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Gegen den Energiehunger

Mehr Energieeffizienz durch Prozessautomation
Gegen den Energiehunger

Der Klimawandel und seine Folgen bewegt die Menschen weltweit. Viele bekommen die Auswirkungen unmittelbar zu spüren, wie die Einwohner des untergehenden Inselstaates Tuvalu. Der Grund ist bekannt: der Energiehunger unserer modernen Gesellschaft und der damit verbundene CO2-Ausstoß. Das beste Gegenmittel ist die Reduzierung des Energieverbrauches. Einen wichtigen Beitrag hierzu leistet moderne Mess- und Automatisierungstechnik.

Bereits 2007 haben die Experten von Roland Berger den globalen Markt für verschiedene Umwelttechnologien untersucht. Das überraschende Ergebnis: Allein mit Energieeffizienzmaßnahmen können rund 538 Mrd. Euro eingespart werden. Den treibenden Faktor stellen dabei stetig steigende Energiepreise dar. Sie stellen insbesondere energieintensive Industrien wie die Grundstoffchemie oder die Öl- und Gasindustrie vor große Herausforderungen. Roland Berger Strategy Consultants beispielsweise gehen davon aus, dass der Strompreis in den nächsten 20 Jahren um knapp 70 % steigen wird. Und allein die Grundstoffchemie in Deutschland benötigte laut Roland Berger 2010 Strom im Wert von rund 2,6 Mrd. Euro. Berücksichtigt man dabei, dass Strom nur ca. 30 % des Energiebedarfs der Grundstoffchemie ausmacht und 70 % der Energiekosten auf Energieträger wie Gas, Kohle, Öl, Dampf und Druckluft entfallen, heißt das: Die Gesamtenergiekosten der Grundstoffchemie in Deutschland dürften damit 2010 bei knapp 9 Mrd. Euro gelegen haben – und die Tendenz ist steigend.

Mit Energieeffizienzmaßnahmen lässt sich diesem Trend entgegenwirken. Nach ZVEI-Berechnungen können in den Maschinen und Anlagen der Industrie am Standort Deutschland, inklusive der kommunalen Produktions- und Entsorgungsunternehmen, bereits heute weitere 10 bis 25 % Energieeinsparungen allein durch anforderungsgerechte moderne Automationstechnologien erreicht werden. Somit ließen sich in der gesamten Industrie in Deutschland innerhalb eines Jahres zusätzlich 7 Mrd. Euro an Energiekosten beziehungsweise 43 Mio. Tonnen an Kohlendioxid-Äquivalenten einsparen.
Wirtschaftliche Energieeffizienz
Die entscheidende Frage für den dauerhaften Erfolg von Energieeffizienzmaßnahmen ist: Rechnen sich die Investitionen in energieeffiziente und energieeffizienzhebende Technologien für mein Unternehmen? Zurück zum Beispiel Grundstoffchemie: Laut Roland Berger Strategy Consultants ließen sich hier bei Investitionskosten von 10 Mrd. Euro bis zum Jahr 2050 kumulierte Einsparungen von 42 Mrd. Euro an Energiekosten erzielen. Die Investitionskosten umfassen dabei im wesentlichen Mehrkosten für den Einsatz von effizienteren Maschinen und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz der Prozesse, zum Beispiel moderne Mess-, Steuer- und Regeltechnik.
Um diese Effekte erkennen zu können, ist allerdings ein gewisser Weitblick bei der Anschaffung notwendig. Denn oft ist die auf den ersten Blick teurere Technologie die in Wirklichkeit ökologisch und betriebswirtschaftlich vorteilhafte, gerade vor dem Hintergrund der zu erwartenden Energiepreissteigerungen. Zwar spricht unter anderem die öffentliche Vergabeverordnung davon, auch Lebenszykluskosten bei Investitionsentscheidungen zu berücksichtigen, die Realität sieht aber oft anders aus: ZVEI-Recherchen zufolge nutzen rund 80 % der Akteure zur Beurteilung lediglich den Anschaffungspreis oder die Amortisationszeit (Pay-off), nicht aber ein Rentabilitätsmaß wie den Barwert einer Lebenszykluskostenbetrachtung. Grund dafür ist, dass Einkäufer vielfach nicht für Betriebs- und Folgekosten verantwortlich sind. Verantwortlich dafür ist aber auch die mangelnde Verfügbarkeit verlässlicher und herstellerneutraler Tools zur Lebenszykluskostenbetrachtung.
