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CO2-Killer und Rohstofflieferant

Kultivierung und Nutzung von Mikroalgen
CO2-Killer und Rohstofflieferant

Algen sind eine bislang wenig genutzte natürliche Energie- und Rohstoffquelle. Neben Sonnenlicht und CO2 benötigen sie nur anorganische Nährstoffe für ein schnelles Wachstum. Weil für die Algenkultivierung CO2-Abgase genutzt werden können, ist die Bioenergie aus der Alge schon während der Produktion gut für das Klima. Viele Mikroalgen produzieren zudem Wertstoffe wie Vitamine, Carotinoide und langkettige, mehrfachungesättigte Fettsäuren.

Dipl. Ing. Andrea Seibert, Dr. Ulrike Schmid-Staiger, Prof. Dr. Walter Trösch, Prof. Dr. Thomas Hirth

Photosynthese ist der einzige CO2-verbrauchende Prozess in der Natur. Jährlich werden über die Photosynthese global ca. 224 Gt CO2 fixiert. Aufgrund ihrer geringen Größe zeichnen sich Mikroalgen im Vergleich zu höheren Pflanzen durch eine höhere Photosyntheseeffizienz aus. Trotzdem sind Algen eine bislang wenig genutzte natürliche Rohstoffquelle. Neben Sonnenlicht und CO2 benötigen Algen nur anorganische Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor für ein schnelles Wachstum und sind verglichen mit anderen Mikroorganismen sehr genügsam. Ein weiterer Vorteil der Algenproduktion ist, dass diese keine landwirtschaftlichen Nutzflächen benötigt und eine kontinuierliche Ernte übers ganze Jahr hinweg möglich ist. Über gezielte Kultivierungsbedingungen ist die homogene, lignozellulosefreie Zusammensetzung der Algenbiomasse steuerbar. Im Vergleich zu höheren Pflanzen ist zudem der Wasserbedarf für die Produktion deutlich geringer und kann recycelt werden. Ferner besteht die Möglichkeit zur Nutzung von Abwasserströmen, die zusätzlich anorganische Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor enthalten.
Die Produktion von Algenbiomasse in offenen Teichen ist jedoch langsam und ineffizient. Als geschlossene Photobioreaktoren dienen Airlift-Reaktoren, Blasensäulen und Röhrenreaktoren unterschiedlichster Bauart, die alle, im Vergleich zu offenen Teichen, eine Kontrolle der verschiedenen Prozessparameter pH-Wert, Temperatur und Durchmischung erlauben, und Sonnenlicht als Energiequelle nutzen. Wichtigste Prozessparameter in der Photobioreaktortechnik sind die Verfügbarkeit und Intensität des Lichts. Sie bestimmen die Biomasseproduktivität und damit Wachstumsrate und Zellkonzentration. Die gleichmäßige Lichtverteilung auf alle Zellen kann durch eine gezielte Durchmischung im Reaktor erreicht werden.
Verbesserte Durchmischung
Im Fraunhofer IGB wurde eine Reaktorplattform mit optimierter Verfügbarkeit des Lichts über die Durchmischung entwickelt. Der Reaktor funktioniert nach dem Prinzip eines Air-Lift-Reaktors und ermöglicht kontinuierliche, diskontinuierliche und Fed-Batch-Betriebsweisen. Im Gegensatz zu bisher entwickelten Reaktoren handelt es sich beim FPA-Reaktor (Flachplatten-Airlift-Reaktor) um einen voll durchmischten Reaktor, bei dem durch eine geringe Schichtdicke und gezielte Strömungsführung über statische Mischer eine verbesserte Licht- und Substratversorgung aller Algenzellen erreicht wird.
Zwischen den statischen Mischern erzeugen aufsteigende Gasblasen eines Luft-CO2-Gemisches ein Strömungsprofil, in dem die Algen in kurzen Zeitabständen aus der unbeleuchteten Reaktorzone zum Licht an die Reaktoroberfläche transportiert werden. In einer Freilandanlage kann über den Abstand zwischen den einzelnen FPA-Reaktoren die durchschnittliche Lichtintensität auf der Reaktoroberfläche variiert werden, die auf alle Algenzellen im Reaktor gleichmäßig verteilt wird. Mittels dieser Technik lassen sich hohe Zelldichten erreichen und ausreichend mit Licht versorgen, was die Wirtschaftlichkeit des Produktionsprozesses erhöht.
Der Reaktor selbst wird mittels Tiefziehtechnik aus Kunststofffolie in Form von zwei Halbschalen inklusive der statischen Mischer hergestellt. Im Scale-up wurde das Reaktorvolumen der FPA-Reaktoren von 5 l auf zunächst 30 l und dann, durch Subi-tec, einem Spin-off des Fraunhofer IGB, auf 180 l erhöht. In zwei Pilotanlagen mit jeweils 1,3 und 4 m³ Reaktorvolumen setzt Subitec die Reaktormodule unter Freilandbedingungen mit Abgas aus Blockheizkraftwerken als kostenfreie CO2-Quelle zur Herstellung von Algenbiomasse ein. Nach Aufarbeitung der Wertstoffe wie Omega-3-Fettsäuren kann die Restbiomasse in einer Biogasanlage umgesetzt werden und mittels Kreislaufführung über das Blockheizkraftwerk das entstehende CO2 erneut Algenbiomasse zur Kultivierung zur Verfügung gestellt werden.
Vielseitige Biomasse
