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Rollenverteilung in der Prozessindustrie

Funktionale Sicherheit
Rollenverteilung in der Prozessindustrie

Seveso, Bhopal, Piper Alpha – hier ereigneten sich einige der schwersten Störfälle in der Chemie- und Mineralölindustrie. Ursächlich für die Katastrophen, bei denen zahlreiche Menschen zu Tode kamen, waren menschliches und technisches Versagen. Ziel jedes Anlagenbetreibers muss es auch aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen (z. B. Störfallverordnung) sein, das Anlagenrisiko auf ein tolerierbares Restrisiko zu minimieren.

Autoren Marcel Richter Produktmanagement und -marketing Stellungsregler und Stellventilzubehör, Samson Monika Schneider Technische Redaktion, Samson

Eine unkontrollierte Überhitzungsreaktion in einem Reaktor führte 1976 in Seveso (Italien) zum Bersten eines Sicherheitsventils. Als Folge wurde eine unbekannte Menge hochgiftigen Dioxins freigesetzt. 1984 gerieten in Bhopal (Indien) mehrere Tonnen giftiger Substanzen in die Atmosphäre, weil Sicherheitssysteme versagten. 1988 zerstörte ein Feuer die in der Nordsee gelegene Bohrinsel Piper Alpha. Ursächlich für die Katastrophe waren ein temporär fehlendes Hochdruckventil und andere Fehlerquellen wie die fahrlässige Sicherung einer Rohrleitung, unzureichende Explosionsschutzmaßnahmen und die während des Brands andauernde Ölförderung von externen Plattformen. Todesfälle und Verletzungen von Angestellten und Anwohnern sowie Umweltschäden sind die sichtbaren Folgen dieser und anderer Anlagenstörfälle.
Das Risiko, das von einer Anlage ausgeht, steigt, je größer die schädlichen Auswirkungen einer Störung sind und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist. Um das Anlagenrisiko auf ein tolerierbares Restrisiko zu minimieren, helfen anlagenspezifische Notfallpläne, passive und aktive mechanische Schutzmaßnahmen sowie vom Prozessleitsystem unabhängige elektronische sicherheitsgerichtete Systeme (SIS), die aus Sensoren, einer sicherheitsgerichteten Steuerung und einem Aktor bestehen. Die Aufgaben im SIS sind klar verteilt: Die Sensoren messen die Regelgröße, z. B. die Temperatur, den Druck oder den Füllstand und geben die Information an die sicherheitsgerichtete Steuerung weiter. Die sicherheitsgerichtete Steuerung verarbeitet die Informationen unabhängig vom eigentlichen Leitsystem und weist den Aktor im Sicherheitsfall an, die sicherheitsgerichtete Aktion auszuführen. Der Aktor führt die sicherheitsgerichtete Aktion aus, also öffnet oder schließt je nach Sicherheitsanforderung die Armatur. Unter dem Begriff Aktor ist das gesamte Stellventil inklusive aller Peripheriegeräte wie Magnetventil, Stellungsregler und Volumenstromverstärker zusammengefasst.
Das Zusammenspiel der genannten Komponenten soll im Gefahrenfall einen sicheren Anlagenzustand herbeiführen oder bewahren. Die Anforderung an die sicherheitstechnische Verfügbarkeit wird in vier diskreten Stufen (SIL – Safety Integrity Level 1 bis 4) quantifiziert. Die Bewertung eines Schutzkreises wird entsprechend IEC 61508 und IEC 61511 beziehungsweise DIN EN 61508 und DIN EN 61511 vorgenommen. Während sich die IEC 61508 „Funktionale Sicherheit sicherheitsbezogener elektrischer/elektronischer/programmierbarer elektronischer Systeme“ an die Hersteller der Einzelkomponenten in einem SIS richtet, ist die IEC 61511 „Funktionale Sicherheit – sicherheitstechnische Systeme für die Prozessindustrie“ für Planer, Errichter und Betreiber von sicherheitsgerichteten Systemen relevant.
Rolle des Herstellers
Der Hersteller von Sicherheitskomponenten entwickelt im Zuge eines ganzheitlichen Safety-Lifecycles die erforderliche Hard- und Software unter Einhaltung der IEC 61508. Damit ist er auch für die Sicherheitsbetrachtung seines Produkts zuständig. Hier spielen viele Faktoren eine Rolle – wichtig sind z. B. die eingesetzten Materialien oder die dem Gerät zugrundeliegende Technologie. Alternativ kann die Eignung eines Produkts für sicherheitstechnische Anwendungen auch durch Betriebsbewährung festgestellt werden, dies hat den Vorteil, dass reale Einflüsse von Umgebung und Prozess berücksichtigt werden.
Auf Basis mathematischer Modelle und Berechnungsmethoden der FMEDA (Failure Modes Effects and Diagnostic Analysis) und eventuell vorhandener Daten zur Betriebsbewährtheit (proven in use) ermittelt der Hersteller die sicherheitstechnischen Kenngrößen. Dokumentiert und bestätigt werden die Kenngrößen anhand einer produktbezogenen Herstellererklärung in Verantwortung des Herstellers. Es besteht die Möglichkeit, den Entwicklungsprozess durch eine unabhängige fachkundige Stelle begleiten und entsprechend zertifizieren zu lassen. Weiterhin ist der Hersteller für Hinweise zum sachgemäßen Gebrauch verantwortlich, diese sind im Sicherheitshandbuch zusammengefasst. Die vom Hersteller zur Verfügung gestellten Kenngrößen geben lediglich darüber Auskunft, welche Sicherheitsintegrität die Einzelkomponente erreichen kann.
Rolle der Planer/Errichter
Der Anlagenbetreiber ermittelt die Anforderung an das sicherheitsgerichtete System (SIL-Einstufung) anhand einer geeigneten Methodik (Risikograph, Risikomatrix, LOPA usw.). Planern und Errichtern obliegt es, das Gesamtsystem „Sicherheitsgerichtetes System“ entsprechend der SIL-Einstufung auszulegen und die einzelnen Sicherheitskomponenten, bestehend aus Sensoren, Aktoren und sicherheitsgerichteter Steuerung nach dem Stand der Sicherheitstechnik auszuwählen. Die Norm fordert den Nachweis der Eignung der ausgewählten Komponenten bezüglich Umgebungsbedingungen und spezifischem Prozess, daraus ergibt sich für den Einsatz von Stellventilen die Forderung nach ingenieursmäßiger Auslegung und entsprechender Dokumentation des Auslegungsprozesses.
Die erreichte sicherheitstechnische Verfügbarkeit und damit das erreichte SIL hängen von dem eingesetzten Gerätetyp („komplexe“ oder „einfache“ Geräte im Sinne der Norm), der gewählten Architektur und der Ausfallwahrscheinlichkeit ab. Idealerweise sollte der Anwender für die Ausfallwahrscheinlichkeit Werte aus eigener Betriebserfahrung einsetzen. Unterstützend können auch die Daten der Namur eingesetzt werden, die darüber hinaus auch eine Reihe praxisnaher Empfehlungen für den Anlagenplaner und -errichter zur Verfügung stellt, darunter die NE 130, die den Einsatz von betriebsbewährten Komponenten empfiehlt oder die NE 106 zum Thema „Prüfintervalle von PLT-Schutzeinrichtungen“.
prozesstechnik-online.de/cav0614459
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