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Innovationen jenseits von Technik

Strategien, so vielfältig wie das Spektrum der Chemieunternehmen
Innovationen jenseits von Technik

Nicht selten wird die Chemieindustrie mit hochmoderner Prozess-technik und innovativen Produkten gleichgesetzt. Die Ergebnisse einer Untersuchung des Fraunhofer ISI zeigen, dass die Unternehmen, um ihre Wettbewerbsposition zu verteidigen, keineswegs einen einseitig technischen Innovationspfad verfolgen, sondern vielmehr auch in nicht-technischen Bereichen umfassend Neuerungen umsetzen. Dabei setzen Hersteller von Spezial- und Feinchemie auf andere Organisationsmethoden als Hersteller von Grund- und Industriechemikalien.

Autoren Janis Diekmann Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fraunhofer-ISI Angela Jäger Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fraunhofer-ISI

Das Fraunhofer ISI hat im Auftrag der Chemie-Stiftung Sozialpartnerakademie (CSSA) untersucht, wie verbreitet nicht-technische Innovationen in der chemisch-pharmazeutischen und mineralölverarbeitenden Industrie, hier kurz Chemieindustrie, sind. Ein Schwerpunkt lag dabei auf der Nutzung und Weiterentwicklung organisatorischer Innovationen (Bild 1). Basis der Analysen war die Erhebung „Modernsierung der Produktion“ des Fraunhofer ISI, die alle drei Jahre einen breiten Querschnitt des verarbeitenden Gewerbes adressiert. Der Inhalt dieser Betriebsbefragung gestattet einen Einblick in die Produktions- und Wettbewerbsrealität der Chemieindustrie. Gleichzeitig ermöglicht die Anzahl befragter Betriebe, die Unterschiede innerhalb der Branche bei den Analysen zu berücksichtigen.
Innovationsfelder in der Chemie
Unternehmen können ihre Wettbewerbsposition nicht nur durch neue Produkte und effizientere Produktionsprozesse verbessern, sondern auch durch neue Dienstleistungsangebote und den Einsatz moderner Organisationskonzepte. Entsprechend zeigen die Analysen der Fraunhofer ISI, dass die Innovationsstrategie der Chemiebranche sich keineswegs auf Forschung und Entwicklung für Produktinnovationen beschränkt. Wie in Bild 2 deutlich wird, illustrieren herausragende Kenngrößen die Bedeutung der verschiedenen Innovationsfelder. Produktinnovationen haben in der Chemieindustrie eine sehr große Bedeutung. Mit 10 % der Beschäftigten ist der Bereich Forschung und Entwicklung (F & E) im Vergleich zum verarbeitenden Gewerbe weit überdurchschnittlich besetzt. Eine Betrachtung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung gemessen am Umsatz führt an dieser Stelle in die Irre, da der hohe Anteil an Rohstoffen und Grundprodukten an der Wertschöpfung die Ausgaben für F & E vergleichsweise niedrig erscheinen lässt. Die im Vergleich hohe Innovationsorientierung der Branche würde so nur verkürzt dargestellt werden.
Technische Prozessinnovationen sind die Voraussetzung, um dauerhaft wettbewerbsfähig produzieren zu können. Die Hälfte der Unternehmen erhält für technische Prozessinnovationen sowohl interne als auch externe Impulse, etwa in der Zusammenarbeit mit Spezialisten für Anlagenbau. Mit 16 % nehmen dabei überdurchschnittlich viele Unternehmen der Chemieindustrie Ideen direkt aus Forschungseinrichtungen auf.
Innovative Dienstleistungen werden zunehmend als wichtiger Wettbewerbsfaktor verfolgt. Die chemische Industrie nimmt hier eine Vorreiterrolle ein. So bieten im Vergleich zum Durchschnitt des verarbeitenden Gewerbes weit überdurchschnittlich viele Unternehmen ihren Kunden Betreibermodelle an, indem sie nicht nur Chemikalien liefern, sondern auch die zugehörigen Anlagen im Produktionsprozess für den Kunden betreiben. Bereits 17 % der Chemieunternehmen bieten solche umfänglichen Dienstleistungen an.
Organisatorische Innovationen werden häufig in Zusammenarbeit mit externen Partnern, Beratern oder Forschungseinrichtungen entwickelt. 32 % der Chemieunternehmen greifen für neue Organisationskonzepte auf externe Impulse zurück. Dabei nehmen überdurchschnittlich viele Betriebe Impulse von Fachveranstaltungen auf, ein Erfolg der Organisation in Branchennetzwerken durch unterschiedliche Intermediäre in der chemischen Industrie.
Unterschiedliche Innovationsstrategien
Dieses Gesamtbild verdeckt allerdings die erheblichen Unterschiede zwischen den Unternehmen innerhalb der Chemieindustrie. So unterscheidet sich die Produktion von Grundchemikalien, einschließlich Industriechemikalien und der Mineralölverarbeitung, in Großanlagen mit einem hohen Ausstoß grundlegend von der Herstellung von Feinchemikalien und Spezialchemikalien sowie pharmazeutischen Wirkstoffen. Denn Fein- und Spezialchemikalien werden im Vergleich in komplexen Produktionsprozessen in kleinen Mengen hergestellt und in weiteren Schritten weiterverarbeitet. Die Unterschiede zwischen den beiden Teilgruppen der Chemiebranche zeigen sich deutlich in der Wettbewerbs- und der Innnovationsstrategie (Bild 3). Betriebe aus dem Bereich der Spezial- und Feinchemie verfolgen überwiegend eine Differenzierungsstrategie und setzen dazu auf Produktinnovation als Fokus ihrer Strategie. Die Differenzierungsstrategie zielt darauf, Fähigkeiten und Kompetenzen zu erwerben, die Wettbewerber den Kunden nicht offerieren können. Die Unternehmen schaffen sich ihre eigene Nische, etwa durch neuartige Produkte. Hersteller von Grund- und Industriechemikalien sind auf Grund stärker standardisierter Produkte und internationalem Wettbewerb weitaus häufiger mit einem Preiswettbewerb konfrontiert und tragen dem in ihrer Strategie Rechnung. So ist die Bedeutung von Prozessinnovationen höher, um dabei auch die Kosteneffizienz der Produktion zu verbessern.
