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Der steinige Weg zu neuen Kohlenstoffquellen

Die Uhr tickt für das schwarze Gold
Der steinige Weg zu neuen Kohlenstoffquellen

Erdöl ist der Schmierstoff der chemischen Industrie und Ausgangsstoff vieler Produkte. Ob Küchenschüssel, Klebstoff, Textilien oder Autobenzin: Die Quelle aller Produkte ist das schwarze Gold aus den Tiefen der Erde. Der Nachteil: Die Vorkommen sind endlich. Daher sind Alternativen gefragt, und zwar möglichst schnell und umweltfreundlich. Dieser Weg wird allerdings kein leichter sein.

Vor dem Hintergrund einer steigenden Weltbevölkerung, dem fortschreitenden Klimawandel und knapper werdender Ressourcen steht die internationale Staatengemeinschaft vor großen Herausforderungen. Die zentrale Aufgabe wird sein, die Menschen ausreichend mit Nahrungsmitteln, Energie und Rohstoffen zu versorgen. Leider lassen sich diese drei Punkte nicht unbedingt im Konsens lösen, da sie beispielsweise in Bezug auf die nachwachsenden Rohstoffe in direkter Konkurrenz zueinander stehen. Eine Ackerfläche lässt sich nach dem Motto „Tank oder Teller“ nun mal nicht mehrfach verwerten. Die angebauten Pflanzen können entweder zur Lebensmittelerzeugung oder zur stofflichen bzw. energetischen Nutzung verwendet werden. Beides zusammen geht nur bedingt. Um also zu verhindern, dass es zu größeren Interessenskonflikten kommt, müssen Politik, Forschung und Industrie Hand in Hand arbeiten und Alternativen suchen. Anders lässt sich dieses Jahrhundertprojekt nicht bewerkstelligen.

