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ACDC als einfache digitale Alternative zum Hart-Protokoll

Digitale Daten per analoger Signalübertragung
ACDC als Alternative zu Hart

Anlagenbetreiber würden gerne smarte Feldgeräte einsetzen, um auf mehr Informationen zugreifen zu können. Die vorhandenen dreiadrigen 4…20 mA-Leitungen können neben den reinen Messwerten aber kaum zusätzliche Informationen transportieren. Der Gaswarngerätehersteller GfG wollte dies für seine Geräte nicht länger hinnehmen und hat deshalb den Analoge Carrier for Digital Communication (ACDC) entwickelt. Im Interview erklärt GfG-Geschäftsführer Hans-Jörg Hübner die Gründe für diese Entwicklung, worum es sich bei ACDC handelt und wie es funktioniert.

Herr Hübner, die ersten Transmitter an den Enden von 4…20 mA-Schnittstellen waren im Grunde einfach nur Sensoren mit einem Schutzgehäuse. Seitdem hat sich viel getan. Heutige Transmitter verfügen in aller Regel über eine eigene Elektronik und könnten schon jetzt zusätzliche Informationen zur Verfügung stellen. Allein das sie mit der Auswerteeinheit verbindende 4…20 mA-System kann diese nicht oder nur rudimentär übertragen. Ist das nicht ein Widerspruch in sich?

Hübner: Nur zum Teil. Hinter der ursprünglichen Idee, Transmitter mit einer eigenen Elektronik auszustatten, standen Überlegungen, die Störfestigkeit zu verbessern. Zudem muss man die Lohnkosten zu der Zeit bedenken. Jemanden loszuschicken, um etwas nachzusehen, abzulesen oder zu warten, war nicht so kostspielig wie heute. Aus diesen Gründen und weil Unternehmen immer stärker auf Datenanalyse zur Verbesserung von Prozessen setzen, ist es nicht länger hinnehmbar, wenn nicht alle Informationen zentral zur Auswertung zur Verfügung stehen.

Nur darf der Aufwand dafür den Ertrag nicht übersteigen. Es ist weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll, eine vorhandene und funktionierende Infrastruktur komplett auszutauschen, nur um ein paar mehr Daten zu übertragen.

Damit stecken die Anlagenbetreiber in einem Dilemma?

Hübner: Gewissermaßen. Schauen Sie, rund 95 % aller in Industrieanlagen installierten Gaswarnsysteme kommunizieren auf der „letzten Meile“ per 4…20 mA-System. Die Datenübertragung zwischen Transmitter und Auswerteeinheit erfolgt also nach wie vor analog. Viele Informationen, die zum Beispiel einem Servicemitarbeiter zur Verfügung stehen, wenn er den Transmitter vor Ort ausliest, können auf diesem Weg nicht automatisiert übertragen werden.

Aber dafür gibt es doch das Hart-Protokoll.

Hübner: Das stimmt. Das Hart-Kommunikationsprotokoll ist seit mehr als 30 Jahren das Mittel der Wahl, wenn digitale Daten über eine analoge Leitung gesendet werden müssen. In den letzten Jahrzehnten haben kluge Köpfe viel Zeit und Mühe in seine Weiterentwicklung und entsprechende Produkte gesteckt. Es ist die perfekte Lösung für viele Anwendungen, aber es hat seinen Ursprung in der Prozesssteuerung. Es war nie dazu gedacht, einfach nur zusätzliche Daten kostengünstig und mit hoher Geschwindigkeit zu übermitteln.

Oftmals ist der einzige Grund für die Implementierung von Hart die Tatsache, dass es einfach keine Alternative gibt.

Wenn Daten und Informationen letztlich in digitaler Form vorliegen müssen, um automatisiert verarbeitet werden zu können, warum sie dann nicht gleich digital übertragen? Das wäre doch eleganter.

Hübner: Die Vielzahl der in den letzten Jahren entwickelten Feldbus-Protokolle zeigt, dass sie mit dieser Einschätzung durchaus recht haben. Nur lösen Bussysteme nicht die Kostenproblematik und gleichzeitig gibt es selbst bei Neuinstallationen manchmal gute Gründe, auf 4…20 mA-Lösungen zu setzen. Insbesondere dann, wenn das Feldgerät weit von der Auswerteeinheit entfernt ist. Wir reden hier über Entfernungen von teils mehr als 1200 m und Transmittern mit einem hohen Strombedarf.

Der technische Vergleich ist aber im Grunde nachrangig. Was bei einer solchen Betrachtung leicht aus dem Blick gerät, ist die Tatsache, dass in Industrieanlagen, wie denen der chemischen oder pharmazeutischen Industrie teilweise Hunderte Kilometer dreiadriger Leitungen liegen, über die sie schlicht kein Bussignal übertragen können.

