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Mehr Produktivität in Prozessanlagen

Digitalisierung in der chemischen Industrie
Mehr Produktivität in Prozessanlagen

Die digitale Transformation ist in aller Munde. Sie gilt als Schlüssel zu Produktivitätssteigerungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Welche Hürden auf dem Weg zur digitalen Anlage zu überwinden sind und wie es um die Akzeptanz für diesen Megatrend in der chemischen Industrie steht, darüber sprach die Redaktion mit Eckard Eberle, CEO Prozessautomatisierung, Siemens AG, Karlsruhe.

Herr Eberle, wie schätzen Sie die Bereitschaft für einen digitalen Wandel in der chemischen Industrie ein?

Eberle: In der aktuellen Studie “ Branchenatlas Digitale Transformation” von d-velop.de können wir derzeit lesen, dass es unterschiedliche Geschwindigkeiten bei der Umsetzung von Digitalisierung gibt. IT-Unternehmen oder Banken gehen schnell voran. Die Chemie ist eher konservativ geprägt. Aus meinen Gesprächen mit Kunden entnehme ich jedoch, dass die digitale Transformation in der chemischen Industrie schon längst angekommen ist, beispielsweise wenn die Maschine sich beim Servicetechniker auf dem Mobiltelefon oder Tablet für die nächste Wartung meldet, die Position des LKWs und damit die Anlieferung des Materials genau bestimmt werden kann oder in einem zentralen Operations Center die Anlagenfahrer die weltweiten Produktionsstandorte remote bedienen und überwachen. Die Digitalisierung im Rahmen von Industrie 4.0. generiert für die Chemie bis 2025 eine zusätzliche Wertschöpfung von 30 % – so die Einschätzung vieler Experten. Das entspricht einem zusätzlichen jährlichen Produktivitäts-Zuwachs von über 2 %.
Was bedeutet Digitalisierung für die chemische Industrie?
Eberle: Es gibt keine generelle Digitalisierungsstrategie der chemischen Industrie. Ebenso wenig allgemeingültige Antworten von Siemens als Lösungsanbieter. Abhängig davon, ob es sich um ein Unternehmen der Spezial- oder Feinchemie handelt oder einen Anbieter der Petro- oder Basischemie, ist Digitalisierung sehr vielfältig, firmenspezifisch und bietet unterschiedlichen Nutzen. Sie bedeutet nicht einfach die Vernetzung von Geräten und Daten oder die Ergänzung bei Produkten um digitale Funktionalitäten. Die digitale Transformation umfasst neben den Prozessen, den Strukturen, sämtlichen Marktteilnehmern auch die Menschen in den Unternehmen. Genauer gesagt steht der Begriff für eine Veränderung der Unternehmenskultur und Geschäftsprozesse, die sich durch die Verbindung von technischen Möglichkeiten und stärkerer Kundenorientierung ergeben.
Was versteht der Siemens-Konzern unter dem Begriff „Digitalisierung”?
Eberle: Unter Digitalisierung verstehen wir bei Siemens zuerst die Verbindung der virtuellen mit der realen Welt über die gesamte Wertschöpfungskette eines Kunden. Sie umfasst alle Phasen des Lebenszyklus einer Anlage, den Einsatz von Automatisierungstechnik bzw. IT-Technologien, um die Leistungsfähigkeit in der Gesamtheit zu erhöhen. Unser Ansatz entspricht dem Vorgehen der Unternehmen der chemischen Industrie, Produktionsprozesse inklusive der Material- und Informationsflüsse weiter zu optimieren und die nachfolgenden Zielsetzungen zu erreichen: mehr Produktivität und Innovationen durch kürzere Time-to-Market im Design und Engineering, größere Flexibilität bei notwendiger Stabilität im laufenden Produktionsbetrieb und hohe Verfügbarkeit und Effizienz der Anlagen und Prozesse ungeachtet von Wartungs- und Servicezeiten.
Wo muss die chemische Industrie ansetzen, um diese Ziele zu erreichen?
