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Strom als Rohstoff

Nachhaltige Chemie mit grüner Energie
Strom als Rohstoff

Strom aus erneuerbaren Energien eröffnet völlig neue Möglichkeiten in der Synthese von Basischemikalien. Im Rahmen des Fraunhofer-Leitprojekts »Strom als Rohstoff« entwickeln neun Fraunhofer-Institute unter Federführung von Fraunhofer Umsicht neue elektrochemische Verfahren zu deren Herstellung. Projektleiter Dr. Hartmut Pflaum und Michael Prokein, Abteilung Materialsysteme und Hochdrucktechnik, geben Auskunft über die Ziele und Ergebnisse des Vorhabens.

Im Rahmen der Energiewende entstehen neue Produktionswege. Welchen Beitrag leistet vor diesem Hintergrund das Fraunhofer-Leitprojekt „Strom als Rohstoff“?

Dr. Hartmut Pflaum: Das Fraunhofer-Leitprojekt hat schon 2015 das Thema „Sektorkopplung“ aufgegriffen, als es noch nicht in allen Überschriften zu lesen war. Zu diesem Zeitpunkt kam noch ziemlich theoretisch die Idee auf, CO2-armen Strom für elektrochemische Synthesen zu nutzen. Im Leitprojekt haben wir uns
zum Ziel gesetzt, vier unterschiedliche elektrochemische Prozesse neu zu entwickeln und experimentell zu demonstrieren. Dass wir diese Prozesse nach nur drei Jahren Arbeit jetzt auf der Achema zeigen konnten, macht uns recht zufrieden. Die im Leitprojekt
gebündelten Fraunhofer-Kompetenzen bilden eine einzigartige Plattform für Innovationen in der Elektrochemie mit unseren
industriellen Partnern.

Was sind die übergeordneten Ziele des Projekts?

Dr. Pflaum: Die zwei großen Ziele des Projekts sind die Entwicklung neuer elektrochemischer Verfahren sowie die Analyse, wie diese Verfahren vorteilhaft mit dem deutschen Stromsystem gekoppelt werden können. Technisch haben wir die dezentrale Herstellung von Wasserstoffperoxid sowie die elektrochemische Konversion von Kohlenstoffdioxid zu Basischemikalien erforscht und zur Anwendung gebracht. Ohne Systemanalyse, Marktmodelle und Nachhaltig-keitsbewertungen wären die Prozesse einiges weniger wert, denn es geht uns darum, die Vorteile der neuen Prozesse im Vergleich mit Referenzverfahren zu ermitteln.

Seit 2015 vereint Strom als Rohstoff zum Erreichen dieser Ziele neun Teilprojekte. Wie ist der aktuelle Stand?

Dr. Pflaum: Alle Demonstratoren laufen und erzeugen ihre Zielprodukte, wir haben ein neues Aspen-Tool zur Modellierung entwickelt und eine Software zur Entscheidungsunterstützung bei stromgeführten Produktionsprozessen. Besonders stolz sind wir darauf, dass eine völlig neuartige Membran für geteilte elektrochemische Zellen entwickelt werden konnte: Sie weist hohe Leitfähigkeiten auf, enthält nur ganz geringe Mengen Fluor – kann daher gut recycelt werden – und nicht zuletzt: sie ist kostengünstig herstellbar. Ein digitales Kohlenstoffdioxidkataster zeigt uns, wo in Deutschland CO2 in welcher Menge und Qualität anfällt. Das ist wichtig für die Standortplanung. Und ein Indikatorenset für die Nachhaltigkeitsbewertung unterstützt die Entwicklung von Geschäftsmodellen. Nicht zuletzt sind wir sehr froh, in zwei Stakeholderdialogen mit der Industrie unser Projekt immer wieder dem Praxistest unterzogen zu haben.

Fraunhofer Umsicht erforscht in einem Teilprojekt die elektrochemische Herstellung von Alkoholen. Welcher Prozess wird in diesem Rahmen entwickelt?

Michael Prokein: Es wird ein Prozess zur elektrochemischen Hochdrucksynthese entwickelt. Dabei werden CO2 und H2O als Edukte zu hochwertigen Chemikalien umgewandelt. Es handelt sich um einen einstufigen Prozess. Im Vergleich zu alternativen zweistufigen elektrochemischen Ansätzen zur CO2-Konversion kann der Energieverbrauch enorm reduziert werden. Der Grund dafür ist, dass die Produktion von Wasserstoff als Zwischenprodukt nicht erforderlich ist, um CO2 zu Aktivieren und beispielsweise zu Methanol umzuwandeln. Das unter Normalbedingungen reaktionsträge CO2 wird direkt an der Elektrodenfläche zu einem reaktionsfähigen Radikal reduziert und kann anschließend in Folgereaktionen verschiedene Chemikalien bilden. Als Syntheseprodukte können dabei nicht ausschließlich Alkohole, sondern ebenfalls Säuren oder Synthesegase gebildet werden. Ein entscheidendes Merkmal des Prozesses ist, dass er bei hohen Drücken bis 150 bar betrieben wird. Dieser hohe Druck ermöglicht hohe CO2-Konzentrationen in einer leitfähigen Elektrolytlösung und somit im Vergleich zu Umgebungsbedingungen deutlich höhere CO2-Konversionsraten bei gesteigerten Stromdichten.

