Startseite » Chemie »

Konjunktur, Trends und Perspektiven

Der deutsche Chemieanlagenbau
Konjunktur, Trends und Perspektiven

2012 war wirtschaftlich kein einfaches Jahr. Das sich verlangsamende globale BIP-Wachstum (von 3,9 % 2011 auf 3,5 % 2012), die durch die Eurokrise hervorgerufene Verunsicherung der Finanzmärkte, instabile politische Rahmenbedingungen in Teilen des arabischen Raums sowie massive Überkapazitäten in Kernbranchen wie etwa der Stahl- und der Automobilindustrie stellten den Anlagenbau vor erhebliche Herausforderungen.

Der Autor: Klaus Gottwald Referent, Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau, VDMA

Vor diesem Hintergrund hat die Konjunktur im Großanlagenbau 2012 spürbar an Schwung verloren. Für das Gesamtjahr erwarten die Mitglieder der VDMA Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau (AGAB) einen Rückgang des Auftragseingangs um rund 15 % (2011: 24,9 Mrd. €). Vor allem die Anbieter von Kraftwerken sowie von metallurgischen Anlagen leiden derzeit unter einer schwachen Anlagennachfrage. Besser ist die Lage im verfahrenstechnischen Chemieanlagenbau. Von Januar bis September erreichten die Bestellungen in diesem Teilsegment ein Niveau von 2,1 Mrd. €, das sind rund 8 % mehr als im Vorjahreszeitraum (Q1-Q3/2011: 1,9 Mrd. €). Für das Gesamtjahr 2012 ist sogar mit einem Zuwachs um mehr als 20 % zu rechnen. Getragen wird dieser Aufschwung sowohl von Aufträgen ausländischer als auch inländischer Kunden. Bemerkenswert ist, dass die inländische Nachfrage erstmals seit 2006 voraussichtlich die Marke von einer halben Milliarde Euro übertreffen wird. Damit hat die Branche spürbar von den 2012 gestarteten Großprojekten der chemischen Industrie in Deutschland profitiert. Beispiele für die Beteiligung von AGAB-Firmen an heimischen Vorhaben sind der Bau eines Reformers zur Herstellung von Wasserstoff und Kohlenmonoxid im Chemiepark Dormagen und die Umrüstung einer Amalgam- Elektrolyse auf das moderne Membranver- fahren am Standort Frankfurt-Höchst.
Nicht aus dem Blick geraten darf bei dieser Betrachtung jedoch der langfristige Trend: Der Chemieanlagenbau ist nach wie vor weit von Rekordzahlen der Jahre 2006 und 2007 mit Bestellungen von jeweils über 5 Mrd € entfernt. Gemessen an den erwarteten Auftragseingängen für 2012 von knapp 3 Mrd. € entspricht das in etwa einer Halbierung der Nachfrage.
Schwieriges Umfeld
Insbesondere im Mittleren Osten kann der deutsche Chemieanlagenbau derzeit nicht an die Erfolge der Boomjahre anknüpfen. Die Konkurrenz durch koreanische und chinesische Anlagenbauer ist stark und viele der großen Anlagenbauprojekte am Golf werden derzeit unter Führung asiatischer Unternehmen abgewickelt. Etablierten Anlagenbauern bleibt meist nur die Rolle des Technologie- und Lizenzgebers sowie des Partners für die Grundlagenplanung.
In Nordafrika führten die politischen Umwälzungen des Arabischen Frühlings zu Projektunterbrechungen und -aufschüben, etwa in Ägypten, Libyen und Algerien. Kurzfristig ist nicht mit einer Revitalisierung dieser Vorhaben zu rechnen. Die neuen politischen Kräfte sind noch nicht etabliert und beschäftigen sich vorrangig mit der Festigung der eigenen Macht. In Bezug auf Großinvestitionen sind die Regierungen wenig entscheidungsfreudig. Mittelfristig ist jedoch wieder mit steigenden Vergaben zu rechnen.
USA bieten großes Potenzial
Demgegenüber steht eine deutliche Belebung im Geschäft mit Kunden aus Russland, Asien und Nordamerika. In Südostasien standen Ende 2012 Vietnam und Malaysia mit der Vergabe mehrerer Großprojekte im Blickpunkt. In den USA hat das steigende Angebot von unkonventionellem Schiefergas zu drastisch sinkenden Gaspreisen geführt, die außerhalb des Mittleren Ostens mittlerweile die niedrigsten weltweit sind. Die Rahmenbedingungen für Down- stream-Investitionen sind somit exzellent und zahlreiche Großprojekte befinden sich in der Planung oder bereits im Bau. Diese Vorhaben umfassen sowohl den Neustart stillgelegter Kapazitäten als auch den Neubau kompletter Großanlagen. In der Pipeline befinden sich u. a. Projekte zum Bau von Ammoniak- und von Methanolanlagen, von LNG-Exportterminals, von Gas-Crackern und von Düngemittelanlagen. So wird ein deutscher Anlagenbauer mehrere große Düngemittelfabriken im Mittleren Westen errichten, die ersten Neubauten dieser Art in den USA seit fast 25 Jahren. Ferner verleiht der Boom auch den Anbietern von Erdgaskraftwerken Impulse. Und auch Stahlerzeuger und Hersteller von Rohranlagen profitieren von der steigenden Nachfrage nach nahtlosen Rohren für die Gasförderung. Für deutsche Anlagenbauer bedeutet dies eine riesige Chance. Der Auf- und Ausbau von Vertriebs- und Planungskapazitäten sowie die verstärkte Suche nach Kooperationspartnern sind Herausforderungen, denen sich die Branche im Zuge dieser Entwicklung verstärkt stellen muss.