Eberle: Die Ziele selbst sind nicht neu. Bisher wurden solche Aussagen von unseren Kunden getroffen, wenn es um das Thema „Operational Excellence“ ging. Es stellt sich nun die Frage: Wie erreichen unsere Kunden noch mehr Produktivität, Flexibilität und Effizienz durch Digitalisierung und was müssen sie dafür unternehmen? In erster Linie benötigen Chemieunternehmen Systeme und Software, mit denen sie Daten erzeugen, analysieren und weiterverarbeiten können, dann eine durchgängige Kommunikation um die notwendige Transparenz sicherzustellen, ferner Sicherheitstechnik, damit die Daten vertrauenswürdig und unbedingt innerhalb der Organisation verbleiben und zu guter Letzt, Dienstleistungen, um für den laufenden Betrieb, technische Updates bzw. Anlagenerweiterungen gerüstet zu sein.
Wie kann Siemens bei der Umsetzung dieser Aufgabe helfen?
Eberle: Nichts geht ohne Engineering und Automatisierung komplexer Prozesse und Anlagen oder eine sichere Energieversorgung speziell in der Chemie. Wir bieten Lösungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette im Bereich Digitalisierung, Automatisierung und Elektrifizierung. Digitalisierung ebnet den Weg für Integrated Engineering, Integrated Operations und das ganzheitliche Anlagenmanagement über den Lebenszyklus. Mit unserem Portfolio auf Basis der Technologieplattformen Totally Integrated Automation, Totally Integrated Power und Integrated Drives Systems sind wir bestens auf die digitale Transformation vorbereitet. Eine gemeinsame Datenbasis, die über den gesamten Lebenszyklus einer Anlage in der Planungsphase, in der Inbetriebnahme, in Betrieb und Wartung bis zur nächsten Erweiterung oder Modernisierung in allen Gewerken zur Verfügung steht, spiegelt quasi das digitale Abbild einer realen Anlage wider. Diesen digitalen Zwilling füttern unsere Produkte wie Comos für ganzheitliches Anlagenmanagement, Simit Simulationssoftware zur schnellen Inbetriebnahme und das Prozessleitsystem Simatic PCS 7 mit den Bibliotheken. Zusätzlich liefern viele Komponenten von Schalttechnik bis zu Sensoren oder Aktoren die Prozessdaten für Diagnose und Condition Monitoring aus dem Feld. Wichtig ist es, diese Datenmengen zu entscheidungsrelevanten Informationen aufzubereiten, etwa mit der Operations Intelligence Software XHQ, mit der durch entsprechende Auswertungen und Ansichten Handlungsalternativen aufgezeigt werden können, oder Preactor für Auftragsplanung und Änderungen von Produktionsabläufen auf Basis aktueller Informationen. Damit werden Big Data zu Smart Data.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Eberle: Nehmen wir beispielsweise die Reliability Center großer Chemieunternehmen. Hier werden Pumpen überwacht, um zustandsbezogene, digital geplante Wartung in Verbindung mit virtuellen Trainings unter Augmented-Reality-Bedingungen durchführen zu können. Gleichzeitig liefert die Software eine Auswertung der Key-Performance-Indicators zu den wichtigsten Komponenten, die niemals ausfallen oder ungeplant stillstehen dürfen. Das hat Auswirkungen auf die Ersatzteilversorgung und letztendlich auf die gesamte Leistungsfähigkeit der Anlagen.
Bei Batch-Prozessen spielt Digitalisierung eine ebenso große Rolle, z. B. bei der Online-Qualitätskontrolle und Online-Prozessoptimierung zur Durchsatzverbesserung besonders in der Fein- und Spezialchemie. Der integrierte bidirektionale Informationsfluss zwischen der Produktion und Online-Prozesskontroll- bzw. Analysesystemen ermöglicht schnelles Feedback nicht nur zwischen Labor und Prozess, sondern überprüft die Qualität gemäß der originären Spezifikation. In der Pharmaindustrie nennt man das Quality by Design und PAT. Das Resultat sind bessere Erträge, weniger Ausschuss und kürzere Time-to-Market.
Wie werden die Datenströme gelenkt?