Das Investitionsverhalten der Unternehmen in den letzten 10 bis 15 Jahren belegt, dass niemand bereit ist, die Kosten für die Verlegung neuer Leitungen zu tragen, nur um an zusätzliche Informationen (Komfort) zu gelangen. Sonst wären nur noch Gaswarnanlagen auf Busbasis im Einsatz und wir würden dieses Gespräch nicht führen.

Und wie löst man jetzt das Problem?

Hübner: Die Herausforderung, digitale Daten einfach nur schnell und kostengünstig über analoge 4…20 mA-Leitungen zu übertragen, ist in aller Regel mit Hart nicht zu lösen. Es war daher Zeit für einen neuen Ansatz. Darum haben wir ACDC, den Analoge Carrier for Digital Communication, entwickelt.

Machen Sie mit ACDC dem Hart-Standard Konkurrenz?

Hübner: ACDC ist nicht dazu gedacht, um mit Hart zu konkurrieren. Es kann problemlos parallel zu Hart-Installationen existieren und diese ergänzen. Immer dann, wenn der Schwerpunkt weniger auf der Prozessautomatisierung als vielmehr auf der Übertragung zusätzlicher sicherheits- und/oder kostenrelevanter Informationen aus 4…20 mA-Systemen liegt – das Stichwort, das sich dazu gerade etabliert, lautet Condition Monitoring –, deckt ACDC einen langjährigen Wunsch der Industrie ab.

Welche Idee steckt hinter ACDC?

Hübner: Ich muss vielleicht einmal eine Differenzierung voranstellen. Auch wenn immer von „Hart“ gesprochen wird, besteht das Kommunikationssystem doch eigentlich aus zwei Teilen, dem Hart-Protocol, also der Software, und der Hardwarekomponente, dem Hart-Modem.

So betrachtet ist ACDC eigentlich ein alternatives Modem, das aber anders als bei Hart grundsätzlich protokolloffen ist. Um es für unsere Kunden so einfach wie möglich zu machen, sind wir für unsere Produkte bewusst bei Modbus/RTU, dem Protokoll, das wir auch für unsere Transmitter mit Busausgang verwenden, geblieben. Es ist weit verbreitet und etabliert.

Was blieb, war die Herausforderung, dem analogen 4…20 mA-Signal ein digitales Protokoll zu überlagern.

Letzteres kann man doch aber auch mit Hart?

Hübner: Ja. Das Hart-Protokoll verwendet dazu die Frequenzumtastung (Frequency Shift Keying, FSK). Das analoge Stromsignal wird mit einem sinusförmigen Signal moduliert, dessen Frequenz von 1,2 zu 2,2 kHz wechselt, je nachdem, ob eine logische „1“ oder „0“ übertragen wird.

Es handelt sich aber um ein komplexes und daher kostspieliges Verfahren. Es wäre viel einfacher, wenn man ohne Signaltransformation auskäme. Außerdem ist das Hart-Modem aufs Engste mit dem eigentlichen Protokoll verzahnt.

Und bei ACDC funktioniert die Erzeugung dieses digitalen Datenstroms einfacher?

Hübner: ACDC erreicht dies durch Überlagerung des 4…20 mA-Stromsignals mit einer Amplitudenmodulation. Alles, was benötigt wird, sind einige wenige diskrete Bauteile und eine serielle Schnittstelle, die in fast allen Mikrocontrollern vorhanden ist. Damit werden Übertragungsraten von bis zu 38 400 Bit/s möglich und grundsätzlich ist das verwendete Protokoll egal.

Was bedeutet das in der Praxis?

Hübner: Zunächst einmal, dass der Umstieg völlig unproblematisch ist. Solange die Transmitter nicht digital adressiert werden, verhalten sie sich weiterhin wie normale Geräte an einer 4…20 mA-Schnittstelle. Auch wenn die alten Transmitter durch ACDC-fähige ersetzt werden, verhält sich das System zunächst exakt so wie zuvor. Nachrüstung und Migration sind somit problemlos im Rahmen der normalen Wartungszyklen möglich. Ein wichtiger Aspekt für unsere Kunden.

Das alles ändert sich in dem Moment, in dem die Transmitter digital angesprochen werden. Die gesamte Kommunikation über ACDC erfolgt digital, einschließlich der Übertragung der Messwerte. Das analoge Stromsignal, das als Träger verwendet wird, ist aber immer noch voll funktionsfähig und dient im Falle eines Fehlers in der digitalen Übertragung als Back-up und Failover.

Bei der Sicht auf die zur Verfügung stehenden Informationen ist ab dem Zeitpunkt kein Unterschied mehr zwischen Transmittern mit Feldbusschnittstelle und solchen mit ACDC-Schnittstelle zu erkennen.

