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Dreiecksbeziehungen

Aus den ehemaligen volkseigenen Kombinaten Mitteldeutschlands sind moderne Chemieparks entstanden
Dreiecksbeziehungen

Die Chemiestandorte Sachsen-Anhalts, Sachsens und Thüringens haben nach der Wende einen enormen Aderlass verkraften müssen. Von den ehemals 180 000 Beschäftigten sank die Zahl der Arbeitnehmer auf rund 30 000. Nach der völligen Umstrukturierung und Sanierung der Standorte steigen die Beschäftigtenzahlen wieder – vor allem durch die Ansiedlung neuer Unternehmen an den Standorten. cav war mit der Marketinggesellschaft der mitteldeutschen Chemiestandorte CeChemNet unterwegs und besuchte die Standorte Bitterfeld, Leuna, Schkopau, Schwarzheide und Zeitz.

Rostige Rohrbrücken, tropfende Rohrleitungen, stinkende Böden, heruntergekommene Bauruinen: So oder so ähnlich präsentierten sich die Chemiestandorte Mitteldeutschlands nach der Wende. Heute – rund 16 Jahre und 16,6 Mrd. Euro später – stehen die verschiedenen Chemieparks in einem deutlich besseren Licht da. Vor allem die Umweltsanierungen haben Früchte getragen: Nichts stinkt mehr, nichts tropft mehr, es gibt so gut wie keine Bauruinen mehr. Aus den ehemaligen volkseigenen Kombinaten sind moderne Industriestandorte mit großzügigen, renaturierten Freiflächen geworden, die selbst die vorwitzigen Feldhasen zu schätzen wissen.

Mit CeChemNet haben die Chemiestandorte des mitteldeutschen Chemiedreiecks – unterstützt vom Land Sachsen-Anhalt – ein eigenes Netzwerk gegründet, das die Chemieparks bei ihren Bemühungen, neue Unternehmen an den einzelnen Standorten anzusiedeln, unterstützen soll. Schließlich stehen etwa 500 ha voll erschlossene Freiflächen zur Verfügung, die bebaut und genutzt werden wollen. Die Zusammenarbeit zwischen Politik, Behörden und Chemiestandorten funktioniert dabei reibungslos. Allein in den nächsten beiden Jahren werden rund 650 Mio. Euro in den Chemieparks Sachsen-Anhalts investiert. Rund 1200 neue Arbeitsplätze werden die 30 Neuansiedlungen mit sich bringen. Bei der Ansiedlung neuer Unternehmen gehen die einzelnen Chemieparks allerdings völlig unterschiedlich vor. Vor allem, ob es sich um offene oder geschlossene Parks handelt, und die Art und Weise, wie die einzelnen Chemieparks organisiert sind, hat dabei großen Einfluss auf die Ansiedlungsstrategie.
Chlorreiche Geschichte
Einer der ältesten Chemiestandorte in Europa ist die Region Bitterfeld. 1893 begann hier die chemische Großproduktion. Im Jahr 2001 wurde die ChemiePark Bitterfeld Wolfen GmbH an die Firmengruppe Preiss-Daimler privatisiert. Damit übernahm ein engagierter Mittelständler die Entwicklung des Standortes. Heute umfasst der Chemiepark Bitterfeld-Wolfen eine Gesamtfläche von ca. 1200 ha. Von der Gesamtfläche stehen noch ca. 200 ha für Neuansiedlungen zur Verfügung. 360 Firmen mit ca. 11 000 Mitarbeitern sind heute in Bitterfeld-Wolfen tätig. Rund 3,5 Mrd. Euro wurden bisher von Unternehmen aus Japan, Amerika, Australien, Belgien u. a. Ländern am Chemiestandort investiert.
