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Chemieanlagen von morgen

Zwischen Individuallösung und Containermodul
Chemieanlagen von morgen

Chemieanlagen von morgen
Styrolanlage der BASF am Standort Ludwigshafen (Foto: BASF)
Der Chemieanlagenbau hat drei Jahre nach der Weltwirtschaftskrise alle Hände voll zu tun. Die Projektflut zwingt die Ingenieurabteilungen der Chemiekonzerne zu strategischen Partnerschaften mit klassischen EPC-Anlagenbauunternehmen. Um die Nachhaltigkeit und Energieeffizienz der geplanten Anlagen zu steigern, werden Anlagen im Weltmaßstab nicht nur auf der grünen Wiese gebaut, sondern es wird verstärkt der Energie- und Rohstoffverbund in Chemieparks genutzt. Dabei stehen individuell geplante Anlagen im Vordergrund. Für die Spezialchemie werden derzeit Konzepte für flexible Produktionsanlagen basierend auf Containermodulen entwickelt.

Der Chemieanlagenbau hat die Wirtschaftskrise mit Macht hinter sich gelassen. Allein im Jahr 2011 wurden weltweit Chemieprojekte im Wert von über 150 Mrd. US-Dollar angekündigt – Anlagen, die in den kommenden drei bis vier Jahren gebaut werden sollen. Und auch in der Zeit danach dürfte den Anlagenplanern nicht langweilig werden. Allein der Chemieriese BASF will bis 2020 rund 30 bis 35 Mrd. Euro in neue Anlagen investieren. Dabei zeichnen sich zwei generelle Strategien ab: Hersteller von Bulk-Chemikalien (Commodities) wie Dünger oder Primärkunststoffen, darunter die Folien-Grundmaterialien Polyethylen und Polypropylen zieht es in Regionen mit Rohstoffquellen, wie dem Mittleren Osten. So hat beispielsweise der US-Chemiekonzern Dow im Joint Venture Sadara gemeinsam mit Saudi Aramco im Juli 2011 damit begonnen, am saudischen Standort Jubail einen integrierten Chemiekomplex zu bauen. Das 20 Mrd. US-Dollar schwere Projekt soll ab 2016 jährlich 3 Mio. t Chemieprodukte liefern.

Auf der anderen Seite zieht es vor allem die Hersteller von Spezialchemikalien und Hochleistungskunststoffen in die Absatzregionen: Nach Milliardeninvestitionen der Chemiekonzerne BASF, Bayer, Evonik und Lanxess in Asien wurden jüngst weitere Projekte angekündigt. So will Bayer bis 2015 in Asien nochmals 1,8 Mrd. Euro investieren, die BASF plant, bis 2020 in Schwellenländern Anlagen im Wert von 10 bis 12 Mrd. Euro zu bauen, und auch die Spezialchemiekonzerne Evonik und Lanxess machten im vergangenen Jahr mit Einzelprojekten wie der 400 Mio. Euro schweren Butylkautschukinvestition (Lanxess) oder der rund 500 Mio. Euro umfassenden Methioninanlage (Evonik) in Singapur von sich reden.
Investitionen in Europa
Doch nicht nur Schwellenländer und asiatische Standorte stehen im Fokus. Auch in Europa und vor allem in Deutschland wird kräftig gebaut. Neben zahlreichen Neu- und Erweiterungsinvestitionen im mittleren zweistelligen Millionen-Euro-Bereich treten vor allem die Erweiterung des Chemiehafens Rotterdam und die von der BASF für den Zeitraum bis 2015 angekündigten Investitionen in Ludwigshafen hervor. Für Aufsehen sorgte Mitte Januar 2012 der Beschluss des Konzerns, bis Ende 2014 in Ludwigshafen einen Produktionskomplex für das Weichschaumvorprodukt Toluylen-Diisocyanat (TDI) zu bauen. Kostenpunkt: rund 1 Mrd. Euro.