Wettbewerbsdruck steigt weiter
Der Wettbewerbsdruck im Großanlagenbau hat in den vergangenen drei Jahren erheblich zugenommen, so der Tenor zweier aktueller Umfragen unter Topmanagern des deutschen Großanlagenbaus. In beiden Untersuchungen gaben jeweils mehr als 90 % der Befragten an, dass sich der Konkurrenzdruck seit 2009 spürbar verstärkt hat – und sich in den kommenden Jahren nochmals verschärfen wird. Vor allem Anbieter aus Ostasien heizen den Kampf um Marktanteile an. Die chinesischen Großanlagenbauer sind die derzeit stärksten Herausforderer auf dem Weltmarkt und werden es auch in näherer Zukunft sein. Zuletzt besonders in den Wettbewerbsfokus gerückt ist ferner Südkorea. Südkoreanische Unternehmen konnten in den vergangenen beiden Jahren weiter wachsen und im Zug ihrer Expansionsstrategie erstmals Zuschläge für Großprojekte in den USA und Südamerika erhalten.
Exemplarisch zeigt sich diese Entwicklung im Chemieanlagenbau. In dieser Branche wird Südkorea mittlerweile als zweitwichtigster Wettbewerber deutscher Anbieter wahrgenommen. An erster Stelle stehen aber nach wie vor Anlagenbauer aus Westeuropa – dies spiegelte sich vor allem in der Befragung der Teilnehmer des 2. Engineering Summit (Oktober 2012) deutlich wider: Rund 90 % der befragten Chemieanlagenbauer sehen ihre Hauptkonkurrenten in Unternehmen mit Sitz in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien oder Skandinavien und damit deutlich mehr als aus den anderen etablierten Anlagenbaunationen USA und Japan.
Forcierung der Wettbewerbsfähigkeit
Das seit 2009 zunehmend auch von asiatischen Unternehmen geprägte Wettbewerbsumfeld im Chemieanlagenbau erfordert von deutscher Seite eine umfassende Reaktion. Wesentlich hierbei ist die Sicherung der eigenen, hohen Technologiekompetenz – nach wie vor eine der großen Stärken einheimischer Anbieter. Bedeutende Innovationsfelder sind derzeit die CO2-Reduzierung und die Steigerung der Energieeffizienz des Anlagenbetriebs. Auf kurze Sicht werden sich diese Aktivitäten insbesondere auf Absatzmärkten mit hohen Energiepreisen auszahlen. Darüber hinaus gibt es noch eine Vielzahl weiterer Bereiche, in denen neue Lösungen gefragt sind: in der Speicherung und Umwandlung von Energie, in der Ressourcengewinnung und -verarbeitung, in der Produktion und Verarbeitung von neuen Werkstoffen und in der Biotechnologie. Der deutsche Chemieanlagenbau bietet für all diese Themenfelder innovative Lösungen an.
Vor dem Hintergrund der massiven Fortschrittsbemühungen vor allem chinesischer Wettbewerber im Technologiebereich reicht die Optimierung der Innovationsleistung alleine aber nicht aus. Vielmehr muss die Branche sich auf allen relevanten Wettbewerbsfeldern verbessern. Dazu gehören insbesondere Maßnahmen, die an den klassischen Projektparametern Preis, Qualität und Durchlaufzeit ansetzen. Hohe Relevanz haben hierbei die Themen Einkauf und Beschaffung, Bau und Montage sowie Stan- dardisierung und Modularisierung. Ein weiteres Handlungsfeld, mit dem der Großanlagenbau sich derzeit intensiv auseinander setzt, ist die Optimierung des Projekt-Risikomanagements. Mit einem erwarteten Ergebnispotenzial von bis zu 20 % bezogen auf die Projektdeckungsbeiträge kommt dieser Methode als Instrument zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit besondere Bedeutung zu.
Trend zur Größe hält an