Eberle: Die Verfügbarkeit und Transparenz der Daten ist ein Kernstück der Digitalisierung. Die Grundvoraussetzung ist daher eine stabile und vor allem sichere Kommunikation auch für Ex-Zonen. Die vielen Informationen fließen vertikal von den Prozessinstrumenten im Feld bis in die Unternehmensleitebene, horizontal über den Wertefluss und werden langfristig auch die Kommunikation mit Lieferanten sowie Kunden miteinbeziehen. Produkte für die Kommunikation reichen von Profibus, Profinet, Industrial Ethernet über Scalance, RFID oder Wireless bis hin zur IT- oder Netzwerktechnik. Bereits heute findet ein Großteil dieser Kommunikation im Web oder in der Cloud statt und die dafür notwendige Infrastruktur ist ebenfalls in unserem Portfolio enthalten.
Neben dem flexiblen Datenaustausch für sichere Prozessführung und schnellere Reaktionen ist der Schutz der Daten das A und O einer digitalen Anlage. Unsere Chemiekunden nutzen das mehrstufige Sicherheitskonzept von der Anlagen- über die Netzwerksicherheit bis zum Schutz der Automatisierungssysteme durch Integritätsprüfungen wie Passwort, Logbuch oder Virenschutz.
Was geschieht mit den gesammelten Daten?
Eberle: Bereits heute muss eine Vielzahl von Daten verarbeitet werden – denken wir an Zustandsinformationen von elektrischen als auch mechanischen Komponenten oder Archivdaten von Teilanlagen. Im Zuge der Digitalisierung wird die Vernetzung und Datenflut weiter steigen. Einerseits ist in viele Softwareprodukte Intelligenz bereits eingebaut, andererseits ermitteln unsere Digitalisierungsservices auf Basis der Technologieplattform Sinalytics Optimierungsmöglichkeiten der Assets, wie Energiedaten der Antriebsstränge. Darüber hinaus liefern Plant Data Services regelkreisbasierte Analysen über das Leitsystem zur Leistungsverbesserung oder Steigerung der Transparenz und Effizienz. Sie ermöglichen eine Anpassung der Produktionsprozesse an Rahmenbedingungen, wie Energiekosten oder Marktpreise. Auch werden immer mehr Services und Reports über Web oder Cloud angeboten. Dafür gibt es mit Mindsphere – Siemens Cloud for Industry eine umfassende, kostengünstige Data-Hosting-Plattform. Dass die chemische Industrie bei einer Anlagenlebensdauer von bis zu 40 Jahren die Zukunftssicherheit über Lifecycle Service Contracts absichert, versteht sich von selbst, und auch auf diesem Gebiet sind unsere Services bei Weitem nicht ausgereizt.
Welche Schritte sind noch zu gehen, um eine vollständige Digitalisierung in den Unternehmen zu erreichen?
Eberle: Der Trend zur Digitalisierung in der chemischen Industrie wird weiter gehen. Die nächste Anwendergeneration zeichnet sich durch „digital natives“ aus, die auch im Geschäftsleben extrem vernetzt und mit Tools arbeiten möchten, wie wir sie derzeit als Apps von den Smartphones kennen. Zusätzlich werden die Bestrebungen in Richtung Standardisierung, Modularisierung bei der Leittechnik und „plug and produce“ bei Feldgeräten vorangetrieben, wie auch an den Diskussionen diverser Gremien und Arbeitskreise zu erkennen ist. Die Konsequenzen einer digitalen Transformation im Hinblick auf innovative Geschäftsmodelle mit stärkerer Kundenorientierung auch für neue Märkte und die Veränderungen der Unternehmensstrukturen sind noch lange nicht abzusehen und konkret umgesetzt. Wir sind bereit, gemeinsam mit unseren Kunden den Weg in Richtung Industrie 4.0 zu gehen und eine Roadmap zur Digitalisierung zu erarbeiten.
„Wir sind bereit, gemeinsam mit unseren Kunden den Weg in Richtung Industrie 4.0 zu gehen und eine Roadmap zur Digitalisierung zu erarbeiten.“
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