Bisher wurden mehr als 15 000 Substanzen aus Algen bestimmt. Algen weisen je nach Wachstumsbedingungen einen hohen Protein-, Kohlenhydrat- oder Lipidgehalt auf. Schnell wachsende Algen haben einen hohen Proteingehalt, der alle proteinogenen Aminosäuren enthält. Bei Wachstumslimitierung durch Stickstoff- oder Phosphatmangel, bei gleichzeitigem CO2- und Lichtangebot, bilden viele Algen Kohlenhydrate oder Lipide als Speicherstoffe. Algen können einen Lipidgehalt von bis zu 70 % erreichen. Speicherlipide sind vor allem Triacylglyceride mit den Hauptfettsäuren C16:0, C16:1 und C18:1, die vorwiegend für eine energetische Nutzung von Interesse sind. Langkettige mehrfach ungesättigte Fettsäuren mit einer Kettenlänge größer C18 werden ausschließlich von Mikroalgen produziert und sind folglich nur über die marine Nahrungskette dem Menschen zugänglich.
Diese Fettsäuren liegen typischerweise als Bestandteile der Zellmembranen vor. Aus diesem Grund ist der höchste Gehalt an ungesättigten Fettsäuren in wachsenden Algenzellen zu finden. Für die Lebensmittelindustrie sind vor allem die Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren wie EPA, ARA und DHA von Bedeutung. Weitere wichtige Bestandteile von Algen sind Carotinoide, z. B. ß-Carotin, Astaxanthin, Lutein oder Can-thaxanthin, die als Pigmente in der Kosmetik oder als Nahrungsergänzungsmittel eingesetzt werden können. Neben Aufgaben in der Photosynthese dienen andere Pigmente für die Algenzelle als Lichtschutz. Das bekannteste aus Algen stammende Carotinoid ist Astaxanthin, das vor allem in der Lachszucht und in der Kosmetik Anwendung findet.
Gewinnung von Rohstoffen
Bisher wurden am IGB Produktionsverfahren zur Herstellung von natürlichem Astaxanthin, einem roten Farbstoff mit antioxidativen und gesundheitsfördernden Eigenschaften, und mehrfach ungesättigte langkettige Fettsäuren (Omega-3-Fettsäuren) entwickelt. In einem zweistufigen Verfahren produziert die Mikroalge Haematococcus pluvialis den roten Lachsfarbstoff Astaxanthin, der außer in der Aquakultur auch in der Kosmetikindustrie oder als Nahrungsergänzungsmittel Verwendung findet.
Im ersten Schritt erfolgt die Kultivierung des Algenstammes zur Bildung von Biomasse. Hierbei erscheint die Mikroalge grün. Im Anschluss erfolgt in einem zweiten Schritt die Umstellung der Mikroalgen auf die Akkumulation von Astaxanthin mittels Wachstumslimitierung. Die Algenzellen verfärben sich rot und Astaxanthin kann aufgearbeitet werden. Nach Aufarbeitung der Biomasse mittels superkritischen Fluiden und Gewinnung des roten Farbstoffs stellt die Herstellung von natürlichem Astaxanthin durch Mikroalgen eine Alternative zum bisher chemischen Produktionsprozess dar.
Die Alge Phaeodactylum tricornutum stellt die für den Menschen essenzielle Omega-3-Fettsäure EPA (Eicosapentaensäure) her, die bis zu 30 % aller in der Algenzelle vorkommenden Fettsäuren ausmacht. Bisher erfolgt die Gewinnung von Omega-3-Fettsäuren aus Fischöl. Hierbei werden die Fettsäuren nicht de novo synthetisiert, sondern über die Nahrungskette aus marinen Mikroorganismen aufgenommen. Dies hat eine starke saisonale Abhängigkeit sowie eine große Auswirkung von Umwelteinflüssen zur Folge.
Im Photobioreaktor hingegen ist es möglich, die Algenzellen unter konstanten Bedingungen zu kultivieren und somit eine konstante Produktqualität zu gewährleisten. In bisherigen Untersuchungen hat sich gezeigt, dass der EPA-Gehalt der Algen stark von dem Lichteintrag abhängig ist und bis zu 4,5 % der Trockensubstanz ausmachen kann. Im Gegensatz zur natürlichen Morphologie als Kieselalge weist der am Fraunhofer IGB kultivierte Algenstamm Phaeodactylum tricornutum keine Silikathülle auf. Dies hat zur Folge, dass anschließende Aufarbeitungsschritte vereinfacht sind.
Zur Gewinnung der Fettsäuren gewinnt auch hier die Extraktion mittels überkritischen Fluiden (SCF) immer mehr an Bedeutung. Der Vorteil hierbei ist, dass die Biomasse nach der Extraktion im Vergleich zur Extraktion mit organischen Lösungsmitteln frei von gesundheitsschädlichen Stoffen ist, somit weiterverarbeitbar bleibt und dem Markt als Nahrungsergänzungsmittel zur Verfügung steht. So können z. B. die Wertstoffe aus den Algen gewonnen und anschließend die Restbiomasse in einer Biogasanlage in den Kreislaufprozess zur Nutzung von CO2 zurückgeführt werden.
Neben den beiden bisher etablierten Verfahren werden am Fraunhofer IGB weitere Stämme zur Herstellung von EPA und Lipiden aus Algen auf ihre Kultivierungsbedingungen hin untersucht und Kultivierungsverfahren hierzu entwickelt. Zusätzlich sollen zukünftig auch weitere Aufarbeitungsverfahren der Biomasse entwickelt werden, sodass nicht nur eine Produktion der Biomasse möglich ist, sondern die Prozesskette von der Biomasse bis hin zum Produkt geschlossen werden kann.
cav 429

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