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Feuer und Flamme für die Umwelt

Müllentsorgung mit Mehrwert
Feuer und Flamme für die Umwelt

Umweltschutz bei der Müllentsorgung ist ein wichtiges und sensibles Thema. Nach der Mülltrennung und Wiederverwertung bleibt aber stets ein nicht unerheblicher Rest, der dem Wertstoffkreislauf nicht wieder zugeführt werden kann. Hier setzen effiziente, umweltgerechte Verfahren an, die gleichzeitig auch der Energiegewinnung dienen: die saubere Verbrennung in einer modernen Müllverbrennungsanlage. Die für den sicheren und effizienten Betrieb wichtige Rolle des Prozessleitsystems wird am folgenden Beispiel beschrieben.

Dipl.-Ing. Jürgen Flütter, Dipl.-Ing. Andreas Riebesehl

„Neue Energie aus Abfall“ lautet das Motto der BKB Aktiengesellschaft, einer Tochter des Energiekonzerns e·on. Die BKB betreibt mehrere Abfallverbrennungsanlagen in verschiedenen Bundesländern mit einer Gesamtkapazität von rund 2,7 Mio. t/a. In der Anlage in Lahe, wenige Kilometer nordöstlich von Hannover, können bis zu 280 000 t/a entsorgt werden. Die groß ausgelegte Heizwertbandbreite von 8 bis 17,5 MJ/kg Abfall erlaubt eine optimale thermische Verwertung, sowohl von hoch kalorischen Fraktionen als auch von normalem Siedlungsabfall. Die beiden Verbrennungslinien der Anlage können stündlich über 100 t Frischdampf mit einer Temperatur von 400 °C und einem Druck von 40 bar erzeugen. Der Dampf treibt Dampfturbinen an, deren Generatoren eine Gesamtstromleistung von 27,4 MW liefern. Das reicht aus, um mehr als 40 000 Haushalte mit Strom zu versorgen.
Offenes, redundantes System
Bei der Konzeption der Anlage in Lahe hatten gleich mehrere Aspekte hohe Priorität: umweltgerechte Abfallentsorgung, geringe Schadstoffemission und konstante Energielieferung. Aus leittechnischer Sicht eine Aufgabe, die nicht leicht zu lösen ist. Die Verantwortlichen der BKB waren sich von Anfang an einig: Hier ist die Erfahrung ausgewiesener Experten erforderlich. Deshalb zogen sie als gesamtverantwortliche Gesellschaft Alstom Power Boiler mit dem Partner Cegelec Anlagen- und Automatisierungstechnik für die Elektro- und Leittechnik hinzu. Für das Projekt in Lahe präsentierten die Spezialisten von Cegelec verschiedene leittechnische Lösungen. Die Wahl fiel schließlich auf das Prozessleitsystem Simatic PCS 7 von Siemens. Die Vorteile sprachen für sich: ein für die Zukunft sowie individuelle Kundenanforderungen offenes System, das auf jeder Ebene vollständig redundant ausgelegt werden kann und für den Einsatz in Lahe exakt skalierbar ist. Seit der Inbetriebnahme der Anlage im Sommer 2005 steuert Simatic PCS 7 einwandfrei und zuverlässig auch die kritischen Stellen in der Müllverbrennungsanlage, vor allem die Feuerleistungsregelung und die Rauchgasreinigung, es regelt aber auch Wasser- und Dampfkreisläufe und überwacht die Stromerzeugung.
Regelung der Feuerleistung
Der Verbrennungsprozess ist das A und O einer Müllverbrennungsanlage. Von ihm hängt die Wirksamkeit der gesamten Anlage ab. Es gilt, trotz hoher Schwankungen im Heizwert des zugeführten Mülls, eine möglichst gleichmäßige und konstante Verbrennung aufrechtzuerhalten. Denn nur so können die im Abfall enthaltenen Schadstoffe vollständig zerstört und die Reaktionsfähigkeit der Verbrennungsrückstände auf ein Minimum reduziert werden. Der Abfall soll selbstständig, ohne Einsatz von zusätzlichen Brennstoffen verbrennen. Der Verbrennungsvorgang muss also fortwährend dem Material angepasst werden. Dazu wird im Verbrennungsraum des Kessels mit beweglichen Vorschubrosten gearbeitet, die in unterschiedliche Felder eingeteilt sind. Der Müll wird 40 bis 60 min lang über die treppenartigen Roste von einer Verbrennungszone in die nächste geführt, bis er vollständig ausgebrannt ist und die abgelöschte Asche nach Entwässerung in den Schlackenschuber fällt.
Eine Regelung der Verbrennung allein durch Müllaufgabemenge oder Vorschubgeschwindigkeit ist jedoch nicht realisierbar. Wichtigste Einflussgröße ist die Luft, die zur Verbrennung benötigt wird. Für die Trocknung, Entgasung, Zündung und Verbrennung wird angesaugte Luft aus dem Müllbunker eingesetzt. Sie wird durch eine interne Wärmeauskopplung vorgewärmt und als Primärluft in jeder Zone individuell zugeführt. Pyrodetektoren messen in jedem Feld die Flammenstrahlung, aus der sich Rückschlüsse auf die Entwicklung des Verbrennungsprozesses ziehen lassen. Kurzfristige Störungen in der Verbrennung lassen sich mithilfe des Prozessleitsystems automatisch ausgleichen. Steigt zum Beispiel der Heizwert des Mülls sprunghaft an, so nimmt die vom Feuer abgegebene Energiemenge zu. Über die Pyrodetektoren werden diese Daten an das Leitsystem gemeldet, das in der entsprechenden Zone die Zufuhr der Primärluft drosselt. Gleichzeitig erhöht sich die Menge der Sekundärluft, die im Rauchgaskanal zugeführt wird. Sie dient dazu, im Abgas den Mindestsauerstoffgehalt zu gewährleisten, der notwendig ist, um beispielsweise eine Nachverbrennung von Schwebeteilchen sicherzustellen.