Das Industrieprofil im Chemiepark ist heute geprägt durch die Chlor-, Phosphor-, Farbstoff-, Pharma-, Quarzglas-, die Fein- bzw. Hightech-Chemie sowie die Metallurgie. Mit der Q-Cells AG hat sich die Region zu einem der leistungsfähigsten Solarstandorte Europas etabliert. Der Chemiepark bietet den Unternehmen optimale Bedingungen, indem diese sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und sämtliche Service- und Infrastrukturleistungen nach Bedarf und freien Entscheidungen hinzukaufen können. Mit 230 Mio. Euro wurde die Infrastruktur des Chemiestandortes komplett erneuert. Ein eigenes Klärwerk garantiert zudem die preiswerte Entsorgung aller Abwässer.
Das chemische Gesicht des Standortes wird durch den umfangreichen Stoffverbund charakterisiert. In den über 28 km langen Rohrbrücken werden verschiedene Medien sicher und kostengünstig zu den produzierenden Unternehmen transportiert. Ein Beispiel eines umweltschonenden Stoffverbundes stellt die Produktion von synthetischem Quarzglas dar. Durch die Kopplung von Quarzglaswerk und Elektrolyse können die Stoffe in einen geschlossenen Kreislauf geführt werden. Die als Nebenprodukt anfallende Salzlösung wird als Rohstoff wieder in der Elektrolyse eingesetzt, bei der unter anderem das Produkt Wasserstoff entsteht. Der wiederum wird als wichtiger Energieträger in der Quarzglas-Synthese benötigt.
„Allein 1280 neue Arbeitsplätze sind seit 2001 am Chemiestandort Bitterfeld-Wolfen entstanden“, betonte Matthias Gabriel, Geschäftsführer der P-D ChemiePark Bitterfeld Wolfen GmbH. „Derzeit haben wir eine verstärkte Nachfrage. Wir verhandeln mit 21 Unternehmen, die im Chemiepark investieren wollen. Außerdem planen 18 angesiedelte Firmen eine Erweiterung und haben bereits Flächen reserviert. Das sind 39 Unternehmen, die in nächster Zeit über 1000 neue Arbeitsplätze schaffen werden.“
Mister Big unter den ostdeutschen Chemieparks
Am 1. Januar 1996 nahm die InfraLeuna GmbH ihre Geschäftstätigkeit auf. Die InfraLeuna und die mit ihr verbundenen Unternehmen sind Eigentümer und Betreiber der Infrastruktureinrichtungen am Chemiestandort Leuna. Zu den grundsätzlichen Aufgaben gehören die Erbringung von Medien (Strom, Wasser, Dampf) und Infrastrukturdienstleistungen (Feuerwehr, Werkschutz, Immobilien) sowie die Entwicklung des Chemiestandortes Leuna (Vermarktung der Ansiedlungsflächen).
Am 31. August 2006 feierte der Standort sein 90-jähriges Jubiläum und die InfraLeuna ihren 10. Geburtstag. Eingeladen hatte Geschäftsführer Andreas Hiltermann rund 400 Gäste, darunter die Festredner Prof. Dr. Wolfgang Böhmer, Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt, Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und Hubertus Schmoldt, Vorsitzender Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie.
Nach der gewaltigen Umstrukturierung des früheren Leuna-Kombinates entstand einer der größten zusammenhängenden und geschlossenen Chemiestandorte in Deutschland, der rund 9000 Menschen auf 13 km2 Arbeit gibt. „Die InfraLeuna ist das Rückgrat des Standortes Leuna“, sagte Tiefensee. „Wir haben hier unglaublich viel erreicht, aber es gibt auch noch unglaublich viel zu tun. Allerdings müssen dazu die Rahmenbedingungen stimmen.“ Hierzu gehören vor allem weitere Investitionen in die Infrastruktur, ein schnelles Planungsrecht und neue Finanzierungsinstrumente. Darüber hinaus, betonte Tiefensee, müsse die Region weltweit bekannter gemacht werden, um weiterhin neue Unternehmen hier anzusiedeln.
