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Die Zukunft der Produktion

Erfolgreiche Stabübergabe am Fraunhofer IPA
Die Zukunft der Produktion

Zum 1. September 2011 hat Prof. Thomas Bauernhansl die Leitung des Fraunhofer IPA und des IFF der Universität Stuttgart von Prof. Engelbert Westkämper übernommen. Anlässlich der Stabübergabe Anfang Februar diesen Jahres sprachen wir mit dem erfahrenen Ex-Freudenberg-Manager darüber, wie er sich die Zukunft der Produktion vorstellt.

cav: Herr Bauernhansl, Unternehmen brauchen Gewinne, um ihren Fortbestand zu sichern. Das wissen Sie als ehemaliger Manager verschiedener Freudenberg-Bereiche besonders gut. Wie muss sich die Wertschöpfung in Zukunft ändern, damit dies auch so bleibt?

Bauernhansl: Wenn Sie produzierende Unternehmen auf die Zukunft vorbereiten wollen, müssen Sie als Enterprise-Architekt agieren. Das heißt, Sie brauchen einen ganzheitlichen Blick auf die Organisationen. Das Verständnis für Strukturen und Prozesse ist dabei genauso wichtig wie das Wissen über Technologien und IT-Systeme. Zudem müssen Sie die Menschen mitnehmen und jede Veränderung als Eingriff in ein soziales, häufig nach Selbsterhalt strebendes System verstehen. Offenheit und Transparenz wird hier völlig neue Ansätze ermöglichen. Das richtige Maß an Offenheit wird dabei nicht nur für die Innovationsprozesse über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Sogenannte Open-Innovation-Konzepte sowie die Einbindung der Kunden als kostenlose Entwickler werden durch Web-2.x-Konzepte erst sinnvoll umsetzbar. Die Analyse von Ursachen wird mehr und mehr durch das Aufdecken von Abhängigkeiten ersetzt. Ideale der Offenheit und Zusammenarbeit, unterstützt durch das Internet der Dinge, werden Organisation, Innovation und Wertschöpfung stark verändern. Die Transparenz in der Lieferkette oder auch Trend- und Mustererkennung im Verhalten der Kunden sind hier entscheidende Faktoren. Wissensmanagement im ganzheitlichen Kontext wird ebenfalls eine Renaissance erleben. Nur mit interdisziplinären und systemischen Ansätzen werden wir in der Lage sein, Antworten für die daraus resultierenden Forschungsfragen zu finden. Will sagen: Der Blick über den Tellerrand der eigenen Disziplin wird zur Pflicht aller Forschergruppen.
cav: Welche Rolle spielen in Zukunft noch die Lohnkosten? Ist ein „Billiglohn“-Standort immer stets das Mittel der Wahl?
Bauernhansl: Die Personalkosten sind nicht mehr das eigentliche Problem in Zukunft. Stattdessen ist die Verfügbarkeit des richtigen Personals die Herausforderung. Zukünftig werden wir auf sogenannte Fertigkeitseliten angewiesen sein. Die Fähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit unterschiedlichen Systemen, Kulturen und Spielregeln umzugehen, wird immer wichtiger. Nur so können wir die Herausforderungen einer älter werdenden Gesellschaft in einem multikulturellen Umfeld annehmen. Dass Billiglohn nicht immer auch Wettbewerbsfähigkeit erzeugt, haben die zahlreichen Unternehmen, die heute wieder mit der Produktion nach Deutschland zurückgekehrt sind, zum Teil bitter erfahren. Heute wird da produziert, wo die Märkte und die strategischen Ressourcen sind. Das gilt für deutsche wie für jedes andere Unternehmen auf der Welt. Selbst chinesische Unternehmen wie z. B. Huawei bauen Standorte in Europa auf, um nah am Markt zu agieren.
cav: Was tun Sie als Fraunhofer IPA, um dem drohenden Fachkräftemangel vorzubeugen?
Bauernhansl: Neue Kooperationsformen zwischen Unternehmen und Weiterbildungsinstitutionen können den Fachkräftemangel beheben helfen. Bei Freudenberg hatten wir eine Unternehmensakademie und am IFF/IPA werden wir vorhandene Weiterbildungsstrukturen so erweitern, dass eine Stuttgarter Produktionsakademie entstehen kann. Die Lernfabrik für Advanced Industrial Engineering an meinem Universitätsinstitut IFF beschreitet neue Wege, die ich für zielführend halte. Hier werden sowohl Studierende und Doktoranden als auch Ingenieure und Manager aus der Praxis aus- und weitergebildet. Studierende brauchen heute sehr frühzeitig vertieftes Anwendungswissen und sollten noch im Studium die Probleme der Industrie kennen lernen. Auf der anderen Seite haben auch gestandene Leute aus der Wirtschaft großes Interesse, für einige Tage an die Uni zurückzukehren und sich auf den neuesten Stand bringen zu lassen.
cav: In den letzten Jahren haben sich die Ansprüche an Produktionsverantwortliche geändert. Was muss man als Produktionsverantwortliche/r heute alles kennen und können?
Bauernhansl: Management im klassischen Sinne, also die Führung nach Zielen, bereitet heute die Unternehmen nicht mehr ausreichend auf die Zukunft vor. Der Aufbau von Prozess- und Kommunikationskompetenz und von Veränderungsmanagementkompetenz, insbesondere zur Bewältigung von Krisen, sind dagegen künftig enorm wichtig. Das Führungsverständnis von heute zielt ja darauf ab, die Selbstorganisation der Teams zu unterstützen; die Führungskraft wird sozusagen zum Unternehmensarchitekten, der die Strukturen, Organisation, IT und Technologie eines Betriebs ganzheitlich gestalten kann, und die notwendigen Veränderungsprozesse ausgewogen führt.