Im Bereich der Spezial- und Feinchemie geben 79 % der Unternehmen Produktinnovation als wichtigstes Innovationsfeld an, die technischen Herstellungsprozesse stehen nur bei 7 % im Mittelpunkt. Unter den Unternehmen der Grund- und Industriechemie bewerten immer noch 55 % neue Produkte als wichtigstes Innovationsfeld, allerdings fokussieren 40 % der Unternehmen ihre Anstrengungen auf technische Prozessinnovationen.
Organisatorische Innovationen
Den unterschiedlichen Innovationsstrategien folgend sind innerhalb der Chemiebranche auch unterschiedliche Schwerpunkte bei der Nutzung von organisatorischen Innovationen festzustellen. Beispielhaft für den Umgang mit organisatorischen Innovationen wurde die Verbreitung von fünf im verarbeitenden Gewerbe etablierten Konzepten untersucht (Bild 4). Dabei zeigt sich, dass die Chemieindustrie unterschiedliche Organisationskonzepte umfassend anwendet. Sie liegt bei der Nutzung vorbeugender Wartung, dem Einsatz von Arbeitsgruppen zur Ideenentwicklung und dem Qualitätsmanagement mit anderen Vorreiterbranchen wie dem Automobilbereich gleich auf.
Zusätzliche multivariate Regressionsmodelle ermöglichen zudem eine Analyse, die Unterschieden etwa hinsichtlich der Produktionsstrukturen und der strategischen Ausrichtung Rechnung trägt. Dabei zeigt sich, dass neue Organisationsmethoden sehr differenziert genutzt werden. Die Unternehmen setzen gezielt auf Konzepte, die das strategisch wichtigste Innovationsfeld am besten ergänzen. Prozessinnovatoren verwenden häufig Organisationsmethoden für das Management komplexer Produktionsprozesse (vorbeugende Wartung, Verbesserung der Rüstzeiten), Produktinnovatoren unterstützen gezielt kreative Arbeitsprozesse. Organisationsmethoden mit direktem Nutzen in der Produktion setzen beide Gruppen gleichermaßen umfassend ein.
Ganzheitliche Produktionssysteme
In den vergangenen Jahren zeigte sich in einigen Unternehmen, dass neue Organisationskonzepte nur unzureichend miteinander abgestimmt sind. Daraufhin wurden erste Ideen entwickelt, neue Organisationsmethoden in ganzheitlichen Produktionssystemen (GPS) zusammenzufassen. Ganzheitliche Produktionssysteme sollen die Unternehmen in die Lage versetzen, in ihrer Produktion umfassenden und abgestimmten Gebrauch von etablieren Organisationsmethoden zu machen. GPS lässt sich als vier ineinander greifende Leitbilder der Organisation der Produktion auffassen. Untersucht man die Verbreitung dieser Leitgedanken in der Chemieindustrie, zeigt sich eine bereits hohe Verbreitung eines „GPS-Mindset“ für drei der vier Konzepte (Bild 5). Das erste Leitbild, Standardisierung und Transparenz von Prozessen, ist die Voraussetzung für die Integration und Abstimmung der unterschiedlichen Produktionsprozesse. An diesem Leitbild orientieren sich 87 % der Chemieunternehmen. Das zweite Leitbild sieht einen formalisierten Umgang mit Fehlern und ihrer Beseitigung vor, anstelle einer dezentralen, mitunter auch improvisierten Kompensation. Diesem Leitbild sehen sich 70 % verpflichtet. Darüber hinaus sollen nach dem dritten Leitbild auch erweiterte Bereiche wie das Personalwesen oder die Produktentwicklung in die Weiterentwicklung des Produktionssystems einbezogen werden. Diese abteilungs- und funktionsübergreifende Abstimmung stellt sicher, dass Veränderungen nicht in nachgelagerten Bereichen zu Problemen führen. Mehr als die Hälfte der Unternehmen in der Chemie zieht diesen Ansatz dezentralen, unabgestimmten Lösungen vor.
Das vierte Leitbild eines ganzheitlichen Produktionssystems ist die Produktion im Kundentakt, um die Finanzierungskosten des Umlaufvermögens sowie die Lagerkosten zu reduzieren. An diesem Leitbild orientieren sich weniger als 20 % der Betriebe. Die weit überwiegende Mehrheit der Unternehmen setzt im Gegensatz dazu auf wirtschaftliche Chargengrößen und die Auslastung ihrer Anlagen. Hier wird es entscheidend sein wie neue Organisationskonzepte und Technologien, wie etwa die Mikroreaktionstechnik, so ineinandergreifen, dass kleine Losgrößen im Rhythmus der Marktnachfrage wirtschaftlich produziert werden können. Dabei gilt es für die Unternehmen, genau zu analysieren und zu definieren, in welchem Umfang eine Produktion im Kundentakt umgesetzt werden kann und welche Auswirkungen dies auf die drei anderen Leitbilder hat. Die Weiterentwicklung von einzelnen Organisationskonzepten hin zu einem ganzheitlichen Produktionssystem hat in der Chemie mit einem etablierten „GPS-Mindset“ beste Voraussetzungen.
prozesstechnik-online.de/cav0515401
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