. Doch ein ausreichend validiertes Modell liefert verlässliche und akkurate Resultate.
In der Qualitätskontrolle von Tabletten bedeutet die Methode einerseits eine erhebliche Reduktion von Zeit- und Arbeitsaufwand. Durch die einfache, schnelle und zerstörungsfreie Analyse ermöglicht sie andererseits die Untersuchung wesentlich größerer Stichprobenmengen als es der Einsatz von Dissolutionstests zulässt.
prozesstechnik-online.de/cav0714442
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