cav: Ihr persönliches Anliegen ist die Nachhaltigkeit in der Produktion. Heute liegt der Schwerpunkt vor allem auf dem Thema „Effizienz“. Reicht dieser Ansatz aus, um in Zukunft bestehen zu können?
Bauernhansl: Die Übertragung von Lösungen aus der Natur auf Gestaltungsbereiche der Produktion führt zu nachhaltigen und hochinnovativen Ansätzen. Das ist ja schon seit den 1970er-Jahren erforscht worden. Die Durchoptimierung der immer gleichen oder sehr ähnlichen Produkte und Prozesse, also das was wir Effizienz nennen, wird abgelöst werden durch das Prinzip der Effektivität: Die richtigen Dinge machen. Wir müssen uns mit völlig neuen Produkten und Herstellprozessen beschäftigen, die einen positiven Einfluss auf die Umwelt haben, einen sogenannten positiven Footprint.
cav: Lässt sich eine Produktion ohne fossile Rohstoffe überhaupt realisieren? Welche Anstrengungen sind nötig, um beispielsweise in der Chemieindustrie mehr Nachhaltigkeit zu erzeugen?
Bauernhansl: Ich glaube schon, dass wir eine Produktion ohne fossile Rohstoffe in den nächsten 50 Jahren erreichen können und auch müssen. Der effektive und effiziente Umgang mit Material und Energie wird über die Wettbewerbsposition und damit über unseren Wohlstand entscheiden. Während die Energiewende hin zu regenerativen Energien langfristig in Verbindung mit Energy-Harvesting-Technologien zu einem bezahlbaren Überangebot an Energie führen wird, werden die Materialkosten weiter steigen. Hier können nur Zero-Waste-Technologien eine Lösung bringen.
cav: Gibt es bereits Beispiele hierfür und welche Rolle spielt dabei das Recycling?
Bauernhansl: Auch beim Recycling müssen wir umdenken. Die neuen Produkte müssen nach Gebrauch „up“- und nicht etwa „down“-gecycelt werden. Es gibt am Markt beispielsweise bereits einen Teppichboden, der vollständig wieder zu einem Teppichboden gleicher Qualität verarbeitet werden kann und zusätzlich noch über die Funktion eines Feinstaubfilters verfügt. Wenn wir Recycling nach Prof. Michael Braungart als „craddle to craddle“ verstehen, dann ist das ein Schritt in die richtige Richtung.
cav: Produkte müssen in Zukunft also völlig anders gestaltet werden. Welche Rohstoffe können hierfür eingesetzt werden?
Bauernhansl: Nachwachsende Rohstoffe sind ja in aller Munde, aber sie müssen auch richtig eingesetzt werden. Bei der Spritproduktion hat man schnell verstanden, dass es nicht sinnvoll ist, die Flächen für die Nahrungsmittelproduktion ärmerer Länder für unsere Mobilität zu opfern. Bei der Biomasse haben wir das Kohlendioxidproblem. Hier müssen neue Lösungen her. Ich denke da an die intensive Nutzung von sogenannten Überflussmaterialien wie etwa Kohlenstoff oder von Flächen für nachwachsende Rohstoffe, die nicht für den Nahrungsmittelanbau geeignet sind. Hier werden wir nicht um die Genmanipulation herumkommen. Energieautonome Fabriken werden bald Realität sein. Aber vom Produzieren ohne Rohstoffe sind wir noch viele Jahre entfernt. Hier gibt es noch viel Forschungsbedarf.
cav: Die Hannover Messe hat erstmals das Thema „Greentelligence“ aufgenommen. Ist das ein erster Ansatz? Was halten Sie davon?
Bauernhansl: Greentelligence ist ein guter Ansatz und weist in die richtige Richtung. Das Leitthema wird ja mit allen großen Ausstellern intensiv abgestimmt. Dies zeigt, dass die Verbindung von Ökologie und Ökonomie längst als einträgliches Geschäftsmodell von vielen Firmen erkannt wurde. Das macht Hoffnung, da Aussicht auf Profit dafür sorgt, dass Märkte in Bewegung geraten. Und das wird helfen, schneller nachhaltige Produktionsweisen umzusetzen, als wir alle das vielleicht zu hoffen gewagt haben.
prozesstechnik-online.de/cav0512401
„Energieautonome Fabriken werden bald Realität sein. Aber vom Produzieren ohne Rohstoffe sind wir noch Jahre entfernt.“

Forscher durch und durch

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Profil

Thomas Bauernhansl studierte an der RWTH Aachen Maschinenbau und promovierte anschließend am Lehrstuhl für Produktionssystematik des WZL. Er beschäftigte sich während dieser Zeit mit Prozess- und Technologieplanung, integrierter Produktgestaltung und Unternehmensentwicklung. Anschließend stieg er bei Freudenberg als Assistent der Geschäftsleitung ein und übernahm kurz darauf die Freudenberg Anlagen- und Werkzeugtechnik als Geschäftsführer. In der Folge wechselte er zur Freudenberg Dichtungs- und Schwingungstechnik, wo er sich als Leiter des Technology Centers mit Themen wie Fabrikplanung, Standortplanung, Lean Production und Produktionsprozessoptimierung beschäftigte. Im letzten Jahr übernahm er als Leiter Global Process Technology die fachliche Führung von 50 Standorten weltweit bei der Freudenberg Sealing Technologies. Seit September 2011 ist er Leiter des Instituts für Industrielle Fertigung (IFF) der Universität Stuttgart und des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart.
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