Das Statuspapier Feinstaub fasst den aktuellen Stand der Forschung und Technik auf diesem Gebiet zusammen. Der fachliche Schwerpunkt liegt auf Feinstäuben in der alltäglichen Umwelt. In dem Statuspapier finden sich die für diesen Beitrag besonders interessanten Kapitel Charakterisierung, Modellierung, Abtrennung und gesundheitliche Auswirkungen, die im Folgenden kurz dargestellt werden.
Der Autor: Dr. Christoph Steinbach Dechema, Frankfurt am Main
Im Oktober 2010 hat ein Team aus insgesamt 38 Autoren auf Initiative des Arbeitsausschusses Feinstäube, der gemeinsam von den Gesellschaften GDCh, Dechema und der Kommission Reinhaltung der Luft (KRdL) des VDI getragen wird, ein Statuspapier Feinstäube vorgestellt. Neben den schon im Vorspann erwähnten Kapiteln zu Charakterisierung, Modellierung, Abtrennung und gesundheitlichen Auswirkungen werden in dem Statuspapier die verschiedenen Arten des Vorkommens bzw. der Quellen von natürlich vorkommenden und nicht beabsichtigt entstandenen Feinstäuben beschrieben – sie werden hier nur betrachtet, um den Kontext herzustellen. In den folgenden Absätzen sind einige Kernaussagen des Papiers zusammengestellt.
Feinstaub physikalisch definiert
Feinstaub ist physikalisch gesehen die Gesamtheit an Partikeln in der Luft, die einer definierten Größenklasse entsprechen, unabhängig davon, welcher chemischen oder biologischen Art sie angehören oder welche Masse oder Partikelform sie besitzen. In der öffentlichen Diskussion wird der Begriff Feinstaub oft unkritisch erweitert und vermischt mit Mengen- bzw. Konzentrationsangaben, ungeachtet der Tatsache, dass auch diese Begriffe wissenschaftlich belegt und einer genauen Anwendung ohne Interpretationsspielraum unterworfen sind. Feinstaub besteht aus Partikeln, die aus festen oder/und flüssigen Substanzen bestehen können. Dies erweitert die Charakterisierung der Stäube auf eine große Vielfalt mit Schwerpunkten auf der einen oder anderen Art. Staub ist also nicht gleich Staub.
Aufgrund ihrer Herkunft unterscheidet man primäre Partikel wie z. B. Flugasche, Ruß oder Seesalz, die bereits als Partikel emittiert werden, und sekundäre Partikel wie z. B. Ammoniumsulfat oder organische Partikel, die sich erst in der Atmosphäre aus zunächst gasförmigen Verbindungen bilden. Die im globalen Maßstab mengenmäßig wichtigsten natürlichen Quellen bzw. Prozesse, die zur Bildung primärer Partikel führen, sind die Meere (Seesalzaerosole) und die Bodenerosion. Aber auch vulkanische Aktivität, Wald- und Buschfeuer sowie Emissionen biologischen organischen Materials wie z. B. Mikroorganismen, Pilze, Sporen und Pollen stellen bedeutende Quellen primärer Partikel dar.
Sekundäre Aerosolpartikel werden durch chemische Reaktionen gasförmiger Vorläufersubstanzen natürlichen und anthropogenen Ursprungs in der Atmosphäre gebildet. Die wichtigsten Vorläufer für die Bildung sekundärer Partikel sind flüchtige Kohlenwasserstoffe (VOC), SO2, NH3, Stickoxide sowie Dimethyl-sulfid (DMS) und Schwefelwasserstoff (H2S). Die Hauptquellgruppen anthropogener Vorläufersubstanzen sind stationäre und mobile Verbrennungsanlagen, Landwirtschaft, Lösemitteleinsatz, chemische Industrie und Petrochemie.
Wirkungen ultrafeiner Partikel
Neben dem Feinstaub geraten die ultrafeinen Partikel (UFP, Partikeldurchmesser , 100 nm) zunehmend in den Fokus des Interesses, denn es gibt Hinweise darauf, dass solche Partikel besondere Wirkungen auf die menschliche Gesundheit auslösen. Ultrafeine Partikel tragen zur Feinstaubmasse sehr wenig bei, bestimmen umgekehrt aber die Anzahl der Partikel in der Umgebungsluft. Die geeignete Messgröße ultrafeiner Partikel ist deshalb ihre Anzahl pro Volumenelement. Die Unterschiede in den Anzahlkonzentrationen zwischen quellnahen Bereichen, z. B. stark befahrenen Straßenschluchten, und städtischen Wohngebieten ohne direkten Verkehrseinfluss sind wesentlich größer als beim massebezogenen Feinstaub. Auch zeigen die ultrafeinen Partikel ausgeprägte Tagesgänge, die in den Wintermonaten und an Werktagen besonders deutlich hervortreten. Während in der europäischen Abgasgesetzgebung (Euro 5) erstmals ein Grenzwert für Partikelanzahlkonzentrationen festgelegt worden ist, reichen die derzeitigen Kenntnisse über die Wirkungszusammenhänge noch nicht aus, medizinisch begründete Grenzwerte auch für die Außenluft festzulegen.