An diesem Projekt lassen sich gleich mehrere Paradigmenwechsel in der Chemie und im Chemieanlagenbau festmachen: Durch die verstärkte strategische Ausrichtung der Chemieproduzenten hin zu nachhaltigen und energieeffizienten Prozessen nimmt die Bedeutung von Synergien zwischen Produktionsbetrieben an den Standorten zu. Durch Skalenvorteile und effiziente Integration will der Konzern zum günstigsten TDI-Produzenten in Europa werden. Chemieparks mit ihren zentralen Infrastruktureinrichtungen ermöglichen intensivere Energie- und Stoffverbünde. Die hauseigenen Ingenieure oder Owners Engineers sehen sich heute nicht mehr nur als interne Serviceabteilungen der Chemieunternehmen, sondern wollen mit ihren Leistungen dazu beitragen, den Unternehmenswert zu steigern. Ein Investitionsprojekt wird nicht isoliert betrachtet abgewickelt, sondern für das Gesamtsystem optimiert. Und unter Umständen werden höhere Investitionskosten für eine Neuanlage in Kauf genommen, wenn beispielsweise im Wärmeverbund mit anderen Betrieben am Standort der Gesamtenergiebedarf gesenkt werden kann.
Projektphasen ineinander verschränkt
Im TDI-Projekt der BASF in Ludwigshafen geht weniger um Fragen der Technologie oder der maßstäblichen Vergrößerung des Verfahrens, sondern vielmehr darum, wie die verschiedenen Elemente des Projekts optimal in das Uhrwerk des Verbundstandorts integriert werden können. Auch in der Rollenverteilung zwischen auftraggebendem Chemieproduzenten, betriebseigenem Engineering und externen Anlagenbaudienstleistern führt die integrierte Betrachtung zu neuen Formen der Zusammenarbeit. An die Stelle einer starren Abfolge, bei der der Auftraggeber nach der eigenen Konzeptplanung ein Auftragspaket für die schlüsselfertige Lieferung einer Anlage – von der Detailplanung über die Beschaffung bis hin zur Montage – an ein EPC-Unternehmen vergibt, werden die Projektphasen nun ineinander verschränkt.
Der Anlagenbaudienstleister wird einerseits früher in die Konzeptplanung einbezogen, andererseits erhält sich der Auftraggeber die Flexibilität für spätere Änderungen. Voraussetzung für diese enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit sind über das konkrete Projekt hinausgehende strategische Partnerschaften, wie sie inzwischen verstärkt zwischen den Engineeringabteilungen der Chemieunternehmen und unabhängigen Kontraktoren geschlossen werden. Zudem werden langfristige Partnerschaften und Rahmenverträge in den kommenden Jahren die Chemie überhaupt erst in die Lage versetzen, die angekündigte Projektflut zu bewältigen. Denn nur so werden sich EPC-Unternehmen darauf einlassen, flexibel als verlängerte Werkbank der Owners Engineers zu agieren.
Strategische Partnerschaften
Die global agierenden Chemiekonzerne bedienen sich längst nicht mehr nur westlicher Anlagenbauunternehmen. Letzteren ist spätestens seit der Wirtschaftskrise ernsthafte Konkurrenz aus Asien erwachsen. Waren chinesische und vor allem südkoreanische Anlagenbauer bis 2008 in Projekten häufig noch willkommene Juniorpartner, die den westlichen Engineeringfirmen das personalintensive und risikobehaftete Montagegeschäft abnahmen, sind Samsung & Co. heute oft die Generalunternehmer, die bei europäischen Unternehmen nur noch Technologie zukaufen. Sie punkten mit aggressiver Preisstrategie, Bereitschaft zum Risiko, strategischer Finanzierungsförderung, politischer Unterstützung und vor allem mit der Fähigkeit, Großprojekte bis zur Montage abzuwickeln. Deutsche Anlagenbauer haben das Problem erkannt und arbeiten derzeit intensiv daran, wieder eigene Montagekompetenz aufzubauen und verstärken ihre Fertigungstiefe und Präsenz in den Regionen ihrer Kunden.
Und auch an der Preisschraube wird – sowohl auf Seiten der EPCs als auch bei den betreibereigenen Ingenieurabteilungen – gedreht. Denn immerhin mehr als die Hälfte des Projektvolumens eines EPC-Auftrags entfällt auf die Beschaffung der Ausrüstung. „Best Cost Country Sourcing“ heißt das Stichwort, mit dem vor allem personalintensive Ausrüstung vermehrt von Produzenten aus Ländern mit niedrigen Lohnkosten beschafft wird. Damit sich das lohnt, besteht für die Beschaffungsspezialisten die Kunst darin, die Balance zwischen niedrigem Einkaufspreis und den Kosten für Qualitätssicherung und Transport zu halten. Denn strikte Kontrolle und die persönliche Beziehung zum Lieferanten sind in China beispielsweise wichtiger als wasserdichte Verträge, berichten Brancheninsider.
