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Stillstand für die Zukunft

6000 Beschäftigte bewältigen Mammutprojekt in Köln
Stillstand für die Zukunft

Im Herbst 2013 hat das Chemieunternehmen Ineos seine Anlage am Standort Köln für zwei Monate heruntergefahren. Fast zwei Jahre Planung sind diesem größten Stillstand in der Geschichte der Anlage vorausgegangen. Rund 6000 Beschäftigte von Ineos und Partnerfirmen waren für das Mammutprojekt im Einsatz. Spezialisten von TÜV Süd Chemie Service haben den Anlagenstillstand zu Wartungszwecken begleitet.

Autor Klaus-Dieter Peschel Abteilungsleiter Plant Safety & Inspection, TÜV Süd Chemie Service

Mit kritischem Blick inspiziert Peter Löffler, Prüfingenieur bei TÜV Süd Chemie Service, einen Wärmetauscher, der an Schläuche und Pumpen angeschlossen ist. Die Komponente wurde gerade unter 13 bar Wasserdruck gesetzt. Das ist der spannende Moment: Wie ist es um den Zustand des 1,6 t schweren Geräts bestellt? Der Vermerk des Prüfers bringt Gewissheit: „Das Bauteil E-1050 hält dem Druck stand, ist dicht und zeigt keine sicherheitstechnisch bedenklichen Verformungen“, trägt der TÜV-Süd-Spezialist ins Prüfprotokoll ein.
Es ist ein Tag im Herbst 2013. Normalerweise verarbeitet die Ineos in der Anlage das Leichtbenzin Naphtha. Daraus entstehen Rohstoffe, aus denen später Kunststoffe hergestellt werden können. Doch jetzt steht alles still. Die Chemieanlage wird auf Herz und Nieren geprüft: Knapp zwei Monate lang begutachten Spezialisten des TÜV Süd Apparate, Kolonnen, Rohrleitungen und Behälter. Hinzu kommen Hebeeinrichtungen und elektrische Sicherheitseinrichtungen. Zu diesem Zweck wurde die Anlage vollständig entleert, gereinigt und geöffnet. Die Chemieanlage auf dem rund 15 Hektar großen Gelände ist umgeben von hunderten Stahlgerüsten, die den Prüfern auch zu den Bereichen Zugang verschaffen, die mangels Treppen oder Leitern sonst nicht erreichbar sind.
Wartung alle fünf Jahre
Eigens für die Prüfung ist in der Nähe der Anlage ein ganzes Containerdorf entstanden. Von dort aus planen und koordinieren Partnerfirmen und Auftraggebende ihren Einsatz. Auch Werkzeuge und Sicherheitsausrüstung sind dort bereitgestellt. In der Regel wird die Anlage turnusgemäß alle fünf Jahre komplett heruntergefahren, da bestimmte Instandhaltungs-, Wartungs- und Prüfarbeiten nicht bei laufendem Betrieb möglich sind. „Mit einem Investitionsvolumen von insgesamt 100 Mio. Euro inklusive eines Erneuerungsprogramms ist der aktuelle Stillstand der größte, den wir jemals an unserem Kölner Standort hatten“, sagt Dr. Anne-Gret Iturriaga Abarzua, sie leitet die Ineos-Unternehmenskommunikation. Dabei liegt der Fokus auch darauf, zusätzliches Optimierungspotenzial zu ermitteln.
75 000 Stunden Planung
Die Planung für das Projekt begann bereits Anfang 2012, fast zwei Jahre vor dem eigentlichen Stillstand. 75 000 Stunden flossen in die Vorbereitung, nun sind täglich rund 1250 Mitarbeiter gleichzeitig im Stillstandseinsatz – ein Mammutprojekt. Gerade deshalb sind die genauen Abläufe bis ins kleinste Detail durchgeplant. „Nichts wird dem Zufall überlassen“, sagt Stillstandsmanager Marcel Hohnroth. „Weil Zeit bekanntlich Geld ist, haben wir für jeden Tag eine genaue Route festgelegt, auf der wir die Prüfingenieure zu den vorbereiteten Komponenten führen.“
TÜV-Süd-Sachverständige aus unterschiedlichen Fachgebieten sind jeden Tag in der Anlage unterwegs, prüfen Reaktoren und Kolonnen, Druckbehälter und Ventile. Da jede Minute zählt, laufen die Arbeiten teils rund um die Uhr. Es herrscht betriebsame Atmosphäre. Überall wird geschweißt, geschliffen, montiert. Dafür ist Ineos mit seinen rund 2000 Beschäftigten am Kölner Standort im Einsatz. Hinzu kommen weitere rund 4000 Beschäftigte von Partnerfirmen.
