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IEC 61499: Der Traum vom offenen Standard lebt

Volles Industrie-4.0-Erlebnis in der Prozessautomation
IEC 61499: Der Traum vom offenen Standard lebt

Im Alltag nutzen wir Industrie-4.0-Lösungen ganz selbstverständlich. Wir laden uns Apps herunter, und wundern uns nicht, dass diese völlig problemlos auf unterschiedlichen Endgeräten funktionieren. Das klappt allerdings nur, weil eine gemeinsame Basis vorhanden ist. In der industriellen Automatisierung sind wir von solch einer universellen Nutzung noch weit entfernt. Das soll nach Willen der Non-Profit-Organisation Universalautomation.org und Schneider Electric jetzt anders werden.

Die Vorteile von Industrie 4.0 sind inzwischen hinlänglich bekannt. Doch damit das digitale Zeitalter in der Industrie wirklich durchstarten kann, benötigt es offene Standards. Organisationen wie die Namur sind damit beschäftigt, mehr Transparenz in prozesstechnische Anlagen zu bringen und die zahlreichen Zusatzinformationen von Geräten verfügbar zu machen. Die Automatisierung selbst aber bleibt proprietär. Ein Umstand, der sich jetzt auf Basis der IEC 61499 ändern soll. Sie schafft eine Grundlage für die Portabilität von Industrieautomatisierungsanwendungen, die weitreichende Vorteile mit sich bringt. Dazu gehören u. a. die einfache Konvergenz von IT- und OT-Systemen und eine Wiederverwendbarkeit von Softwarebausteinen, die jetzt unabhängig von der Hardwareplattform ausgeführt werden können.

Endanwender für offenen Standard

In der Welt der Smartphones gibt es zwei Beispiele, die die aktuelle Situation gut beschreiben: Apps, die für Apple-Geräte geschrieben wurden, lassen sich nur auf Apple-Geräten nutzen. Sie sind nicht kompatibel mit den Endgeräten anderer Hersteller. Betrachtet man andererseits Android oder Linux, so können in dieser Umgebung geschriebene Apps auf der Hardware unterschiedlichster Hersteller verwendet werden. Aktuell befinden wir uns mit der industriellen Automatisierung noch in der Apple-Welt. Softwarebausteine für bestimmte Funktionen müssen für jedes Automatisierungssystem neu geschrieben werden. Die Folge: Es werden enorme Ressourcen bei der Softwareentwicklung verbrannt. „Mit proprietären Systemen wird auf Dauer keine durchgängige Digitalisierung möglich sein“, sagt Gregory Boucaud, Chief Marketing Officer der Non-Profit-Organisation Universalautomation.org (UAO). „Daher ist es logisch, dass gerade die Anwender auf eine Überwindung proprietärerer Automatisierungssysteme pochen. Organisationen wie Namur oder das Open Process Automation Forum (OPAF) setzen sich schon heute für mehr Herstellerunabhängigkeit, etwa hinsichtlich der Datenkommunikation, ein. Mit der von uns verwalteten Technologie möchten wir an diese Entwicklung anknüpfen und die Nutzung eines offenen Automatisierungskonzepts ermöglichen. “ Der Schlüssel zu dieser neuen Welt ist die Norm IEC 61499. Die technologische Entwicklung ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass die Norm ihr volles Potenzial ausschöpfen kann. „Das heißt, die IEC 61499 kann jetzt als wesentlicher Baustein für die Entwicklung einer wirklich offenen industriellen Automatisierungsumgebung dienen, in der Softwareanwendungen über Hardwareplattformen verschiedener Hersteller hinweg portabel sind“, sagt Boucaud.

Runtime für offene Automatisierung

„Universalautomation.org hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine Runtime auf Basis der IEC 61499 zur Verfügung zu stellen und diese zu pflegen“, sagt Boucaud. „Mit der herstellerunabhängigen Runtime gelingt quasi der Wechsel von der proprietären Apple- in die offene Android-Welt.“ Mitglieder der UAO können zukünftig die Runtime in ihre Geräte integrieren. Portabilität und Interoperabilität werden dadurch möglich und OT und IT wachsen zusammen. Damit können Digitaltechniken wie Simulation, Big Data, Predictive Maintenance und vieles mehr ihr volles Potenzial entfalten.

