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Innere Werte ermittelt

Shutdown der Raffinerie in Burghausen erfolgreich abgeschlossen
Innere Werte ermittelt

Nach sechs Wochen Stillstand wurde die OMV Raffinerie in Burghausen Ende November 2014 angefahren und der Normalbetrieb wieder aufgenommen. Am Shutdown-Projekt waren in der Spitze über 4000 Mitarbeiter beteiligt, die in mehr als 600 000 Arbeitsstunden die Anlage inspiziert, gewartet, instand gehalten und modernisiert haben. TÜV Süd Industrie Service begleitete das komplexe Großprojekt sicherheitstechnisch und logistisch. Auch die gesetzlich vorgeschriebenen inneren Prüfungen wichtiger Anlagenteile zählen dazu.

Ein Shutdown steht in der Regel alle fünf Jahre an – mit einer Ausnahmegenehmigung ist eine Verlängerung auf sieben Jahre möglich. In Burghausen war 2007 der letzte Anlagenstillstand. Bevor die Arbeiten 2014 erneut begannen, gab Martin Pipek, OMV-Projektleiter Shutdown in Burghausen, den Startschuss zur Unterbrechung der Rohölzufuhr aus den Pipelines und zum Reinigen der Anlagen mit Dampf und Stickstoff. Was danach begann, ist mit einem riesigen Puzzle aus Stahl vergleichbar. Unter hohem Zeitdruck und strengsten Sicherheitsvorkehrungen zerlegten die Mitarbeiter die gesamte Anlage in ihre Einzelteile. Jede Komponente wurde gekennzeichnet, geprüft, bei Bedarf instand gesetzt und anschließend wieder zusammengesetzt. Bei neun Prozessöfen, 50 Kolonnen, 271 Tanks und 315 Wärmetauschern stellte dies eine enorme organisatorische Herausforderung dar. Die Experten der OMV und der beteiligten Fremdfirmen mussten, zu Teams zusammengeführt, entsprechend ihrer Qualifikationen den Aufgabenbereichen zugeordnet werden. Denn, so weiß Martin Pipek: „Alleine schafft man den Shutdown nicht. Es geht nur, wenn alle gemeinsam an einem Strang ziehen.“ Ein Indikator für den Fortschritt der Arbeiten waren die rund 500 Steckscheiben, mit denen sich einzelne Anlagenbereiche und Druckgeräte abtrennen lassen. Ähnlich wie am Schlüsselbord einer Hotelrezeption werden die Anhänger in einem eigens bereitgestellten Container an einer meterlangen Wand aufbewahrt. Fehlt ein Anhänger, dann ist die Scheibe im Einsatz und die Arbeiten sind noch nicht abgeschlossen. Erst wenn das betreffende Anlagenteil wieder betriebsbereit ist, wird die Scheibe demontiert und der Anhänger wandert zurück ans Bord.

