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Ersatz von Erdöl als Kohlenstoffquelle

Covestro fährt zweigleisig
Ersatz von Erdöl als Kohlenstoffquelle

Um die Erdöl-Ressourcen zu schonen, setzen Forscher weltweit auf alter native Kohlenstoffquellen wie nachwachsende Rohstoffe oder CO 2 . Doch beide Quellen sind nicht unproblematisch. Bei nachwachsenden Rohstoffen stellt sich sofort die Teller-Tank-Diskussion, CO 2 ist thermodynamisch extrem stabil. Einer der Vorreiter bei der Erforschung und Nutzung dieser Kohlenstoffquellen ist Covestro. cav sprach mit Dr. Christoph Gürtler und Dr. Gernot Jäger über Verfahren, Probleme und Fortschritte.

Herr Dr. Gürtler, die Idee, Kohlenstoffdioxid als Rohstoff zu nutzen, ist nicht neu. Trotzdem hat es viele Jahrzehnte gedauert, den richtigen Katalysator zu finden, um dem trägen Gesellen Beine
zu machen. Woran lag’s?

Dr. Gürtler: Tatsächlich gingen knapp vier Jahrzehnte ins Land, bis ein geeigneter Katalysator gefunden und ein entsprechendes Verfahren entwickelt wurde. Es hatte von Forschern weltweit immer wieder Anläufe gegeben, die aber nicht erfolgreich waren; ein wirtschaftliches Verfahren ließ sich so nicht gestalten. Der Durchbruch erfolgte schließlich im Rahmen des vom Bundesforschungsministerium geförderten Projektes „Dream Reactions“ in enger Zusammenarbeit von Industrie und Hochschule. Hier wurde von Covestro-Forschern der passende Katalysator entdeckt und mit dem CAT Catalytic Center weiterentwickelt. Dieses Forschungszentrum in Aachen wird von der dortigen Universität und Covestro gemeinsam getragen. Gemeinsam haben wir dann auch das zum Katalysator passende Verfahren entwickelt.

Können Sie die wichtigsten Schritte der Reaktion zum Polyol
einmal kurz erläutern?

Dr. Gürtler: Das CO2 reagiert in Gegenwart des speziellen Katalysators auf Zinkbasis mit einem energiereichen Epoxid, in diesem Fall Propylenoxid, ohne dass weitere Energie von außen zugeführt werden muss. Bei dieser Co-Polymerisierung in flüssiger Phase wird das CO2 als Carbonatgruppe irreversibel in die Molekülkette einer neuen Form von Polyolen eingebunden. Diese Polyether-Polycarbonat-Polyole mit bis zu 20 % CO2-Anteil lassen sich dann gut für die Herstellung von Polyurethanen verwenden.

Die Entwicklung einer Laborreaktion ist eine Sache, die Umsetzung in einen Produktionsprozess eine ganz andere. Welche Schwierigkeiten hatten Sie beim Scale-up zu überwinden?

Dr. Gürtler: Offen gestanden hatten wir nach der Entwicklung des Katalysators und des dazu passenden Verfahrens kaum Probleme mit dem Up-Scaling. Noch im Projekt Dream Production haben wir bei Covestro in Leverkusen eine Pilotanlage gebaut, um das Verfahren weiterzuentwickeln und größere Mengen an Polyol zu Testzwecken zu erhalten. Diese Anlage nutzen wir jetzt auch für weitere Forschungsprojekte. Dass es in der Verfahrensentwicklung immer mal wieder zu Anpassungen kommt, ist absolut normal und solange es keine grundsätzlichen Änderungen sind, können sie mit überschaubarem Aufwand bewältigt werden.

Wie sieht es mit der Gesamtenergiebilanz Ihres Prozesses im Vergleich zu einem klassischen Verfahren auf Erdölbasis aus?

Dr. Gürtler: Die neuen CO2-basierten Polyole von Covestro haben einen hohen Nachhaltigkeitseffekt. Indem CO2 als Baustein verwendet wird, lässt sich ein Teil des erdölbasierten Bausteins Propylenoxid einsparen. Die Ökobilanz ist besser als die vergleichbarer konventioneller Produkte. Es fallen deutlich weniger CO2-Emissionen an und es wird weniger Energie benötigt. Der ökologische Vorteil resultiert vor allem aus dem Wegfall von bis zu 20 % des konventionellen petrochemischen Materials und der zugrunde liegenden Menge an Erdöl. Denn dieses nicht benötigte Öl muss entsprechend auch nicht weiter aufbereitet werden. Dadurch verringert sich die Gesamtbilanz um den Energieaufwand und die CO2-Emissionen, die bei der petrochemischen Aufbereitung ansonsten anfallen.

