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Migration bei laufendem Betrieb

Modernisierung der Leittechnik im Martinswerk
Migration bei laufendem Betrieb

Die Martinswerk GmbH hat ihre gesamte Leittechnik auf das Freelance-System von ABB migriert. Das dient dazu, auch künftig eine hohe Qualität und eine effiziente Produktion gewährleisten zu können. Da der laufende Betrieb nicht beeinträchtigt werden durfte, erfolgte die Umstellung Schritt für Schritt.

Mehr als 100 chemische Spezialprodukte wie Flammschutzmittel, Keramikzusätze oder Füllstoffe stellt die Martinswerk GmbH in ihrem Werk im nordrhein-westfälischen Bergheim her. Das 100-jährige Unternehmen mit rund 500 Mitarbeitern gehört zur US-amerikanischen Albemarle Corporation. Die wichtigsten Kunden des Martinswerks kommen aus der Automobil-, Kabel-, Keramik- und Farbenindustrie – allesamt Branchen, in denen hohe Produktqualität und ständige Weiterentwicklung gleichermaßen hohe Bedeutung haben. Um diese Ansprüche auch in Zukunft erfüllen zu können, sollte die Leittechnik im Werk Bergheim innerhalb von nur zwei Jahren migriert werden – und das bei laufender Produktion.

