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Dateninfrastrukturprojekt Gaia-X geht in die nächste Phase

Dateninfrastrukturprojekt Gaia-X geht in die nächste Phase
Eine sichere Cloud für Europa

Eine sichere Cloud für Europa
Mit dem Projekt Gaia-X verfolgen Deutschland und Frankreich das Ziel, eine vertrauenswürdige und sichere Dateninfrastruktur für Europa aufzubauen Bild: Gorodenkoff – stock.adobe.com
Wertschöpfung verlagert sich mehr und mehr in digitale Services. Um hierfür eine sichere gleichzeitig aber auch offene und interoperable Cloud-Lösung zu bieten, haben Deutschland und Frankreich unter dem Namen Gaia-X eine leistungsfähige Dateninfrastruktur ins Leben gerufen. 22 Unternehmen aus beiden Ländern, u. a. SAP, Beckhoff, Bosch, Siemens und die Friedhelm Loh Group, unterstützen das Vorhaben.

Mit dem Projekt Gaia-X verfolgen Deutschland und Frankreich das Ziel, eine vertrauenswürdige und sichere Dateninfrastruktur für Europa aufzubauen. Aus dem europäischen Digital-Großprojekt ist nun eine handlungs- und rechtsfähige Organisation geworden. 22 Unternehmen, Institutionen und Vereinigungen, von denen je elf aus Deutschland und Frankreich kommen, haben sich als Rahmen für das Ökosystem Gaia-X in einer Organisation zusammengeschlossen. Die Gründungsmitglieder bilden ein gemeinsames Projektteam, das die neue Organisation bis Ende September 2020 gründen wird. Alle Mitglieder der Organisation verpflichten sich zur Einhaltung folgender Leitprinzipien: Schutz der Datensouveränität, der Datenverfügbarkeit, der Interoperabilität, der Portabilität, der Förderung der Transparenz und der fairen Teilhabe. Zu den Gründungsmitgliedern gehören von deutscher Seite u. a. die Friedhelm Loh Group mit ihrer Tochtergesellschaft German Edge Cloud, die Fraunhofer-Gesellschaft, Atos, Bosch, die Deutsche Telekom, SAP, Beckhoff, BMW und Siemens. Bundeswirtschaftminister Peter Altmaier und sein französischer Kollege Bruno Le Maire haben Anfang Juni offiziell diese nächste Phase des europäischen Dateninfrastrukturprojekts angestoßen. „Mit Gaia-X gehen wir einen großen Zukunftsschritt in die Datenökonomie. Das Ziel ist ein digitales Ökosystem in Europa, das Innovationen und neue datengetriebene Dienste und Anwendungen hervorbringt“, erklärte Altmaier. Der französische Minister für Wirtschaft und Finanzen, Bruno Le Maire, bekräftigte: „Der gemeinsame Wille Frankreichs und Deutschlands erlaubt es uns, die Grundlagen für eine echte europäische Dateninfrastruktur zu legen. Ausgehend von der Zusammenarbeit zwischen elf deutschen und elf französischen Unternehmen kann Europa eine neue Kultur der künstlichen Intelligenz voranbringen, die sich auf die Prinzipien der Offenheit, der Interoperabilität, der Transparenz und des Vertrauens stützt.“

Bedarf nach vertrauenswürdiger Zusammenarbeit

Egal ob groß, mittelständisch oder klein – Industriebetriebe stehen vor sehr ähnlichen Herausforderungen hinsichtlich der Integration und Auswertung von Daten zur Umsetzung von Industrie-4.0-Szenarien. Der Hersteller einer Automationskomponente beispielsweise möchte Zugang zu den Betriebsdaten seines Produkts erhalten, das in einer Maschine verbaut ist, die wiederum bei einem dritten Unternehmen betrieben wird. Die permanente Erfassung des Maschinenzustands widerum erlaubt dem Hersteller, die Sicherheit und Effizienz sowohl seiner Komponente als auch der gesamten Anlage zu optimieren. Diese sehr einfache und gleichzeitig typische Konstellation einer industriellen Geschäftsbeziehung wirft einige Fragen auf, z. B.: Wem gehören die Daten des Komponentenherstellers und wer darf zu welchem Zweck darauf zugreifen? Wie können Daten monetarisiert werden? Stehen die Daten in einem standardisierten Format zur Verfügung? Diese Fragen können derzeit zwar entlang einer definierten Wertschöpfungskette bilateral gelöst werden. Die für den Hersteller relevanten Daten stehen aber nicht aggregiert über viele Betreiber zur Verfügung, eine Skalierung über Wertschöpfungsnetzwerke ist nicht möglich. Damit der Komponentenhersteller, die Maschinenbauer und die Betreiber beim Condition Monitoring zusammenarbeiten können, brauchen sie eine vertrauenswürdige Infrastruktur für den Datenaustausch und gemeinsame Regeln der unternehmensübergreifenden Authentifizierung und Zugriffssteuerung.

