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Prozessfehlern auf der Spur

Hazard and Operability – Risikoanalyse für sichere Chemieanlagen
Prozessfehlern auf der Spur

Hazop-Analysen zur Risikoqualifizierung bieten die Möglichkeit, die Anlagen- sicherheit und -verfügbarkeit systematisch und aktiv zu verbessern. TÜV Süd Chemie Service zeigt, wie die Hazop-Methode erfolgreich in der Praxis ein- und umgesetzt werden kann.

Der Autor: Rainer Semmler Sachverständiger nach § 29a BImSchG, TÜV SÜD Chemie Service

Dass es trotz des hohen Sicherheitsniveaus in deutschen Unternehmen der chemischen Industrie zu Unfällen kommt, zeigt, wie wichtig die kontinuierliche Arbeit am bestmöglichen Sicherheitskonzept ist. Die Gründe für ungeplante Ereignisse sind vielfältig. Sie reichen von Unachtsamkeit über Eingriffe von Unbefugten bis zu technischen Fehlern in der Prozessleittechnik und bei Chemieanlagen.
Anfang des Jahres ereignete sich in der Galvanikabteilung eines Unternehmens für Sicherheitstechnik in Nordrhein-Westfalen eine Verwechslung mit Folgen. Arbeiter vertauschten bei der Lieferung von Chlorbleichlauge und Salzsäure die gelieferten Behälter. Sie füllten nach Angaben der Zentralen Melde- und Auswertungsstelle für Störfälle (ZEMA) rund 380 l der Chlorbleichlauge in den Lagerbehälter für Salzsäure. Infolge der Reaktion der beiden Chemikalien trat Chlorgas aus der Entlüftung des Vorratstanks aus, das über die Klimaanlage im Betrieb verteilt wurde. Von den Mitarbeitern des Unternehmens wurden 39 durch das giftige Gas verletzt. Erst die Feuerwehr konnte die Situation wieder unter Kontrolle bringen.
Allein für das Jahr 2011 hat die ZEMA deutschlandweit 18 meldepflichtige Störfälle registriert. Der zuletzt veröffentlichte Jahresbericht 2009 fasst detailliert die jeweiligen Umstände, Ursachen und Auswirkungen der Störfälle zusammen, die in jenem Jahr erfasst wurden. Auffällig dabei: Auslöser sind häufig unvorhergesehene Ereignisse, sodass ein bestimmter Prozess nicht mehr planmäßig abläuft. Wenn dann keine Sicherheitskonzepte greifen, entwickelt dieser Prozess je nach Situation eine Eigendynamik.
Vorsicht besser als Nachsicht
Weil die Komplexität prozesstechnischer und stofflich-physikalischer Gefährdungspoten- ziale weiter gestiegen ist, sind die Ursachen von Störfällen immer schwieriger zu fassen. Zudem unterscheiden sich die verschiedenen Betriebe und Chemieanlagen in Größe, technischer Ausstattung, Produktionsverfahren und vielen weiteren Details. Nicht zuletzt deshalb wurden neue Ansätze zur Risikoqualifizierung und Klassifikation anhand von Ausfallwahrscheinlichkeiten entwickelt und bereits bestehende Verfahren zur Risikoanalyse verfeinert. Mit Hilfe von Hazop-Analysen (Hazard and Operability) können für den jeweiligen Betrieb oder bei Änderungen der Anlagen mögliche Gefahren prognostiziert, deren Ursachen und Auswirkungen beurteilt sowie effektive Gegenmaßnahmen entwickelt werden.
Kern des Hazop-Verfahrens ist die geleitete Expertendiskussion über mögliche Ausnahmen von einem gewünschten Sollzustand. Die mehrstufige Analyse und Bewertung des operativen Prozesses berücksichtigt technische und organisatorische Risiken, mögliche Fehlbedienungen oder äußere Einwirkungen wie extreme Wetterlagen oder auch Verkehrsunfälle auf dem Betriebsgelände. Zu diesem Zweck leitet ein erfahrener TÜV Süd-Moderator ein interdisziplinäres Team aus internen und externen Experten, die anhand von ausgewählten Leitfragen unterschiedliche Szenarien diskutieren. So lässt sich gezielt zwischen tatsächlich erforderlichen und weniger zielführenden sicherheitstechnischen Maßnahmen unterscheiden. Daraus lässt sich eine klare Prioritätenliste erstellen und ein umfassendes Sicherheitskonzept ableiten.
Was wäre wenn?
