Startseite » Chemie » Verfahren (Chemie) »

Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft

Produktionskonzepte für intensivierte Prozesse im Container
Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft

Die Mikroreaktionstechnik, Klein- und Kleinstanlagen bieten faszinierende Möglichkeiten für die chemische Produktion. Im Gespräch mit cav erläutert Dr. Patrick Löb, stellvertretender Bereichsleiter Energie- und Chemietechnik am Fraunhofer ICT-IMM, aktuelle Projekte, wie weit die Umsetzung in die Praxis gediehen ist und welche neuen Ziele daraus erwachsen.

Herr Dr. Löb, in Ihrem Beitrag „Chancen und Grenzen der Small-Scale-Chemie“ erwähnen Sie das EU-Projekt Copiride. Schildern Sie uns bitte kurz Ziele und Inhalte von Copiride.

Dr. Löb: Der Projektname – Copiride steht für „Combining Process Intensification-driven Manufacture of Microstructured Reactors and Process Design Regarding to Industrial Dimensions and Environment“ – gibt bereits eine erste kompakte Umschreibung der Projektinhalte. Das Projekt zielte auf die Entwicklung neuer Produktionskonzepte für die chemische Industrie auf Basis von anpassbaren Anlagen mit flexibler Produktionskapazität für intensivierte Prozesse unter Berücksichtigung ökologischer Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit. Ausgangspunkt bildete eine Reihe von chemischen Prozessen, die im Hinblick auf eine Prozessintensivierung untersucht wurden. Als ein wichtiges Werkzeug für die Prozessintensivierung kamen dabei Mikroreaktoren zum Einsatz. Begleitend zur Entwicklung wurden auch kontinuierlich Kostenanalysen und Life Cycle Assessments durchgeführt, um fundiert zwischen verschiedenen Prozessvarianten entscheiden zu können. Die Weiterentwicklung der Fertigungsmethoden für Mikroreaktoren im Hinblick auf größere Reaktoren und eine kleine Serienfertigung war ein weiterer Projektschwerpunkt. Schließlich wurde über die Ebene der Prozesse und Reaktoren hinaus die Entwicklung neuer Produktionsanlagenkonzepte vorangebracht. Über den Projektpartner Microinnova Engineering entstand unter Nutzung der im Projekt entwickelten Reaktoren das sogenannte Flow-Miniplant-Konzept. Außerdem wurde das Ecotrainer-Konzept, also – verkürzt – die mobile Chemieanlageninfrastruktur in Containerformat, durch Evonik wesentlich weiterentwickelt.

Wo sind die Grenzen der Prozessintensivierung? Welche Prozesse eignen sich besonders und warum?

Dr. Löb: Die Mikroreaktionstechnik stellt, wie schon erwähnt, ein Werkzeug für die Prozessintensivierung dar. Letztlich nutzt man die Eigenschaften der Mikroreaktoren – also z. B. exzellenter Wärmetausch, schnelles Mischen, kleines Reaktorvolumen, regelmäßiges Strömungsmuster, um die Prozessbedingungen für eine chemische Umsetzung exakt zu kontrollieren, genauer als dies mit konventionellen Apparaten möglich ist. Mit den besseren Kontrollmöglichkeiten sind auch ungewöhnliche Prozessierweisen, die sogenannten Neuen Prozessfenster, zugänglich. Beispielsweise ist es nun einfacher möglich, bei höheren Temperaturen und Drücken zu arbeiten oder auch reaktive Intermediate in situ zu erzeugen und diese direkt weiter umzusetzen. Gute Kandidaten für die Prozessintensivierung sind insbesondere Reaktionen, die sonst durch unzureichenden Stoff- und Wärmetransport limitiert sind oder solche, in denen sich die Prozesssicherheit über eine bessere Kontrolle der Prozessbedingungen oder durch ein verringertes Reaktionsvolumen erhöhen lässt.

Konnten Sie die gewonnenen Erkenntnisse in die Praxis umsetzen und wenn ja, wie?

Dr. Löb: Im Rahmen des Copiride-Projektes wurde ein Teilschritt der Epoxidierung von Sojabohnenöl in den neuentwickelten Mikroreaktoren im Maßstab 10 kg/h in einer modular aufgebauten Pilotanlage demonstriert. Die Epoxidierungsreaktion ist eine hochexotherme Zweiphasenreaktion. Durch die effektive Wärmeabfuhr und die Generierung einer großen Phasengrenzfläche im Mikroreaktor konnte dieser Prozessschritt wesentlich beschleunigt werden. Aufbauend auf diesen Ergebnissen konnte Microinnova im Nachgang zum Projekt eine ähnlich aufgebaute Anlage für einen externen Kunden realisieren, diesmal für eine Propoxylierungsreaktion, ebenfalls eine hochexotherme Zweiphasenreaktion. Dieses Beispiel illustriert sehr schön, dass die modular gestaltete Anlage aus Copiride inklusive der verwendeten Reaktoren schnell für einen anderen, ähnlichen Prozess modifiziert und eingesetzt werden kann – es verdeutlicht den Multi-Purpose-Charakter dieses Konzeptes. Darüber hinaus adaptierte Evonik zwei Ecotrainer für die zweistufige Synthese eines Spezialpolymers bestehend aus einem Polymerisationsschritt und einer Hydrierungsreaktion.

Wie weit ist die praktische Umsetzung bei anderen Projekten gediehen, beispielsweise Polycat für die Feinchemie und Pharmazie?