Tool berechnet Lebenszykluskosten
Der ZVEI hat daher in Kooperation mit Deloitte und der Unterstützung von neun Unternehmen ein herstellerneutrales Lebenszykluskosten-Berechnungstool LCE Lifecycle Cost Evaluation entwickelt. Es steht unter www.zvei.org/Lebenszykluskosten kostenfrei zum Download bereit. Die schnelle Transparenz über betriebswirtschaftliche Auswirkungen von zu vergleichenden Effizienzmaßnahmen steht hierbei im Vordergrund: Nachdem Basisinformationen wie u. a. Anschaffungs-, Energie- und Betriebskosten eingegeben wurden, vergleicht das excelbasierte Tool die Projektalternativen anhand ihres Barwertes und der Annuität. Es evaluiert, welche Option energieeffizienter ist, welche Alternative zu den geringeren Gesamtkosten führt und quantifiziert die Unterschiede. Als Optionen können einzelne Komponenten, Komponentenstränge sowie Anlagenteile miteinander verglichen werden. Da es sich dabei um ein rein betriebswirtschaftliches Instrument handelt, ist es nicht auf bestimmte Anwendungen und Technologien beschränkt, sondern vielfältig einsetzbar.
Voraussetzung für den zielgerichteten Einsatz des Berechnungstools ist, dass eine gewisse technische und kaufmännische Vorarbeit geleistet wird. Es müssen zuerst Informationen darüber eingeholt werden, welche Konsequenzen und Kosten mit möglichen Energieeffizienzmaßnahmen verbunden sind. Diese Informationen liegen vielfach beim Hersteller vor und können ggf. mit den Erfahrungen der Anwender abgeglichen werden. In einem zweiten Schritt kann dann die Wirtschaftlichkeit der Energieeffizienzmaßnahmen ermittelt werden, vorzugsweise anhand der wahren Kosten, der Lebenszykluskosten. Danach können für die bedeutensten Stellschrauben Verbesserungen eingeleitet und umgesetzt werden.
Energiemanagementsysteme
Wer Energieeffizienmaßnahmen umsetzen will, sollte sich zunächst Gedanken über die Vorgehensweise machen. Ein probates Mittel hierfür kann die Einführung eines Energiemanagementsystems nach DIN EN ISO 50001 sein. Energiemanagement ist das systematische Herantreten an zukunftssichernde effiziente Energienutzung im Unternehmen. Darüber hinaus werden über ein Energiemanagement der Energieeinkauf und die Nutzung der Energie im Unternehmen kontinuierlich verbessert. Ziel ist es, den kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) im Unternehmen zu implementieren.
Die kontinuierliche Verbesserung des Energiemanagements bedeutet eine Vielzahl von Vorteilen für das Unternehmen:
  • Reduzierung des Energieeinsatzes, damit Reduzierung der Energie- und Produktionskosten
  • Durch reduzierte Produktionskosten ist eine höhere Wettbewerbsfähigkeit gegeben
  • Der Kunde erwartet eine umweltgerechte, energieeffiziente Produktion
  • Das Unternehmen erfüllt die politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen und kommt so eventuell in den Genuss von z. B. steuerlichen Vorteilen
Bei der Einführung des Energiemanagements sollte u. a. Folgendes beachtet werden:
  • Definieren eines Energieziels für das Unternehmen. Dies sollte messbar und nachvollziehbar sein. Denn nur so kann es kontinuierlich besser werden.
  • Definieren unternehmerischer Energieleistungskennzahlen (EnPIs). Nur so lassen sich wirklich unterschiedliche Linien, unterschiedliche Produkte, unterschiedliche Schichten energetisch vergleichen.
  • Entscheiden, ob die bisherige Energiedatenerfassung ausreichend ist. Wie wird die Energiebilanz erstellt? Wird alles per Hand ausgelesen oder gibt es eine automatische Datenerfassung und -verarbeitung? Sind genügend Energiemesssensoren installiert oder werden einige Produktionsbereiche energetisch unzureichend erfasst?
  • Erstellen einer Energieeinsparmaßnahmen-Übersicht. Dieses lebende Dokument beinhaltet notwendige Energieeinsparungsmaßnahmen, die umgesetzt werden sollen. Hier sollten die Mitarbeiter einbezogen werden, denn der Bediener vor Ort hat sicherlich sehr konstruktive Ideen, seinen Bereich innerhalb der Produktion energieeffizienter zu machen.
Ein Energiemanagementsystem wirkt zukunftsorientiert und kann bei einer Zertifizierung die Grundlage für Fördermöglichkeiten und Steuereinsparungen sein.
Beispiel Chemieindustrie
Investitionen in moderne Kraftwerke und energieeffizientere Prozesse haben die Effizienz in der Chemieindustrie deutlich verbessert. Dennoch besteht weiterhin hohes Optimierungspotenzial. An großen Standorten ist der Verbund, also die stoffliche und energetische Integration von Prozessen, ein bedeutendes Element. Die Automatisierungstechnik schafft dabei die Voraussetzungen, stark verkoppelte Prozesse auch bei zunehmender Komplexität betreibbar zu machen. Außerdem ist sie ein wichtiger Hebel, um integrierte Anlagen und Apparate in der Nähe des energetischen Optimums zu betreiben und die Entwicklung vom Einzel- zum Gesamtoptimum voranzutreiben.