Gerade als Standortentwickler kann InfraLeuna auf erfolgreiche 10 Jahre zurückblicken. Mit modernem Standortmanagement, Marketing und der Begleitung bei der Ansiedlung konnten neue Investoren für den Standort Leuna gewonnen werden. „Allein im Vorjahr wurden Investitionen im Gesamtvolumen von immerhin rund 300 Mio. Euro am Standort Leuna entweder realisiert oder angeschoben“, zog Hiltermann Bilanz. So entstand im Jahr 2005 zum Beispiel eine Produktionsanlage für Hygienepapier der italienischen Kartogroup. Mit der Leuna Carboxylation Plant GmbH gab es die erste israelische Direktinvestition Sachsen-Anhalts. Und das Wachstum am Chemiestandort wird fortgesetzt. Die Quinn-Group aus Nordirland errichtet für rund 150 Mio. Euro eine Anlage zur Produktion von Ausgangsmaterial zur Herstellung lichtdurchlässiger und unempfindlicher Kunststoffe, mit der gleichzeitig 100 neue Arbeitsplätze entstehen. Die Linde AG wird weitere 22 Mio. Euro investieren und bis 2007 eine Wasserstoff-Verflüssigungsanlage am Standort Leuna errichten. Insgesamt wurden seit 1990 ca. 5,5 Mrd. Euro investiert.
Mit eigenen Zügen unterwegs
Der BASF-Standort in Schwarzheide präsentiert sich heute als modernes Zentrum für Chemie- und Kunststoffkompetenz. Rund 2000 Mitarbeiter betreuen die Herstellung von Polyur-ethan-Grundprodukten und -Systemen, Schaumstoffen sowie technischen Kunststoffen. Pflanzenschutzmittel, Wasserbasislacke, PU-Dispersionen und Laromer-Marken ergänzen die Produktpalette. Seit dem Erwerb des Standortes durch die BASF 1990 wurden über 100 Ansiedlungsprojekte mit Unternehmen angeschoben. Realisiert wurden schließlich 13, wobei die Ansiedler Vorprodukte der BASF als Ausgangsstoffe nutzen, den Standort mit technischen Gasen und Druckluft versorgen oder sein Leistungsportfolio als anspruchsvolles Chemie-Logistikzentrum ergänzen. Damit schreiben sie den Verbundgedanken des weltweit größten Chemieunternehmens fort: Produkt- und Energieströme werden effizient gestaltet, Infrastruktur und Logistik gemeinsam genutzt, Know-how wird intelligent vernetzt, die Ver- und Entsorgung einheitlich geregelt.
In den vergangenen Jahren hat sich der Standort stark verändert. Durch Restrukturierung entstanden rund 100 ha freie und voll erschlossene Investitionsflächen. Die Produktionsanlagen sind auf dem neuesten technischen Stand. Hier zeigen sich die Investitionen der BASF. Seit 1990 hat sie 1,4 Mrd. Euro in die Modernisierung und den Neubau von Anlagen sowie in die Infrastruktur auf dem Werkskerngelände und im benachbarten Verarbeitungs- und Industriezentrum (VIZ) investiert.
Eine wichtige Rolle bei der Standortentwicklung spielt die Eisenbahn. 1996 hat die BASF als Chemieunternehmen ein eigenes Eisenbahnunternehmen gegründet. Mittlerweile betreibt das Unternehmen einen ständigen Warenaustausch zwischen Rotterdam, Ludwigshafen und Schwarzheide. In naher Zukunft soll das Verkehrsnetz weiter Richtung Osten ausgebaut werden. Bis 2007 sollen die BASF-eigenen Züge bis nach Russland rollen, bis 2010 soll der Standort im chinesischen Nanjing angebunden werden. „Wir glauben, dass sich das lohnen wird“, sagte Dr. Volker Knabe, Vorsitzender der Geschäftsführung der BASF Schwarzheide GmbH. „Dazu werden wir das Kombiverkehrsterminal in Schwarzheide weiter ausbauen und so den Verbundcharakter weiter stärken.“ Ein weiterer Standortvorteil: Die Züge stehen auch den Partnerfirmen der BASF zur Verfügung.