Offenheit, Transparenz und Interoperabilität

Daher stehen Offenheit und Transparenz im Mittelpunkt des für Europa initiierten Projekts Gaia-X. Die Spezifikation und Dokumentation der Gaia-X-Technologien und -Architekturen wird den Teilnehmern weltweit zugänglich sein. Alle Teilnehmer werden in der Lage sein, auf genau festgelegte Weise miteinander zu interagieren. Gaia-X stellt die Sicherheitstechnik in den Mittelpunkt, um jeden Teilnehmer und jedes System zu schützen, die Teil des Ökosystems sind. Die Europäische Union legt besonderen Wert auf Datenschutzbestimmungen. Um diesen gerecht zu werden, berücksichtigt die Architektur bereits grundsätzlich alle datenschutzrelevanten Aspekte. Diese Kernwerte sollten sich in den technischen Entscheidungen widerspiegeln. Das bedeutet, dass es nicht das Ziel ist, zentralisierte, homogene, isolierte Lösungen aufzubauen. Stattdessen berücksichtigt die Architektur Ansätze wie Föderation, Verteilung und Dezentralisierung. Moderne Benutzererfahrung, offene Standards und Protokolle sowie gestraffte Prozesse werden für die Einführung und Akzeptanz von Gaia-X entscheidend sein. Alle Artefakte wie Anfragen, Beschreibungen, Benachrichtigungen oder Nachrichten, einschließlich Selbstbeschreibungen und Richtlinien, sind maschinenlesbar. Für den Austausch dieser Artefakte stellen Systeme APIs („Application Programming Interfaces“) als primäres Mittel der Interaktion zur Verfügung. Durch den Aufbau auf maschineller Verarbeitbarkeit wird sichergestellt, dass ein Gaia-X-Datenmodell erstellt wird, das die Semantik des Ökosystems trägt und effektiv Interoperabilität liefert.

Gaia-X-Lösung am Markt

Auf technologischer Seite hat die Friedhelm Loh Group bereits gehandelt. Die Tochterunternehmen German Edge Cloud und Rittal haben mit dem Fraunhofer Institut und Bosch eine Lösung entwickelt und an den Markt gebracht, die als Beitrag zu Gaia-X dient: Oncite ist das erste schlüsselfertige Edge-Cloud-Rechenzentrum für echtzeitfähige und datensouveräne Industrie-4.0-Anwendungsszenarien. Die Lösung speichert und verarbeitet Daten nahezu in Echtzeit in der Produktion und harmonisiert die Daten für Analysen auf Basis künstlicher Intelligenz. Zulieferer können ihre Werke bei voller Datensouveränität mit den digitalen Produktionsplattformen ihrer Abnehmer vernetzen. Unternehmen können so ihre Produktionsstätten intern und werkübergreifend digital optimieren, Daten wertschöpfend nutzen und für die weitere Nutzung bereitstellen. Dabei behalten die Anwender die volle Souveränität über ihre Daten und können selbst entscheiden, wer Zugriff auf welche Daten erhält und über welche Plattformen und Public Clouds sie sich vernetzen möchten.

www.prozesstechnik-online.de

Suchwort: Gaia-X


Marco-Alexander Breit ist Leiter der Stabsstelle Künstliche Intelligenz und des Projekts Gaia-X im BMWi
Bild: Marco-Alexander Breit – BMWi

Nachgefragt:   Digitalisierung auf Basis europäischer Werte

Warum wird eine europäische Cloud benötigt?

Marco-Alexander Breit: Ohne Cloud und Edge geht im Digitalzeitalter wenig. Den Markt dominieren derzeit allerdings einige wenige Anbieter aus den USA und China mit schnell skalierenden Infrastrukturen, hoher Marktmacht und großen Kapitalreserven. Gleichzeitig erleben wir wachsende internationale Spannungen und Handelskonflikte. Europa muss auf Dauer wettbewerbsfähig und digital souverän agieren können. Daher haben wir nun den Aufbau einer vernetzten, offenen Dateninfrastruktur auf Basis europäischer Werte erarbeitet. Auf diese Weise sichern wir Datensouveränität und Datenverfügbarkeit. Nur so wird es perspektivisch innovative Daten- und KI-Anwendungen aus Europa geben können. Wir brauchen eine Dateninfrastruktur, auf der wir vertrauensvoll, sicher sowie transparent Daten austauschen und verarbeiten können. Das ist der erste Schritt. Auf dieser Infrastruktur soll im zweiten Schritt ein vitales europäisches Datenökosystem wachsen. Dieses Ökosystem wird es Anbietern und Anwendern von Services aus den Bereichen künstliche Intelligenz ermöglichen, neue innovative Geschäftsmodelle zu entwickeln. Gaia-X ist viel mehr als eine Cloud, es ist die dezentrale Cloud-/Edge-Infrastruktur der Zukunft. Und Gaia-X wird ein wesentlicher Treiber für Innovation und Wertschöpfung in den kommenden Jahrzehnten.

Wie soll Gaia-X aus technischer Sicht funktionieren?

