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Die digitale Transformation hat an Fahrt aufgenommen. Wie die Prozessindustrie hiervon profitieren kann, war Thema der 80. Namur-Hauptsitzung.

Die operative Intelligenz im Blick
Namur-Hauptsitzung im Zeichen des digitalen Wandels

Die digitale Transformation hat in der Industrie deutlich an Fahrt aufgenommen und verändert drastisch die Interaktion zwischen Menschen, Assets und Prozessen. Das Ziel hierbei ist, die nächste Generation operativer Intelligenz zu erreichen. Wie die Prozessindustrie von der digitalen industriellen Transformation profitieren kann, diskutierten aktuell auf der 80. Namur-Hauptsitzung erneut 650 Teilnehmer.

Der Vorsitzende der Namur, Dr. Wilhelm Otten, eröffnete die diesjährige Hauptsitzung erneut vor vollem Haus und gab einen Überblick über die Aktivitäten und Veränderungen des zurückliegenden Jahres.
Anschließend übergab er das Mikrofon an Simone Hessel, Vice President Digital Transformation bei GE Digital Europe. Die Namur hatte GE Digital als Sponsor der Hauptsitzung 2017 eingeladen, um die Erfahrungen beim Wandlungsprozess unter dem Motto „Mastering the Digital Transformation of the Process Industry“ zu teilen. „In der Prozessindustrie“, so Hessel, „können und müssen Unternehmen die Stärke des industriellen Internets nutzen, um Produktionsverluste zu minimieren, die Betriebskosten zu optimieren und Risiken durch intelligente Asset-Strategien zu verringern. Hierzu müssen viele Unternehmen flexibler werden, um im Markt weiter bestehen zu können.“ Hessel sieht die Prozessindustrie hierbei am Scheideweg. „Die Kunden verändern sich und damit auch die Anforderungen. Stillstandzeiten sind nicht akzeptabel. Operational Excellence und die Produktivität müssen gesteigert werden. Die Frage ist, wie wir die Transformation von einem Industrieunternehmen zu einem digitalen Industrieunternehmen schaffen, um den Kunden andere Möglichkeiten und Geschäftsmodelle zu bieten?“ Durch die Verbindung bestehender Anlagen bis zur Edge sowie der massiven Rechenleistung in der Cloud lassen sich nach der Aussage von Hessel Echtzeiteinsichten generieren, die bis zu 20 %
Effizienzgewinne liefern können.

GE Digital bietet Software-Applikationen zur Optimierung von Asset Performance Management APM und Field Services. All dies basiert auf der industriellen Cloud-basierten Plattform Predix. Diese Cloud-Lösung ist Unternehmensangaben zufolge speziell
dafür ausgelegt, Maschinendaten aus der Industrie zu sammeln und auszuwerten. Dabei sei man in der Lage, vielfältige Datentypen in großer Menge zu verarbeiten und gleichzeitig eine hochsichere Cloud-Umgebung anzubieten. Predix ist offen für unterschiedliche Anwendungen in verschiedenen Branchen.

„Digital Twins (Digitale Zwillinge) konzentrieren das industrielle Know-how und nutzen Predix, um die Vorhersagbarkeit und die operative Intelligenz zu liefern“, betont anschließend Dr. Carlos Härtel, Chief Technology and Innovation Officer, GE Global Research, Europe, in seinem Vortrag. „Sie ermöglichen prognosefähige Abbilder von kompletten Anlagen oder Anlagenkomponenten. Dadurch ist es möglich, die ungeplanten Ausfallzeiten sowie Sicherheitsvorfälle deutlich zu reduzieren und eine höhere Nachhaltigkeit zu erreichen.“

Den Abschluss des Plenarvortrags von GE bildeten die Ausführungen von Dr. Dirk Voelkel, Chief Technology Officer, Innovation and Analytics Life Science, GE Healthcare, der Anwendungsfälle entlang des Wegs der digitalen Transformation in der Prozessindustrie und Life Sciences, insbesondere bei der Herstellung von biopharmazeutischen Produkten, aufzeigte. Weitere Anwendungsfälle, Referenzarchitekturen, Partnerschaft- und Kollaborationsmöglichkeiten wurden detaillierter in den Workshops diskutiert. Auch die Ausstellung stellte Technologien in den Mittelpunkt, die das industrielle Internet, die künstliche Intelligenz und die augmented Realität nutzen, um die Transformation und neue GE Digital-Lösungen – insbesondere im Bereich des Asset Performance Management – voranzutreiben.

Sicherheit oberstes Gebot

Auf den Sponsorvortrag von GE Digital folgten interessante Beiträge der Namur, die neue Anforderungen und aktuelle Entwicklungen passend zum Motto aufzeigten. Insbesondere die Themen Security, Safety instrumented Systems und Verfügbarkeit wurden im Kontext der Digitalisierung diskutiert. Der Vortrag von Erwin Kruschitz von der anapur AG beispielsweise beleuchtete die digitale Transformation die Rolle der
Security dabei.

