Startseite » Chemie »

Kleiner geht’s besser

Chancen und Nutzen der Mikroverfahrenstechnik
Kleiner geht’s besser

Prozessintensivierung kann in vielen Bereichen der chemisch-pharmazeutischen Industrie zum Erhalt der globalen Wettbewerbsfähigkeit beitragen. Hauptziele sind die drastische Verbesserung der Prozesseffizienz unter ökonomischen und ökologischen Aspekten sowie die Produktentwicklung. Dazu nutzt man Effekte im nanoskaligen, mikro- und makroskopischen Maßstab gezielt aus, setzt spezielle Hilfsstoffe und komplexe Maschinen für schwierige Prozessbedingungen ein oder realisiert hoch effiziente Stoff- und Energietransportprozesse. Vor allem bei letzteren spielt die Mikroverfahrenstechnik eine entscheidende Rolle.

Dr. Olaf J. Stange

Die Mikroverfahrenstechnik bzw. Mikroreaktionstechnik hat sich in den letzten Jahren als wichtiges Hilfsmittel in der chemischen Forschung und Entwicklung etabliert und hält immer häufiger Einzug in die Produktion. Als Gründe lassen sich hierfür die unmittelbaren Vorteile der Mikroverfahrenstechnik für die chemische Prozessführung nennen. Mikrostrukturierte Apparate verfügen über ein sehr großes Oberflächen- zu Volumen-Verhältnis. Aus diesem Grund lassen sich beispielsweise Wärmetransportvorgänge deutlich intensivieren. Mikroreaktoren sind somit prädestiniert für sehr schnelle und stark exo- oder endotherme Reaktionen. Einige Reaktionen werden erst durch die Mikroverfahrenstechnik beherrschbar.
Durch die Verkleinerung der charakteristischen Dimensionen verlaufen neben Wärmetransportvorgängen auch Mischvorgänge deutlich schneller. So liegen die Verfahrensgeschwindigkeiten in Mikromischern zum Teil um Zehnerpotenzen höher als in konventionellen Apparaten und die Mischstrecken reduzieren sich auf wenige Millimeter. Zusätzlich erleichtert die geschlossene Anlagenbauweise und der geringe Hold-up den Umgang mit hochreaktiven Reagenzien und Gefahrstoffen. Die genaue Kontrolle von Mischprozessen, Temperaturen und Reaktionszeiten führt zu einer Prozessintensivierung durch Selektivitätssteigerung. Hierdurch kann nicht nur die Ausbeute, sondern auch die Sicherheit gesteigert werden. Zudem reduzieren sich die Aufbereitungskosten deutlich. Man denke nur an eine lösemittelfreie Produktion oder niedrigere Abfallmengen aufgrund des geringen Hold-ups in kontinuierlich betriebenen Mikroreaktionsanlagen bei An- und Abfahrvorgängen, Produktwechseln und eventuellen Produktionsstörungen.
Bessere Werkzeuge
Ein weiter Treiber, der zum vermehrten Einsatz dieser Technologie beiträgt, ist die rasante Weiterentwicklung der Werkzeuge für die Mikroverfahrenstechnik in den letzten Jahren. Systemintegration und Erweiterung des Anwendungsspektrums der mikrostrukturierten Apparate, z. B. durch neue Materialien, haben den Einsatz der Technologie im Labor und in der Produktion deutlich vereinfacht. Basierend auf den ursprünglich einzelnen mikrostrukturierten Bausteinen zur Durchführung verfahrenstechnischer Grundoperationen, in den meisten Fällen Mischen oder Wärmetauschen, wurden flexible, zum Teil modulare Systeme entwickelt, die eine große Zahl unterschiedlicher Verfahrensschritte abdecken.
So erleichtern und beschleunigen modulare Mikroreaktionssysteme wie das von Ehrfeld Mikrotechnik BTS die Entwicklung von der ersten Idee bis zur Produktion. Kontinuierlich betriebene Labor- und Pilotanlagen lassen sich innerhalb von wenigen Stunden aufbauen und jederzeit mit einfachen Handgriffen modifizieren. Abgesehen von der Peripherie können so komplette Chemieanlagen auf kleinstem Raum realisiert werden. Durch die kontinuierliche Fahrweise dieser Systeme können Verfahrensparameter wie Eduktkonzentrationen, Druck und Temperatur, im Gegensatz zu Batchprozessen, kontinuierlich und extrem schnell geändert werden, so dass deutlich mehr Verfahrenspunkte pro Zeit angefahren und untersucht werden, als dies in konventioneller Technik möglich ist. Zusätzlich können Syntheserouten gewählt werden, die sich mit konventionellen Apparaten, z. B. bei schnellen stark exothermen Reaktionen, nicht oder nur sehr aufwendig und kostenintensiv realisieren lassen. Für diese Entwicklungsarbeiten eignen sich modulare Mikroreaktionssysteme hervorragend. Zusammen mit einem hoch flexiblen, leicht zu bedienenden Prozessautomatisierungssystem und verschiedenen Peripheriegeräten entstehen Entwicklungs- und Produktionswerkzeuge, die Innovationen in der gesamten Breite der chemischen Industrie ermöglichen. Der Einsatz dieser Technologie bedingt aber einen Paradigmenwechsel in der Produkt- und Prozessentwicklung, denn die Umstellung von Batch- auf kontinuierliche Fahrweise und der Einsatz von Prozessautomatisierungssystemen verändert die Entwicklungsumgebung in Laboren entscheidend.