Dr. Löb: Im Gegensatz zum Copiride-Projekt hat Evonik im Rahmen des EU-Projektes Polycat den Ecotrainer erstmals externen Partnern (den Partnern aus dem Polycat-Konsortium) zur Prozess-Ausstattung zur Verfügung gestellt. Das verdeutlicht, dass der Ecotrainer an sich eine Art standardisierte Grundinfrastruktur darstellt, um darin einen spezifischen chemischen Prozess zu implementieren. Die Prozessausstattung und der Betrieb des Ecotrainers erfolgte beim Fraunhofer ICT-IMM in Mainz. Eingebracht wurde eine Multipurpose-Anlage unter Nutzung von Mikro- und Flow-Reaktoren verschiedener Anbieter. Die Aufgabenstellung wurde seitens Sanofi im Hinblick auf die Synthese eines API-Zwischenprodukts definiert. Evonik entwickelte das Konzept weiter, um spezifische Anforderungen, z. B. die Arbeit unter GMP-Bedingungen, zu erfüllen.

Nach Polycat-Projektende kam der verwendete Ecotrainer für eine weitere Anwendung zum Einsatz. Im EU-Projekt Mapsyn verfolgten Evonik und seine Partner die Idee, Elektrizität aus Windkraft zu nutzen, um atmosphärischen Stickstoff über einen plasmachemischen Prozess zu Stickstoffdioxid als Ausgangspunkt für eine Düngemittelherstellung umzusetzen. Die Demonstration des entwickelten Prozesses erfolgte wiederum in der Umgebung des Ecotrainers. Dafür wurde die Polycat-Anlage aus dem Prozessraum entfernt und der Ecotrainer vom Fraunhofer ICT-IMM zu Evonik nach Hanau zurücktransportiert. Dort erfolgte die Neuausstattung des Prozessraumes für den plasmachemischen Prozess. Das Mapsyn-Projekt beleuchtet zwei weitere interessante Aspekte des Ecotrainer-Konzeptes. Erstens ist der Ecotrainer wiederverwertbar und eröffnet damit neue Geschäftsmodelle wie das Rent-a-plant-Konzept. Der zweite Aspekt betrifft die dezentrale Chemieproduktion. Im Mapsyn-Kontext will man zum einen den örtlich und zeitlich schwankend anfallenden Überschussstrom in einer kompakten Anlage nutzen und zum anderen Dünger dezentral an schwer erreichbaren Orten produzieren.

An welchen Aufgaben bzw. Projekten arbeiten Sie derzeit?

Dr. Löb: Im Kontext des derzeit laufenden EU-Projektes Biogo hat das Fraunhofer ICT-IMM einen eigenen Ecotrainer von Evonik erworben. Darin soll ein neuartiger Prozess zur Umwandlung von Pyrolyseöl in synthetischen Treibstoff demonstriert werden. Die Anlagenstruktur wurde so gewählt, dass sie offen ist für ein weiteres Scale-up des Prozesses und sich für einen dezentralen Produktionsansatz eignet. Letztlich soll das Pyrolyseöl aus dezentral anfallenden Holzabfällen gewonnen werden.

Wie geht die Reise weiter? Welche Aufgaben sehen Sie für die Zukunft?

Dr. Löb: Wir beschäftigen uns derzeit auch mit prozessintensivierten Konti-Synthesen von reaktiven Intermediaten wie z. B. der Herstellung von Grignard-Verbindungen oder auch von Diazoniumsalzen und auch damit, dafür kompakte Syntheseeinheiten aufzubauen. Dabei wird angestrebt, eine dezentrale bzw. Vor-Ort-Produktion zu ermöglichen, um damit insbesondere auch kleineren und mittleren Unternehmen die Möglichkeit zu bieten, zum Beispiel unabhängig von sich aus Reach ergebenden Beschränkungen solche Zwischenverbindungen am Standort zu generieren und dann direkt weiter zu verarbeiten. Die Verknüpfung mit der Idee des Ecotrainers liegt hier auf der Hand. Im August 2015 hat das Fraunhofer ICT-IMM eine Lizenzvereinbarung mit Evonik abgeschlossen, die dem Fraunhofer ICT-IMM den Zugang zum Ecotrainer-Konzept für die Zukunft weiter ermöglicht. Auch entsteht derzeit in Mainz ein Erweiterungsbau für das Fraunhofer ICT-IMM, der mehr Pilotierungsmöglichkeiten eröffnen wird. Hierbei ist vorgesehen, dass Container-Anlagen eingebracht, ausgestattet und getestet werden können.

Die kontinuierliche Beschäftigung des Fraunhofer ICT-IMM mit Chemieanlagen im Containerformat und auch die Weichenstellungen mit Lizenzvertrag und Erweiterungsbau machen deutlich, dass wir von dem Potenzial der Kombination von containerartigen Anlagen mit intensivierten Prozessen für eine breite Palette an Anwendungen überzeugt sind.

www.prozesstechnik-online.de

Suchwort: cav0617fraunhofer ict-imm


DAS INTERVIEW FÜHRTE FÜR SIE Angelika Stoll

Redakteurin

Unsere Webinar-Empfehlung
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

cav-Produktreport

Für Sie zusammengestellt

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Hier finden Sie aktuelle Whitepaper

Top-Thema: Instandhaltung 4.0

Lösungen für Chemie, Pharma und Food

Pharma-Lexikon

Online Lexikon für Pharma-Technologie

phpro-Expertenmeinung

Pharma-Experten geben Auskunft

Prozesstechnik-Kalender

Alle Termine auf einen Blick


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de