Angesichts dieser Anforderungen entschieden sie sich für Prozessleitsysteme und die Turn-Key-Projektausführung von ABB. Ein Kernteam von sechs ABB-Spezialisten arbeitete größtenteils in werkseigenen Büros. Das Team plante, errichtete und programmierte den kompletten Austausch der in die Jahre gekommenen Systeme. Von Anfang 2012 bis Ende 2013 wurden auf dem gesamten Werksgelände sechs Betriebe komplett umgebaut und Messwarten von Grund auf saniert oder neu errichtet. Das ABB-Team ersetzte die Contronic-P-Bedienoberflächen zum einen durch das System 800xA, zum anderen durch Digivis- und Panel-800-Stationen.
In 15 verschiedenen Schalträumen wurden 50 dezentrale Contronic-P-Prozessstationen aus den 1980er-Jahren durch die Freelance-Komponenten AC-800F-Controller mit 120 S900-Racks ersetzt. Allein über 6 km Glasfaserkabel waren notwendig, um alle Controller und S900-Racks in ein großes Produktionsnetz an dem weitläufigen Standort zu integrieren. Darüber hinaus wurden alle Produktionslinien mit rund 20 000 E/As und zwei Kraftwerkkesseln des unternehmenseigenen Kohlekraftwerks in neue Systeme über- und teilweise auch zusammengeführt.
Ein Leitsystem – drei Visualisierungen
Bei der Migration im Martinswerk kommt der Vorteil zum Tragen, dass ABB-Leitsysteme von unterschiedlichen Oberflächen aus bedient werden können. Mit 800xA, Freelance Digivis und Panel 800 sind nun drei Prozessvisualisierungen im Einsatz, die sich in der Anwendung bestens ergänzen. Die Visualisierung des Leitsystems 800xA bietet den Anwendern einen konsistenten Zugriff auf unternehmensweite Daten und ermöglicht die Interaktion mit vielen Applikationen von jedem angeschlossenen Client aus. Historische Prozess- und Unternehmensdaten lassen sich durch eine leistungsstarke Software bequem erfassen, speichern, abrufen und darstellen, um auf diese Weise das Reporting sowie die Visualisierung von Kennzahlen und Analysen, die Key Performance Indicators (KPI), zu unterstützen. Zur Bedienung und Darstellung des Prozessgeschehens wurden individuelle anlagenspezifische Grafikbilder als High-Performance-HMI für die Bedürfnisse des Kunden konfiguriert, was die am Bildschirm angezeigten Prozessmeldungen reduziert.
Digivis, die Standardbedienoberfläche des Prozessleitsystems Freelance ist leicht zu bedienen. Zum einen basiert sie auf der grafischen Benutzeroberfläche von Microsoft Windows, zum anderen sorgt eine klar strukturierte Informationshierarchie für Übersichtlichkeit. Ein durchgängiges Prozessalarm- und Meldekonzept sowie die leicht zu erfassende Anzeige der Meldungen und Bedienerhinweise erhöhen die Reaktionsfähigkeit des Bedienpersonals und somit die Anlagensicherheit. Eine archivierbare Darstellung von Trends und die Möglichkeit einer Diagnose bis in das Feldgerät hinein ermöglichen ein frühzeitiges Erkennen von Fehlentwicklungen in den Anlagen des Martinswerks. Damit lassen sich ungeplante Anlagenstillstände vermeiden und Wartungskosten deutlich reduzieren. Durch den Anschluss der Stationen an das konzerninterne Betriebsdateninformationssystem (BDIS) können nun auch andere Albemarle-Standorte die KPIs aus Bergheim für die weltweite Produktionsplanung nutzen.
Neben den neu installierten Digivis-Vorort-Terminals steigern auch die Panel-800-Bedien- und Informationsstationen die Informationsqualität deutlich und machen die Arbeit des Betriebspersonals effizienter. Bei Panel 800 handelt es sich um anwenderfreundliche, intuitive und ergonomische Bedienstationen, die sich entweder über Funktionstasten neben dem Display oder durch Berühren des LCD-Bildschirms navigieren lassen.
Flexibilität der Feldbustechnologie
Als Prozessstation bietet der Controller AC 800F dem Martinswerk die volle Flexibilität der Feldbustechnologie. Er sammelt und verarbeitet Prozess- und Diagnosedaten von bis zu vier Feldbuslinien. Konfiguration und Parametrierung der Feldbuslinien und der angeschlossenen Feldgeräte erfolgen vollständig über das Freelance-Engineering-Tool Control Builder F. Zusätzliche externe Tools für die Konfiguration sind nicht erforderlich. Die Feldbus- und Gerätekonfiguration kann dabei auch offline durchgeführt werden, ohne dass eine Verbindung zu den Feldgeräten besteht. Durch den modularen Aufbau des AC-800F-Controllers wird zudem ein hoher Grad an Montage- und Wartungsfreundlichkeit erreicht, was die Kosten für Inbetriebnahme und Instandhaltung reduziert.
Das S900-Remote-I/O-System stellt eigensichere Ein- und Ausgangsmodule zur Verfügung, die für den Anschluss der Feldsignale erforderlich sind. In jedem Funktionsmodul werden die Feldsignale digitalisiert, galvanisch getrennt und über einen internen seriellen Bus bereitgestellt. Die Kommunikationsschnittstelle setzt die Signale in das standardisierte Feldbusprotokoll Profibus DPV1 um. Die Konfiguration der einzelnen Stationen wird über eine Profibus-Anschaltung abgewickelt. Alle Funktionsmodule können dabei schnell und einfach während des laufenden Betriebs nach dem Prinzip HKIR (Hot Konfiguration In Run) ausgetauscht werden. Damit senkt das Martinswerk Kosten bei Instandhaltung sowie Wartung der Anlagen und vermeidet Anlagenstillstände.
Übergang erfolgt Schritt für Schritt
Um eine unterbrechungsfreie Produktion während der Migrationsarbeiten zu ermöglichen, erfolgte die Umstellung der Anlagen des Martinswerks schrittweise. Das bedeutete, dass zu Beginn des Projekts ein Mischbetrieb zwischen der alten und neuen Technik unter einer gemeinsamen Oberfläche realisiert werden musste. Das gelang mithilfe der Visualisierungsoberfläche Operate IT B von ABB und dem Programmiertool Syscom, das einen bidirektionalen Datenaustausch von Freelance und Contronic P erlaubt. Mit dieser Kombination war es möglich, Contronic P aus den 1980er-Jahren zusammen mit den modernen Freelance-Controllern uneingeschränkt unter einer Bedienoberfläche zu betreiben.
Die Umsetzung der gesamten Bedienoberfläche von Contronic P inklusive aller Prozess-, Trend- und Gruppenbilder nach Operate IT B erfolgte automatisiert, um Fehlerfreiheit zu gewährleisten. Nach dieser Vorbereitung konnte online problemlos Loop für Loop von den Contronic-P-Stationen auf den AC-800F-Controller umgestellt werden. Im Anschluss an die Controllermigration wurde das Operate IT-B-System, ebenfalls bei laufender Produktion, durch das System 800xA mit High-Performance-HMI ersetzt. In einer mittels KVM (Keyboard-Video-Mouse)-Extendern nun vollständig computerlosen und renovierten Messwarte erleben auch die Bediener die Vorteile des Fortschritts in der Leittechnik.
Die erfolgreiche Migration der Leittechnik war ein Meilenstein für das Martinswerk. Durch die zielgerichtete Projektführung meisterten die Projektbeteiligten auch die schwierigen Phasen der Zusammenlegung und des Umbaus der Messwarten. Nach Auffassung der Auftraggeber bildet die neue Leittechnik den Grundstein für eine effiziente und zukunftsgerichtete Produktion – und ist damit die Basis für künftige Produktinnovationen der Albemarle Corporation.
prozesstechnik-online.de/cav1114420