Mit der Namur Open Architecture (NOA) hat die Namur die „Überholspur“ für Entwicklungen aus der Internet-Welt geschaffen. So können neue Technologien geordnet Einzug halten, ohne dabei die Integrität bestehender Strukturen automatisierter Anlagen zu gefährden. Ausgehend von bekannten Modellen aus ISA95 (IEC62264) beleuchtete Kruschitz den Aspekt der Vernetzung. Um die notwendigen Security-Voraussetzungen darzustellen, beschrieb er, welche „Komponenten“ bzw. „Faktoren“, für eine Security-Risikobeurteilung der „Automatisierungstechnik der Prozessindustrie“ relevant sind. Hierzu gehören Daten, Systeme und Organisationen bzw. Personen. Anschließend stellte er eine Methode zur Risikobeurteilung und -visualisierung vor. Ausgehend davon werden die Securityvoraussetzungen für die digitale Transformation abgeleitet. Diese sind Security by Design (Komponenten müssen inhärent sicher(er) werden, Security by Architecture und Sicherheit = Kompetenz/Komplexität. „Nur wenn sich diese beiden Punkte die Waage halten, lässt sich die Sicherheit am besten gewährleisten. Der Erfolgsfaktor für die
digitale Transformation ergibt sich dadurch, wie IT (Informationstechnologien) und OT (Operational Technology) zusammenkommen“, betonte Kruschitz.

Intelligente Datenanalyse

Modernes Plant Asset Management trägt zur Erhöhung der Anlagenverfügbarkeit bei und hilft dabei, ungeplante Produktionsausfälle aufgrund technischen Versagens zu vermeiden. Dies gelingt unter anderem durch die Erarbeitung von Maßnahmenplänen für besonders ausfallgefährdete kritische Anlagenteile bzw. Apparate, z. B. verschärfte Inspektionsumfänge und verkürzte Intervalle, Modernisierung und Schaffung von Redundanzen durch Kleininvestitionsmaßnahmen. Um diese Maßnahmen gezielt einsetzen zu können, ist die Klassifizierung von Risikopotenzial und Ausfallwahrscheinlichkeit pro Apparateeinheit, die Identifikation bekannter Schwachstellen und die Ermittlung veralteter Anlagensubstanz erforderlich. Die Auswertung technischer Informationen spielt hierbei eine Schlüsselrolle.

Der Vortrag von Dr. Stefan Brüggemann von BASF stellte aktuelle Anwendungsfälle des Einsatzes moderner Datenanalysemethoden zur Unterstützung des Plant Asset Managements vor. Im Zentrum stand dabei die bedarfsgerechte Aufbereitung, Analyse und Visualisierung von Daten zu Instandhaltungsprozessen aus dem ERP-System (z. B. SAP). Die Analyse dieser Daten in Dashboards, die mit Hilfe von Business Intelligence Werkzeugen erzeugt werden, hat sich bei BASF unter dem Schlagwort „Maintenance Intelligence“ binnen kurzer Zeit als erfolgreiches Instrument erwiesen. Dr. Brüggemann stellte den Einsatz solcher Dashboards im Asset Management Prozess anhand eines Beispiels vor. Darüber hinaus betrachtete er den Stand der Entwicklung beim Einsatz weiterer digitaler Schlüsseltechnologien für das Assetmanagement wie beispielsweise On- und Offline-Zustandsüberwachung, mobile Instandhaltung und erweiterte Realität.

Anhand der bisherigen Erfahrungen wurden anschließend die Herausforderungen diskutiert, die im Spannungsfeld zwischen dem disruptiven Leitbild der Digitalindustrie und den etablierten Arbeitsabläufen in der Prozessindustrie zu meistern sind, um Akzeptanz für neue digitale Werkzeuge sicherzustellen und wirklichen Mehrwert durch ihre Anwendung zu generieren. „Die Erfahrungen“, so Dr. Brüggemann, „waren überall dort extrem positiv, wo es uns gelungen ist, die Daten mit menschlichen Verhaltensweisen in Zusammenhang zu bringen. Wo wir nur Daten erfasst haben, waren die Ergebnisse deutlich schlechter.“

Neue Offenheit eröffnet Chancen

Schon lange bevor das Thema Industrie 4.0 in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt ist, wurde die mangelnde Interoperabilität und gegenseitige Austauschbarkeit von Systemen als Herausforderung für die Prozessindustrie identifiziert. Auf Basis dieses Verbesserungsbedarfs kamen in den letzten Jahren an verschiedenen Stellen Initiativen in Gang, um offene Architekturen und allgemeingültige Datenmodelle für Engineering, Betrieb und Maintenance zu schaffen. Beispiele sind die Namur Open Architecture, die im Jahr 2016 erstmals vorgestellt wurde und die Module Type Package-Initiative zwischen Namur und ZVEI.