Perlenkette entlang der Autobahn
Die mitteldeutschen Standorte der Dow bieten hervorragende Bedingungen für Produktion, Planung sowie Forschung und Entwicklung. Dow beschäftigt insgesamt 2300 Mitarbeiter in Schkopau, Leuna und Teutschenthal (Sachsen-Anhalt) sowie Böhlen (Sachsen). Wie bei allen Chemiestandorten Mitteldeutschlands, wurde auch hier fast die gesamte Infrastruktur modernisiert. Die vier Dow-Standorte sind durch ein Pipelinenetzwerk zu einer hochintegrierten Einheit zusammengewachsen: Die Produktionsstandorte sind rohstoffseitig mit Rostock (Ostsee) und Stade (Nordsee) verbunden. Auf Basis der Petro- und der Chlorchemie werden hier eine Vielzahl Kunststoffe sowie Kautschuk hergestellt.
Mit dem ValuePark in Schkopau verfolgt Dow einen anderen Kurs als die Nachbarn in Leuna. Das Unternehmen bietet Kunststoffverarbeitern, Dienstleistern und Logistikunternehmen, die eine Geschäftspartnerschaft zum gegenseitigen Vorteil anstreben, Industrieflächen sowie chemietypische Produkte und Dienstleistungen an. „Wir sind nur an Ansiedlern interessiert, die durch ihr Portfolio auch zu uns passen“, sagte ValuePark-Manager Klaus-Dieter Heinze. Vor allem Unternehmen der zweiten Verarbeitungsstufe wie beispielsweise Compoundierer spricht das Unternehmen an.
Klein, aber fein
Seit nunmehr 10 Jahren bewährt sich der traditionsreiche Chemie- und Industriepark Zeitz unter der Federführung der ZSG Zeitzer Standortgesellschaft mbH als international attraktiver, wirtschaftlich erfolgreicher Standort. Mit einer Fläche von insgesamt 230 ha ist das ehemalige Hydrierwerk der kleinste Chemiepark der Region. Dabei stand der Standort bereits vor dem Aus. Nach der Wende erfolgte 1992 der Bau einer Erdölraffinerie in Leuna und die Stilllegung des Standortes Zeitz war beschlossene Sache. Die ehemals 4100 Beschäftigten zerlegten in den Folgejahren die Anlagen. Rund 500 Mio. Euro kostete die komplette Demontage und die Altlastenbeseitigung. Rund 100 Mio. Euro wurden in eine komplett neue Infrastruktur investiert. 1996 wurde die ZSG gegründet, die die Vermarktung der 230 ha großen Industriefläche übernahm.
Um überleben zu können, hat sich der „Minipark“ neben der traditionellen Chemie auf die Nutzung einheimischer Ressourcen – insbesondere auf nachwachsende Rohstoffe und den fossilen Energieträger Braunkohle – spezialisiert. So erfolgt in naher Zukunft die Errichtung einer Stärkefabrik zur Produktion von Non-Food-Stärke aus Weizen für industrielle Anwendungen mit einer Kapazität von 100 kt/a auf einer Fläche von 11 ha. Es werden dabei 49 Mio. Euro investiert und 93 Arbeitsplätze geschaffen. Zur Verwertung von Abfällen aus der Stärkefabrik wird außerdem eine Bioethanolanlage gebaut.
Bis 2009 entsteht am Standort eine moderne Kohlevergasungsanlage zur Erzeugung von Synthesegas. Diese Maßnahme ist notwendig, da das benachbarte Kraftwerk, das den Standort mit Dampf und Strom versorgt, 2012 vom Netz geht. Gleichzeitig entsteht eine 120-MW-Gas- und Dampfturbinenanlage (GuD) zur Wärmeversorgung des Standortes und zur Stromerzeugung und Einspeisung in das überregionale Netz. Insgesamt werden in den nächsten Jahren 180 Mio. Euro durch drei Unternehmen investiert.
ChemiePark Bitterfeld-Wolfen cav 401
InfraLeuna cav 402
BASF Schwarzheide cav 403
ValuePark Dow Olefinverbund cav 404
ZSG Zeitzer Standortgesellschaft cav 405

BASF Schwarzheide
Dow ValuePark
Industriepark Zeitz
InfraLeuna
ChemiePark Bitterfeld-Wolfen
CeChemNet
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