Der Trend zu Megaprojekten und zur Vergabe von Komplettpaketen im Chemieanlagenbau ist ungebrochen. Die Kunden verfolgen damit einerseits das Ziel, Skalenvorteile im Produktionsprozess auszunutzen, andererseits wollen sie nach Möglichkeit nur mit einem Partner verhandeln. Um in diesem Umfeld erfolgreich bestehen zu können, brauchen Anlagenbauer eine kritische Größe. Das gilt für reine Technologiegeber ebenso wie für Generalunternehmer. Unternehmensgröße signalisiert dem Markt Stabilität für die Erfüllung der Investitionsvorhaben. Gerade bei den zurzeit konkurrierenden Ausgangsstoffen Kohle, Öl, Gas oder Biomasse ist es ein Wettbewerbsvorteil, wenn man durch die Größe und Vielfalt seines Technologieportfolios dem Markt die jeweils beste lokale Lösung anbieten kann. Kooperationen zwischen Anlagenbauern, Anlagenbetreibern und strategischen Zulieferern, aber auch die spartenübergreifende Zusammenarbeit innerhalb von Konzernen, sind mögliche Reaktionen auf diesen Trend. Der Chemieanlagenbau hat diesen Weg in Form einer engen Zusammenarbeit mit Lieferanten bei der Technologieentwicklung bereits beschritten. Gerade im europäischen Kontext bieten sich zukünftig weitere interessante Möglichkeiten für Kooperationen.
Politische Rahmenbedingungen
Seit Jahrzehnten bewegt sich der deutsche Großanlagenbau in einem wettbewerbsintensiven Umfeld und hat in dieser Zeit gelernt, mit Strukturbrüchen – erinnert sei hier an den Markteintritt japanischer Anlagenbauer in den 1970er-Jahren – umzugehen. Gelungen ist das der Branche, indem sie flexibel und kreativ auf solche Veränderungen reagierte und stets auf eigene Stärken gesetzt hat. Exzellent ausgebildete, eigenverantwortlich arbeitende Mitarbeiter, gesamtplanerische Kompetenz und ein herausragendes Technologieniveau sind Trümpfe, mit denen der Industriezweig im internationalen Vergleich nach wie vor gut dasteht.
Dem Wettbewerb mit den „Newcomern“ aus Asien stellt sich der deutsche Großanlagenbau daher mit Selbstbewusstsein. Er benötigt jedoch faire Rahmenbedingungen, um gegen Unternehmen aus Ländern mit niedrigen Löhnen und weniger regulierten Faktormärkten bestehen zu können. Diese Rahmensetzung betrifft beispielsweise die Exportfinanzierung sowie die Steuerpolitik. Die Mitglieder der VDMA Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau hoffen auf eine Regierungspolitik, die in der Erkenntnis der volkswirtschaftlichen Potenziale dieses Industriezweigs ein Umfeld schafft, das für eine positive Entwicklung des Großanlagenbaus erforderlich ist.
Für die Zukunft gut aufgestellt
Trotz zunehmender Konkurrenz aus Asien steht der Großanlagenbau aus Westeuropa technologisch nach wie vor an der Spitze. Speziell der deutsche Chemieanlagenbau hat sich einen Vorsprung im Bereich effizienter und umweltschonender Technologien erarbeitet. Diesen Trumpf kann die Branche gegenüber den Herausforderern aus Asien spielen, die sich auf strenger werdende umweltrechtliche Vorgaben und kundenseitige Anforderungen an die Ressourceneffizienz von Anlagen noch einstellen müssen.
Angesichts einer robusten Anlagennachfrage befindet sich der deutsche Chemieanlagenbau auf einem guten Weg. Die kurz- und mittelfristigen Aussichten sind positiv einzuschätzen. Nach den Auftragsrückgängen der vergangenen Jahre sollte die Branche 2012 den „Turnaround“ schaffen und wieder steigende Bestellungen verzeichnen. Ein Indiz hierfür ist die positive Auftragsentwicklung in den ersten drei Quartalen 2012. Grund zum Optimismus auch über 2012 hinaus geben neben den günstigen Marktbedingungen in den USA die anhaltend starke Nachfrage aus Russland und aus Asien. China, Indien sowie Südostasien sind hier die Märkte mit dem größten Potenzial. Mit seiner breiten internationalen Aufstellung und herausragenden technologischen und methodischen Kompetenzen ist der deutsche Chemieanlagenbau dabei für alle wesentlichen Herausforderungen auf den globalen Märkten gut gerüstet.
prozesstechnik-online.de/cav0213420
Unsere Webinar-Empfehlung
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

cav-Produktreport

Für Sie zusammengestellt

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Hier finden Sie aktuelle Whitepaper

Top-Thema: Instandhaltung 4.0

Lösungen für Chemie, Pharma und Food

Pharma-Lexikon

Online Lexikon für Pharma-Technologie

phpro-Expertenmeinung

Pharma-Experten geben Auskunft

Prozesstechnik-Kalender

Alle Termine auf einen Blick


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de