Teller oder Tank
Nichtsdestotrotz wird der Weg über die nachwachsenden Rohstoffe in Deutschland beschritten. Über zwei Millionen Hektar – das entspricht etwa einem Fünftel der gesamten Ackerfläche – werden für den Anbau nachwachsender Rohstoffe genutzt. Dabei hat die energetische Nutzung ihren Anteil stetig steigern können, während die Zuwachsraten bei der stofflichen Nutzung – wenn auch auf hohem Niveau – geringer ausfielen. Doch gerade dieser Bereich besitzt ein enorm hohes Innovationspotenzial im Hinblick auf Produkte und Technologien. Der Vorteil: Pflanzliche Rohstoffe können zum Beispiel bei der Herstellung von Kunststoffen Erdöl ersetzen. Sie binden in den Endprodukten CO2 aus der Atmosphäre und steuern so dem Treibhauseffekt entgegen. Sollte das Produkt am Ende seines Lebenszyklus verbrannt werden, wird nur die Menge CO2 wieder freigegeben, die zuvor gebunden wurde. Damit ist eine Klimaneutralität erreicht.
Um den Konflikt zwischen Teller und Tank zu lösen, hat die Bundesregierung im Übrigen Prioritäten gesetzt. Zuerst kommt die Erzeugung von Nahrung, dann die Nutzung als Rohstoff und zuletzt die Energiegewinnung.
Erdöl bleibt vorerst die Basis
Die kohlenstoffbasierte Chemie in Deutschland produziert eine Reihe hochwertigster Produkte wie Kunststoffe, Klebstoffe, Lacke und Farben. Derzeit sind Erdöl und Erdgas die wichtigsten Kohlenstoffquellen der organischen Chemie. Rund 17,3 Mio. t (2013) fossiler Rohstoffe (Erdöl, Erdgas, Kohle) setzt sie jedes Jahr für die stoffliche Nutzung ein. 14,8 Mio. t entfallen auf Naphta und andere Erdölderivate. Damit werden nur etwa 14 % des in Deutschland verbrauchten Öls (105 Mio. t) zur Herstellung von Plattformchemikalien und deren Folgeprodukten verwendet. Das Gros des Erdöls dient der Energieerzeugung (28 Mio. t) oder der Kraftstoffproduktion (62 Mio. t). Dem gegenüber stehen rund 2,7 Mio. t nachwachsende Rohstoffe wie Pflanzenöle, tierische Fette, Zellulose, Stärke und Zucker. Dabei sind die Rohstoffe, die als Kohlenstoffquelle dienen, grundsätzlich austauschbar. So lässt sich beispielsweise Bio-Ethylen über den Zwischenschritt Ethanol aus Zucker herstellen. Da Ethylen aus dem Cracker und Bio-Ethylen aus Zucker chemisch identisch sind, können sie problemlos in den Folgeprozessen eingesetzt werden. Letztendlich entscheidet an dieser Stelle der Preis, welches der beiden Produkte eingesetzt wird. Es sei denn, unsere Gesellschaft ist grundsätzlich bereit, für Ökoprodukte auf Basis nachwachsender Rohstoffe mehr zu bezahlen. Derzeit schlägt das Pendel noch zugunsten des Erdöls aus. Doch die Uhr tickt. Der Rohstoff Erdöl ist endlich, auch wenn er jetzt schon länger verfügbar ist, als man nach der Ölkrise 1973 dachte.
Erdöl ist also die Nummer 1 der Kohlenstoffquellen und wird es auch für die nächsten Jahre bleiben. Der Grund hierfür liegt in der Infrastruktur: In der chemischen Industrie zählt wie in keiner anderen Branche die Effizienz. Deshalb wird nichts vergeudet. Die Abfallprodukte eines Betriebes dienen anderen Prozessen als Edukt. Auf diese Weise sind große Verbundstandorte wie Ludwigshafen, Leverkusen oder Höchst entstanden, mit einem ausgeklügelten System an Stoffströmen. Doch diese Ströme lassen sich nicht einfach entflechten. Ein Wandel der Rohstoffbasis ist daher schwierig, aber nicht unmöglich. Immerhin hat der Verband der Chemischen Industrie (VCI) in einem aktuellen Positionspapier die Verbreiterung der Rohstoffbasis als ein wichtiges Forschungs- und Entwicklungsziel bis 2030 ausgegeben.
Alternative Quellen
Nachwachsende Rohstoffe werden in Deutschland nicht für großvolumige Basischemikalien genutzt. Grund hierfür ist vor allem die regional begrenzte Verfügbarkeit der Biomasse sowie die beschriebenen Nutzungskonkurrenzen. Dies wird sich auch in naher Zukunft nicht ändern, da die Potenziale für den zusätzlichen Anbau von Biomasse in Europa begrenzt sind. Gegen die Einfuhr von Biomasse aus anderen Regionen spricht deren geringe Energiedichte.
Nachwachsende Rohstoffe spielen ihr volles Potenzial dort aus, wo die Synthesevorleistung der Natur genutzt werden kann oder wo neue Synthesewege beschritten werden können, beispielsweise in der Biotechnologie. Mithilfe von biotechnologischen Prozessen kann Biomasse entweder in Grundbausteine für weitergehende chemische Synthesen oder direkt in hochwertige Endprodukte wie Monomere für Biokunststoffe umgewandelt werden. Zwar können die biotechnologischen Verfahren mit erdölbasierten Verfahren häufig noch nicht mithalten, das Wachstum der Bioplastikbranche ist jedoch rasant. So rechnet der Verband European Bioplastics bis 2018 mit einer Vervierfachung der Kapazitäten gegenüber 2013 (1,6 Mio. t).
Alternativ zu Biomasse als Kohlenstoffquelle bietet sich Kohlenstoffdioxid an. Der Vorteil dieses Moleküls: Es stünde vorerst ausreichend zur Verfügung. Dafür hat der Mensch in den letzten 150 Jahren seit den Anfängen der Industrialisierung gesorgt. Die Verwendung von CO2 hätte noch einen weiteren positiven Nebeneffekt: Bindet man das CO2 beispielsweise in Kunststoffen oder anderen chemischen Verbindungen, könnte man damit die Erderwärmung bekämpfen und die Klimaschutzziele besser erreichen. Leider ist die schöne CO2-Welt nicht so einfach. Dummerweise ist Kohlenstoffdioxid gegenüber Veränderungen nur wenig aufgeschlossen. Es ist sehr reaktionsträge und somit ein klassisches Couchpotato. Die Aufgabe der Forscher ist es daher, das Molekül aus seinem Dornröschenschlaf zu wecken. Wach küssen lässt sich das Molekül mithilfe von Katalysatoren und Ökostrom.
Fazit
Erdöl ist und bleibt vorerst die Ausgangsbasis Nummer 1 der Kohlenstoffchemie in Deutschland. Dafür sprechen der derzeit niedrige Erdölpreis, die hohe Integration der Stoffströme in den Verbundstandorten und die regional nicht ausreichend verfügbare Biomasse für Plattformchemikalien. Wie schwierig es für die biobasierte Wirtschaft derzeit ist, zeigt auch die Absage der Biobasedworld, die im Februar in Köln stattfinden sollte. Nichtdestotrotz stehen verschiedene interessante Alternativen in den Startlöchern, wie die Beispiele auf den folgenden Seiten zeigen.

Dr. Bernd Rademacher
Redakteur,
cav chemie anlagen verfahren
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