Trotz großer Fortschritte in den Erkenntnissen, die über das Verhalten der luftgetragenen Partikel in den letzten Jahrzehnten gewonnen wurden, bleiben noch erhebliche Defizite beim Verständnis der Partikelproblematik im System Atmosphäre bestehen. Die Modellierung der Vorgänge zur Partikelneubildung, Koagulation, Alterungsprozessen, Transport, Sedimentation usw. steckt teilweise noch in den Anfängen. Klarheit herrscht jedoch darüber, dass immer eine möglichst umfassende Analyse der physikalischen und der chemischen Eigenschaften erfolgen muss, um überhaupt ein zutreffendes Bild erhalten zu können. In-situ-Messungen sind ein wichtiger weiterer Anfang, aber bis zur vollständigen Beschreibung von Feinstäuben in physikalischer und chemischer Hinsicht mit einer zeitlichen Auflösung von weniger als 1 s, die uns dem Prozessverständnis wirklich näherbringen würde, ist noch ein langer Weg zurückzulegen.
Mit numerischen Modellen bewerten
Ein wichtiges Werkzeug für die Erforschung des atmosphärischen Aerosols und die Bewertung seiner Wirkung sind numerische Modelle. Die Entstehung von Feinstaub und sein Transport in der Atmosphäre sind sehr komplexe Vorgänge in der Natur, die selbst mit umfangreichen Modellen zurzeit nur näherungsweise beschrieben werden können. Das bedingt stetige Verbesserungen der Modelle mit fortschreitenden Erkenntnissen aus der Aerosolforschung und -beobachtung.
Regionalmodelle weisen im Allgemeinen eine horizontale Ausdehnung von einigen Hundert bis tausend Kilometern und eine vertikale Erstreckung von rund 5 bis 15 km auf. Sie bilden die Atmosphäre auf einem Gitter ab, dessen horizontale Auflösung in der Größenordnung zwischen 1 und 100 km liegt. Lokal- und Stadtmodelle müssen wegen ihrer Beschränkung auf kleinere Gebiete mit deutlich geringerer horizontaler Gitterweite rechnen. Mehrere Beispiele von Modellanwendungen – z. B. Veränderungen durch Emissionsminderung in der Zukunft, Wirkung regionaler Minderungsmaßnahmen oder Bestimmung von Regionen mit erhöhter Feinstaubemission – verdeutlichen die Möglichkeiten, die die numerische Simulation bei der Bewertung der Luftqualität und Erforschung des Feinstaubverhaltens in der Atmosphäre bieten.
Die Problematik der Belastung der Bevölkerung durch Feinstaub und die damit verbundenen gesundheitlichen Risiken sind inzwischen wissenschaftlich untersucht und bewertet worden. Eine Vielzahl epidemiologischer Studien weist auf eine Assoziation von chronischer Belastung mit Feinstaub (und anderen Luftschadstoffen) sowie (Gesamt-) Mortalität und kardiovaskulärer und respiratorischer Morbidität hin. Allerdings müssen die Effekte von anderen Luftschadstoffen kritisch evaluiert und die Plausibilität einzelner Grenzwerte weiterhin differenziert überprüft werden. Neben der Darstellung der Entwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse spielt zunehmend auch die Fragestellung eine Rolle, in welchem Ausmaß durch staatlich regulierte Verbesserungen der Luftqualität tatsächlich eine Verminderung der Gesundheitsrisiken auftritt. In diesem Zusammenhang kritisieren immer mehr Wissenschaftler, dass die gegenwärtigen gesetzlichen Regelungen sich allein auf eine Massenobergrenze (PM10 bzw. PM2,5) beziehen, aber die Effekte der stofflichen Zusammensetzung sowie der Partikelgröße, Partikeloberfläche und Partikelanzahlkonzentration nicht ausreichend berücksichtigt werden. Dies ist deshalb relevant, weil die Wirkung von Partikeln auch durch ihre Form sowie Morphologie und chemische Natur ihrer Oberfläche bestimmt wird.
Wichtig ist z. B. auch die Anlagerung semi-volatiler organischer Substanzen. Einige dieser Substanzen lösen sich rasch aus dem Partikel, während andere – insbesondere die fettlöslichen – ihre Wirkung eher über einen längeren Zeitraum entfalten. Als ein wesentlicher Wirkmechanismus von inhalierten Partikeln wird die Auslösung von entzündlichen Vorgängen in den Atemwegen betrachtet. Dabei ist die gesundheitsschädigende Wirkung von Rußpartikeln aus Verbrennungsprozessen als relevanter einzustufen als die Wirkung von beispielsweise Bodenpartikeln. Aber auch hier ist wieder zu differenzieren: So enthalten Partikel aus alten Schwerlastmotoren bis zu 50 % organische Anteile, während moderne Pkw-Dieselmotoren nur wenige Prozent dieser Substanzen aufweisen. Betrachtet man diese Erkenntnisse unter dem Blickpunkt der Wirksamkeit von Reduktionsmaßnahmen, so kann davon ausgegangen werden, dass eine Verringerung der Rußpartikelemissionen immer zu einer lufthygienischen Verbesserung führt, unabhängig davon, ob tatsächlich deutliche Reduktionen in der PM10-Massenkonzentration erzielt werden oder nicht. Andererseits kann nicht ausgeschlossen werden, dass selbst im Falle der Einhaltung von Grenzwerten aufgrund von relativ hohen Konzentrationen stark gesundheitsschädlicher Partikel eine Gesundheitsgefährdung besteht. Die Charakterisierung der Größenverteilung von Partikeln in Verbindung mit deren chemischer Zusammensetzung ist also neben der Messung der Gesamtmasse für weitergehende Forschung zur potenziellen Gesundheitsgefährdung durch Feinstaub unabdingbar. Die Methoden hierfür sind verfügbar, allerdings noch nicht standardmäßig in die einschlägigen Forschungsansätze integriert.
Online-Info: www.cav.de/0411423
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