Sollten die Prüfer Schäden erkennen, muss es schnell gehen: Dann schätzen die Experten den Umfang der nötigen Reparaturen ab, führen Berechnungen durch, geben Prüfpläne frei und unterstützen die Reparatur, damit der Wiederanfahrtermin für die Anlage gehalten werden kann.
Alle Prüfungen in sechs Wochen
Im Besprechungsraum herrscht Konzentration. Die Prüfingenieure und Stillstandsplaner besprechen, welche Bauteile und Komponenten an diesem Tag auf der Agenda stehen. Verschiedene Prüfaufträge sind von den Spezialisten zu absolvieren. Dabei schauen sie sich jedes einzelne Bauteil an und führen parallel zum Kunden eine zweite Dokumentationsliste, um sicherzugehen, dass nichts vergessen wurde. Am Ende eines jeden Prüftages arbeiten die Spezialisten diese Liste ab – so wird aus dem Vier-Augen- ein Sechs-Augen-Prinzip.
Zurück zur Anlage selbst. In und um diese stehen Kräne bereit, mit denen schwere Teile zur Prüfung angehoben werden können. Das größte Spezialgerät ist ein Raupenkran, der mit 188 m höher als der Kölner Dom ist. Er hebt mehr als 450 t.
Alle Arbeiter, die sich auf dem Gelände befinden, sind elektronisch registriert, die Prüfer werden von Sicherheitsposten begleitet. Per Knopfdruck ist jederzeit ersichtlich, wie viele Menschen sich auf dem Anlagengelände aufhalten. Was wer wann und wo zu tun hat, ist bis in kleinste Detail geregelt. „Durch das softwaregestützte Prüffristenmanagement und den elektronischen Zugriff auf Prüfberichte senken wir dabei den Aufwand für die Betreiber“, sagt Löffler.
Das Werk: ein alter Bekannter
Da TÜV Süd bereits die vorangegangenen Stillstände begleitet hat, sind die Prüfer bereits mit den einzelnen Bauteilen vertraut – das erleichtert es ihnen, etwaige Veränderungen festzustellen. Dieses Wissen ermöglicht es den Ingenieuren, Ineos auch bei Lebenszyklusprojekten und Erweiterungen der Anlage zu helfen. Als unabhängiger Dienstleister sorgt TÜV Süd nicht nur für die Sicherheit der Anlagen, sondern trägt auch zu langfristigem Werterhalt bei. Aufgrund der weitreichenden Erfahrungen bei Großstillständen bietet der Dienstleister der Chemieindustrie alle Leistungen auf hohem Qualitätsniveau und aus einer Hand an.
Die Prüftour für die Ingenieure geht weiter: Gerade wurde ein weiterer Wärmetauscher geprüft, jetzt widmet sich der Prüfingenieur einer Trennarmatur. Es stellen sich immer wieder dieselben Fragen: Gibt es Korrosion oder andere Beschädigungen? Sind die Wände von Bauteilen stark genug? Waren etwaige Reparaturen gründlich? Antworten erhalten die Ingenieure durch den Einsatz von sogenannten zerstörungsfreien Prüfverfahren wie Ultraschall oder digitalem Röntgen. Sie liefern hochauflösende Bilder vom Innenleben etwa geschweißter Werkstoffe oder Anlagenkomponenten. Anhand dieser Bilder können Eingriffe wie Reparaturen gezielter erfolgen – das ermöglicht eine bessere Vereinbarung von Sicherheit und Wirtschaftlichkeit bei der Instandhaltung.
Am Ende dieses Prüftages wurde kein Bauteil beanstandet. Das ist nicht immer so. Bei Reparaturen ist dann schnelles Handeln gefragt. Wenige Tage später ist es soweit: Innerhalb von zehn Tagen wird die Anlage wieder angefahren. Drücke wurden aufgebaut, die Betriebstemperatur erreicht. Flüssige und gasförmige Stoffe sind in den Systemen. Es sieht so aus, als ob es nie einen Großstillstand gegeben hätte: Tragwerksarchitektur und Kräne sind abgebaut und die Anlage stellt wieder chemische Grundstoffe für die Welt von morgen her.
prozesstechnik-online.de/cav0914465
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