Weltweit verursacht der Mensch einen Kohlendioxidausstoß
von etwa 30 Gt im Jahr. Betrachtet man CO2 als Ressource, schreit dieser Umstand quasi nach geradezu mehr.

Dr. Gürtler: Das stimmt. Allerdings zielt unser neues Verfahren hauptsächlich auf Ressourceneffizienz ab, das Klimaschutzpotenzial ist begrenzt. Generell aber leistet das Verfahren einen Beitrag zum nachhaltigen Wirtschaften und adressiert damit eine der größten Herausforderungen für die chemische Industrie. Falls alles weiter so gut läuft und die neuen CO2-basierten Produkte den erhofften Anklang finden, können wir uns eine Produktion in deutlich größerem Umfang vorstellen. Immerhin umfasst der Weltmarkt für Polyole deutlich mehr als 1 Mio. t.

Herr Dr. Jäger, Dr. Gürtler ist Ihnen mit seinem Projekt schon ein paar Schritte voraus. Ihnen steht die Umsetzung Ihres Verfahrens in den großtechnischen Maßstab noch bevor. Zusammen mit Ihren Partnern haben Sie die wichtige Grundchemikalie Anilin im Labor aus Biomasse erzeugt. Wie funktioniert das?

Dr. Jäger: Das Verfahren basiert auf zwei innovativen katalytischen Schritten. Zunächst werden unraffinierter Rohzucker und Ammoniak unter milden Bedingungen in ein Zwischenprodukt umgewandelt. Hierbei wird ein neu entwickelter Mikroorganismus eingesetzt. Das Zwischenprodukt wird dann mittels eines chemischen Katalysators mit sehr hoher Effizienz zu Anilin weiterverarbeitet. Dieses ganzheitliche Verfahrenskonzept wurde vollständig neu entwickelt: Das Team startete sprichwörtlich mit einem weißen Blatt Papier.

Nachdem es im Labor funktioniert, wie geht es jetzt weiter?

Dr. Jäger: Die beiden katalytischen Schritte werden aktuell im Labor weiter optimiert. Parallel erfolgen eine technische Validierung und ein Scale-up der Verfahrensschritte in einer Mini-Plant beziehungsweise einem Technikum.

Welche Partner sind bei der Entwicklung des Produktionsprozesses mit an Bord?

Dr. Jäger: Wir arbeiten mit der Universität Stuttgart, der Bayer AG und dem CAT Catalytic Center an der RWTH Aachen zusammen, das mein Kollege schon erwähnt hat. Dieses interdisziplinäre, motivierte Team vereint alle benötigten Expertisen auf sehr hohem Niveau und bildet die Basis für den weiteren Erfolg.

Gibt es bereits Planungen für eine Produktionsanlage?

Dr. Jäger: Unser endgültiges Ziel ist es, die Herstellung von biobasiertem Anilin im industriellen Maßstab zu ermöglichen – also mit einer Produktionsanlage. Das wäre ein absolutes Novum in der Kunststoffbranche. Wie zuvor erwähnt, befinden wir uns aktuell im Technikumsmaßstab. Der nächste Schritt wäre dann eine Pilotanlage; hierfür sind die Planungen bereits angelaufen. Wenn sich das neue Verfahren auch in diesem Stadium bewährt, könnten wir die letzte Stufe zünden und eine große Industrieanlage errichten.

Das Problem mit nachwachsenden Rohstoffen ist deren Verfügbarkeit. Derzeit werden rund 5 Mio. t Anilin pro Jahr aus Erdöl hergestellt. Tendenz steigend. Welche Menge könnte realistisch auf Basis nachwachsender Rohstoffe mit Ihrem Prozess produziert werden?

Dr. Jäger: Der unraffinierte Rohzucker, den wir brauchen, um biobasiertes Anilin zu produzieren, wird schon heute im industriellen Maßstab etwa aus Futtermais, Stroh oder Holz gewonnen. Die benötigten Mengen beziehungsweise Ackerflächen sind ausreichend. Der Verband European Bioplastics Association hat dazu Berechnungen angestellt. Würden demnach alle global hergestellten erdölbasierten Kunststoffe – das sind etwa 300 Mio. t/a – durch biobasierte Varianten ersetzt, beliefe sich die erforderliche Anbaufläche lediglich auf circa 0,9 % der global verfügbaren Ackerfläche.

Plattformchemikalien wie Anilin durch Bio-Anilin zu ersetzen und sie in bestehende Produktionskreisläufe einzubringen, ist ein Aspekt. Wäre es nicht sinnvoller, komplett eigene Bio-Kreisläufe aus nachwachsenden Rohstoffen aufzubauen, an deren Ende eigenständige Biokunststoffe mit ähnlichen Eigenschaften stehen? Vielleicht sogar zu 100 % abbaubar?