Bringen wir es mal auf den Punkt. Worin liegen die Vorteile des ACDCs im Detail?

Hübner: Der größte Vorteil ist sicherlich, dass die vorhandenen Leitungen weiterhin genutzt werden können. Außerdem ist für die Umrüstung kein Anlagenstillstand notwendig, da ein schrittweiser Austausch der Transmitter im laufenden Betrieb möglich ist. Die Übertragungsrate beträgt anschließend bis zu 38 400 Bit/s. Im Vergleich dazu kommt Hart nur auf 1200 Bit/s. Bei der Reichweite sind mehr als 1200 m möglich und ACDC eignet sich auch für Ex-Zonen. Ein weiteres Plus: Wir verwenden bei unseren Bussystemen und bei ACDC dasselbe Protokoll.

Im Vergleich zu Hart ist die Bandbreite zwar deutlich höher, zu heutigen Kommunikationsstandards ist sie allerdings recht dürftig. Ist das nicht ein Nachteil?

Hübner: Es stimmt, neue Standards wie Industrial Ethernet, die oftmals im Zuge von Industrie 4.0 entwickelt wurden, bieten enorm schnelle Übertragungsraten. Im Falle von Gaswarnsystemen, deren T90-Reaktionszeiten je nach zu überwachendem Gas in aller Regel im zweistelligen Sekundenbereich liegen, braucht man die gar nicht. Selbst bei der Übertragung aller zusätzlichen Informationen, die von intelligenten Sensoren und ACDC-fähigen Transmittern zur Verfügung gestellt werden können, wird die verfügbare Bandbreite nur selten komplett genutzt werden.

Im Gegenteil: Sie ermöglicht sogar Lösungen, bei denen in Zukunft auch Alarme und Messwerte tragbarer Gaswarngeräte an die Einsatzzentrale weitergeleitet werden können. So werden diese zukünftig zu wichtigen Bausteinen integrierter Sicherheitskonzepte.

Wie binden Sie tragbare Gaswarngeräte denn ein?

Hübner: Tragbare Gaswarngeräte der GfG werden optional mit einem Funkmodul geliefert. Das mobile Teamlink erlaubt es bereits heute, Teams von bis zu zehn Personen lokal abzusichern und zu schützen. Im Hinblick auf die Sicherheit von Personen an Einzelarbeitsplätzen und kleinen Arbeitsgruppen wäre es jedoch wünschenswert, alle tragbaren Geräte auch in die stationäre Sicherheitsinfrastruktur zu integrieren. Dies würde die Sicherheit einer mit einem Gaswarngerät ausgestatteten Person deutlich verbessern. Die Leitstelle könnte schneller und gezielter Rettungsmaßnahmen einleiten, da sofort bekannt wäre, ob es sich um einen manuellen Alarm, zum Beispiel nach einem Sturz, einen automatischen Man-Down-Alarm oder einen Alarm aufgrund überschrittener Grenzwerte für toxische oder explosive Gase handelt.

Hier bietet die Funkübertragung im Sub-GHz-Bereich in vielen Arbeitsumgebungen erhebliche Vorteile gegenüber Lösungen, die auf WLAN, Mobil- oder Satellitentelefonie basieren. Transmitter mit integriertem Funkmodul bilden dann die Schnittstelle vor Ort und ACDC stellt das dazu passende Backbone überall dort, wo die Kommunikation über 4…20 mA-Schnittstellen erfolgt.

Herr Hübner, letzte Frage: Wie ist der aktuelle Stand der Entwicklung und welche Möglichkeiten sehen Sie für ACDC?

Hübner: Aktuell arbeiten wir intensiv daran, ACDC in unsere Geräteserien zu integrieren und in Zusammenarbeit mit interessierten Herstellern und Kunden aus verschiedenen Branchen neue Service-, Wartungs- und Compliance-Prozesse sowie verbesserte Sicherheitskonzepte zu entwickeln.

Die Möglichkeiten von ACDC beschränken sich aber nicht auf den Bereich der Gasmessung. Das ist nur das, womit wir uns auskennen und womit wir, da wir eine solche Lösung brauchten, begonnen haben. Aber welches Protokoll per ACDC übertragen wird, ist eigentlich egal. Aktuell arbeiten wir daher auch an Konvertern für andere Protokolle, um die systemübergreifende Kommunikation so einfach wie möglich zu machen.

www.prozesstechnik-online.de

Suchwort: GfG


„Digitale Daten schnell und kostengünstig über analoge 4…20 mA-Leitungen zu übertragen, ist mit Hart in der Regel nicht zu lösen. Es war daher Zeit für ACDC.“

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