20 Jahre Freelance – die Erfolgsstory geht weiter

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Nachgefragt

cav: Herr Vogt, das Prozessleitsystem Freelance feiert 2014 20-jähriges Jubiläum. Wo liegen die Ursprünge des Systems?
Vogt: Angefangen hat alles bei der Firma Hartmann & Braun. Diese hatte ein Prozessleitsystem namens Contronic erfolgreich im Markt positioniert und entwickelte mit Digimatik das erste PC-basierte Prozessleitsystem. Ein solches System gab es bis dato noch nicht auf dem Markt und es ergänzte das Leitsystem Contronic für kleinere und mittelgroße Anwendungen. Digimatic ist dann später in Freelance umgetauft worden.
cav: Was unterscheidet Freelance von anderen marktüblichen Prozessleitsystemen?
Vogt: Seine Einfachheit. Von Anfang an wurde das System nach dem Motto „Minimum Engineeering – Maximum Automation“ entwickelt. Der Engineeringaufwand sollte so klein wie möglich sein, um eine Produktionsanlage mit dem geringsten Zeitaufwand das tun zu lassen, wofür sie gebaut wurde: zu produzieren.
cav: Welche Anlage wurde vor 20 Jahren erstmalig mit Freelance resp. Digimatic gesteuert?
Vogt: Bei der ehemaligen Hoechst AG in Frankfurt, direkt vor der Tür von Hartmann & Braun, wurde das erste System erfolgreich installiert. Auch die BASF in Ludwigshafen war damals schon sehr früh dabei und betreibt heute weit über 100 Anlagen mit Freelance.
cav: Wie ist die Resonanz der Betreiber?
Vogt: Sehr positiv. Freelance-Anwender geben bei unseren regelmäßigen Umfragen zur Kundenzufriedenheit regelmäßig Bestnoten. Im sogenannten NPS (Net Promoter Scoure) erreichen wir Werte, die denen von Firmen wie Apple vergleichbar sind.
cav: Wie hat sich das Freelance von damals im Vergleich zur aktuellen Version verändert?
Vogt: Freelance hat sich stetig weiterentwickelt. Bei der Prozess-Hardware wurde mit dem AC-900F-Controller im August 2013 bereits die vierte Generation in den Markt eingeführt: schneller, leistungsfähiger und dabei 100 % kompatibel zu den Controllern der ersten Generation. Im Bereich Software startete das System mit Windows 3.11 im Jahr 1994 und ist zurzeit für Windows 7 erhältlich. Die jeweiligen Versionssprünge waren immer groß genug, um mit der allgemeinen Entwicklung mitzuhalten. Aber auch nicht zu groß, sodass die Anwender sich schnell mit den jeweils neuen Versionen intuitiv und ohne großen Trainingsaufwand vertraut machen konnten.
cav: Welche konkreten Vorteile hat die neue Version Freelance 2013?
Vogt: Die Hauptvorteile sind der neue AC-900F-Controller, der schneller, leistungsfähiger und kompatibel zu Vorgängerversionen ist, das komplett überarbeitete Engineering-Tool mit dem Fokus auf Vereinfachung des Engineering-Workflows (weniger Mausklicks), Freelance Formulation, das Batch-Paket für einfache Chargenautomatisierung sowie Freelance Information, das neue Historian-Paket für professionelle Langzeitdatenspeicherung und -analyse basierend auf Decathlon Services, ABBs zukunftsweisender Softwareplattform
cav: In der Automatisierungstechnik folgen Technologiesprünge in immer kürzeren Zyklen. Was wird nach Freelance kommen?
Vogt: Nach Freelance kommt immer wieder Freelance. Momentan haben wir klare Planungen bis zur Version 2018. Eine neue E/A-Ebene namens S950e, 4-Monitor-Betrieb der Bedienstation und die Möglichkeit, mehr als zehn Bedienstationen in einem Projekt zu verbinden, um nur einen kleinen Ausblick zu geben. ABB hat mit dem neuen Controller AC 900F das Freelance-Prozessleitsystem für die nächsten 20 Jahre zukunftssicher gemacht.
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