Boucaud sieht noch einen anderen Vorteil: „Bisher musste bei den Anwendern immer Know-how über die Software der jeweiligen Hersteller vorhanden sein. Das wird in Zukunft nicht mehr notwendig sein, denn bei uns gibt es nur noch ein System.“

Applikationsbeispiel Separator

Bereits auf der Hannover Messe 2021 hätte der große Auftritt des ersten Testmoduls mit diesem offenen Standard erfolgen sollen. Daraus wurde leider aufgrund der Pandemie nichts. Und auch beim nächsten Anlauf auf der SPS im November machte Corona im letzten Moment einen Strich durch die Rechnung. Jetzt steht der Demonstrator wieder im Labor von Schneider Electric in Marktheidenfeld und wartet auf seinen Achema-Auftritt im August. Es handelt sich um ein Separator-Modul der Firma GEA, das Schneider Electric mit dem Ecostruxure Automation Expert auf Basis der Runtime von UAO automatisiert hat. Leif Jürgensen, NextGen Automation Solution Incubator bei Schneider Electric, ist vom Potenzial der
IEC 61499 überzeugt: „Wir bei Schneider glauben, dass in der softwarezentrierten, hardwareunabhängigen Automatisierung die Zukunft liegt. Die Möglichkeiten, die uns diese Technologie bietet, sind gewaltig.“ Unter dieser Prämisse wurde auch das Automatisierungssystem Ecostruxure Automation Expert (EAE) von Schneider Electric entwickelt. Es unterstützt den Anwender bei der Neugestaltung des Engineerings durch einen softwarezentrierten Ansatz und ermöglicht ein effizientes Wrapping und eine Wiederverwendung von Automatisierungsobjekten. „Die Software bietet rasche Anpassungen bei Prozessveränderungen per Drag & Drop und ist ideal geeignet für verteilte Systeme“, erläutert Jürgensen und gibt auch gleich ein Beispiel: „Auf der Hardware eines Durchflussmessgerätes im Bypass könnte beispielsweise die Steuerung der umgebenden Ventile laufen. Dazu müssen lediglich die Funktionsblöcke in EAE auf die Hardware verschoben werden, die Verbindung wird automatisch generiert.“

Auch Patrick Eickhoff, Head of Software Development – Single Machines bei GEA Business Unit Separators, war mit seinem Team an der Entwicklung des Demonstrators beteiligt. „Gerade in Zeiten, in denen bei vielen Hardware-Herstellern aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Chips Lieferengpässe entstehen, spielt die herstellerunabhängige Automation aus unserer Sicht eine immer wichtigere Rolle. Sie gibt uns bei der Auswahl der Hardwarekomponenten die erforderliche Flexibilität.“

Leif Jürgensen sieht zusätzlich in der intelligenten Verzahnung von IT und OT enorme Vorteile: „Mit unserem Automatisierungssystem rücken wir sehr nah an die IT heran und können deren Vorteile hinsichtlich Industrie 4.0 optimal nutzen.“ Und auch in der Anbindung an übergeordnete Systeme sieht er durch die Integration in die Aveva-System-Plattform kein Problem. In Kombination mit dem Module Type Package (MTP) lassen sich auch modulare Anlagen in der Prozessindustrie gestalten.

Plug-&-produce rückt näher

Der Übergang zu Automatisierungssystemen auf der Grundlage der IEC 61499 ist mehr als ein einfacher Technologiewechsel. Er hat das Potenzial, die Art und Weise, wie Prozesse und Maschinen gestaltet werden, grundlegend zu verändern. Mit der Einführung offener Automatisierungssystemplattformen wie EAE und der Umsetzung erster Feldtests ist der Startschuss in eine neue Automatisierungswelt gefallen. Bis zum flächendeckenden Einsatz ist es noch weit. Viele Hürden werden noch genommen werden müssen, beispielsweise das Thema Safety. Der Weg ist jedoch aufgezeigt, wie die Automatisierung in der Prozesstechnik zukünftig funktionieren kann.

www.prozesstechnik-online.de

Suchwort: IEC 61499


Dr. Bernd Rademacher

Redakteur


IEC 61499:   Event-gesteuerte Abarbeitung

Die IEC 61499 ist eine Erweiterung der bisher üblichen Industrienorm IEC 61131 und stammt bereits aus dem Jahre 2005. Während die Funktionsbausteine, wie sie in der IEC 61131 definiert sind, zyklisch abgearbeitet werden, verwendet die IEC 61499 ein hiervon abweichenden Konzept. Die objektorientierten Funktionsblöcke besitzen nicht nur Daten-Ein- und Ausgänge, sondern auch Ein- und Ausgänge für Ereignissignale, die sogenannten Events. Das heißt, die Funktionsblöcke können ereignisgesteuert ausgeführt werden. Das hat den Vorteil, dass der häufige Leerlauf der zyklischen Programmbearbeitung entfällt. Dies reduziert die Kommunikation zwischen verbundenen Steuerungen. Damit ist das Konzept der IEC 61499 ideal für verteilte Steuerungen einsetzbar.

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