Wo kommen Alkohole in der chemischen Industrie überall zum Einsatz?

Prokein: Die möglichen Einsatzbereiche von Alkoholen in der chemischen Industrie sind so umfassend, dass hier nur einige Beispiele genannt werden können. Vor allem als Basischemikalien haben Alkohole hohe Relevanz, da sie sich gut in erdölbasierte Produktionsstrukturen integrieren lassen. Zum Beispiel ist Methanol weltweit – abgesehen von seiner Rolle als Energieträger – eine der wichtigsten Basischemikalien zur Herstellung von Formaldehyd, Essigsäure und vielen weiteren chemischen Produkten. Die Alkohole Ethanol, Propanol und Butanol können zu den heute noch aus Erdöl gewonnenen Alkenen und Dienen weiterverarbeitet werden und somit den Ausgangsstoff für die Massenkunststoffe Polyethylen und Polypropylen bilden. Zusätzlich können neben den Alkoholen auch weitere Syntheseprodukte, die bei der elektrochemischen Hochdrucksynthese gebildet werden, in der Industrie genutzt werden. Als Beispiel ist hierbei die Ameisensäure zu nennen, die zukünftig als Wasserstoffspeicher von großem Nutzen sein kann. Gegenüber den Alkoholen hat die Ameisensäure den Vorteil, dass für deren Synthese ein geringerer Energieeintrag notwendig ist und die Produktionskosten deutlich weniger vom Strompreis abhängen.

Worin besteht die Innovation des bei Fraunhofer Umsicht entwickelten Verfahrens?

Dr. Pflaum: Vor Beginn des Leitprojekts gab es nur sehr wenige Veröffentlichungen oder Patente, die sich mit der elektrochemischen Umsetzung von CO2 als kontinuierliche Phase unter hohem Druck beschäftigten. Wir konnten also nicht einfach Bestehendes weiterentwickeln oder optimieren, wir mussten bei Null anfangen. Einen Reaktor bei 50 bis 100 bar zu betreiben ist das eine, Strom hineinzuleiten und chemische Reaktionen kontrolliert ablaufen zu lassen etwas völlig anderes. Heute können wir den Hochdruckprozess nicht nur stabil betreiben, wir können auch online die Zusammensetzung des Produktstroms ermitteln – und so Prozessparameter geschickt optimieren.

Welche Herausforderungen gab es bei der Entwicklung des Verfahrens?

Prokein: Die elektrochemische Reduktion von CO2 bei hohen Drücken brachte in der Tat viele Herausforderungen mit sich, die den Fraunhofer-Forschern zu Beginn des Projekts teilweise Kopfschmerzen bereiteten. Mittlerweile sind wir alle jedoch sehr froh, uns auf dieses Abenteuer eingelassen zu haben. Als größte Herausforderung ist mit Sicherheit die Entwicklung der Hochdruckelektrolysezelle inklusive Analytik zu nennen. Zwischen dem zylindrischen Edelstahlreaktor, der lediglich mit Druck beaufschlagt werden kann, und einer einsatzbereiten Hochdruckelektrolysezelle, in der trotz der vielen leitfähigen Stahlkomponenten ohne Störströme reproduzierbare elektrochemische Messverfahren durchgeführt werden können, lagen viele arbeitsintensive Tage. Weiterhin hat es uns der unpolare Charakter von CO2 erschwert, eine ausreichende Leitfähigkeit zu erzielen. Um bei hoher CO2-Konzentration eine hohe Leitfähigkeit erreichen zu können, musste eine spezielle Zusammensetzung der Elektrolytlösung gefunden werden. Eine weitere entscheidende Herausforderung, die uns auch zukünftig begleiten wird, liegt in der Entwicklung langzeitstabiler, kostengünstiger Katalysatoren, an denen Zielprodukte mit hoher Selektivität und geringem Energieeintrag erzeugt werden können.

Wie sehen die Marktchancen für das Hochdruckelektrolyseverfahren aus?

Dr. Pflaum: Trotz aller Erfolge liegt unser Technology Readiness Level (TRL) bei vielleicht 2 bis 3, d. h. wir haben den experimentellen proof of concept erbracht und viel über Elektrolyse bei hohem Druck und in CO2-Umgebung gelernt. Dieses Wissen und unsere experimentelle Ausstattung bringen wir gern in Entwicklungsprojekte ein, die die Umwandlung von CO2 in größerem Maßstab vorantreiben wollen. CO2 wird zunehmend als Rohstoff angesehen, wenn das Molekül mit erneuerbaren Energien und effizienten Katalysatoren aktiviert werden kann. Dass dies geht, haben wir nachgewiesen. Wenn die Sektorkopplung weiter voranschreitet, dann sind Strom und CO2 die neuen Rohstoffe für dieses System. Und wir sind uns sicher, dass es bald auch erste großtechnische Umsetzungen geben wird. Unser Wissen und unsere Technologie werden wir dann unter unserer Marke eSource dort einbringen. Ich finde, wir haben 2015 einen guten Riecher für diese Entwicklung gehabt.

www.prozesstechnik-online.de

Suchwort: cav0918fraunhofert


„Unser Wissen bringen wir gern in Entwicklungsprojekte ein, die die Umwandlung von Kohlendioxid in größerem Maßstab vorantreiben wollen.“

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