Als Hauptsponsor der Namur-Hauptsitzung hat Wago 2014 die Dima-Methodik präsentiert. Dima steht für dezentrale Intelligenz für modulare Anlagen. Herzstück von Dima ist das Module Type Package (MTP). Der Ansatz, Steuerungsintelligenz vom Prozessleitsystem auf die Anlagenmodule zu verteilen, Anlagenmodule digital zu beschreiben und für eine neutrale Schnittstelle zwischen Anlagenmodul und Leitsystem zu sorgen, bedeutete einen deutlichen Bruch mit bestehenden Automatisierungsparadigmen in der Prozessindustrie. Bereits 2016 fand die Geschichte von Dima in Form eines NE-148-Demonstrators, der nach der Dima-Methodik umgesetzt wurde, ihre Fortsetzung. Mit dem Demonstrator wurde der Nachweis angetreten, dass die Dima-Methodik herstellerunabhängig genutzt werden kann. Die klaren Forderungen für die nächsten Schritte waren im vergangenen Jahr: Überarbeitung der HMI-Funktionalitäten, zustandsbasierte Prozessführung, Diagnose und Maintenance und die Frage, wie die Informationen nach oben ins Prozessleitsystem gebracht werden können. Auf der diesjährigen Namur-Hauptsitzung wurden nun erste Ergebnisse hierzu aufgezeigt, so dass die Hersteller mit der Einführung dieser Technologie beginnen könnten. Bereits zur Achema im kommenden Jahr ist mit weiteren Fortschritten zu rechnen.

Die Automatisierungspyramide ist in der operativen Praxis noch sehr präsent. Doch nach und nach rücken die mehrwertbestimmenden Aufgaben des Condition Monitorings und die abgeleiteten Optimierungsstrategien (M+O) in den Fokus. Dies erfordert einen Zugriff auf Sensor- und Aktuatorendaten der sowohl hinsichtlich der Dynamik (Häufigkeit der Datenaktualisierung) als auch der Zugänglichkeit für die Spezialisten des Mess- oder Stellprinzips oder des verfahrenstechnischen Prozessschrittes ausgelegt sein muss. Heutige Leitsysteme würden dafür einen Engineeringprozess benötigen, der wegen der vorhanden Hierarchie vom Sensor über die Steuerung bis zum Leitsystem Eingriffe erfordern würde. Dieser hohe Aufwand macht aber mitunter den potenziellen Nutzen der M+O-Funktionen zunichte bzw. wird aufgrund der Tatsache, ein lauffähiges System zu verändern, nicht vorgenommen. Hier setzt das Namur-Open-Architecture-(NOA-)Konzept an. Es zeigt Lösungen auf, wie M+O-Anwendungen prototypisch, zeitlich begrenzt oder beständig, aber ohne Engineeringprozess für das bestehende Leitsystem vorgenommen werden können. Bei NOA werden die Daten der bisherigen Kern-Automatisierung durch offene Schnittstellen wie beispielsweise OPC-UA in die Systemwelt für Monitoring und Optimierungsaufgaben exportiert. Wo erforderlich, werden zusätzliche Sensorsignale durch einen zweiten Kommunikationskanal direkt an den bestehenden Feldgeräten abgeholt. Wie NOA in der Praxis funktioniert, wurde auf der Namur-Hauptsitzung 2017 in einem komplett überfüllten Workshop
an einem Multivendor-Demonstrator eindrucksvoll aufgezeigt. Beteiligt an dieser Entwicklung waren neben ABB, Samson, Siemens, Endress+Hauser, Microsoft und Codewrights auch die Fieldcomm Group, 247Factorynet und die Technische Hochschule Ingolstadt. Bis technische Lösungen kommerziell verfügbar sein werden, wird
es zwar noch einige Zeit dauern, aber der Dampfer hat Fahrt aufgenommen.

Erhöhte Wertschöpfung mit PAT

Vor mehr als 100 Jahren startete die Prozessanalytik (PAT) mittels Pfeifenanalysator bei der BASF zur Analyse der Gaszusammensetzung im Ammoniak-Prozess. Heute ist PAT zu einer etablierten Messtechnik zur Überwachung der Abwasser- und Abluftqualität zum Schutze der Umwelt, der Arbeitssicherheit und der Anlagensicherheit geworden. Hauptsächlich aber werden im Produktionsprozess die Rohstoffe und deren Dosierung überwacht und die Reaktion,
Isolierung und Reinigung der Produkte geregelt. Ziele sind die Erhöhung der Ausbeute, der Kapazität der Anlage, der Produktqualität oder die Senkung von Energie- oder Arbeitskosten.

Die digitale Transformation wird auch im Bereich der PAT zu neuen Anwendungsfeldern und Veränderung der Arbeitsprozesse führen. Dies ist in der Technologie Roadmap Prozesssensoren 4.0 beschrieben. Mehr hierzu erfahren wir im kommenden Jahr am 8. und 9. November auf der nächsten Namur-Hauptsitzung. Das Thema wird dann „Field Instruments Supporting Digital Transformation“ lauten. Sponsor dieser Veranstaltung ist Endress+Hauser.

www.prozesstechnik-online.de

Suchwort: cav1217namur


Günter Eckhardt

Chefredakteur

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