Moderne Technik nachgerüstet
Neben den vorbeugenden Instandhaltungs- und Wartungsarbeiten wurden während des Shutdowns auch einzelne Anlagenteile mit moderner Technik nachgerüstet. So hat die OMV alleine 3,5 Mio. Euro in die Modernisierung der Hochfackeln investiert. Zwei Brennerköpfe der neuesten Generation mit höherer Kapazität bei minimaler Dampflast sorgen dafür, dass bei Betriebsstörungen und An- und Abfahrvorgängen das austretende Gas kontrolliert verbrannt wird. Eine Herausforderung war die Montage der Brennerköpfe in 70 Metern Höhe. An mehreren Tagen hatten Nebel und starke Winde den Kraneinsatz und die Arbeiten auf den Gerüsten unterbrochen. Nur durch zusätzliche Nachtschichten und Sonntagsarbeit konnte der enge Zeitplan eingehalten werden. Damit die Energieversorgung der Raffinerie auch in den kommenden Jahren gesichert ist, wurden ebenfalls die bisher eingesetzten 20-MW-Transformatoren gegen neue mit einer Leistung von 31,5 MW ausgetauscht.
Auch die Rauchgaskanäle der Raffinerie lassen sich ausschließlich während der Zeit des Stillstands betreten. Das Innere dieser Großrohre mit knapp 5 m Durchmesser wurde zuletzt vor sieben Jahren inspiziert. In den Kaminen, in die die Rauchgaskanäle münden, wurden die sogenannten Futterstoß-Abdichtungen wieder komplett erneuert.
Butadien-Anlage in Betrieb genommen
Die Erdölraffinerie der OMV ist eines der wichtigsten Unternehmen im bayerischen Chemiedreieck und die zentrale Drehscheibe für die Versorgung Süddeutschlands mit Mineralölprodukten. Aus 3,8 Mio. t Rohöl pro Jahr werden neben Mitteldestillaten wie Kerosin, Diesel und Heizöl vor allem petrochemische Grundstoffe wie Ethylen, Propylen für die Kunststoffindustrie gewonnen. Diese hochreinen Ausgangsstoffe für Spezialkunststoffe zählen zu den Kernprodukten der europaweit ersten Anlage, die nach dem Metathese-Verfahren arbeitet.
Um in Zukunft unabhängiger vom Brennstoffgeschäft zu werden, hat die OMV rund 200 Mio. Euro in eine neue Butadienanlage investiert. Das gasförmige Butadien wird aus den Nebenprodukten der bestehenden Ethylenanlage im Crack-Verfahren gewonnen. Es spielt eine wichtige Rolle, vor allem bei der Produktion von Autoreifen sowie der Herstellung von hochwertigen Gummi- und Latexprodukten, zum Beispiel für den Medizinsektor. Während des Shutdowns wurden die Anlagen der Raffinerie so vorbereitet, dass sich die Butadien-Anlage erfolgreich in die bestehenden Prozesse einbinden ließ.
Generalinspektion gemäß BetrSichV
Die regelmäßigen Intervalle zwischen den Shutdowns in Burghausen hängen auch davon ab, ob die Prüffristen durch besondere Zwischenprüfungen (Ersatzprüfungen) verlängert werden können. Die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV), deren novellierte Fassung am 1. Juni 2015 in Kraft getreten ist, bildet den gesetzlichen Rahmen der Prüfungen. Zur Unterstützung der eigenen Inspektoren hat die OMV ein Expertenteam von TÜV Süd Industrie Service für die nach der BetrSichV vorgeschriebenen Sicherheitsprüfungen der Anlagen, Komponenten und Behälter beauftragt.
„Seit 50 Jahren kennen wir die Anlage mit ihren Besonderheiten. Zusammen mit dem Betreiber leben wir eine gemeinsame Sicherheitsphilosophie“, sagt Peter Kerscher, Leiter der TÜV-Süd-Niederlassung in Trostberg. „Für diesen Shutdown haben wir Sachverständige aus ganz Deutschland zusammengezogen, zusätzlich zu unseren zehn Experten vor Ort sind weitere 30 Ingenieure aus unserem bundesweiten Niederlassungsnetz eingesetzt worden.“ Die brachten ihre langjährigen Erfahrungen bei Großprojekten ein und nutzten modernste Verfahren zur zerstörungsfreien Werkstoffprüfung. Hinzu kommt auch 3-D-Laserscanning, um das „bulging“ der Kokstrommeln zu bestimmen. Der Abgleich mit Regelwerken und der Anlagenhistorie zeigt dann, ob und wann Sanierungsbedarf besteht.
Während der ersten beiden Wochen des Shutdowns haben die Experten pro Tag bis zu 60 der gesetzlich vorgeschriebenen inneren Prüfungen vorgenommen. Für die Sichtprüfung stiegen die Prüfer dazu teils in die vorher freigegebenen Druckgeräte ein. Während der dritten Woche erfolgten täglich rund 30 Festigkeitsprüfungen. Untersucht wurde unter anderem, ob Wärmetauscher mit ihren innen liegenden Rohrbündeln weiterhin dicht sind. Zusätzlich waren die Experten in die erstmaligen Prüfungen, das Baucontrolling und die Qualitätssicherung der neuen Butadien-Anlage eingebunden.
Für den Wettbewerb gerüstet
Nach Abschluss der gesetzlich vorgeschriebenen Generalinspektion wurde die Erlaubnis zum weiteren Betrieb der Anlage durch die zugelassene Überwachungsstelle TÜV Süd Industrie Service erteilt und eine umfassende Prüfdokumentation an OMV übergeben. Ende November 2014 haben die Betreiber die Raffinerie in Burghausen und die Polyolefin-Produktionsanlagen der benachbarten Borealis Polymere GmbH wieder angefahren. Besonders stolz ist Dr. Gerhard Wagner, Standortleiter der Raffinerie und Geschäftsführer der OMV in Deutschland, dass das komplexe Projekt ohne einen einzigen nennenswerten Unfall abgeschlossen wurde. „Die 42 Mio. Euro für das Shutdown-Projekt sind gut investiert, denn mit den Neuerungen und Erweiterungen sind wir bestens gerüstet für den internationalen Wettbewerb. Da nun alle Anlagen mit moderner Technik arbeiten, profitieren wir von höchster Verfügbarkeit und optimierten Betriebskosten durch eine effiziente Energieausnutzung.“ Während der ersten Wochen des Normalbetriebs wurden die modifizierten Anlagenteile feinjustiert und im Gesamtverbund optimiert. Jetzt soll die Raffinerie – möglichst ohne Unterbrechungen – bis zum nächsten Shutdown durchlaufen.

Helmut Bode
Fachredakteur
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