Was würde passieren, wenn ein Sicherheitsventil V1 nicht schließt? Welche Ereigniskette ist zu erwarten? Das Fachwissen der Teilnehmer und die Wahl des Moderators sind maßgeblich für die Effizienz und Effektivität der Diskussion bzw. des Verfahrens. Die Praxis zeigt, dass die optimale Teamgröße zwischen sechs und zehn Experten variiert. Die Fähigkeit des Moderators, Teamsitzungen zu systematisieren und zu strukturieren ist genauso entscheidend, wie seine Gabe, die Phantasie der Teilnehmer für mögliche Szenarien anzuregen und zu neuen Lösungsansätzen zu motivieren. Als Ergänzung zur moderierten Expertendiskussion können andere systematische Methoden herangezogen werden, wie Ausfalleffekt-, Ereignisablauf- oder Fehlerbaumanalysen.
Der Ablauf einer Sicherheitsbetrachtung lässt sich am Beispiel eines Fermenters illustrieren: Auf Basis von Konstruktionsplänen, Dokumenten und verfahrenstechnischen Komponenten wird die Anlage im ersten Schritt in verschiedene Funktionseinheiten unterteilt. Das Expertenteam betrachtet dann gezielt das Teilsystem – beispielsweise die Gaserzeugung im Fermenter – anhand der einzelnen Prozessparameter wie Druck, Temperatur, Füllstand, pH-Wert oder Kühlung. Die Abweichungen von den Sollwerten werden anhand eines definierten Stichwortkatalogs ermittelt und mögliche Ursachen dafür diskutiert. Was kann dazu führen, dass der Druck in der Leitung zu niedrig oder zu hoch ist beziehungsweise ganz abfällt? Es wird deutlich, dass mehrere Ereignisse zu dieser Situation führen können: Die Pumpe kann ausfallen oder aber gegen eine geschlossene Armatur fahren. Ebenso kann ein Stromausfall oder eine Leckage für einen Druckabfall sorgen.
Sind die möglichen Ursachen identifiziert, rücken die potenziellen Auswirkungen der Abweichung in den Fokus der Diskussionsteilnehmer. Eine detaillierte Beschreibung der zu erwartenden Ereigniskette ermöglicht eine solide Einschätzung und Bewertung der Relevanz der Störung. Der Moderator muss mögliche sicherheitsrelevante Ereignisse finden und die Teilnehmer zu neuen Ideen und Lösungen führen. So lassen sich effektive Gegenmaßnahmen für die unterschiedlichen Ursachen entwickeln, die eine mögliche Störung wirksam verhindern oder, wenn dies nicht möglich ist, ihre Auswirkungen begrenzen. Das können – je nach Bedarf – konstruktiv-technische oder organisatorische Maßnahmen sein.
Im Fall der beschriebenen Chlorgasfreisetzung hilft eine relativ einfache, konstruktiv-technische Maßnahme, um künftig eine falsche Befüllung der Tanks aufgrund von Verwechselungen zu verhindern. Die Anschlüsse für die verschiedenen Lagertanks werden mit elektrisch angetriebenen Ventilen ausgerüstet, die über pH-Messungen verriegelt sind. Auf diese Weise wird zwischen Säuren und Laugen unterschieden und eine Vermischung in den Tanks ausgeschlossen.
Das Verfahren der Hazop-Analyse ist durch die umfassende, strukturierte Vorgehensweise bestens zur Risikoprävention geeignet. Experten von TÜV Süd Chemie Service können zusammen mit dem jeweiligen Unternehmen prozessbedingte Schwachstellen sicher identifizieren. Das Verfahren sollte dazu regelmäßig, beispielsweise alle fünf Jahre wiederholt werden und zu einem möglichst frühen Zeitpunkt zum Einsatz kommen – insbesondere bei der Planung einer Anlage oder wenn diese wesentlich erweitert, modernisiert oder umgebaut wird. Betreiber von Chemieanlagen profitieren von einem verbesserten Sicherheitsniveau, einer höheren Verfügbarkeit sowie einer zuverlässigen Informationsbasis bei Investitionen. Darüber hinaus gibt die Dokumentation einen detaillierten Überblick über den Sicherheitsstand der chemischen Anlagen, sodass sich ein erfolgreich eingeführtes Verfahren zur Hazop-Analyse positiv auf Genehmigungsverfahren (beispielsweise nach BImschG) und Versicherungskonditionen auswirken kann.
prozesstechnik-online.de/cav1212425
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