Breit: Das Konzept sieht den Einsatz sicherer und offener Technologien vor, die die vernetzte Dateninfrastruktur zunächst zwischen den verschiedenen Anbietern aufbaut. Im zweiten Schritt werden auf dieser vernetzten Dateninfrastruktur Anwendungen bereitgestellt und genutzt. Das umfasst auch Schnittstellen zum einfachen und sicheren Datenaustausch sowie die Möglichkeiten zur Nutzung von Anwendungen und Funktionen aller Projektpartner. Die Einhaltung von Standards und eine leichtere Datenmigration sind Grundvoraussetzung. Fehlende Technologien oder Dienste werden von den Teilnehmern im Ökosystem gemeinsam konzipiert, entwickelt und allen Teilnehmern zugänglich gemacht, auch auf der Basis von Open-Source. Dokumente zum technischen Konzept der Gaia-X-Architektur finden sich auf http://data-infrastructure.eu.

Ist Gaia-X anschlussfähig an große Cloud-Anbieter?

Breit: Gaia-X ist als offene und vernetzte Dateninfrastruktur geplant. Viele Anbieter sind schon heute an Bord. Bislang nicht beteiligte Cloud-Anbieter haben jederzeit die Möglichkeit zur Beteiligung, sofern sie die Werte, Ziele, Regeln und Standards von Gaia-X erkennbar teilen und die einheitlichen Teilnahmebedingungen erfüllen. Der Interessenausgleich soll durch die Organisation der Anfang Juni vorgestellten Gaia-X-Foundation als neutrale, das Ökosystem tragende Instanz sichergestellt werden.

Wie wird das Projekt finanziert?

Breit: Die Beteiligung der Wirtschaft ist wesentliche Voraussetzung für den Projekterfolg. Dazu sind alle Projektbeteiligten entschlossen. Die Bundesregierung fördert zudem Anwendungsfälle, Datenkooperation und grundlegende Funktionen, zum Beispiel über den KI-Innovationswettbewerb des Bundeministeriums für Wirtschaft und Energie. Hier läuft seit 12. Mai 2020 ein dritter Förderaufruf zum Thema „Künstliche Intelligenz und vernetzte Datentechnologien für infektiologische und andere die Wirtschaft bedrohende Krisen“. Einreichungen werden bis zum 21. September 2020 entgegengenommen. Eine andere Möglichkeit bietet derzeit das Programm „Smarte und souveräne Nutzung von Daten für die Produktion“, eine deutsch-österreichische Kooperation.

Welche Rolle spielt der Staat?

Breit: Der Staat hat einerseits ein gesamtwirtschaftliches Interesse: Er hat ein Sicherheits- und Souveränitätsbedürfnis, und er muss die Weichen stellen, damit das Land auch in der Zukunft innovativ und wettbewerbsfähig ist. Mit Gaia-X soll die infrastrukturelle Grundlage und das Datenökosystem dafür geschaffen werden. Allerdings müssen sich, um solche komplexen Strukturen aufzubauen, zahlreiche Akteure – sowohl von Anbieter- als auch Nutzerseite – zusammenfinden. Wir haben als Impulsgeber und neutrale Mittler die Zusammenarbeit unter diesen Akteuren angeschoben. Darüber hinaus tritt der Staat nicht nur als Regulierer auf, sondern auch als Anwender. Für Anwendungen in der öffentlichen Verwaltung spielen Sicherheit, Verlässlichkeit, Vertrauen und Transparenz eine entscheidende Rolle.

Gibt es bereits Anwendungen?

Breit: Es wurden bereits über 40 Bedarfsbeispiele aus unterschiedlichen Domänen eingereicht und vorgestellt. Die Zusammenstellung deckt aktuell die Domänen „Industrie 4.0/KMU“, „Gesundheitswesen“, „Finanzwesen“, „Öffentlicher Sektor“, „Smart Living“, „Energie“, „Mobilität“ und „Agrar“ ab. Die Bedarfsbeispiele sollen Potenziale der Dateninfrastruktur anhand von Anwendungsmustern aufzeigen, die grundsätzlich auch in anderen Sektoren von Relevanz sein können. Darüber hinaus sind alle interessierten Anwender zur Mitarbeit und zum Einreichen neuer Use Cases eingeladen. Wir hoffen, Ende 2020/Anfang 2021 mit ersten Anwendungen an den Start gehen zu können.


Prof. Friedhelm Loh, Inhaber und Vorstandsvorsitzender der Friedhelm Loh Group

Statement

„Wir haben mit Kunden und auch in den eigenen Fabriken von Rittal gelernt, was wichtig für die produzierende Industrie ist: Echtzeitfähigkeit und die Anbindung an bestehende Cloudlösungen mit Datensouveränität. Daten sind ein hohes Gut und müssen vor Diebstahl und Missbrauch geschützt werden, um neue, datengetriebene Geschäftsmodelle aufbauen zu können. Mit diesem Wissen haben wir Gaia-X mit vorangetrieben.“


Daniela Held

Redakteurin

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