Grenzwerte sicher eingehalten
Neben der Rohschlacke fallen bei der Müllverbrennung große Abgasmengen an, die sorgfältig nachbehandelt werden. Für die in den beiden Kesseln entstehenden Abgase gelten strenge Richtlinien. Die Grenzwerte für Stäube, Schwefeldioxide, Stickoxide, Kohlenmonoxid etc. sind durch die 17. Verordnung zum Bundesimissionsschutzgesetz festgelegt. Dank moderner Mess- und Regeltechnik, steter Optimierung der Prozesse und durchgängiger Leittechnik, werden diese Grenzwerte in Lahe weit unterschritten. Die Rauchgasreinigung erfolgt in mehreren Stufen: Entstickung, Entschwefelung, Entfernung saurer gasförmiger Stoffe und Entstaubung. Sämtliche Prozesse müssen fortwährend überwacht werden, viele Reaktionen erfordern die Einhaltung eines exakten Temperaturfensters. Auch hier leistet das Prozessleitsystem zuverlässige Arbeit. Die Automatisierungstechnik ist mit dezentralen Peripheriegeräten Simatic ET 200M aufgebaut. Die unterlagerte Feldebene liefert mit über 500 Messstellen ständig tausende Prozesswerte und ist über einen redundanten Profibus DP mit den integrierten und fehlersicheren, hochverfügbaren Controllern Simatic S7-400 HF verbunden. Die sicherheitsgerichteten Automatisierungssysteme sind in der Lage, Standard- und Sicherheitsfunktionen auf einem System zu bearbeiten. Die Sicherheitstechnik ist voll in das Automatisierungssystem integriert. Relevante Störungsmeldungen werden unverzüglich auf den Bedienstationen angezeigt.
Mithilfe verschiedener, ständig aktualisierter Prozesswerte wie durchfließende Rauchgasmenge, pH-Wert, NOx-Konzentration wird das Rauchgas zunächst im SNCR-Verfahren (selektive, nicht-katalytische Reduktion) von Stickoxiden gereinigt. Die Reduktion von Stickoxid in Wasserdampf und Stickstoff erfolgt durch den Einsatz von Ammoniak. Bei der Eindüsung der wässrigen Ammoniaklösung ist das Verhältnis von Temperatur und Konzentration genauso wichtig wie die Verweilzeit. Dieser Prozess wird ebenso mithilfe von Simatic PCS 7 gesteuert und in der Leitwarte visualisiert wie der anschließende Einsatz der Sprühabsorber, HCl-Wäscher oder der Flugstromreaktor, in dem Dioxine, Furane und Schwermetalle abgeschieden werden. Als Schaltstelle für die Daten, die über den Anlagenbus (Industrial Ethernet) geliefert werden, dient ein redundant ausgelegtes Serverpaar. Von hier aus werden die Daten per Terminalbus (Industrial Ethernet) an die Bedienstationen geschickt. Die zehn angeschlossenen Monitore an den Bedienstationen der Anlagenfahrer, den beiden Kranführerkanzeln und am Arbeitsplatz des Schichtleiters werden so stets mit aktuellen Prozessbildern versorgt.
Schnelle Inbetriebnahme
Das Team von Cegelec sorgte auf der Grundlage von verfahrenstechnischen Beschreibungen für die Strukturierung und den Aufbau der Leittechnik. Feuerleistungsregelung, Rauchgas, Wasserdampfkreislauf und Stromerzeugung wurden leittechnisch vereinheitlicht, und man stellte ein durchgängiges Bedien- und Beobachtungskonzept auf. Auf Basis der PCS-7-Standardfunktionen wurde eine Bausteinbibliothek erstellt und mit dieser die Funktionen der Kraftwerkstechnik realisiert. Das Zusammenspiel von Hardware und Prozess konnte vorab in einer Teilanlagensimulation veranschaulicht werden. Die Anlage konnte noch vor dem durch die BKB Hannover vorgegebenen Termin produktiv gehen. Die erstellte Bausteinbibliothek ist mittlerweile auch in anderen Kraftwerken im Einsatz.
Neben einem optimalen Kosten-Nutzen-Verhältnis bringt der Einsatz des Leitsystems der BKB Hannover auch Vorteile durch die offene Architektur. Zahlreiche unterlagerte Teilanlagen mit eigenen Steuerungen anderer Anbieter sind über Schnittstellen vollständig in das Prozessleitsystem PCS 7 integriert. Die Videobilder der 16 Kameras, unter anderem aus der Brennkammer und den Müllaufgabetrichtern, lassen sich über Active/X unmittelbar auf den Clients anzeigen. Selektierte Betriebsdaten werden über PM-Open-Export direkt in Microsoft Excel importiert. Mit diesen Daten konnten schon im Vorfeld verschiedene Prozesse verbessert werden. Heute bilden diese Informationen die Grundlage für weitere Optimierungen.
cav 430

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