Breit einsetzbar
Durch die hohe Flexibilität kann mit diesen Systemen der gesamte Durchflussbereich von wenigen Millilitern pro Minute bis zu einigen 10 l pro Stunde realisiert werden, so dass bereits mit der Laboranlage der Schritt in die kleinskalige Produktion möglich ist. Somit ist für viele Fälle die Laboranlage bereits eine Produktionsanlage. Der Einsatz von Mikroreaktionssystemen als flexible Pilotanlagen für die Kleinmengenproduktion wurde in einigen Pilotanlagen bereits realisiert. Auch wenn der Anlageninhalt nur wenige Milliliter beträgt, lassen sich mit den kleinen Modulen Produktionsmengen von mehren 10 Tonnen pro Jahr realisieren.
Aber nicht nur Flüssigphasen-, Gas-flüssig- und Gasphasen-Reaktionen lassen sich in Mikroreaktionssystemen durchführen, auch für die Herstellung von Mikro- oder Nanopartikeln bietet die Mikroverfahrenstechnik Vorteile. Mit Mischern, die besonders für die Partikelerzeugung entwickelt wurden, können feinteilige Feststoffe wie Pigmente oder Katalysatoren hergestellt werden. Die Vorteile der Mikroverfahrenstechnik in der Verarbeitung und Herstellung von Feststoffen mit spezifischen Eigenschaften führte zu verschiedenen Prozessinnovationen, die zum Teil schon in der Produktion, unter anderem auch bei Bayer Technology Services eingesetzt werden.
Steigen die Produktionsmengen deutlich, kann der Scale-up aus dem Labor in die Produktion über die Parallelschaltung von Mikrotechnikanlagen oder über den Scale-up der Module unter Beibehaltung der Mikrostrukturierung und des sich daraus ergebenden Vorteils des geringen Scale-up-Risikos erfolgen. Mit diesen mikrostrukturierten Modulen können bei gleicher Mischeffizienz wie in den kleinen Modulen Produktionsmengen von einigen Tausend Tonnen pro Jahr realisiert werden. Bei diesen Größenordnungen wird schnell klar, dass die Mikroverfahrenstechnik ein wichtiger und effizient einzusetzender Bestandteil von Produktionsanlagen sein wird.
Ausblick
Um die Chancen der Mikroverfahrenstechnik zu nutzen, wird in den nächsten Jahren ein Umdenken bzw. die ganzheitliche Prozessbetrachtung von chemischen Prozessen, Anlagen und insbesondere der Infrastruktur stattfinden und die Grenzen zwischen mikro-, milli- oder makroskopischem Maßstab werden verschwinden. Für die Produkt- und Verfahrensentwicklung werden sich hoch flexible, aus Standardbauteilen zusammengesetzte „mikroreaktionstechnische Werkzeugkästen“ mehr und mehr am Markt etablieren. Wo hingegen sich für die großen Produktionen leicht modifizierbare, an die jeweilige Reaktion angepasste mikrostrukturierte Standardapparate durchsetzen werden. Speziell in der Mikroverfahrenstechnik werden die noch fehlenden Bindeglieder, in denen Mikrostrukturen Vorteile bieten, ergänzt – zum Beispiel in bestimmten Bereichen des Downstream-Processing – und als Standardwerkzeug für die Produkt- und Verfahrensentwicklung eingesetzt. Durch diese Weiterentwicklungen werden die Einsatzmöglichkeiten für die Produkt- und Prozessentwicklung in Mikrosystemen und die Kombination von Mikrotechnik mit konventioneller Anlagentechnik, wie sie in Pilot- und Produktionsanlagen zum Teil vorzufinden ist, deutlich erweitert. Dabei werden unter anderem mobile und flexible Verfahrenseinheiten zum Einsatz kommen, die ein Mitwachsen der Produktion mit dem Absatzmarkt ermöglichen. Dies sind nur einige Punkte, die erahnen lassen, welch ein breites Einsatzspektrum der Mikroverfahrenstechnik in der Prozessintensivierung offen steht.
cav 461

Internetportal Mikroverfahrenstechnik
Industrieplattform Mikroverfahrenstechnik der Dechema
IMVT – Institut für Mikroverfahrenstechnik
Komponenten von Ehrfeld Mikrotechnik BTS
Unsere Webinar-Empfehlung
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

cav-Produktreport

Für Sie zusammengestellt

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Hier finden Sie aktuelle Whitepaper

Top-Thema: Instandhaltung 4.0

Lösungen für Chemie, Pharma und Food

Pharma-Lexikon

Online Lexikon für Pharma-Technologie

phpro-Expertenmeinung

Pharma-Experten geben Auskunft

Prozesstechnik-Kalender

Alle Termine auf einen Blick


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de