Dr. Jäger: Polymere wie Polyurethane haben sich über Jahrzehnte in verschiedenen Anwendungen bewährt. Denken Sie zum Beispiel an Korrosionsschutz oder Dämmmaterialien für Gebäude oder Kühlschränke, die bereits heute aufgrund ihrer Eigenschaften zur Nachhaltigkeit beitragen. Die etablierten Polymere biobasiert herzustellen, ist folglich sehr sinnvoll. Denn viele biobasierte Produkte bieten ökologische Vorteile gegenüber solchen, die aus fossilen Rohstoffen gewonnen werden. Dies gilt allerdings nicht grundsätzlich. Es muss stets der konkrete Einzelfall anhand von umfassenden Ökoeffizienzanalysen betrachtet werden. Diese berücksichtigen zum Beispiel Umweltfaktoren wie CO2-Emissionen oder den Flächenverbrauch beim Anbau eines pflanzlichen Rohstoffs. Darüber hinaus wird die Ökobilanz davon beeinflusst, ob und wie der biobasierte Kunststoff nach der Verwendung verwertet werden kann. Es gilt also, stets sorgfältig zu differenzieren und abzuwägen. Auch bei Bioabbaubarkeit. Biobasierte Kunststoffe sind nicht zwangsläufig biologisch abbaubar und biologisch abbaubare Kunststoffe müssen nicht auf Biomasse basieren. Beide Konzepte existieren nebeneinander und ob ein Material biologisch abbaubar ist, hängt ganz von dem Kunststoff und der gewünschten Anwendung ab.

Steht sich die Chemieindustrie mit Ihren Verbundstandorten
selbst im Weg, wenn es darum geht, neue, ressourcenschonende Verfahren zu etablieren?

Dr. Jäger: Auch hier gibt es kein Schwarz und kein Weiß. Nehmen Sie unsere Anlage für CO2-basierte Polyole in Dormagen, über die Kollege Gürtler gesprochen hat: Sie steht in einem Verbundstandort, und das ist besonders gut. Denn das CO2, das wir für die Herstellung der Polyole benötigen, fällt bei einem benachbarten anderen Chemieunternehmen als Abfallprodukt an – die perfekte Symbiose.

Herr Dr. Gürtler, die Ressource Erdöl ist begrenzt. Neue Wege müssen her. CO2 und Biomasse sind die derzeit präferierten Kohlenstoffquellen. Sehen Sie für die Zukunft noch andere vielversprechende Ausgangsstoffe für die kohlenstoffbasierte Chemie?

Dr. Gürtler: Wir glauben stark an das Potenzial von Kohlendioxid. Eines der Ziele ist, unser Produktportfolio zu verbreitern und noch weitere Kunststoffarten mithilfe von CO2 herzustellen. Des Weiteren will Covestro zunehmend den Gehalt an alternativen Rohstoffen wie CO2 in seinen Produkten steigern. Ziel ist, in Zukunft in größerem Maße auf Erdöl in der Kunststoffherstellung verzichten zu können.

Zum Schluss noch eine Frage an Sie beide: Gibt es weitere Projekte, die Sie bereits in Bearbeitung bzw. auf Ihrem Zettel haben?

Dr. Gürtler: Im Projekt „Dream Polyols“ geht es beispielsweise darum, CO2 indirekt zu verwenden. Daraus wird ein chemisches Zwischenprodukt gewonnen, das dann mit Epoxiden zu einem neuartigen Polyol reagiert. Dieses besteht dann nur noch zu circa 60 % aus Erdöl. Und im Projekt „Production Dreams“ arbeitet Covestro zusammen mit wissenschaftlichen Partnern daran, CO2 in industriellem Maßstab auch zur Herstellung von Elastomeren, also elastisch verformbaren Kunststoffen, zu verwenden. Hier lassen sich rund 25 % Erdöl durch CO2 ersetzen.

Dr. Jäger: Wir haben in den vergangenen Jahren zunehmend biobasierte Produkte am Markt platziert. Dazu zählt ein Lackhärter mit bis zu 70 % Kohlenstoffanteil aus Biomasse, der unter anderem in der Autoindustrie genutzt wird. Zu nennen ist außerdem ein Sortiment an wässrigen biobasierten Polyurethan-Dispersionen für Textilbeschichtungen. Und wir entwickeln auch weitere biobasierte Produkte: Eine Idee ist zum Beispiel, Bioabfall aus Hausmüll zu verwenden. Hier arbeiten wir in einem europaweiten Konsortium mit.

www.prozesstechnik-online.de

Suchwort: cav1017covestro


„Wir glauben stark an das Potenzial von Kohlendioxid. Wir wollen weitere Kunststoffarten mithilfe von CO2 herstellen.“

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