Die Namur hat das Thema Energieeffizienz im Jahr 2009 als Querschnittsthema identifiziert und den Arbeitskreis 4.17 gegründet, der sich mit dem Beitrag der Automatisierungstechnik zur Energieeffizienz beschäftigt. Der AK hat die Erfahrungen aus den Mitgliedsfirmen gesammelt und beschreibt mit dem Arbeitsblatt 140 eine systematisches Vorgehen zur Durchführung von Energieeffizienzprojekten mithilfe der Automatisierungstechnik.
Unabhängig von der Erreichung der freiwilligen Energiesparziele im Jahr 2012, will die chemische Industrie den Energieverbrauch weiter reduzieren. Allgemein entspricht die Systematik für Energieoptimierungsprojekte dem Vorgehen eines jeden Verbesserungsprojekts. Dabei lässt sich der Hebel zur Verbesserung der Energieeffizienz für einen verfahrenstechnischen Prozess aus Sicht der Automatisierung in vier Stufen beschreiben.
Stufe 1: Verbesserung der Fahrweise
Die bestehende Anlage soll energieoptimal betrieben werden. Zum Beispiel durch eine verbesserte Koordination von Energiequellen und senken bis hin zu einem anlagenweiten Regelungskonzept, das aus Onlinedaten mithilfe von Modellen den optimalen Betriebspunkt bestimmt und in den Betrieb der Anlage eingreift. Für die Automatisierungstechnik ist dies der typische Projektfall, sodass hier der Schwerpunkt zur Verbesserung liegt.
Stufe 2: Verbesserung durch Anlagenumbau
Um weiter in Richtung des theoretischen Optimums zu gelangen, müssen Verluste, die durch ein suboptimales Apparatedesign entstehen, reduziert werden. Dafür wird überholtes Equipment ausgetauscht oder Anlagenteile, für die es modernen Ersatz gibt, werden umgebaut. Dabei stehen häufig Ziele wie Kapazitätserweiterung, verbesserte Wärmeintegration oder effizientere Apparate im Vordergrund. Die geplanten Änderungen geben häufig der Prozessführung ein Fenster, weitere Verbesserungen vorzunehmen. Oft sind die Neuerungen auch nur durch eine Verbesserung der Prozessführung betreibbar. Dabei ist sehr wichtig, dass die Anlagenplaner und die Prozessführer sehr frühzeitig zusammenarbeiten, um die richtigen Technologien und Werkzeuge auszuwählen sowie die notwendigen Schnittstellen zu schaffen. Ein klassisches Beispiel aus der Energieoptimierung, mit der durch einen vergleichsweise kleinen Umbau eine große Einsparung erzielt wird, ist die zusätzliche Nutzung von Frequenzumrichtern bei Pumpenmotoren. Die Durchflussmenge wird durch die Variation der Pumpendrehzahl reguliert.
Stufe 3/4: Verbesserung durch Anlagen-
neubau oder Produktaustausch
Die größten Potenziale, aber auch die höchsten Kosten ergeben sich, wenn Anlagen neu geplant oder sogar völlig neue Anlagentypen entwickelt werden. Gründe hierfür können neue Verfahren oder neue Produkte sein. Für die Energieeffizienz kommen seitens der Apparate dann modernste Technologien zum Einsatz. Für die Ingenieure aus der Prozessführung kommen solche Aufgabenstellungen relativ selten vor. Die Herausforderung ist wie in Stufe 2 eine frühzeitige Zusammenarbeit mit der Planung, damit die Lösungen aufeinander abgestimmt werden. Dann ergeben sich zusätzliche Möglichkeiten, wie zum Beispiel über Trainingssimulatoren die Prozessführung offline zu erproben und Anlagenfahrer frühzeitig zu schulen. Beispiele für die Stufen 3 und 4 sind das Verfahren zur direkten Oxidation bei der Propylenoxidherstellung (Energieverbrauch -35 %), die Ablösung der Chlorherstellung mittels Quecksilberelektrode oder das Verbot von FCKW und die Entwicklung von Ersatzstoffen.
Arbeitsblatt dient als Leitfaden
Die Automatisierungstechnik ist die Basis dafür, dass Prozesse trotz der Veränderungen von Betriebspunkten und Störungen im Prozess sicher und stabil laufen, während Prozessgrenzen ausgenutzt werden. Ihr Ziel muss es sein, den Betrieb für den Bediener zu vereinfachen und dabei den Abstand zwischen dem Betriebspunkt und dem Optimum über die Zeit so gering wie möglich zu halten. Das Arbeitsblatt 140 dient als Leitfaden für die Vorgehensweise zur Steigerung der Energieeffizienz durch Automatisierungstechnik. Das Dokument richtet sich an den Praktiker, der betriebliche Energieeffizienzmaßnahmen plant und umsetzt. Dabei kann der Leitfaden als Einstieg dienen, den Experten ersetzen kann er nicht.
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