Die Planung von Anlagen, die in Europa und Deutschland gebaut werden, aus Asien heraus, ist längst keine Zukunftsmusik mehr. Unternehmen wie Bayer Technology Services haben im Rahmen ihrer Projekttätigkeit in den vergangenen Jahren Ingenieurkapazität in Asien aufgebaut und dort Anlagen auch nach deutschen Standards und Normen geplant.
Unikate und Module
Ein in der Vergangenheit mehrfach prognostizierter Trend hat sich bislang im Chemieanlagenbau nicht durchgesetzt: Die aus Standard-Modulen aufgebaute Anlage im World-Scale-Format. Denn bei Großanlagen schöpfen die Betreiber ihre Wettbewerbsvorteile aus der technologischen Lösung, die durch individuelle Anpassung entsteht. Viel wichtiger wird dabei in Zukunft der oben beschriebene Stoffverbund – auch über die Grenzen der an einem Chemiestandort existierenden Lokaleinheiten hinaus. Verbundstrukturen unterschiedlicher Chemieunternehmen werden in den Chemieparks der Zukunft die Synergien für den wirtschaftlichen Erfolg der Einzelunternehmen liefern.
In der jüngeren Vergangenheit führte die Neuentwicklung einer ganzen Reihe klassischer großtechnischer Verfahren – darunter die Chlorelektrolyse, die Ethylenoxiderzeugung oder das Chlorrecycling – zu deutlichen Verbesserungen hinsichtlich Rohstoff- und Energieeinsatz sowie Selektivität und Ausbeute. Es wird immer Innovationssprünge geben, ob in World-Scale-Anlagen der Kunststoff- und Kautschukindustrie oder sogar bei der althergebrachten Schwefelsäureherstellung. Aber auch bei Verfahren, die heute im Batchbetrieb funktionieren, gibt es noch eine Menge Innovationspotenzial, das noch nicht ausgereizt ist.
Gerade bei Mehrprodukt- und feinchemischen Produktionsanlagen zeichnen sich neue Trends ab: Bei Spezialprodukten, die in kleinen Mengen produziert werden, kommt es darauf an, diese Produkte schnell auf den Markt zu bringen und Marktrisiken in der Zeit zwischen Produktentwicklung und Produktionsstart zu reduzieren. Flexible Kleinanlagen auf Basis standardisierter Module bis hin zum Containermodul sind hier ein Zukunftstrend, der in verschiedenen Forschungsprojekten untersucht wird. Die „Flexible Fast Future Factory“ (F3 Factory) basiert auf Modulen im Containerformat, aus denen nach dem Baukastenprinzip eine Produktion aufgebaut werden soll. Das Konzept wird im neu eröffneten Forschungszentrum Invite im Chemiepark Leverkusen untersucht. Ähnlich ist der Ansatz, der bei Evonik gewählt wird: Small-Scale-Anlagen im Überseecontainer, in denen der Prozess unabhängig vom späteren Produktionsstandort entwickelt wird. Diese beinhalten alle für die Produktion notwendigen Prozessschritte.
Entwickelt sich die Nachfrage stärker als erwartet, wird die Produktion auf mehrere Container ausgeweitet. Das Konzept erlaubt es, Laborentwicklung und Basic-Engineering simultan vorzunehmen und dadurch Zeit zu gewinnen. Das Chemieunternehmen produziert in einer solchen Kompaktanlage (Evotrainer) seit 2010 am Standort Rheinfelden Silanverbindungen. Wie solche Chemieanlagen auf engstem Raum aufgebaut werden müssen, untersuchen die Evonik-Ingenieure im Rahmen des EU-Forschungsprojekts Copiride gemeinsam mit den Universitäten Eindhoven, Stuttgart und dem IMM Mainz. Bereits in diesem Jahr soll ein Allround-Container zur Verfügung stehen, mit dem im Chemiepark Marl ein Spezialpolymer im technischen Maßstab hergestellt werden soll.
Doch so vielversprechend die Containerchemie auch sein mag, auch in Zukunft wird es die klassische individuell geplanten Mehrproduktanlagen noch geben. Allerdings lassen die Budgets für solche Projekte heute in der Regel kaum mehr den Einbau von „Zukunftsoptionen“ zu: Die Anlagen werden exakt auf den beabsichtigten Verwendungszweck ausgelegt.
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